Croi 2017 Seattle, 13.-16. Februar 2017
Ain’t No Cure For AIDS
Was würde bei der Einreise ins verrückte Trump-Land alles passieren? War der Reisepass mit dem auffälligen russischen Stempel nicht abgelaufen? Und galt das zerknitterte ESTA-Formular aus dem vorletzten Jahr eigentlich noch? Ein mulmiges Gefühl beschlich den Reisenden aus „Old Europe“, der übernächtigt durch die langen Flughafen-Flure von Seattle stolperte. Aber dann ging doch alles erfreulich glatt, die Warteschlange schlängelte sich geschmeidig dahin, und die Befragung durch die unfreundliche Einreise-Beamtin geriet auch nicht viel unfreundlicher als sonst. Man kommt ja schließlich nicht aus Somalia. Der Amerikaner spinnt eben ein bisschen, wählt Robert Geiss zum Präsidenten und isst Streichkäse mit Erdbeer-Aroma zum Frühstück. Allerdings organisiert er eben auch die CROI, die mit Abstand wichtigste und beste HIV-Konferenz (die nächste findet wieder in Boston statt). Und deswegen muss man da eben einmal im Jahr hin. Trotz allem.
Heilung
Blick von der Space Needle auf Seattle. Im Hintergrund der Mount Rainier
© Knud Schewe
„At least 2.000 meters.“ Obwohl der äthiopische Taxifahrer die Höhe des beeindruckenden Schneegipfels am Horizont eher unpräzise schätzte (Mount Rainier, 4.392 m), hatte der Mann während der Fahrt zum Hotel dann doch viel Wahres zum Thema HIV beizusteuern: ”Ain‘t no cure for AIDS.” Damit ist schon viel gesagt. Die HIV-Infektion ist nicht heilbar, und das wird wohl die nächsten Jahre auch so bleiben. Die Stimmung auf der diesjährigen CROI war zurückhaltender, vorsichtiger als in den letzten Jahren. Mehrere Plenarvorträge wiesen darauf hin, dass eine Heilung, wenn überhaupt, nur durch eine Kombination distinkter Therapieansätze möglich sein könnte (#12, 49). Erstmal müssen wir wissen, wie die Reservoire gemessen werden sollen und wie groß sie wirklich sind (#121). In Gehirnen war in einer Autopsiestudie trotz langjähriger Virussuppression in 70% der Fälle noch HIV-DNA nachweisbar (#367). Und mit „Shock and Kill“ ist es auch nicht so weit her, die aktuell verwendeten Substanzen sind viel zu schwach und aktivieren weniger als 1% der Zellen (#309). Timothy Brown, der erste HIV-infizierte Mensch auf diesem Planeten, der mittels allogener Stammzelltransplantation geheilt wurde (und laut Community-Flurfunk derzeit unter PrEP steht, um sich nicht mit X4-Viren zu infizieren), bleibt ein Unikat; sein Fall ist bislang nicht reproduzierbar (#319, 320). HIV wird uns also weiter beschäftigen, auch wenn die Neuinfektionen, PrEP und vor allem TasP (treatment as prevention) sei dank, allerorten rückläufig sind, wie diverse Beiträge vermeldeten. Der folgende Text gibt deshalb eher eine Übersicht über die Dinge, die die therapeutische Realität in den kommenden Jahren beeinflussen könnten.
