Vorläufige PrEP-Empfehlungen der DAIG
Bereits im April 2015 hat die DAIG zur PrEP Stellung bezogen. Darin begrüßt sie die PrEP als eine sinnvolle Erweiterung der HIV-Prävention. Anlässlich der Zulassung von Truvada® zur PrEP macht die DAIG nun konkrete Vorschläge zur Durchführung der PrEP in Deutschland. Vieles ist allerdings noch im Fluss. HIV&more fragt nach bei Prof. Georg Behrens, Hannover.
Prof. Dr. med.
Georg Behrens
Klinik für Immunologie
und Rheumatologie
Medizinische Hochschule Hannover
Carl-Neuberg-Str. 1
30625 Hannover
E-Mail: behrens.georg@mh-hannover.de
Die European Medicines Agency (EMA) wird in diesen Wochen die Indikationserweiterung einer täglichen Einnahme von einer Tablette Truvada® (Tenofovir-DF + Emtricitabin) zusammen mit Safer Sex Praktiken zur Präexpositionsprophylaxe (PrEP) bei Erwachsenen bekannt gegeben. Die vorläufigen Empfehlungen der Deutschen Aids-Gesellschaft (DAIG) sollen eine Hilfestellung bei der Durchführung einer PrEP mit Truvada® für behandelnde Ärztinnen und Ärzte sein.
Allgemeine Hinweise
Eine PrEP besteht nicht nur aus Medikamenten, sondern ist immer Teil einer Gesamtstrategie zur Prävention einer HIV-Infektion. Begleitende medizinische Diagnostik und Therapie sowie Konsultationen und Aufklärung über Risikoverhalten und andere Präventionsmaßnahmen gehören ebenso mit in das „Paket“ einer PrEP wie ein Angebot zur Untersuchung auf andere STIs. Eine hohe Adhärenz der Anwender ist ein entscheidender Faktor für die Wirksamkeit einer PrEP.
Studien in verschiedenen Ländern haben eine sehr unterschiedliche Adhärenz gezeigt von einer über 90%igen Adhärenz bei thailändischen MSM bis zu einer weniger als 10% Adhärenz bei jungen Frauen in Afrika. Wie liegen da wohl die Deutschen?
Prof. Behrens: Eine gute Adhärenz ist – das haben die Studien gezeigt – eine Voraussetzung für die Wirksamkeit der PrEP. Ob die Adhärenz nun 90% oder 95% betragen muss, das weiß man nicht so genau. In den Studien haben 5 Tabletten pro Woche ausgereicht. Wer also eine oder auch mal zwei Tabletten pro Woche vergisst, sollte nicht von der PrEP ausgeschlossen werden. In Deutschland schätze und hoffe ich, wird die Adhärenz gut sein. Denn Adhärenz hängt von vielen Faktoren ab: Vom Drogenkonsum, vom sozialen Umfeld, von Stigmatisierung, vom Bildungsniveau usw. Einige dieser Vorzeichen stehen hierzulande gut.
In welchem Versorgungszusammenhang eine PrEP in Deutschland erfolgreich angeboten werden kann, wird von den beteiligten Akteuren abhängen. Wir erwarten, dass für die PrEP neue und interdisziplinäre Versorgungsstrukturen etabliert werden können.
Neue Versorgungsstrukturen für die PrEP. An was denken Sie da konkret?
Prof. Behrens: Die PrEP gehört nicht zum Portfolio des klassischen Hausarztes. Das Angebot, sich vor HIV durch PrEP zu schützen, richtet sich ja an MSM mit häufigen ungeschützten sexuellen Kontakten. Um diese Männer zu erreichen, müssen Beratungsstellen und medizinische Versorgungsschwerpunkte als Netzwerk zusammenarbeiten. Die Verordnung und Überwachung der PrEP gehört meiner Meinung nach in die Hand von HIV-Praxen und -Ambulanzen. Hier gibt es eine große Expertise zum Umgang mit dem Medikament sowie der Diagnostik und Therapie von HIV und STI.
Eine PrEP und die begleitenden medizinischen Maßnahmen sollten durch eine(n) in der Präventionsberatung von sexuell übertragbaren Infektionen (STI) und der antiretroviralen HIV-Therapie (ART) erfahrene(n) Ärztin/Arzt erfolgen.
Aids-Hilfen bieten heute unterstützt von Ärzten auf Honorarbasis Check Points für HIV und STIs an. Sollten man in diesem Rahmen auch PrEP durchführen, d.h. Indikation stellen, testen, verordnen, kontrollieren usw.?
Prof. Behrens: Die Aufgaben der Aids-Hilfen sehe ich in Aufklärung und Beratung zur PrEP im Rahmen des interdisziplinären Netzwerkes. Die Indikationsstellung, Verordnung und medizinische Überwachung obliegt der/dem Ärztin/Arzt in der Praxis oder Ambulanz. Eine gute Zusammenarbeit bedeutet hier, dass sich Berater/in und Verordner/in abstimmen. Gerade jetzt am Anfang der PrEP-Ära müssen sich alle lokalen Beteiligten austauschen, um mit einer Stimme zu sprechen. Es macht keinen Sinn, wenn die PrEP in der Aids-Hilfe empfohlen, in der Praxis aber dann abgelehnt wird.
