Substitution
Deutsche AIDS-HILFE e.V. LogoPatienten einbeziehen hilft allen Beteiligten

Eine Patient_innenbefragung von JES und der Deutschen AIDS-Hilfe zeigt: Die Chancen von „Patient Involvement“ werden noch zu wenig genutzt. Dabei kann ein gutes Arzt-Patient-Verhältnis zum Therapieerfolg beitragen.

DAH JESDie partnerschaftliche Einbeziehung von Patient_innen in Behandlungsentscheidungen gewinnt auch in Deutschland zunehmend an Bedeutung. Zahlreiche internationale Studien zeigen: „Patient involvement“ oder „Shared decision-making“ verbessert das Arzt-Patient-Verhältnis, erhöht die Zufriedenheit von Patient_innen und verbessert den Therapieerfolg. Konflikte werden reduziert und Patient_innen wissen besser über ihre Erkrankung sowie Behandlungsmöglichkeiten Bescheid. Wenn die Behandelten nur den Anweisungen des medizinischen Personals folgen und sich nicht respektvoll behandelt fühlen, schadet dies hingegen auch den Ergebnissen. Dies gilt in besonderem Maße bei der Behandlung chronischer Erkrankungen, die auf längere Zeit angelegt ist – und ganz besonders für die Substitutionstherapie.

Ein Behandlungsvertrag kann Chancen zur Mitgestaltung der Therapie bilden. Bisher wird dieses  Potential jedoch kaum genutzt
Ein Behandlungsvertrag kann Chancen zur Mitgestaltung der Therapie bilden. Bisher wird dieses Potential jedoch kaum genutzt
© DAH / Renata Chueire

Bundesweite Befragung zum Arzt-Patient-Verhältnis

Wie werden Substituierte bisher in Deutschland in ihre Therapie einbezogen? Welche Hindernisse gibt es? Um einen Einblick zu erhalten, hat der JES Bundesverband in Kooperation mit der Deutschen AIDS-Hilfe 2016 eine Befragung unter substituierten Patient_innen durchgeführt. Der Fragebogen stand im Internet zur Verfügung und wurde an Suchthilfeeinrichtungen versendet. Ausgewertet wurden 757 Fragebögen aus über 40 deutschen Städten (30% der
Befragten weiblich, 70% männlich, Durchschnittsalter 42,6 Jahre, Range 19-70 Jahre).

Behandlungsvertrag und Hausordnung

616 Personen (83%) geben an, dass zwischen ihnen und ihrem Arzt ein Behandlungsvertrag besteht. Ein solcher Vertrag beschreibt Rahmenbedingungen und ermöglicht Patient_innen punktuell Mit-gestaltung. Er kann ein geeignetes Instrument sein, um Missverständnissen vorzubeugen und Praxisabläufe abzubilden. 361 Personen berichteten, dass sie Inhalte des Behandlungsvertrags mit-gestalten konnten.

Jede_r vierte Befragte empfindet allerdings Elemente im Vertrag als diskriminierend. Folgende Beispiele werden genannt:


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1   Ort der Medikamenteneinnahme

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2   Überwachung der Urinabgabe

  • Trennung von anderen Patienten
  • eingeschränkte Vergabezeiten; fehlende Flexibilität z.B. für Berufstätige
  • Verletzung der Privatsphäre, z.B. Taschenkontrolle, Inspektion von Einstichstellen
  • Unterzeichnung einer Schweigepflichtentbindung gegenüber Einrichtungen des Sozial- und Gesundheitswesens als Voraussetzung für den Beginn der Behandlung
  • Folgende Verhaltensregeln werden unter anderem als Voraussetzung zum Behandlungsbeginn genannt:
  • Bannmeile und Aufenthaltsverbote im Umkreis der Praxis
  • Aufenthaltsverbot im Umfeld von Szenetreffpunkten (Innenstadtbereich)
  • Kontaktverbote zu Einrichtungen der Drogenhilfe mit Angeboten der Schadensminderung wie Drogenkonsumräumen
  • Bestimmungen zur Körperhygiene und Kleiderordnung

Vergabe des Substituts und Urinkontrollen

Etwa 40% (294) der befragten Patient_innen berichten, dass die Einnahme des Medikaments nicht in einem separaten Zimmer erfolgt. Stattdessen vollziehen sich Kurzkontakt und Medikamenteneinnahme bei 187 Befragten an der Anmeldung und bei 39 (14%) sogar im Wartezimmer. Insgesamt geben 64% (468) der Befragten an, dass der Ort der Medikamenteneinnahme in Hör- und Sichtweite anderer Patient_innen liegt.

