Streiflicht
Frust (und Lust) des niedergelassenen Arztes
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Wer kennt das nicht? Privatpatient im letzten halben Jahr nicht in der Praxis gewesen, möchte aber eine Überweisung zum Orthopäden mit dem Datum von vor drei Monaten, weil er über Hausarztmodell versichert ist. Rückenschmerzen hatte er bei den vorherigen Terminen nicht erwähnt. Oder die Patientin, die direkt vom Arbeitsamt in die Praxis kommt. Die Sachbearbeiterin habe ihr gesagt, sie brauche ein Attest vom Arzt, dass sie ihren Arbeitsplatz aus medizinische Gründen gekündigt hat, sonst bekomme sie drei Monate kein Arbeitslosengeld. Nicht erwähnenswert, dass sie solche Probleme im letzten Jahr nie angesprochen hat. Oder der HIV-Patient, der die Ernährungszulage braucht, obwohl er im letzten halben Jahr 10 kg zugenommen hat. Oder die Bescheinigung für den Rentenantrag, die Umschulung, die Wohnung, das Sportstudio und so weiter und so fort.
Sozialleistung auf Attest
Und wer hat das nicht schon erlebt?
Gleiche Diagnose, Angestellter fühlt sich drei Wochen nicht arbeitsfähig, Selbständiger muss unbedingt nach drei Tagen wieder arbeiten. Manchmal hat man das Gefühl mit ärztlichen Attesten lässt sich in Deutschland jeder soziale Vorteil erreichen. Die Schere zwischen objektiv nachweisbarer und subjektiv gefühlter Einschränkung klafft manchmal doch weit auseinander. In diesem Spannungsfeld steht der Arzt täglich. Auf der einen Seite „Anwalt“ des Patienten, auf der anderen Seite als Vertragsarzt verantwortungsvoller „Verwalter“ von öffentlichen Gelder. Welche Seite man hier einnimmt, wird vom Selbstbild und dem eigenen Gewissen bestimmt und manchmal – ich gebe es ehrlich zu – von der Kraft, Konflikte mit der Anspruchshaltung des Patienten auszutragen.
Hier ein Tipp von meinem Kollegen, der in solch einer Situation einen Patienten fragte: „Würden Sie in Ihrem Beruf ein solches Attest ausstellen?“. Die Antwort nach einigem Zögern: „Nein“. Damit war die Situation geklärt und er konnte sich den erfreulichen Seiten des Arztberufes zuwenden, den relevanten medizinischen Problemen.
Nachruf
Werner Wiesel, Köln
Werner Wiesel ist am 15.01.2017 im Alter von 64 Jahren gestorben. Er gehört zu den ersten, die in Köln eine HIV-Schwerpunktpraxis gegründet haben. So war er mehr als 20 Jahre lang unermüdlich mit dem Kampf gegen die HIV-Infektion befasst. Wir haben ihn als einen Kollegen kennengelernt, für den die Sache der HIV-Medizin nicht nur ein Job war. Er hat sich als Mensch und als Arzt in einer Weise für seine Patienten engagiert, die wir mit großem Respekt anerkennen. Auch in Zeiten, in denen Bilanzen, Erlöse, Regelleistungsvolumina und ähnliches die tägliche Diskussion zu bestimmen scheinen, hat Werner immer die Medizin in den Vordergrund gestellt. Seine Aufbauarbeit führte zur Entwicklung einer großen Schwerpunktpraxis.
Werner
war ein warmherziger Mensch und anspruchsvoller Gesprächspartner. Er
vertrat seine Meinung selbstbewusst und
erhielt sich eine
kritische Grundhaltung. Die Begegnung mit ihm war eine Bereicherung,
seine Patienten schätzen ihn sehr als Behandler.
Werner, Du fehlst uns schon jetzt. Wir werden uns immer mit großer Zuneigung an Dich erinnern. Deine Art ärztlicher Kunst wird für uns stets ein Vorbild sein, an dem wir uns orientieren.