Die Hinweise geben keine Auskunft über die Möglichkeiten einer Kostenübernahme einer PrEP und dem mit der PrEP verbundenen Monitoring. Solange keine Kostenübernahme erfolgt, werden nach der Zulassung von Truvada® Interessenten einer PrEP vermutlich versuchen, das Medikament über unterschiedliche Quellen (z.B. Internet) so kostengünstig wie möglich zu beziehen.
Sollten die Kosten für die PrEP von den Krankenkassen übernommen werden?
Prof. Behrens: Wir wünschen uns, dass die PrEP allen zur Verfügung steht, die davon profitieren können. Angesichts des derzeitigen Preises von Truvada®, werden sich das privat nicht viele leisten können. Die Prep gehört jetzt eindeutig nicht zum Leistungskatalog, da gehen die Meinungen nicht auseinander und die DAIG als Fachgesellschaft möchte sich hier nicht einbringen. Der Bezug von billigen Generika über mehr oder weniger dubiose Wege kann keine Lösung sein. Ein günstigerer Preis für das Medikament könnte das Problem zumindest entschärfen.
Indikationsstellung
Vor dem Beginn einer PrEP sollte man sich vergewissern, dass die Person HIV-negativ ist und ein erhöhtes Risiko für eine HIV-Infektion hat. Hierzu kann man sich beispielsweise an den Kriterien der klinischen Studien orientieren, die den positiven Effekt einer PrEP belegen:
- Ausschließlich HIV-negative Menschen profitieren von einer PrEP, weshalb eine bereits vorhandene HIV-Infektion vor der Einleitung einer PrEP sicher ausgeschlossen werden muss
- HIV-negative MSM oder Transgender mit der Angabe von analem Sex ohne Kondom mit mehr als 2 Partnern innerhalb der letzten 3-6 Monate und wahrscheinlich auch in den nächsten Monaten
- HIV-negative Personen mit penetrativem Sex ohne Kondom und mindestens einer im letzten Jahr neu diagnostizierten STI
- HIV-negative Partner, die im vergangenen Monat penetrativen Sex ohne Kondom mit Personen hatten, die ihnen als HIV-positiv bekannt waren (und keine erfolgreiche ART hatten) und aktuell keine Indikation zur Post-Expositions-Prophylaxe (PEP) haben
Ausgehend von diesen Kriterien wie viele Personen kommen in Deutschland für die PrEP in Frage?
Prof. Behrens: Das ist eine schwierige Frage, über die sich schon viele den Kopf zerbrochen haben – ohne Ergebnis. Ich persönlich schätze, in Deutschland kommen etwa 3.000-5.000 MSM für die PrEP in Frage. Doch werden diese Personen auch erreicht? Vermutlich nicht alle, d.h. man sollte MSM mit häufigen STI aktiv eine PrEP anbieten. Und die andere Frage: Wer sollte keine PrEP erhalten? Hier solle man sich streng an die Indikation halten. Eine zu großzügig verschriebene PrEP verdünnt die Effizienz der Maßnahme und wird sie langfristig in Frage stellen.
Vor bzw. zu Beginn einer PrEP
Bei einer prophylaktischen Gabe von Medikamenten an Gesunde ist die Aufklärung besonders sorgfältig durchzuführen und ihr Inhalt und ihre Durchführung zu dokumentieren. Sie sollte Informationen über folgende Themen beinhalten:
- Das Dosisschema einer PrEP: Die Zulassung gilt für die tägliche Einnahme einer Truvada® Tablette, ähnlich wie z.B. in der PROUD Studie. Über den Einsatz einer PrEP on-demand inklusive einer loading dose, wie in der iPERGAY Studie, liegen weniger Daten vor.
- Die Notwendigkeit einer hohen Adhärenz. Über das Zeitfenster zwischen Beginn und voller Effektivität einer kontinuierlichen PrEP liegen keine Daten vor.
- Präventionsberatung im Hinblick auf Sexualpraktiken und die Notwendigkeit einer fortgeführten Kondomnutzung. PrEP reduziert zwar die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Infektion, schützt aber nicht vor anderen STIs. Nach Möglichkeit sollte der Patient in eine Präventionsberatung eingebunden werden.
- Die potentiellen unerwünschten Nebenwirkungen einer PrEP, wie z.B. Fanconi-Syndrom, Niereninsuffizienz, Abnahme der Knochendichte, Kopfschmerzen.
- Im Falle einer HIV-Infektion, die mögliche Resistenzentwicklung mit negativer Wirkung auf die Optionen für eine spätere antiretrovirale Therapie, besonders bei Fortführung der PrEP
- Komedikationen: Es sollte auf Interaktionen und überlappende Toxizität geachtet werden
- Die fehlende Kostenerstattung von Truvada® als PrEP durch gesetzliche/private Krankenkassen
Auch wenn keine Daten vorliegen muss man den Patienten beraten. Was sagen Sie zur PrEP bei Bedarf?
