Interview mit Andreas Von Hillner, Schwulenberatung Berlin
Fragen, beraten und motivieren !
Andreas
von Hillner
Schwulenberatung
Berlin
E-Mail:
a.vonhillner@schwulenberatungberlin.de
Herr von Hillner, Berlin gilt als Hauptstadt des schwulen Sex und Sie beobachten die Szene schon lange. Wie sehen Sie die Entwicklung von Chemsex in den letzten Jahren?
Von Hillner: Drogen sind beim schwulen Sex schon lange im Spiel. Bereits in den 70er Jahren wurde Poppers zur Steigerung der sexuellen Lust eingesetzt. Später kamen MDMA, Kokain, LSD und Amphetamine dazu. Aber seit ca. fünf Jahren sehen wir eine dramatische Zunahme von harten Drogen, zusätzlich zu den o.g. Drogen mit entsprechenden Folgen.
Welche Drogen werden da konsumiert?
Von Hillner: Seit einigen Jahren ist Metamphetamin, also Crystal Meth, die am häufigsten eingesetzte Substanz im sexuellen Kontext. Neuerdings werden auch Mephedron und seine Verwandten, die sogenannten Badesalze, eingesetzt, denn die sind einfach und billig übers Internet zu beschaffen. GbL/GHB und Ketamin sind weitere Drogen, die aktuell sehr populär sind. Gleichzeitig sehen wir auch eine Verschiebung der Konsumweise hin zu Mischkonsum, höheren Dosen und zum intravenösen Gebrauch.
Gehören Drogen bei Sex zum schwulen Lebensstil?
Von Hillner: Das ist mir zu pauschal. Sicherlich sind Drogen bei schwulem Sex kein Phänomen der letzten Jahre. Ich würde eher sagen, dass schwule Männer den allgemeinen Trend eines hedonistischen Lebensstils vielleicht etwas intensiver ausleben. Aber die große Mehrheit der schwulen Männer nehmen keine Drogen beim Sex. Und viele lehnen vor allem Crystal Meth konsequent ab.
Wer nimmt Drogen? Gibt es da ein bestimmtes Persönlichkeitsprofil?
Von Hillner: (lacht) Nach dem Motto, sag mir deine Droge und ich sag dir wer du bist? Nein, das gibt es nicht. Aber generell kann man sagen, dass gerade Metamphetamin, GBL/GHB und Mephedron nicht nur zur Luststeigerung eingenommen werden, sondern auch mit dem Ziel, Hemmungen und Schamgrenzen zu überwinden. Es werden Vorstellungen ausgelebt, die man sich sonst, nüchtern, nicht traut.
Und wo wird konsumiert? In den Clubs?
Von Hillner: Harte Drogen werden vorwiegend privat konsumiert bei kleinen privaten Sexparties, die unauffällig über soziale Netzwerke organisiert werden. Der intravenöse Konsum erfordert Ruhe und Raum. An öffentlichen und halb-öffentlichen Orten werden meist andere Drogen konsumiert und vorwiegend nasal und oral.
Wie häufig entwickelt sich eine Abhängigkeit?
Von Hillner: Wir wissen aus wissenschaftlichen Umfragen ungefähr, wie viele schwule Männer Drogen bei Sex konsumieren. Aber wie viele Männer einen problematischen Konsum entwickeln oder/und abhängig werden, dazu gibt es keine Zahlen. Meiner persönlichen Erfahrung nach ist es ein dynamischer Prozess, Abstinenzphasen werden von exzessiven Konsumphasen abgelöst. Die Probleme mit den Drogen nehmen jedoch drastisch zu. Wir hatten hier in der Schwulenberatung Berlin im letzten Jahr über 100 Erstkontakte. Im Vergleich zu 2015, da waren es 58; 2014 38.
Warum
suchen die Männer Hilfe?
Vorbild Dean Street 56
London ist nicht nur bekannt für Buckingham Palace und Museen, sondern auch für eine sehr lebendige schwule Szene mit hohen Raten an STI. Damit verbunden ist der Name „Dean Street 56“. Das dort ansässige Zentrum für sexuelle Gesundheit ist weltweit Vorbild für den Umgang mit sexuell übertragbaren Erkrankungen bei schwulen Männern – und für erfolgreiche Prävention. Die Wurzeln der Ambulanz sind über 100 Jahre alt. 1862 wurde das erste Zentrum für Geschlechtskrankheiten speziell für Männer in der Dean Street 91 gegründet, zunächst als Teil des Westminster Hospitals, später dann als Teil des Chelsea und Westminster Hospitals. Nach mehreren Umzügen gelangte das Zentrum an den jetzigen Standort in Soho, nach dem es auch benannt ist.
