Rika Draenert, München
„Elite controller“ der HIV-Infektion – Bedeutung für den behandelnden Arzt

In unserer Infektionsambulanz betreuen wir seit Jahren einen 68-jährigen Patienten mit HIV-Infektion. Seine Viruslast war bei Erstvorstellung ohne Therapie <50 cp/ml und lag in den folgenden Jahren immer unter der Nachweisgrenze. Die CD4-Zellzahl variierte zwischen 800/µl und 1.500/µl. Zudem wussten wir, dass er positiv für HLA-B27 ist, einem Allel das stark mit der Kontrolle von HIV assoziiert ist. Wir verordneten ihm keine hochaktive antiretrovirale Therapie (HAART), sondern kontrollierten die Parameter in regelmäßigen Abständen. Dem Patienten ging es klinisch immer gut. Trotzdem stellte sich uns immer wieder die Frage, ob dieser „elite controller“ nicht doch, insbesondere angesichts seines Alters, von einer HAART profitieren würde.

Was sind „elite controller“?

„Elite controller“ (EC), teilweise auch „elite suppressor“ (ES) genannt, sind sehr seltene Menschen mit HIV-Infektion, die die Viruslast spontan ohne antiretrovirale Medikamente unter die Nachweisgrenze konventioneller Assays kontrollieren. Bei der Untersuchung von EC wurden verschiedene Cut-offs für die Viruslast verwendet (<500 cp/ml oder <50 cp/ml) und unterschiedliche Beobachtungszeiträume (jedoch meist >10 Jahre). Allerdings findet auch bei EC kontinuierlich virale Replikation statt, was durch die Verwendung von ultrasensitiven Testmethoden nachgewiesen werden konnte.1 Diese ganz geringe Replikation ist dabei meist höher als die, die bei Patienten unter einer HAART gemessen werden kann. Der Status EC hält nicht immer dauerhaft an: mehrere Studien haben gezeigt, dass Patienten nach vielen Jahren plötzlich mit der Viruslast anstiegen.1, 2 Interessanterweise gehört zur Definition eines EC nur die Viruslast, nicht die CD4-Zellzahl. Auch wenn die CD4-Zellzahl bei einer Reihe der EC stabil im Normbereich liegt, findet man immer wieder auch EC mit abfallenden und niedrigen Helferzellzahlen. Es gibt auch Fallberichte von EC, die ins Stadium AIDS fortschreiten und z.B. ein Kaposi-Sarkom oder eine Soor-Ösophagitis entwickeln.1 Im Gegensatz dazu werden die „long-term non-progressors“ (LTNP) hauptsächlich über das Niveau der CD4-Zellzahl und weniger über die Viruslast definiert. Laut epidemiologischen Untersuchungen wird davon ausgegangen, dass die Häufigkeit von EC ca. 0,15% aller HIV-Infizierten beträgt.3, 4

Was sind Ursachen für „elite control“? Ist es das Virus?

Woher kommt diese exquisite Kontrolle des Virus? Die letztendliche Ursache ist bis heute nicht abschließend geklärt und es ist sehr wahrscheinlich nicht immer dieselbe, sondern je nach Patientengruppe eine andere Ursache, die zu „elite control“ führt. Eine frühe Theorie war, dass die Ursache der niedrigen Viruslast im Virus selbst begründet ist, was bedeutet, dass den Patienten ein defektes Virus übertragen wurde. Unterstützt wurde diese Theorie von Studien, die zeigen, dass von manchen EC kein replikations-kompetentes Virus isoliert werden konnte.3 Größere virale Deletionen (z.B. im Nef-Gen) können eine fehlende Viruslast erklären, werden jedoch nur in einem kleinen Teil der EC nachgewiesen.5, 6 Aktuellere Studien zeigen vielmehr, dass genetische Defekte des Virus bei EC sehr selten sind und dass aus den meisten EC voll replikationskompetentes Virus gezüchtet werden kann. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch sogenannte „transmission pairs“, also Paare, bei denen ein Partner den anderen angesteckt hat, wobei der Verlauf der HIV-Infektion bei diesen beiden sehr unterschiedlich ist. Es gibt in der Literatur mehrere solcher Paare, wo ein typischer Progressor mit hoher Viruslast oder im Stadium AIDS einen Partner angesteckt hat und dieser mit nachgewiesen demselben Virus zu einem EC wurde.7, 8 Sequenzanalysen bei EC ergaben einen Unterschied zwischen archiviertem Provirus aus viralen Reservoirs und Plasmavirus. Letzteres wies häufig Fluchtmutationen auf T-Zellantworten auf, welche zu einer reduzierten Replikationskapazität des Virus und damit eingeschränkter viraler Fitness führten.5 Attenuiertes Virus bei EC ist also am ehesten die Folge der Auswirkungen des Wirts auf das Virus. Dieses attenuierte Virus repliziert jedoch weiterhin auf sehr niedrigem Niveau, was über sehr sensitive Testmethoden nachgewiesen werden kann.