Prof. Behrens: Als Ärzte müssen wir Antworten geben. Es gibt die Daten der iPERGAY-Studie, die bemerkenswerterweise für die Zulassung nicht relevant war. Fest steht, beide PrEP-Arten sind wirksam. Für wen aber die Anlassbezogene PrEP und für wen die tägliche PrEP besser ist, wissen wir nicht. Beide erfordern eine hohe Adhärenz, die Anlassbezogene PrEP vielleicht sogar eine noch strengere Adhärenz, allerdings über kürzere Zeit abhängig von der sexuellen Aktivität. Dies zeigt, wie wichtig die individuelle Beratung ist, so wie wir es von der HIV-Therapie kennen.
Diagnostische Verfahren vor einer PrEP
- Unmittelbar vor Beginn einer PrEP (≤ 4 Wochen) muss ein negativer HIV-Test (4. Generationstest) vorliegen. Bei aktuellen Symptomen einer akuten HIV-Infektion sollte mit einer PrEP erst nach 4 Wochen und Vorliegen eines negativen HIV-Tests begonnen werden.
- Ausschluss von Kontraindikationen [Niereninsuffizienz (eGFRCG <60 mL/min)] und ggf. Nutzen-Risiko Abwägung bei Begleiterkrankungen (z.B. Proteinurie, Osteoporose).
- Testung und ggfs. Behandlung begleitender STIs [Gonorrhoe, Chlamydien (PCR aus Erststrahlurin, Abstriche), Lues (Serologie, u.U. PCR aus Abstrich), Hepatitis B und C (Serologie)]. Wenn erforderlich, sollte eine Impfung gegen Hepatitis B erfolgen. Vor einer on-demand PrEP muss eine chronische Hepatitis B ausgeschlossen werden.
PrEP erhalten Personen mit hohem Risiko einer HIV-Infektion. Reicht da der Antikörper-Test wirklich aus, um eine HIV-Infektion auszuschließen?
Prof. Behrens: Wir wollen verhindern, dass mit der PrEP eine HIV-Infektion insuffizient behandelt wird. Ein HIV-Test der 4. Generation hat ein schmales blindes Fenster, ist preisgünstig und überall verfügbar. Und dieses Vorgehen hat sich bewährt. In den USA und Kanada, wo die PrEP schon seit einigen Jahren zur Verfügung steht, haben sich keine nennenswerten Resistenzen aufgrund von nicht erkannten HIV-Infektionen gezeigt. Eine HIV-PCR, die ein schmaleres blindes Fenster als der Antikörper-Test hat, ist deutlich teuerer und würde eine Infektion zudem auch nicht mit letzter Sicherheit ausschließen.
Während der Durchführung der PrEP
Das kontinuierliche Monitoring ist für die Wirksamkeit und zur Vermeidung von Nebenwirkungen und Resistenzentwicklung im Fall einer Infektion von herausragender Bedeutung:
- Wiederholung des HIV-Tests alle 3 Monate (kontinuierliche Einnahme, PROUD-Studie). Bei einer on-demand-Einnahme sollte analog der iPERGAY-Studie nach vier und acht Wochen und mindestens alle 3 Monate danach ein HIV-Test erfolgen.
- Wiederholung des Screenings auf STIs mindestens alle 6 Monate
- Überwachung der Nierenfunktionsparameter gemäß der Produktinformation von Truvada®
- Bestätigung, ob das erhöhte Risiko für eine HIV-Infektion weiterhin besteht
- Bei klinischem Verdacht auf eine (akute) HIV-Infektion: Sofortiger Abbruch der PrEP und Bestimmung der HIV-RNA mittels PCR aus dem Plasma
- Bei nachgewiesener HIV-Infektion: Genotypische Resistenzanalyse, Einleitung einer antiretroviralen Therapie gemäß DAIG-Leitlinien
Alle PrEP-Studien haben einen Anstieg von STI gezeigt. Reicht da HIV-Test und STI-Screening alle 6 Monate?
Prof. Behrens: Wir erwarten, dass eine PrEP zu mehr kondomlosen Sex führt. Wir wissen aber auch, dass vermehrtes Screening zu mehr Diagnosen führt. Angesichts der bisherigen Epidemiologie und den Erfahrungen aus anderen Ländern erscheint mir ein Screening alle 6 Monate derzeit die beste Lösung. Ein Screening alle 3 Monate würde zudem die Praxen überfordern – ganz abgesehen von der Frage der Kosten-Nutzen-Relation.
Die Verordnung einer PrEP sollte an die notwendigen Kontrolluntersuchungen gekoppelt werden. Wenn die/der PrEP Anwender es nicht schaffen sollte, die notwendigen Untersuchungs- und Beratungstermine wahrzunehmen, sollte zunächst keine weitere Verschreibung mehr erfolgen, da Wirksamkeit und Sicherheit des präventiven Effekts der PrEP nicht zu gewährleisten sind.