Elite Controller – Meine Entscheidung
Prof. Johannes Bogner, München
Prof. Johannes Bogner
Immunambulanz
Ludwigs-Maximillian-Universität
München
Ich
würde die Patientin zum Für und Wider ausführlich beraten und
würde nicht zur Therapie drängen. Meine
Devise: man kann von
Halbjahr zu Halbjahr neu entscheiden.
Meine Gründe gegen die Behandlung:
Die Patientin ist nachgewiesenermaßen ein Elite Controllerin mit keiner oder minimaler Viruslast. Die HIV-Infektion verläuft offenbar auch ohne Therapie schon seit vielen Jahren gut, vermutlich schon seit 2009. Der prozentuale Anteil der CD4-Zellen ist stabil. Die CD4 in Prozent sind ein viel konstanterer Wert als die absoluten CD4-Zahlen, in die ja zwei Multiplikationen aus Leukozytenzahl und Lymphozytenanteil eingehen. Wenn die CD4 in Prozent keine Tendenz nach unten zeigen, halte ich die immunologische Situation für stabil und lasse mich von einer einmaligen Absolutzahl von <400 nicht irritieren. Erfahrungsgemäß ist schon bei der nächsten Messung wieder ein höherer Absolutwert zu sehen. Auch sollten Ursachen für eine Leukopenie gesucht oder ausgeschlossen werden (Medikamentös? Aktueller Virusinfekt?). Der „Abfall“ der absoluten CD4 Zellen bei dieser Patientin ist also eher ein scheinbarer als ein tatsächlicher Effekt. Gut ist est, über den gesamten Verlauf eine Grafik zu drucken und eine Gerade hineinzulegen. Dann wird man beim Prozentwert kein Gefälle sehen, beim Absolutwert eine Zackenlinie wie beim Schwanz eines Dinosauriers.
Die CD8-Zellen und die Ratio CD4 zu CD8 würde ich heranziehen, falls die Ratio eine anhaltende Tendenz zeigt und die CD8-Zellen anhaltend ansteigen als Zeichen einer zunehmenden Immunaktivierung.
Und die subjektiv eher ablehnende Haltung der Patienten ist einer guten Adhärenz eher nicht zuträglich. Sie wird die Medikation nur dann zuverlässig und fehlerfrei einnehmen, wenn ihre Motivation intrinsisch vorliegt oder erzeugt wurde.
Dr. Stefan Scholten, Köln
Dr. med. Stefan Scholten
Facharzt
für Allgemeinmedizin
Infektiologe
(DGI)
Köln
Gründe, die mich bei weiteren Kontrollen zur Revision der Entscheidung bringen würden sind ein klinisches Ereignis (z.B. Zoster, Soor, Haut-Probleme, weiteres Malignom), ein Abfall des prozentualen Anteils der CD4-Zellen unter 15% (also 50% von „normal“) sowie ein weiterer Abfall der Leukozyten und damit der absoluten CD4-Zahl.
Die Patientin ist in der Zwischenzeit 65 Jahre alt. Sie hat einen Diabetes Typ 2 entwickelt und zwischenzeitlich auch vereinzelte nachweisbare Viruslasten gehabt. Zudem ist über den Verlauf der Zeit ein kontinuierlicher Abfall der CD4 Zellen – zuletzt auf deutlich <350/µl – erkennbar. Somit ist eine mehrfaktorielle Kompromittierung des Immunsystems gegeben.
Es ist bereits vielfach demonstriert worden, dass auch bei Elitecontrollern, im Vergleich zu antiretroviral behandelten Patienten eine substantielle Immunaktivierung vorliegt.
Das Für und Wieder zusammenfassend empfehle ich der Patientin eine ART mit einem Integrasehemmer und einem TAF basierten Nuc-Backbone. Ihren Diabetes und ihre Comedikation im beachtend empfehle ich ihr somit Descovy 200/25 + Isentress 400. Vor dem Hintergrund der anstehenden Zulassung von Isentress 1200 qd, würde ich mit ihr vereinbaren, bis zur Verfügbarkeit die Einleitung der ART aufzuschieben und dann mit der genannten Kombination zu beginnen.
Dr. Markus Müller, Stuttgart
Dr. Markus Müller
Gemeinschaftspraxis
Schwabstraße
Schwabstraße
26
70197
Stuttgart
Unter den Elite-Controllern, auch in unserer Praxis, findet sich eine kleine Subgruppe von Patienten, deren CD4-Werte sich trotz nicht messbarer Viruslast verschlechtern. Diese Patienten zeigen unter ART dann auch einen zügigen CD4-Anstieg und sollen frühzeitig behandelt werden, wie in der CASCADE-Studie gezeigt.1
Bei den meisten Elite-Controllern zeigen sich jedoch über Jahre konstante und normale immunologische Werte. Bei ihnen ist die Gefahr einer HIV-Progression sehr gering. Allenfalls muss diskutiert werden, ob es via Immun-aktivierung zu einer schnelleren Progression von atherosklerotischen Prozessen kommen kann, die dann eventuell durch frühe ART verlangsamt werden könnten. Dafür gibt es gewisse Hinweise.2 Letztlich ist die Frage, ob ein früher ART-Beginn einen messbaren Vorteil für Elite-Controller bringt, jedoch nicht ausreichend untersucht und es muss aufgrund der kleinen Patientengruppe befürchtet werden, dass diese Frage nie geklärt werden kann. Gegen den frühen Therapiebeginn in einer Gruppe mit sehr geringer Progressionsgefahr sprechen im Besonderen auch die Langzeittoxizitäten der einzelnen Medikamente. In jedem Fall sollte der Patient über die unzureichende Datenlage informiert und eine gemeinsame individuelle Entscheidung getroffen werden.