Was sind Ursachen für „elite control“? Ist es der Wirt?

Nach allem, was wir heute über die Ursachen der EC wissen, spielt der Wirt hierbei eine wichtige Rolle. Große GWAS (=genome-wide association studies) haben in den letzten Jahren klare Korrelationen zwischen „elite control“ und humanen Genen bzw. Genpolymorphismen gezeigt. Eine der größten dieser Studien ist die „International HIV Controllers Study“, die nach Genpolymorphismen bei knapp 1000 HIV-1 Controllers und über 2.500 HIV-1 Progressors gesucht hat. Mit der Kontrolle der HIV-Infektion waren ganz ausgesucht HLA Klasse I-Allele assoziiert, nämlich HLA-B57 sowie -B27, schwächer auch -B13 und -B58:01.9 Damit sind die HLA Klasse I-Moleküle die am längsten bekannten und am besten assoziierten genetischen Faktoren für die Kontrolle der Virämie. Andere Korrelationen zu Kontrolle wurden für Varianten im CCR5- und CCR2-Gen gefunden, sowie für den „killer cell immunoglobulin-like receptor“ KIR3DL1, der von NK-Zellen exprimiert wird, und für „leukocyte immunoglobulin-like receptors“ LILR, welche von dendritischen Zellen exprimiert werden.5 Letztere interagieren auch mit HLA-Allelen, somit gibt es hier wieder die Verbindung zum HLA-System und beide der letztgenannten sind spezifisch für EC noch nicht untersucht worden.

Abb. 1 Die Immunkontrolle in der HIV-Infektion funktioniert gut, wenn die CD8+  T-Lymphozyten das Antigen auf den CD4+ T-Lymphozyten erkennen
Abb. 1 Die Immunkontrolle in der HIV-Infektion funktioniert gut, wenn die CD8+ T-Lymphozyten das Antigen auf den CD4+ T-Lymphozyten erkennen

Die starke genetische Assoziation von HLA Klasse I-Allelen mit guter Viruskontrolle legt nahe, dass CD8+ T-Zellantworten eine wichtige Rolle spielen. Effektive CD8 T-Zellen, das bedeutet CD8 T-Zellen, die IL-2 und lytische Granula produzieren und Virusreplikation hemmen, sind ganz wichtige Akteure in der HIV-Infektion (Abb. 1). Diese lösen in dem hoch variablen Virus schnell Fluchtmutationen aus, welche bei EC häufig zu einem attenuierten Virus führen (siehe oben). Wichtig sind aber ebenso voll funktionale CD4 T-Zellen, die zur Hilfe von vielen anderen Zellen des Immunsystems benötigt werden. Interessanterweise hat man bei EC bisher kaum neutralisierende Antikörper gefunden, obwohl Antikörper gegen fast alle HIV-Proteine zu finden sind. Neutralisierende Antikörper sind signifikant häufiger bei Progressors als bei EC zu finden. Nach derzeitigem Wissen scheint eine robuste humorale Immunantwort nicht für die dauerhafte Virusunterdrückung verantwortlich zu sein. In den letzten Jahren zeigten Studien zur angeborenen Immunantwort, dass auch „natural killer“ (NK)-Zellen und dendritische Zellen zum Verlauf der HIV-Infektion beitragen, wenn auch Studien zu EC noch rar sind. Insgesamt gibt es viele Daten zur Immunantwort bei EC, welche genauer auszuführen den Rahmen dieses Artikels sprengen würde. Für Interessierte lohnt es sich den Review-Artikel zu lesen: „Unravelling the mechanisms of durable control of HIV-1“ von Bruce D. Walker und Xu G. Yu erschienen 2013 bei Nature Reviews Immuno-logy.5

Wie krank sind „elite controller“?