Therapiestrategien: Mono- und duale Therapie
Abb. 1 SWORD 1&2: Dolutegravir + Rilpivirin. Virologische Wirksam - keit. Snapshot-Analyse zu Woche 48
Die Monotherapie mit Dolutegravir (DTG), zuletzt von einigen Behandlern mit großer Verve verfolgt, kann getrost zu den Akten gelegt werden. In einer randomisierten Studie aus den Niederlanden (#451LB) bei vorbehandelten Patienten traten ebenso Resistenzen auf wie in einer Zusammenschau dreier Kohorten. Deren Redner sah sich nicht ganz unerwartet Vorwürfen ausgesetzt, Patienten grundlos und außerhalb kontrollierter Studien solchen Experimenten unterzogen zu haben (#42). Angesichts der hohen Versagerrate ist jedenfalls klar geworden, dass die Resistenzbarriere von DTG wohl doch nicht höher als die geboosterter PIs ist. Im Gegenteil, sie ist wohl eher niedriger – so viele Resistenzen waren jedenfalls in sämtlichen PI-Monotherapiestudien nicht aufgetreten. Besser scheint DTG mit 3TC zu funktionieren, wie eine einarmige Studie aus Frankreich zeigte (#458). Allerdings müssen noch weitere Daten (die GEMINI-Studie bei therapienaiven Patienten läuft) abgewartet werden. In den beiden großen Phase-III-Studien SWORD I+II (n=1.025) wurde DTG mit Rilpivirin kombiniert und gegen die Fortführung einer erfolgreichen Standard-ART getestet (Abb. 1) (#44LB): Virologisches Versagen war sehr selten, INSTI-Resistenzen traten überhaupt nicht auf. Dolutegravir plus Rilpivirin ist damit die erste Nuke-Sparing-Kombination, die virologisch wirklich überzeugt hat. Ein kleiner Wermutstropfen blieb: ZNS-Nebenwirkungen führten eher zum Abbruch (9 versus 1 Fall), auch milde Nebenwirkungen waren mit 17% versus 2% häufiger zu beobachten. Eine japanische Studie legte den Verdacht nahe, dass die (meist milden) ZNS-Nebenwirkungen mit erhöhten DTG-Spiegeln korrelieren (#426). Diese waren wiederum einer englischen Studie zufolge bei älteren Patienten über 60 Jahre häufiger zu beobachten (#432).
Neue Substanzen
Abb. 2 5 Doravirine + RTV + 2NRTI. Virologische Wirksamkeit zu Woche 48 (FDA Snapshot). Molina JM, et al. #45LB
Abb. 3 Wirkansatz der Antikörper Ibalizumab, UB-421 und Pro 140, zu denen auf der diesjährigen CROI klinische Daten vorgestellt wurden
Lange nicht mehr waren so viele neue Substanzen vorgestellt worden wie auf der diesjährigen Konferenz. Doravirin, der neue NNRTI von MSD, hielt in Phase III dem Vergleich mit Darunavir/r sehr gut stand und überraschte nicht nur mit einem ausgezeichneten Ansprechen auch bei hochvirämischen Patienten, sondern auch mit einer für die Klasse sehr niedrigen Resistenzrate (Abb. 2) (#45LB). Dieser NNRTI, der überdies unabhängig von der Nahrungsaufnahme eingenommen werden kann (noch ein Vorteil gegenüber Rilpivirin), soll nun zusammen mit TDF+3TC vermarktet werden. Bictegravir, der neue INSTI von Gilead, überzeugte in einer Phase IIb-Studie (Phase III läuft bereits) gegen DTG (#41), blieb allerdings den Nachweis schuldig, worin sein entscheidender Vorteil gegenüber eben diesem DTG besteht (Abb. 3). Das Resistenzprofil scheint sich doch ziemlich zu überlappen, eine Wirkung ist nur bei einigen wenigen DTG-Resistenzen zu erwarten – auf den ebenfalls neuen INSTI Cabotegravir kann man übrigens bei INSTI-Resistenzen auch nicht wirklich bauen (#498). Insbesondere Gilead engagiert sich derzeit sehr bei der Entwicklung neuer Substanzen: Mit GS-PI-1 und GS-9131 wurden jeweils ein PI und ein NRTI vorgestellt, die auch bei ausgedehnten Resistenzen effektiv bleiben (#433, 437). Zumindest GS-9131 soll tatsächlich demnächst am Menschen getestet werden, ein Antrag darauf wurde im Dezember 2016 gestellt. Außerdem sorgte eine neue (noch präklinische) Wirkstoffklasse für viel Aufmerksamkeit: die so genannten Capsid-Inhibitoren hemmen wohl an mehreren Stellen (so ganz klar ist das noch nicht) und schon in niedrigen Konzentrationen sehr effektiv den Auf- und Abbau des HIV-Capsids. Die Schaubilder für die Pioniersubstanz GS-CA-01 sahen schon mal toll aus (Abb. 4) (#38). Mal sehen, ob Menschen diese Substanzen vertragen.
Abb. 4 Wirkmechanismus Capsid-Inhibitors GS-CA1
Antikörper – eine Hoffnung für Patienten mit multi-resistente Viren oder als Erhaltungstherapie?