Chemsex ist schon seit einigen Jahren ein wichtiges Thema in Dean Street 56. Entsprechend umfangreich ist das Beratungsportfolio. Der Aktivist David Stuart, der seit 2014 den Bereich Substanzmissbrauch in der Dean Street leitet, hat ein bereites Spektrum von Material für medizinisches Personal und Betroffene entwickelt. Auf seiner Webseite davidstuart.org findet man Videos, Fragebögen, Texte usw. sowie für Betroffene einen ausgezeichneten online Care-Plan. Das Material ist für jederman zugänglich, leider aber nur auf Englisch.
Von Hillner: Der Grund sind die Folgen des Konsums – seelisch, körperlich und sozial. Man wird nicht gleich nach dem ersten IV-Konsum von Crystal Meth abhängig. Das wissen die meisten, aber das führt auch zur Fehleinschätzung der Folgen. Es dominieren nämlich nicht die körperlichen Beschwerden, sondern die depressive Stimmung, der Verlust der nicht-konsumierenden alten Freunde und die Probleme am Arbeitsplatz. Die meisten Klienten haben schon mehrere misslungene Versuche aufzuhören hinter sich und wollen es mit professioneller Hilfe erneut versuchen. Es kommen aber auch Männer, die ein bis dreimal konsumiert haben und überwältigt sind vom Kontrollverlust unter Drogen und sich einfach Sorgen machen.
Sind die negativen Folgen des Drogenkonsums denn in der Szene nicht bekannt?
Von Hillner: Man kennt in der Regel die kurzfristigen Folgen, den erhöhten Schlafbedarf und die gedrückte Stimmung in den Tagen nach dem Konsum, aber die seelischen und sozialen Langzeitfolgen und Komplikationen wie Paranoia, Psychosen und chronische Depression sind wenig bekannt.
Was ist ihre Empfehlung an Ärzte?
Von Hillner: Wichtig sind im Wesentlichen drei Dinge: Fragen, beraten und motivieren. Als erstes kann man fragen: Haben Sie schon mal Drogen beim Sex genommen? Man kann dann über die positiven und negativen Folgen des Konsums sprechen und dabei gegebenenfalls vermitteln, dass man sich Sorgen macht. Wichtig ist eine nicht wertende oder belehrende Haltung. Wenn der Patient bereit für weitere Gespräche oder Veränderung ist, kann man ihn an eine Beratungsstelle, z.B. an die Schwulenberatung Berlin vermitteln.
... und dann kommen die Patienten zu Ihnen. Was passiert in Ihrer Beratung?
Von Hillner: Die meisten Klienten vereinbaren telefonisch einen Gesprächstermin. Dieses erste Gespräch ist ergebnis- und zieloffen. Ich versuche zu klären, wo der Klient steht. Ist er entschlossen, etwas zu verändern oder ist er noch ambivalent? Ist er ambivalent, versuche ich mit motivierender Gesprächsführung etwas zu bewegen – gemeinsam mit dem Klienten die Diskrepanzen zwischen „ist“ und „soll“ zu überwinden. Möchte er etwas verändern, gibt es die Möglichkeit Ziele zu formulieren und weitere Gespräche zu vereinbaren.
Wir bieten seit zwei Jahren eine angeleitete Gesprächsgruppe an, die sich an schwule Männer richtet, die ihre Sexualität mit Drogen kombinieren. Darüber hinaus gibt es für schwer abhängige Patienten die Möglichkeit der stationären Rehabilitation. Einige Entwöhnungskliniken haben ihre Angebote speziell für Crystal-Meth-abhängige Menschen erweitert.
Was ist das Hauptproblem beim Verzicht auf Drogen, wenn keine körperliche Abhängigkeit besteht?
Von Hillner: Das zentrale Thema ist: Sex ohne Drogen wird zunächst nicht mehr lustvoll empfunden. Dies liegt daran, dass Drogensex doppelt aufgeladen und verstärkt ist: eben durch den Sex und den Drogen. Manche versuchen sich zu schützen, in dem sie neben der Drogenabstinenz auch sexuell abstinent bleiben. Hier muss man darauf hin wirken, dass der Klient sein eigenes Körperempfinden neu und nüchtern (wieder)entdeckt und auch eigene Emotionen und den Partner wieder mehr beachtet. Das geht nicht in einer Woche, sondern ist ein längerer, oft mühsamer Prozess.
Die Leitlinien empfehlen explizit Psychotherapie. Wie stehen Sie dazu?
Von Hillner: Diese Empfehlung ist gut gemeint, aber unrealistisch, denn die große Mehrzahl der niedergelassenen Psychotherapeut*innen lehnt Drogen konsumierende Patienten ab. Zum anderen hilft Psychotherapie zwar bei der Behandlung von psychischen Erkrankungen wie Depression, Ängsten, ist aber nur begrenzt geeignet, um eine Drogenabhängigkeit zu behandeln.