Vergleicht man EC mit gesunden Kontrollen oder HIV-Infizierten, die eine funktionierende HAART einnehmen, zeigen EC ein erhöhtes Ausmaß an mikrobieller Translokation im Darm, erhöhte T-Zellaktivierung und erhöhte
systemische Inflammation.1 Wie wirkt sich dies klinisch aus? Leider gibt es zu EC keine oder nur kleine Studien, weil diese Patienten so selten sind. Die Studien, die es gibt, zeigten, dass EC fortgeschrittenere Atherosklerose-Stadien und generell höhere Entzündungsmarker wie sCD163, sCD14 und hsIL-6 aufwiesen.10 Die größte Studie zu dieser Fragestellung mit 149 EC in 11 klinischen Zentren in den USA konnte zeigen, dass die Hospitalisationsrate von EC im Vergleich zu HIV-Infizierten mit 3-fach HAART signifikant erhöht war. Die Rate der Krankenhausaufenthalte aufgrund einer kardiovaskulären Erkrankung war sogar dreimal so hoch wie bei ART-behandelten HIV-Patienten.11 Damit kann festgehalten werden, dass es EC klinisch schlechter geht als ART-behandelten Vergleichsgruppen, insbesondere scheint das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen erhöht zu sein.

HAART für „elite controller“?

Ebenso wie für die klinischen Symptome gibt es auch nur sehr kleine Studien, die EC mit einer HAART behandelt haben. Die größte Studie schloss 34 EC ein.12 Alle Studien konnten jedoch zeigen, dass durch die Gabe einer HAART an EC die residuale virale Replikation gemessen mit ultrasensitiven Assays und die Immunaktivierung abnahmen.1 Daten zur Auswirkung auf klinische Endpunkte gibt es jedoch derzeit nicht. Interessanterweise wurde festgestellt, dass die Erholung der CD4 T-Zellzahl nach ART-Start bei EC signifikant schlechter war als bei virämischen Kontrollpatienten. Derzeit läuft eine Studie zur Therapie von EC, die den Verlauf von residueller Replikation, Immunaktivierung und CD4-Zellzahl misst. Zudem gibt es eine laufende Studie, die bei EC den Einsatz von ASS und/oder Atorvastatin untersucht.1 Da die Immunaktivierung und nachfolgend die Ausbildung einer Atherosklerose ein Hauptproblem der EC ist, könnten auch solche Therapiestrategien Folgeerkrankungen vermeiden.

Was sagen die Leitlinien zu „elite controller“?

Leitlinie
Aussage
deutsch-österreichische leitlinien zur antiretroviralen therapie der HiV-infektion

Keine spezifische für EC.
EC  a.e.  unter  Rubrik  „Asymptomatische  Patienten  –  CD4-Zellzahl >500/µl“.
EACS Guidelines
„A possible exception could be elite controllers with high and stable CD4 count. Time should always be taken to prepare the person, in order to optimize compliance and adherence.“
Panel on Antiretroviral Guidelines for
Adults and Adolescents. Department
of Health and Human Services. USA
„Nevertheless, there is a clear theoretical rationale for prescribing ART to HIV controllers even in the absence of detectable plasma HIV RNA levels. If ART is withheld, elite controllers should be followed closely, as some may experience CD4 cell decline, loss of viral control, or complications related to HIV infection.“

Tab. 1 Leitlinienempfehlungen zur Behandlung von EC

Therapie-Leitlinien äußern sich nicht oder vage zu der Frage, ob EC mit einer antiretroviralen Therapie behandelt werden sollen (Tab. 1). In den „Deutsch-österreichischen Leitlinien zur antiretroviralen Therapie der HIV-Infektion“ werden EC nicht erwähnt. Diese Patienten müssten meist nach der Rubrik „Asymptomatische Patienten – CD4-Zellzahl >500/µl“ behandelt werden, wonach eine „Therapie erfolgen sollte“. (Deutsch-österreichische Leitlinien zur antiretroviralen Therapie der HIV-Infektion, AWMF-Register-Nr. 055-001, Version 6). Die europäischen Leitlinien der EACS äußern sich zu EC in dem Kapitel zur allgemeinen Therapie-Empfehlung (hierin wird für alle Patienten mit HIV-Infektion eine Therapie empfohlen, unabhängig vom CD4-Status), wobei die Formulierung vage gehalten ist: „A possible exception could be elite controllers with high and stable CD4 count. Time should always be taken to prepare the person, in order to optimize compliance and adherence.“ (EACS Guidelines Version 8.1). Die amerikanischen Leitlinien haben den ausführlichsten Absatz über antiretrovirale Therapie der EC. Nach einer Diskussion der Vor- und Nachteile wird hier geschlossen: „Nevertheless, there is a clear theoretical rationale for prescribing ART to HIV controllers even in the absence of detectable plasma HIV RNA levels. If ART is withheld, elite controllers should be followed closely, as some may experience CD4 cell decline, loss of viral control, or complications related to HIV infection.“ (Panel on Antiretroviral Guidelines for Adults and Adolescents. Guidelines for the use of antiretroviral agents in HIV-1-infected adults and adolescents. Department of Health and Human Services. Available at http://aidsinfo.nih.gov/contentfiles/lvguidelines/AdultandAdolescentGL.pdf)