Mehrere spannende Studien widmeten sich monoklonalen Antikörpern, die den Eintritt von HIV in die Zelle verhindern. Mit dem CD4-Antikörper Ibalizumab erreichten Patienten mit multiresistenten Viren (die teilweise auch den Attachment-Inhibitor Fostemsavir erhielten) immerhin in bis zu 50% der Fälle eine Viruslast unter 200 Kopien/ml (#449LB). Ibalizumab wurde in dieser Studie alle 2 Wochen infundiert, kann wahrscheinlich aber auch i.m. gegeben werden (#438). UB-421 setzt ebenfalls am CD4-Rezeptor an, allerdings an einer anderen Domäne als Ibalizumab. In einer kleinen Pilot-Studie ließ sich während einer Therapiepause, in der nur UB-421 als „Erhaltung“ alle 1-2 Wochen i.v. verabreicht wurde, bei allen 29 vorbehandelten Patienten die Virussuppression aufrecht erhalten (#450LB). Pro-140 ist ein monoklonaler Antikörper, der sich gegen humane CCR5-Rezeptoren richtet. In einer Langzeitbeobachtung blieb die Viruslast immerhin bei 10/16 Patienten mit R5-Viren über 2 Jahre Erhaltungstherapie hinweg supprimiert, die Patienten injizierten sich den Antikörper wöchentlich selbst subkutan (#437). Die Verträglichkeit der Antikörper war in allen Studien bislang gut, größere Phase IIb/III-Studien laufen. Wöchentliche oder vierzehntägige Injektionen scheinen zumindest bei Patienten mit limitierten Optionen zumutbar zu sein.
PrEP-Versagen ohne Resistenz
Nichts ist perfekt auf dieser Welt – auch nicht die PrEP. In Holland wurde eine Wildtyp-HIV-Infektion trotz PrEP beobachtet. Der HIV-Test des 50-jährigen MSM einen, drei und sechs Monate nach PrEP-Beginn war negativ. Im sechsten Monat der PrEP wurde auch der intrazelluläre Medikamentenspiegel bestimmt, der hoch war, was eine gute Adhärenz in den letzten 30 Tagen dokumentiert.
Sechs Wochen später kam der Patient wieder mit Fieber, Schwierigkeiten beim Urinieren und einer Urethritis. Die intrazellulären Medikamentenspiegel waren erneut ausreichend hoch. Die PrEP wurde aufgrund des klinischen Befundes abgesetzt.
Der HIV-Antikörpertest zu diesem Zeitpunkt war jetzt positiv, der Antigen-Test jedoch negativ. Im Blut und rektalem Gewebe waren weder HIV-RNA noch integrierte DNA nachweisbar. Im Western Blot zeigte sich eine schwache Reaktion auf HIV gp160 und selbst eine Woche später war die HIV-PCR negativ. Erst zwei Wochen später wurde eine HIV-Viruslast von 20.000 Kopien/ml gemessen. Im Resistenztest zeigten sich keine Resistenz-Mutationen, nicht einmal bei minoren Populationen.
Was ist der Grund für dieses PrEP-Versagen? Sicherlich könnte es eine kurze Medikamentenpause oder eine unsterile Spritze beim Chemsex gewesen sein. Doch der Patient verneint beides vehement. Die Autoren glauben ihm und spekulieren auf den Zufall: Bei vielen abgewehrten Viren könnte eben eines „durchgerutscht“ sein. Der Mann hatte nach PrEP-Beginn pro Monat durchschnittlich 56 Partner und dabei an 16 Tagen ungeschützten Analverkehr mit 3,7 Partnern.
Hoornenborg E, de Bree GJ Acute infection with a wild-type HIV-1 virus in a PrEP user with high TDF levels, Abstract 953.
Long Acting
Überhaupt, Long-Acting. Wird es in 10 Jahren eigentlich noch HIV-Mediziner brauchen? Szenarien, bei denen die Patienten alle paar Jahre zum Spezialisten gehen, um ihre Depot-Implantate wieder aufzufüllen, sind möglicherweise gar nicht so unrealistisch. Monatsspritzen mit Cabotegravir und Rilpivirin befinden sich bereits in Phase III, aber auch weitere Substanzen werden folgen. In einem Plenarvortrag wurden Probleme dieser Therapien, aber auch Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt (#243). Keine Hürde scheint unüberwindbar. Vor allem die Technik der Nanoformulierung wird eine weitere Reduktion der Dosis und damit der Injektionsvolumina erlauben (#39, 439), einige Substanzen wie TAF werden in solchen Formulierungen schon für PrEP-Implantate entwickelt. In Makaken ließen sich die Depots transkutan wieder auffüllen (#422), eine andere Studie berichtete zu kleinen abbaubaren TAF-Briefchen, die als „Implanons“ unter die Haut gesetzt werden könnten (#420). Die Frage bleibt, wie hoch die Akzeptanz der Patienten für solche Ansätze sein wird – in Zeiten von Single Tablet Regimen sind die Ansprüche hoch.
