Olaf Degen und Joachim Hauber, Hamburg
Heilung durch Gentherapie?

Derzeit wird international intensiv nach Wegen zur Heilung von HIV gesucht. Große Hoffnung wird dabei auf die Gentherapie durch Transplantation genetisch modulierter Stammzellen sowie auf die Entfernung von HIV durch Genscheren gesetzt. Erste Studien am Menschen sind bereits am Start.

Durch die in den letzten Jahren bekannt gewordenen Einzelfälle von HIV-Heilung, wie den sogenannten Berlin- oder London-Patienten (Gupta et al., 2019; Hütter et al., 2009) wurde der generelle Stand der globalen HIV Heilungsforschung als zu positiv bzw. unrealistisch eingeschätzt wird. Es wurde übersehen, dass es sich bei diesen Fällen eher um anekdotische Ereignisse handelt. Gemeinsam war beiden Fällen die Transplantation von allogenem Knochenmark mit einer Mutation des CCR5-Rezeptor-Gens, die myeloablative Vorbehandlung (z.B. durch potenziell letale Ganzkörperbestrahlung/en oder Zytostatika) sowie eine Graft-versus-Host-Erkrankung (GvHD) (Peterson and Kiem, 2019). Inwieweit der Grad der myeloablativen Vorverhandlung und/oder die Intensität und Dauer der GvHD in den beiden Fällen letztendlich zur Heilung von HIV beitrugen, wird im Forschungsfeld nach wie vor intensiv diskutiert.

Es sollte auch der Vollständigkeit halber erwähnt werden, dass die allogene Transplantation CCR5-negativer Blutstammzellen nicht notwendigerweise zur HIV-Eradizierung führen muss, sondern – wie beispielsweise der Fall des Essen-Patienten zeigt – auch in Selektion und Auftreten CXCR4-spezifischer HI-Viren resultieren kann (Kordelas et al., 2014).

Autologe Stammzellen

In Analogie zu diesen Fällen von erfolgreicher Heilung ist die Stammzelltransplantation bei größeren Patientengruppen im Rahmen einer personalisierten Zelltherapie nur als autologe Transplantation, also durch Übertragung körpereigener Zellen (d.h. CD34+ blutbildender Stammzellen bzw. Hematopoietic Stem Cells /HSC) vorstell- und umsetzbar – unabhängig davon, ob eine Langzeit-Remission (Post-treatment Control) oder die komplette Eliminierung (Eradication) des Virus aus dem infizierten Organismus das Ziel ist. Dazu müssten die CD34+ HSC, nachdem sie aus dem Patienten isoliert wurden, ex vivo im Labor genetisch, d.h. mit gentherapeutischen Methoden modifiziert werden, bevor sie wieder in den ursprünglichen Spender transplantiert werden (Abb. 1).

Derzeit wird international intensiv nach Wegen zur Heilung von HIV gesucht. Große Hoffnung wird dabei auf die Gentherapie durch Transplantation genetisch modulierter Stammzellen

Abb 1 A Prinzip des autologen Gentransfer. Blutbildende Stammzellen (CD34+ HSC) werden aus dem Peripherblut des Patienten isoliert und ex vivo mit antiviralen Genkonstrukten genetisch modifiziert. Nach Reinfusion und Anwachsen der HSC im Knochenmark entfalten deren Nachkommen (z.B. CD4+ T Zellen) anhaltende antivirale Aktivität.

B Wirkweise der HIV-spezifischen Rekombinase Brec1. Brec1 erkennt chromosomal integrierte HIV-1 DNA
(provirale DNA). Durch Rekombination der endständigen Long Terminal Repeat (LTR) Sequenzen wird HIV aus dem Erbgut der Wirtszelle entfernt.

