Henning Gruell und Florian Klein, Köln
HIV-1-Kontrolle durch breit- neutralisierende Antikörper
Ein kleiner Anteil HIV-1-infizierter Menschen (ca. 1%) bildet im Verlauf der Infektion sehr potente breit-neutralisierende Antikörper gegen HIV-1 aus (kurz „bnAbs“ für broadly neutralizing antibodies). Geringe Konzentrationen dieser Antikörper genügen, um in vitro einen Großteil der bekannten HIV-1-Stämme zu neutralisieren. Dieses erfolgt, indem die Antikörper über ihre Fab(Fragment antigen binding)-Region wichtige Bindungsstellen am HIV-1-Hüllprotein besetzen und dadurch eine Infektion der Zielzelle verhindern. Ein zusätzliches Merkmal von Antikörpern ist ihre Fähigkeit, mit Zellen des Immunsystems zu interagieren. Diese üben verschiedene Effektorfunktionen aus, die über die Fc (Fragment crystallizable)-Region der Antikörper vermittelt werden. Durch gebundene Antikörper können Viruspartikel und HIV-1-infizierte Zellen so der körpereigenen Immunantwort zugänglich gemacht werden. Die Anwendung breit-neutralisierender Antikörper stellt daher einen interessanten Bestandteil vieler Strategien zur effektiven Kontrolle der HIV-1-Infektion dar.
HIV-1-THERAPIE MIT ANTIKÖRPERN
Infolge methodischer Entwicklungen bei der Isolation und Produktion monoklonaler Antikörper gelang es in den vergangenen 10 Jahren, eine große Anzahl potenter bnAbs aus Proben HIV-1-infizierter Personen zu gewinnen.1,2 Vertreter dieser neuen Generation an HIV-1-Antikörpern werden bereits seit 2013 in klinischen Studien untersucht. In über 45 Phase I/II-Studien haben >4.500 Teilnehmer teils mehrere Verabreichungen von einem oder mehreren bnAbs erhalten. Diese ersten Erfahrungen zeigen, dass bnAbs im Allgemeinen sehr gut verträglich sind.3
Die antivirale Wirksamkeit breit-neutralisierender Antikörper konnte in verschiedenen Kollektiven HIV-1-infizierter Studienteilnehmer demonstriert werden. So führte die Verabreichung eines bnAbs bei virämischen Probanden zu einer vorübergehenden Reduktion der Viruslast um etwa 1,5 log10.4-6 Bei Personen, die eine zuvor eingenommene ART im Rahmen einer kontrollierten Therapie-Unterbrechung pausierten, konnte die Gabe eines Antikörpers die Dauer bis zum Wiederanstieg der Viruslast um einige Wochen verzögern.7,8 Ähnlich der Behandlung mit einem einzelnen antiretroviralen Wirkstoff ließen sich nach der Gabe nur eines Antikörpers in vielen Fällen jedoch virale Resistenzen gegen den verwendeten Antikörper feststellen.4-8
Deutlich langfristigere Effekte konnten durch eine Kombination von zwei breit-neutralisierenden Antikörpern (3BNC117 und 10-1074) erzielt werden, die gegen unterschiedliche Bereiche des viralen Hüllproteins gerichtet sind.9,10 In Probanden, die mit einem sensitiven Virus infiziert waren und ihre vorherige ART pausierten, konnte der Wiederanstieg der Viruslast im Median auf ca. 4 Monate nach der letzten Antikörper-Infusion verzögert werden.10 Dabei wurde keine Entwicklung von Resistenzen beobachtet, solange effektive Wirkspiegel beider Antikörper im Blut nachweisbar waren.9,10 Die Anwendung von Antikörper-Kombinationen mit verlängerter Halbwertszeit (2-3 Monate anstelle von 2-3 Wochen) wird es daher wahrscheinlich machen, eine anhaltende Unterdrückung der Viruslast durch Antiköper-Gaben im Abstand mehrerer Monate zu erreichen.11 Wie bei der klassischen antiretroviralen Therapie bleibt bei diesem Ansatz jedoch eine regelmäßige Verabreichung notwendig.