Allgemeines, Skurriles, Banales
Haben Statine einen antiviralen Effekt, möglicherweise über die Inhibition inflammatorischer Prozesse? In der Veteranen-Kohorte hatten jedenfalls HIV-Patienten mit Statinen durchgehend ein niedrigeres Risiko für virologisches Versagen, und zwar adjustiert auf Zeitperioden, Adhärenz und alles Mögliche (#460). Dieser Effekt fand sich nicht für ASS oder Antihypertensiva, sondern eben nur für Statine – vielleicht ist da ja was dran. Subanalysen der START-Studie legen derweil nahe, dass der positive Effekt der ART möglicherweise in der =ersten Publikation unterschätzt wurde (#472). In START waren bekanntlich viele langjährig stabile Patienten eingeschlossen worden. Eine neuere Analyse des verzögerten Arms zeigte nun, dass bei frisch infizierten Patienten (weniger als sechs Monate) mehr klinische Ereignisse auftraten als bei jenen, die schon länger als 2 Jahre infiziert waren. In einer weiteren Subanalyse der Patienten mit einer Viruslast unter 3.000 Kopien fand sich kein klinischer Benefit durch die frühe ART, wohl aber eine signifikant höhere CD4-Zellzahl (Abb. 5) (#473).
Abb. 5 Hat START den ART-Effekt unterschätzt? Analyse nur des Deferred Arms hinsichtlich der Dauer der Infektion, Schlusser K et al. #472
Bekanntlich findet sich auf einer solchen Konferenz auch viel Trivia oder auch Skurriles. Manches Poster warf die Frage auf, ob die Ressourcen nicht hätten besser eingesetzt werden könnten. So waren offenbar randomisierte Studien notwendig, um zu zeigen, dass HIV-Patienten mit einem (leider nicht näher beschriebenen) Videoprogramm abnehmen können (#694) und dass Ginseng (auch) nicht beim HIV-assoziierten Fatigue-Syndrom hilft (#669). Für die elektrisierende Nachricht, dass die SIV-Viruslast bei Alkoholismus etwas erhöht ist, mussten immerhin 26 Affen in New Orleans herhalten – sie wurden mit SIV infiziert. Vierzehn dieser unglücklichen Geschöpfe waren obendrein vorher über drei Monate mit täglichen Ethanol-Infusionen zu Alkoholikern gemacht worden (#217). Die Frage sei erlaubt: Was soll das? Dass Alkoholismus auch mit HIV-Infektion eher nicht so gut ist, ist eine Hypothese, deren Verifizierung im Tiermodell verzichtbar scheint.
Wie überhaupt die Erkenntnis wächst, dass die HIV-Patienten sich möglicherweise in vielen Dingen gar nicht so sehr von HIV-negativen Patienten unterscheiden. So macht zum Beispiel Übergewicht durchaus auch HIV-Patienten krank (#693, 698), Untergewicht aber ebenso (#693). Alkoholismus ist auch schlecht (#673), und wenn schwere Alkoholikerinnen weniger trinken, nehmen sie ihre Pillen regelmäßiger. Das gilt, Achtung, auch für die ART – eine ausreichende Virussuppression wird wahrscheinlicher (#874). Rauchen ist bei HIV-Infektion auch schlecht (#130, 633, 654), Aufhören dagegen gut (#130, 131). Eine gesunde Lebensweise kann also selbst bei HIV-Patienten eher nicht schaden. Dann ist schon einiges gewonnen. Und so ist dann dem Fazit des sehr gesprächigen Taxifahrers, als wir am Market Place ankommen, nicht viel hinzuzufügen: „If I had the choice between cancer and AIDS I’d prefer AIDS”…
Literatur
Alle Abstracts können auf der Seite www.croiconference.org eingesehen werden. Dort finden sich auch sämtliche Poster als PDF-Dateien und Aufnahmen der Vorträge.