Proliferation notwendig

Die dabei zugrundeliegende Idee ist, dass nach Besiedelung des Knochenmarkes mit diesen genetisch antiviral modifizierten CD34+ Blutstammzellen dann lebenslang Nachkommen-Zellen gebildet werden, wie beispielsweise CD4+ T Lymphozyten, die aufgrund ihres modifizierten genetischen „Make-Ups“ nun ausgeprägte antivirale Aktivität besitzen sollten. Es ist die Hoffnung, dass diese Zellen dadurch einen signifikanten Selektionsvorteil im infizierten Organismus haben und sich über einen längeren Zeitraum gesehen deutlich vermehren. Abhängig vom zuvor übertragenen antiviralen Gen wird erwartet, dass die körpereigene antivirale Immunreaktion gestärkt, der virale Lebenszyklus unterbrochen oder das HI-Virus direkt inaktiviert wird. Im Erfolgsfall sollten die so behandelten Patienten dann dazu in die Lage versetzt werden, ohne ART-Medikamente ihre jeweilige Virämie zu kontrollieren oder, im Idealfall, komplett von der HIV-Infektion geheilt werden. Ob dies alles wirklich so eintritt, müssen in den kommenden Jahren neue klinische Gentherapie-Studien, sogenannten „First-in-Human“ Advanced Therapy Medicinal Product (ATMP) Studien, zeigen.

Neuartige Ansätze

Neuartige Gentherapien zur potenziellen Behandlung der HIV-Infektion wurden im Rahmen nicht-klinischer Forschung seit den 1990er Jahren wiederholt und oftmals große Aufmerksamkeit erregend in der Fachliteratur oder auf Fachkongressen vorgestellt (Rossi et al., 2007). Beachtliche Erfolge im Labor mit Zellkulturen konnten jedoch mehrheitlich weder in einem geeigneten Tiermodell bestätigt, noch in die klinische Prüfung überführt werden. Erst in den letzten Jahren hat die Forschung an neuen biotechnologischen und biomedizinischen Verfahren die Entwicklung neuartiger gentherapeutischer Ansätze zur Behandlung von HIV wieder auf Touren gebracht.

bnAbs und CART

Hauptsächlich konzentrieren sich diese Therapiestrategien entweder auf den Transfer und anschließende konstitutive Expression immunologisch wirksamer Genkonstrukte oder auf die Inaktivierung HIV-relevanter DNA durch Genom-Editierung. Im erst genannten Ansatz werden derzeit hauptsächlich Gene, die entweder breit HIV-neutralisierende Antikörper (bnAbs) oder chimäre T Zell Rezeptoren kodieren, beispielsweise CD4-spezifische CAR T-Konstrukte, in Patientenzellen transferiert. Im Idealfall sollen dadurch lebenslang wirksame HIV-spezifische Immunaktivitäten bereitgestellt werden. Ob diese dann letztendlich eine Heilung von HIV bewirken können, muss, wie prinzipiell bei allen neuartigen Therapiestrategien, in entsprechenden Tiermodellen noch gezeigt werden. Es ist jedoch in den kommenden Jahren zu erwarten, dass auf bnAbs und CAR T basierende Gentherapien vermehrt Eingang in klinische „First-in-Human“ ATMP-Studien finden werden.

Genom-Editing

Abb 2HIV Zielstrukturen zur Genom Editierung. Aktuelle antivirale Genom Editierungs-Ansätze fokussieren sich entweder auf die Inaktivierung des CCR5 Korezeptor-Gens oder auf die Exzision des HIV Provirus bzw. der chromosomal integrierten Virusgene. CCR5 Inaktivierung verhindert die Neuinfek-tion der entsprechend genetisch modifi-zierten Zelle mit HIV-1. Die Provirus Exzision befreit infizierte Zellen von HIV-1.
Abb 2 HIV Zielstrukturen zur Genom Editierung. Aktuelle antivirale Genom Editierungs-Ansätze fokussieren sich entweder auf die Inaktivierung des CCR5 Korezeptor-Gens oder auf die Exzision des HIV Provirus bzw. der chromosomal integrierten Virusgene. CCR5 Inaktivierung verhindert die Neuinfek-tion der entsprechend genetisch modifi-zierten Zelle mit HIV-1. Die Provirus Exzision befreit infizierte Zellen von HIV-1.