Auf die Frage, zur Häufigkeit von Beigebrauchkontrollen, geben 317 Befragte an, dass diese monatlich durchgeführt werden. Wöchentliche Kontrollen finden bei 179 Befragten statt, während 49 Personen über Urintests berichten, die einmal im Quartal stattfinden. Bei 95% wird die Kontrolle des Beigebrauchs durch Urintests vollzogen.

Von den 745 Personen, die Angaben zu dieser Frage machten, bestätigten 328 (44%) eine Sichtkontrolle bei der Urin-abgabe durch Praxispersonal. Insgesamt 53 Substituierte berichten, dass die Urinabgabe mit einer Kamera überwacht wird.

Starthilfe fürs Leben mit HIV jetzt mehrsprachig

Ärzt_innen können Patient_innen mit einer frischen HIV-Diagnose an das Projekt SPRUNGBRETT der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) verweisen. HIV-positive „Buddys“ unterstützen die neu Diagnostizierten dann dabei, mit der neuen Situation umzugehen. Ab sofort steht die Projektwebseite auch in Englisch, Französisch und Spanisch zur Verfügung. Manche Buddys bieten ihre Begleitung auch in diesen Sprachen an. Infos unter: www.buddy.hiv

Keine Angst vor HIV in der Zahnarztpraxis

Ein Erklärvideo für zahnmedizinisches Praxispersonal der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) gibt Tipps und zeigt: Besondere Vorsichtsmaßnahmen bei der Versorgung von Menschen mit HIV, HBV oder HCV sind unnötig. Zusätzlich gibt es eine umfassende Präsentation und eine Kurzbroschüre für zahnärztliche Behandlungsteams.

Erklärvideo: http://bit.ly/2n2irrZ
Broschüre:
http://bit.ly/2gDb570
Die Präsentation ist zu bestellen bei Kerstin Mörsch (DAH):
kerstin.moersch@dah.aidshilfe.de

Umfrage zu HIV und Reha

Die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) befragt noch bis Mitte Mai Menschen mit HIV, die an einer Rehabilitationsmaßnahme teilgenommen haben oder eine solche Maßnahme beantragen wollten. Ziel ist es, mehr über die Situation von Menschen mit HIV in Rehabilitationseinrichtungen zu erfahren und so Verbesserungen in den Einrichtungen anregen zu können. Bitte machen Sie Ihre Patient_innen auf die Umfrage aufmerksam: http://bit.ly/HIV_Reha

85% der Befragten geben an, dass der Konsum anderer Substanzen sanktioniert wird (740). Am häufigsten wurde angegeben, dass die Take Home-Vergabe eingeschränkt wird (77%). 19% geben eine Dosisreduktion an und 13% berichten, dass gar keine Vergabe stattfindet.

Resümee

Die Ergebnisse dieser Befragung lassen ahnen, dass die Einbeziehung von Patient_innen sowie eine gemeinsame Entscheidungsfindung in der Substitution noch wenig ausgeprägt sind. Die Behandlung Opiatabhängiger ist noch immer eine „Sonderbehandlung“.

Alarmierend ist die Sanktionierung des Beikonsums. Der Konsum illegaler Substanzen ist ein Merkmal der chronischen Erkrankung. Diesen mit einer Reduktion der ärztlich indizierten Dosis zu bestrafen ist medizinisch fragwürdig und ethisch inakzeptabel. Die Maßnahme schürt zudem Ängste und fördert die Verschlossenheit der Patient_innen.

Der Schutz persönlicher Daten genießt vielfach keinen hohen Stellenwert. So ist eine Vergabe des Substituts in Sicht- und Hörweite anderer Patienten oder gar im Wartezimmer nicht akzeptabel. Indiskretion zeigt sich auch in der Überwachung von Abstinenzkontrollen. Urinkontrollen unter unmittelbarer Aufsicht des Praxispersonals bedeuten für viele Patient_innen einen tiefen Eingriff in die Privatsphäre. Sie könnte durch die Anwendung von Markern bei Urinkontrollen vermieden werden. Eine Überwachung des Toilettenbereichs mit Videokameras zur Kontrolle der Urinabgabe ist nicht nur inakzeptabel, sondern nach §201a StGB strafbar.

Unterm Strich steht die Erkenntnis: Sanktionen, Datenschutzverletzungen sowie ein Mangel an Respekt schaden dem Aufbau einer vertrauensvollen Atmosphäre zwischen Ärtz_innen und Patient_innen. Die Substitution als kontaktintensive und langjährige Behandlung nutzt bisher kaum die Potentiale, die die partnerschaftliche Einbeziehung von Patient_innen bei Diagnose und Behandlungsentscheidungen ermöglicht.

Positiv formuliert: Es gibt viele Möglichkeiten, Substitutionsbehandlungen effektiver und angenehmer für alle Beteiligten zu gestalten.

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