ANTIKÖRPER-THERAPIE OHNE INFUSION
Eine kontinuierliche Antikörper-Expression über ein per Vektorsystem eingebrachtes Transgen stellt einen Ansatz zur Aufrechterhaltung hoher Antikörper-Spiegel ohne wiederholte Gabe dar. Ein für andere Indikationen bereits zur klinischen Anwendung, zugelassenes Vektorsystem sind rekombinante Adeno-assoziierte Viren (rAAVs).12 Bei diesen genetisch modifizierten AAV-Varianten handelt es sich um nicht-vermehrungsfähige Viren, die Zielzellen zur anhaltenden Produktion eines transgen kodierten Proteins veranlassen können. Da AAVs nach aktuellem Kenntnisstand nicht mit menschlichen Erkrankungen assoziiert sind und die transgene DNA rekombinanter AAVs in der Regel nicht chromosomal integriert wird, wird der Einsatz von rAAVs zur Gentherapie als sehr sicher erachtet.12
Die therapeutische Wirkung bnAb-kodierender rAAVs im Rahmen einer etablierten Infektion wurde im Affen-Modell mittels des chimären (S)HI-Virus geprüft. Hierzu wurden Makaken nach einer >1,5 Jahre bestehenden (S)HIV-Infektion mit einer Kombination aus drei verschiedenen, für unterschiedliche bnAbs kodierenden rAAVs behandelt. Aufgrund der Entwicklung von Antikörpern, die sich gegen die rAAV-kodierten bnAbs richteten, waren in den meisten Affen nur sehr geringe bnAb-Spiegel zu detektieren. In dem Affen, in dem nach rAAV-Gabe zwei Antikörper durchgängig in hohen Konzentrationen nachweisbar blieben, kam es jedoch zu einer über 3 Jahre anhaltenden vollständigen Suppression der Viruslast.13 Diese Beobachtung erbrachte einen wichtigen Machbarkeitsnachweis für eine rAAV-vermittelte anhaltende Virus-Kontrolle.
Wie die Ergebnisse der ersten Phase I-Studie eines rAAV-kodierten bnAbs in Menschen ohne HIV-1-Infektion zeigten, kann die Entwicklung von Antikörpern gegen AAV oder den kodierten bnAb jedoch ein Problem darstellen und eine ausreichend hohe bnAb-Expression verhindern.14 Daher sind die Verwendung anderer AAV-Typen und bnAbs wichtige Ansatzpunkte, die aktuell entwickelt und klinisch erprobt werden.15
IMMUNOLOGISCHE KONTROLLE
Über die konstante Fc-Region inter-agieren Antikörper mit dem Fc-Rezeptor, der sich auf der Oberfläche von Zellen des Immunsystems wie Makrophagen, dendritischen Zellen und NK-Zellen findet. Durch Fc-vermittelte immunologische Mechanismen können Antikörper daher Effekte ausüben, die über die Neutralisation des Virus hinausgehen. Hierzu zählen die Aktivierung zytotoxischer Zellen, die HIV-1-infizierte Zellen angreifen und eliminieren können, sowie eine verbesserte Antigen-Präsentation, die zu einer stärkeren Immunantwort gegen HIV-1 führen kann. Untersuchungen in Tiermodellen zeigen, dass Fc-vermittelte Effekte für die Wirkung breit-neutralisierender Antikörper sowohl in der Prävention als auch der Therapie der HIV-1-Infektion eine wichtige Rolle spielen.16,17
Abb 1 Ansätze zur Antikörper-vermittelten Kontrolle der HIV-1-Infektion. Das Reservoir latent infizierter Zellen stellt die entscheidende Hürde für die Heilung der HIV-1-Infektion dar. Aufgrund ihrer Fähigkeit zur Interaktion mit dem Immunsystem können bnAbs wichtige Beiträge auf dem Weg zu diesem Ziel leisten. Hierzu können die effektive Reduktion des HIV-1-Reservoirs, z.B. im Rahmen von „shock-and-kill“-Ansätzen, und die Steigerung einer z.B. T-Zell-vermittelten immunologischen Kontrolle von HIV-1 zählen.