Auf Genom-Editierung basierende Gentherapien fokussieren sich in der Zwischenzeit hauptsächlich auf zwei unterschiedliche Zielstrukturen. In Anlehnung an die zuvor erwähnten Einzelfälle erfolgreicher HIV-Eradizierung (d.h. Berlin-, London-Patient) wird das CCR5-Gen in autologen Zellen inaktiviert und dadurch die Infektion mit HI-Viren, die den CCR5 Chemokin-Rezeptor nützen (CCR5-trope Viren), blockiert. Ein alternativer Ansatz hat die direkte Inaktivierung der integrierten HI-Viren zum Ziel und ist somit unabhängig vom jeweiligen Virus-Tropismus. Auf diese Weise soll die Provirus-Last gesenkt bzw. der Organismus vom Virus befreit werden (Abb. 2).

Beide Strategien wurden in den vergangenen Jahren durch die Entwicklung verschiedener Verfahren zur Genom-Editierung ermöglicht. Die dabei eingesetzten Designer-Enzyme unterteilt man prinzipiell in Nukleasen und Rekombinasen (Buchholz and Hauber, 2016; Carroll, 2014; Meinke et al., 2016; Porteus, 2019).

Nukleasen

Zu den Nukleasen zählt man beispielsweise die Zinkfinger-Nukleasen (ZFN), Transkriptionsaktivator-ähnliche Effektor Nukleasen (TALEN) und auch das CRISPR/Cas-System. Besonders CRISPR/Cas hat den Vorteil, dass die Interaktion der Cas Nuklease mit der gewünschten Zielsequenz (z.B. mit dem CCR5 Gen) indirekt durch ein daran aufgrund von Basenpaarung hybridisiertes kurzes RNA-Molekül zustande kommt. Nachteilig ist allerdings, dass die CRISPR/Cas-Genschere auch in Bereichen schneiden kann, die der gewünschten Zielsequenz lediglich ähnlich sind, was zu sogenannten „Off Target Effekten“ führt. Im Gegensatz dazu binden ZFN oder TALEN ihre Zielsequenz direkt, was gegenüber dem CRISPR/Cas-System eine technisch und zeitlich weitaus aufwendigere Konstruktion der entsprechen Designer-Nuklease bedeutet.

Fehlerbehaftet

Grundsätzlich ist die Wirkweise all dieser Designer-Nukleasen aber identisch. Es handelt sich hierbei um sogenannte error-prone, also fehlerbehaftete, Enzyme. Am genetischen Zielort induzieren Designer-Nukleasen einen freien DNA Doppelstrangbruch (DSB), der durch Mechanismen der zellulären DNA-Reparatur, im Regelfall durch nicht-homologe Endverknüpfung (Non-homologous end-joining /NHEJ), wieder geschlossen wird. Es entstehen dabei obligat Mutationen, konkret Insertionen und Deletionen (sogenannte Indels), deren Entstehen in keiner Weise kontrolliert oder reguliert werden kann. Letztendlich führt das Auftreten von Indels an der gewünschten DNA-Zielsequenz in den meisten Fällen zur Inaktivierung des entsprechenden Gens.

CCR5 Inaktivierung

Im Rahmen erster klinischer Studien in HIV infizierten Patienten wurden bisher Designer-Nukleasen zur Inaktivierung CCR5 kodierender Sequenzen verwendet. In einer frühen Phase I Studie wurden autologe ZFN-modifizierte CD4+ T Lymphozyten in HIV-infizierte Patienten eingebracht und das Verfahren für sicher befunden (Tebas et al., 2014). Im Rahmen einer kürzlich berichteten Einzelfallbeschreibung wurden blutbildende Stammzellen (CD34+ HSC), die zuvor mit CRISPR/Cas behandelt wurden (d.h. mit einem Ribonnukleoprotein-Komplex bestehend aus Cas9 Enzym und zwei CCR5-spezifischen RNA Molekülen), allogen transplantiert (Xu et al., 2019). Neben der relativen Sicherheit des Verfahrens konnten, wie auch in der zuvor erwähnten T Zell-Studie, allerdings keine anhaltenden antiviralen Effekte berichtet werden. Dies mag mit nur transienten Effekten durch die übertragenen peripheren CD4+ T Zellen oder mit einer zu geringen Menge an genmodifizierten CD34+ HSC in Zusammenhang stehen. Es ist deshalb zu erwarten, dass zukünftige Studien u.a. einen Schwerpunkt auf höhere Effizienz bei der Genom-Editierung und/oder der Übertragung der modifizierten Zellen legen werden.