Schlussfolgerung:

EC sind eine sehr kleine, faszinierende Gruppe unter den HIV-Infizierten. Zur Entstehung dieser außergewöhnlichen Viruskontrolle trägt hauptsächlich der Wirt bei, weniger Veränderungen am Virusgenom. Klinisch häufen sich die Daten, dass EC trotz der unterdrückten Viruslast eine erhöhte Morbidität und Mortalität aufweisen, und kleine Untersuchungen können zumindest zeigen, dass HAART bei diesen Patienten zu einer Reduktion von Surrogatparametern wie z.B. der Immunaktivierung führt. Auch war der Helferzellanstieg in EC nach ART-Start verzögert. All dies sollte ein Arzt bedenken, wenn er über die Indikation für eine HAART in dieser Patientengruppe nachdenkt.

1 Crowell TA, Hatano H. Clinical outcomes and antiretroviral therapy in ‚elite‘ controllers: a review of the literature. J Virus Erad. 2015 Apr;1(2):72-7.

2 Okulicz JF, Lambotte O. Epidemiology and clinical characteristics of elite controllers. Curr Opin HIV AIDS. 2011 May;6(3):163-8.

3 Autran B, Descours B, Avettand-Fenoel V, Rouzioux C. Elite controllers as a model of functional cure. Curr Opin HIV AIDS. 2011 May;6(3):181-7.

4 Grabar S, Selinger-Leneman H, Abgrall S, Pialoux G, Weiss L, Costagliola D. Prevalence and comparative characteristics of long-term nonprogressors and HIV controller patients in the French Hospital Database on HIV. AIDS. 2009 Jun 01;23(9):1163-9.

5 Walker BD, Yu XG. Unravelling the mechanisms of durable control of HIV-1. Nat Rev Immunol. 2013 Jul;13(7):487-98.

6 Miura T, Brockman MA, Brumme CJ, Brumme ZL, Carlson JM, Pereyra F, et al. Genetic characterization of human immunodeficiency virus type 1 in elite controllers: lack of gross genetic defects or common amino acid changes. J Virol. 2008 Sep;82(17):8422-30.

7 Bailey JR, O‘Connell K, Yang HC, Han Y, Xu J, Jilek B, et al. Transmission of human immunodeficiency virus type 1 from a patient who developed AIDS to an elite suppressor. J Virol. 2008 Aug;82(15):7395-410.

8 Buckheit RW, 3rd, Allen TG, Alme A, Salgado M, O‘Connell KA, Huculak S, et al. Host factors dictate control of viral replication in two HIV-1 controller/chronic progressor transmission pairs. Nat Commun. 2012 Mar 06;3:716.

9 Pereyra F, Jia X, McLaren PJ, Telenti A, de Bakker PI, Walker BD, et al. The major genetic determinants of HIV-1 control affect HLA class I peptide presentation. Science. Dec 10;330(6010):1551-7.

10 Pereyra F, Lo J, Triant VA, Wei J, Buzon MJ, Fitch KV, et al. Increased coronary atherosclerosis and immune activation in HIV-1 elite controllers. AIDS. 2012 Nov 28;26(18):2409-12.

11 Crowell TA, Gebo KA, Blankson JN, Korthuis PT, Yehia BR, Rutstein RM, et al. Hospitalization Rates and Reasons Among HIV Elite Controllers and Persons With Medically Controlled HIV Infection. J Infect Dis. 2015 Jun 01;211(11):1692-702.

12 Boufassa F, Lechenadec J, Meyer L, Costagliola D, Hunt PW, Pereyra F, et al. Blunted response to combination antiretroviral therapy in HIV elite controllers: an international HIV controller collaboration. PLoS One. 2014;9(1):e85516.

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