Im Rahmen von Nachbeobachtungen von Teilnehmern klinischer bnAb-Studien ließen sich mittlerweile Hinweise für eine Antikörper-vermittelte modulatorische Wirkung auf die humorale und zelluläre Immunantwort gegen HIV-1 finden. So konnte nach der einmaligen Verabreichung des Antikörpers 3BNC117 bei virämischen Personen ein langfristig messbarer Anstieg der Antikörper-vermittelten Aktivität ge-gen HIV-1 festgestellt werden.18 Zudem war die Verabreichung einer Kombination der breit-neutralisierenden Antikörper 3BNC117 und 10-1074 im Rahmen einer ART-Unterbrechung mit einem Anstieg der HIV-1-spezifischen T-Zell-Antwort assoziiert.19
Die Induktion einer verbesserten antiviralen Immunantwort infolge der Verabreichung breit-neutralisierender Antikörper gegen HIV-1 ist Grundlage verschiedener Modelle zum Erreichen einer langfristigen Kontrolle des Virus (Abb.1).
Ein derzeit in mehreren klinischen Studien untersuchtes Konzept zur Reduktion des viralen Reservoirs basiert auf der Kombination von bnAbs mit Wirkstoffen, die latent infizierte Zellen reaktivieren sollen. Ziel dieses auch als „shock-and-kill“ bezeichneten Ansatzes ist es, reaktivierte Zellen durch die Expression viraler Proteine für Antikörper erkennbar zu machen, um sie hierdurch einer Fc-vermittelten Elimination durch das Immunsystem zuführen.20,21 In einer Wirksamkeitsstudie dieses Konzeptes konnte in Makaken gezeigt werden, dass die Kombination eines aktivierenden TLR7-Agonisten mit einem breit-neutralisierenden Antikörper eine Wirkung auf das virale Reservoir ausüben kann.22 So führte diese Kombination in (S)HIV-infizierten Makaken, die ab der akuten Infektion für >1,5 Jahre lang antiretroviral behandelt wurden, zu einer Verzögerung des viralen Rebounds nach Absetzen der ART. Bei 45% der mit der Kombination behandelten Affen fanden sich zudem keinerlei Hinweise mehr auf verbleibendes replikationsfähiges Virus.22 Modellierungen auf Grundlage der gemessenen Immunantworten ergaben Hinweise darauf, dass NK-Zellen und Monozyten für die beobachteten Effekte verantwortlich waren.22 Ob eine vergleichbare Wirkung in der klinischen Realität erzielt werden kann, in der ein ART-Beginn meist in der chronischen Infektionsphase nach Ausbildung eines größeren und komplexeren viralen Reservoirs erfolgt, bleibt abzuwarten.
Neuer Antikörper unterdrückt Resistenzentwicklung
Die Forschungsgruppe um Univ.-Prof. Dr. Florian Klein am Institut für Virologie der Uniklinik Köln und am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) hat einen neuen, hochwirksamen Antikörper gegen HIV entdeckt. Während die Wirkung bisheriger Antikörper gegen HIV durch die Entwicklung viraler Resistenzen begrenzt wurde, kann der neue Antikörper namens 1-18 die Virusvermehrung anhaltend unterdrücken. Die Ergebnisse der Forschungsarbeiten wurden jetzt im Wissenschaftsmagazin Cell veröffentlicht.
von links: Henning Grüll, Philipp Schommers und Florian Klein
© Uniklinik Köln/Thies Schönin
Ein weiterer, partiell überlappender, Ansatz zur immunologischen Suppression der HIV-1-Infektion beruht nicht primär auf der Reduktion des viralen Reservoirs, sondern auf der Antikörper-vermittelten Steigerung zellulärer Immunmechanismen zur Kontrolle der Virus-Replikation („funktionelle Heilung“). Auch für dieses Konzept konnte eine Studie in Makaken die potentielle Wirksamkeit aufzeigen. So führte die Verabreichung von Antikörpern im Rahmen der akuten (S)HIV-Infektion zu einer späteren langfristig anhaltenden Suppression des Virus.23 Diese Suppression wurde durch zytotoxische CD8+ T-Zellen vermittelt, was durch den raschen viralen Rebound nach Depletion dieser Zellen demonstriert wurde.23 Diese Ergebnisse unterstützen unsere Einschätzung, dass das Immunsystem unter bestimmten Umständen in die Lage versetzt werden kann, die HIV-1-Replikation effektiv zu unterdrücken. Aktuelle Untersuchungen in sogenannten „Post-Treatment Controllern“, d.h. HIV-1-infizierten Personen, deren Viruslast nach Absetzen der ART kontrolliert bleibt, werden weitere Erkenntnisse hierzu liefern.