Aktuell befinden sich in diesem Zusammenhang unterschiedliche „First-in-Human“ klinische ATMP-Studien zur TALEN-vermittelten CCR5 Genom-Editierung in autologen peripheren CD4+ T Zellen am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (Prof. Boris Fehse) und in autologen CD34+ HSC am Universitätsklinikum Freiburg (Prof. Toni Cathomen) in Vorbereitung.

Designer Rekombinase

Der Einsatz von error-prone Designer-Nukleasen zur direkten Inaktivierung replizierender Systeme, wie beispielsweise replikationskompetenter HIV-Genome, kann insofern problematisch sein, da das zuvor erläuterte obligate Auftreten von Indels an der Zielsequenz die Bildung resistenter Viren zumindest stark begünstigt (Wang et al., 2016; Yoder and Bundschuh, 2016). Die im Gegensatz dazu höchst exakte (error-free) Wirkweise von Designer-Rekombinasen, welche keine freien Doppelstrangbrüche in DNA hervorrufen, ermöglicht dagegen die höchst präzise Genom-Editierung proviraler HIV-DNA (d.h. von Proviren). So war es möglich, mit Hilfe der HIV-spezifischen Brec1-Rekombinase infizierte Zellkulturen komplett von HIV zu befreien. Ferner konnte in HIV-infizierten humanisierten Mäusen die Plasma-Viruslast nachhaltig bis unter die Nachweisgrenze selbst hoch-sensitiver Assays (<20 RNA Genom Kopien/ml) gesenkt werden (Karpinski et al., 2016).

Erste klinische Studie

Basierend auf diesen nicht-klinischen Untersuchungen wird derzeit unter Mitwirkung der Autoren eine „First-in-Human“ Phase Ib/IIa Gentherapiestudie zur Eradikation von HIV-1 am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (Klinik für Stammzelltransplantation; Prof. Nicolaus Kröger) vorbereitet. Hierbei werden CD34+ HSC von insgesamt acht HIV-Patienten ex vivo mit Brec1 Rekombinase genetisch modifiziert und autolog transplantiert. Nach dem Anwachsen dieser blutbildenden Stammzellen wird erwartet, dass das hämatolymphoide System der auf diese Weise behandelten Studienteilnehmer kontinuierlich CD4+ Lymphozyten hervorbringt, die nach Infektion mit HIV-1 das Provirus durch Brec1-vermittelte Exzision wieder entfernt. Dabei sollte die Senkung der Provirus-Last zur funktionellen Rekonstitution des Immunsystem beitragen und eine ART-freie Kontrolle der Virämie ermöglichen.

Primäre Endpunkte

Die primären Endpunkte dieser klinischen Studie sind Machbarkeit und Sicherheit des Verfahrens. Sekundär der Nachweis genmodifizierter (Brec1 enthaltender) Zellen im Peripherblut sowie potenzielle antivirale Effekte. Es ist natürlich festzuhalten, dass generell bei „First-in-Human“ klinischen ATMP-Studien ein Therapieerfolg nicht garantiert werden kann oder die Studienteilnehmer davon unmittelbar profitieren.

Ausblick

Aus den aufgeführten Beispielen wird deutlich, dass das Feld der anti-HIV Gentherapie sich derzeit im Aufschwung befindet. Nicht zuletzt durch die Entwicklung verschiedener Methoden der Genom-Editierung sollte es in Zukunft möglich sein, von bisher bestenfalls virus-supprimierenden gentherapeutischen Ansätzen („genetische ART“) zu zukünftig eher direkten Möglichkeiten der Virus-Inaktivierung oder Virus-Entfernung zu gelangen. Es ist zudem zu erwarten, dass kombinierte Gentherapien, beispielsweise die nachhaltige Genom-Editierung blutbildender Stammzellen, zur direkten HIV-Entfernung plus die punktuell unterstützende Genom-Modifizierung peripherer Lymphozyten zur antiviralen Immunmodulation einen nächsten Entwicklungsschritt auf diesem sich rasch entwickelnden Therapiefeld sein werden.

* Ambulanzzentrum, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg
* Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZIF), Standort Hamburg
** Heinrich-Pette-Institut, Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie, Hamburg


Referenzen

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