Im Fall unserer Patientin liegt eine dramatisch erhöhte Gefahr für atherosklotische Gefäßschäden vor. Es sollte also alles getan werden, um Schlaganfälle und Herzinfarkte möglichst zu vermeiden. Eine antiretrovirale Therapie würde zumindest die mit HIV-assoziierten Risikofaktoren reduzieren. Aus diesem Grund würde ich zum ART-Beginn raten. Meine Präferenz weicht hier von den Leitlinien ab. Ich würde (unauffälliger Resistenztest und normale Kreatininwerte vorausgesetzt) Dolutegravir empfehlen, was bei der angegebenen Komedikationsdosis Metformin 2x 500 mg noch überschaubare Interaktionen mit sich bringt. Zusätzlich würde ich Lamivudin 300 mg verordnen. Diese duale Therapie ist aus meiner Sicht in diesem speziellen Fall am besten geeignet. Bei weiteren Nukleosiden müssten die nicht ganz ausschließbaren Gefahren einer Erhöhung der Herzinfarktwahrscheinlichkeit (Abacavir) beziehungsweise Cholesterinerhöhung (Tenofovir-alafenamid) in Kauf genommen werden.
1 Madec
Y et al. AIDS 2005, 19, 2001-2009
2 Pereyra
F et al. AIDS 2012, 26, 126-133
Prof. Pietro Vernazza, St. Gallen
Prof. Pietro Vernazza
Kantonsspital
St. Gallen Schweiz
Die Patientin gehört offenbar zu den knapp 1% der HIV-Infizierten, welche die HIV-Replikation im Körper auch ohne Therapie unter Kontrolle halten können. Eher selten, in diesem Alter. Die meisten in Ihrer Lage sind glücklich, dass dem so ist und möchten keine Behandlung.
Die CD4 Zellen blieben mit gut 40% (aller T-Zellen) stabil hoch. Wir können davon ausgehen, dass – solange der Verlauf so bleibt – keine relevante Immunschwäche auftreten wird. Also kein Grund, die gut kontrollierte Virusinfektion jetzt zu behandeln. Wir wissen seit der Partnerstudie von Quinn et al., dass diese Personen die Virusinfektion nicht auf den Partner übertragen. Somit hat die Patientin auch diesbezüglich keinen Grund, sich behandeln zu lassen.
Andererseits wissen wir auch, dass sog. „Elite-Controllers“ zwar eine gut supprimierte Viruslast und stabile CD4-Zahlen haben, aber dass deren Immunsystem in einem dauernden Aktivierungszustand ist. Seit der SMART Studie wissen wir auch, dass dieser Zustand der Immunaktivierung mit zahlreichen anderen ungünstigen Phänomenen assoziiert ist. Vereinfacht ausgedrückt führt die Aktivierung des Immunsystems zu einer Beschleunigung diverser Alterungskonzepte, von der Entwicklung des grauen Stars über die beschleunigte Alterung der Haut bis zu einer Erhöhung der Herzinfarkt-Rate.
Doch auch die HIV-Therapie ist kein Zuckerwasser. Auch wenn uns die Industrie glauben lassen will, dass neue Medikamente immer weniger Nebenwirkungen habe. Nur von den ältesten Medikament dürfen wir davon ausgehen, dass wir da alle Nebenwirkungen kennen.
Im geschilderten Fall haben wir eine klare Situation von Equipoise. Damit ist für mich klar, und dass ich die Entscheidung nicht alleine treffen kann, sondern die Patientin in die Entscheidungsfindung einbeziehen muss. In den drei ähnliche Fällen, die ich kenne, hätte ich mich persönlich für eine Therapie entschieden. Doch alle drei Patienten wollten sich nicht behandeln lassen, was ich gut nachvollziehen kann.
Wenn sich die Patientin für die Therapie entscheidet, bleibt das Problem die Messung der Therapiewirkung. Ich würde die Immunaktivierung (CD8+, CD 38+, HLA-DR+) monitorisieren. Das Ziel der Therapie – gemäß unserer Diskussion oben – müsste dann die Normalisierung der Immunaktivierung sein.
Bei der Wahl der Therapie würde ich die Patientin motivieren, sie – nach Start mit einer PI-Dreierkombination – auf meine bevorzugte Langzeit-Maintenance umzustellen. Wenn Sie zu den 80% gehört, die Nevirapine ohne Nebenwirkungen vertragen, dann hat sie eine exzellente Langzeitbehandlung. Ich würde ihr auch vorschlagen, dass sie im Rahmen unserer Studie mit einer Zweierkombination mit NVP+ 3TC ihre Behandlung fortsetzt. Wenn die Immunaktivierung behandelt ist, hat sie die günstigste Langzeit-Maintenance mit einer Medikation die sehr gut das Gehirn behandelt und ein ausgezeichnetes Langzeit-Nebenwirkungsprofil aufweist.