AUSBLICK
Breit-neutralisierende Antikörper können die Viruslast effektiv unterdrücken. Somit stellen sie zur Behandlung der HIV-1-Infektion eine vielversprechende Option dar. Die neuen Beobachtungen Antikörper-vermittelter immunologischer Effekte ermutigen dazu, bnAbs zum Erreichen einer funktionellen oder ggf. auch sterilisierenden Heilung der HIV-1-Infektion einzusetzen. Das Verstehen der Mechanismen, die zu einer immunologischen Kontrolle von HIV-1 führen, und deren gezielte Aktivierung werden entscheidend sein, um diesen Zielen näher zu kommen.
1 Walker, L. M. & Burton, D. R. Passive immunotherapy of viral infections: ‚super-antibodies‘ enter the fray. Nat. Rev. Immunol. 18, 297-308, (2018).
2 Schommers, P., Gruell, H., Abernathy, M. E. et al. Restriction of HIV-1 Escape by a Highly Broad and Potent Neutralizing Antibody. Cell 180, 471-489 e422, (2020).
3 Gruell, H. & Klein, F. Antibody-mediated prevention and treatment of HIV-1 infection. Retrovirology 15,73, (2018).
4 Caskey, M., Klein, F., Lorenzi, J. C. et al. Viraemia suppressed in HIV-1-infected humans by broadly neutralizing antibody 3BNC117. Nature 522, 487-491, (2015).
5 Caskey, M., Schoofs, T., Gruell, H. et al. Antibody 10-1074 suppresses viremia in HIV-1-infected individuals. Nat. Med. 23, 185-191, (2017).
6 Lynch, R. M., Boritz, E., Coates, E. E. et al. Virologic effects of broadly neutralizing antibody VRC01 administration during chronic HIV-1 infection. Sci. Transl. Med. 7, 319ra206, (2015).
7 Bar, K. J., Sneller, M. C., Harrison, L. J. et al. Effect of HIV Antibody VRC01 on Viral Rebound after Treatment Interruption. N. Engl. J. Med. 375, 2037-2050, (2016).
8 Scheid, J. F., Horwitz, J. A., Bar-On, Y. et al. HIV-1 anti-body 3BNC117 suppresses viral rebound in humans du-ring treatment interruption. Nature 535, 556-560, (2016).
9 Bar-On, Y., Gruell, H., Schoofs, T. et al. Safety and antiviral activity of combination HIV-1 broadly neutralizing antibodies in viremic individuals. Nat. Med. 24, 1701-1707, (2018).
10 Mendoza, P., Gruell, H., Nogueira, L. et al. Combination therapy with anti-HIV-1 antibodies maintains viral suppression. Nature 561, 479-484, (2018).
11 Gaudinski, M. R., Coates, E. E., Houser, K. V. et al. Safety and pharmacokinetics of the Fc-modified HIV-1 human monoclonal antibody VRC01LS: A Phase 1 open-label clinical trial in healthy adults. PLoS Med.15, e1002493, (2018).
12 Mingozzi, F. & High, K. A. Therapeutic in vivo gene transfer for genetic disease using AAV: progress and challenges. Nat. Rev. Genet. 12, 341-355, (2011).
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14 Priddy, F. H., Lewis, D. J. M., Gelderblom, H. C. et al. Adeno-associated virus vectored immunoprophylaxis to prevent HIV in healthy adults: a phase 1 randomised controlled trial. Lancet HIV 6, e230-e239, (2019).
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17 Hessell, A. J., Hangartner, L., Hunter, M. et al. Fc receptor but not complement binding is important in antibody protection against HIV. Nature 449, 101-104, (2007).
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20 Barouch, D. H. & Deeks, S. G. Immunologic strategies for HIV-1 remission and eradication. Science 345,169-174, (2014).
21 Nixon, C. C., Mavigner, M., Sampey, G. C. et al. Systemic HIV and SIV latency reversal via non-canonical NF-kappaB signalling in vivo. Nature 578, 160-165, (2020).
22 Borducchi, E. N., Liu, J., Nkolola, J. P. et al. Antibody and TLR7 agonist delay viral rebound in SHIV-infected monkeys. Nature 563, 360-364, (2018).
23 Nishimura, Y., Gautam, R., Chun, T. W. et al. Early antibody therapy can induce long-lasting immunity to SHIV. Nature 543, 559-563, (2017).