Mark Oette1, Matthias Straub2, Christopher Schnurr1, Eva Heger3, Rolf Kaiser3, Nadine Lübke4
Kasuistik: HIV-Superinfektion und Salvage-Therapie
Im Jahr 2010 wurde ein damals 43-jähriger Mann erstmals aufgrund seiner HIV-Infektion symptomatisch. Neben einer Pneumocystis jirovecii-Pneumonie und einer Soorösophagitis litt er an einem Wasting-Syndrom. Aus der Vorgeschichte sind eine Lues, eine Malaria und eine Osteomyelitis zu erwähnen. Zudem ist eine einseitig „helle Lunge“ bekannt (Swyer-James-Syndrom). Die damalige antiretrovirale Therapie, bestehend aus Tenofovir, Emtricitabin und Darunavir/r, war über 2 Jahre virologisch effektiv. Initial wurde das Vorliegen von Resistenzen im Rahmen der RESINA-Studie ausgeschlossen.
ART-Versagen
Substanzklasse | Detektierte Resistenzmutationen | Resistenz-Prädiktion |
---|---|---|
Protease Inhibitoren | (PIs)L10F, V11I, K20R, L24I, V32I, L33F, M36I, K43T, M46L, I54M, L63P, T74S, V82A, L89M | Resistenz gegenüber allen PIs, Saquinavir/r intermediär empfindlich |
Reverse Trans-kriptase Inhibito-ren (NRTIs und NNRTIs) | M41L, D67N, T69D, V179I, M184V, Y188L L210W, T215Y | Resistenz gegenüber allen NRTIs und NNRTIs Etravirin intermediär empfindlich |
Integrase-Inhibitoren | M50I, S119R, V151I | Elvitegravir intermediär empfind-lich, sonst keine Resistenzen |
Tropismus (V3) | K10R, R13HR, Q18R, Y21F, A22T, T23IV, I27R, G28Q, D29A, I30H, R31C | MCXCR4-tropes Virus (FPR 2,9%), Resistenz ggü. Maraviroc |
Tab 1 Genotypische Resistenztestung 2012 (identischer Befund für beide Patienten)
Im Jahr 2012 kam es zum Wiederanstieg der Viruslast auf max. 25.000 Kopien/ml. Die CD4-Zellzahl, die bei Behandlungsbeginn bei 35/µl gelegen hatte, betrug zu dieser Zeit 293/µl (21%). Der Befund des Resistenztestes zeigt sich in Tabelle 1. Es wurde eine Multiresistenz mit CXCR-4-tropem Virus nachgewiesen. Bei der weiteren Aufarbeitung stellte sich heraus, dass der Patient einen neuen Lebensgefährten hatte, dessen Behandlung seit geraumer Zeit trotz niedriger Virusreplikation zwischen 1.000 und 10.000 Kopien/ml nicht gewechselt worden war. Die Resistenztestung der Viruspopulation des Lebensgefährten ergab den gleichen Befund wie beim geschilderten Patienten. Die damalige Therapie des Lebensgefährten bestand aus Darunavir/r, Raltegravir, Maraviroc und Tenofovir/Emtricitabin. Bei ihm bestand zudem ein Z.n. Zoster-Meningitis, Hepatitis C und mehrmaliger Lues.
Neue ART
Nach der Resistenzbeurteilung durch Geno2Pheno und HIV-GRADE erschien die Kombination aus Saquinavir/r, Isentress, Etravirin als Erfolg versprechend. Diese wurde zusammen mit Enfuvirtid begonnen, woraufhin eine erneute Suppression der Virusreplikation eintrat. Das Enfuvirtid wurde nach einem knappen Jahr beendet, die übrigen Komponenten nach Medikamentenspiegelmessung in ihrer Dosis angepasst. Anfang 2014 traten mehrfach niedrig-titrige Viruslasten bis 800 Kopien/ml auf, woraufhin die Behandlung nach erneuter Resistenztestung (jetzt ohne sichtbare Resistenz gegenüber NRTIs) auf Tenofovir/Emtricitabin (später TAF/FTC), Dolutegravir, Etravirin und Saquinavir/r umgestellt wurde. Seither ist die Behandlung unverändert effektiv, wird bestens vertragen und die aktuelle CD4-Zellzahl liegt bei 392/µl (28%). Der Patient fühlt sich wohl und ist voll berufstätig.
Stark vorbehandelt
Tab 1 Genotypische Resistenztestung 2012 (identischer Befund für beide Patienten)
Während der oben geschilderte Patient virologisch effektiv behandelt werden konnte, verblieb sein Lebenspartner auf eigenen Wunsch und nach Empfehlung seines Behandlungszentrums außerhalb von Köln auf seiner nicht-suppressiven Therapie. In den letzten Jahren erhielt er Darunavir/r, Etravirin, Dolutegravir, Tenofovir, Abacavir und Lamivudin. Die CD4-Zellzahl lag zuletzt bei 459/µl (52%), die Viruslast zwischen 500 und 5.000 Kopien/ml mit einer kurzen Phase unter der Nachweisgrenze. Nach einem Wechsel in unsere Klinik 2021 folgte eine Therapieumstellung, bei der die Medikamentenanamnese, ein aktueller Resistenztest (Abb. 1) sowie ein Test von 2014 berücksichtigt wurden. Gegenüber seiner Untersuchung von 2013 lagen weitere Mutationen mit einem veränderten Resistenzspektrum (neu: Sensitivitätszunahme gegenüber Darunavir und Rilpivirin, komplette Resistenz gegenüber allen NRTIs/ NtRTI) und Tropismuswechsel (jetzt CCR-5-tropes Virus) vor.
Der aktuelle Wechsel der Therapie erfolgte nach interdisziplinärer Diskussion auf Dolutegravir (2x tgl.), Lamivudin, Fostemsavir und Ibalizumab. Nach 1-monatiger Therapie (und bislang 2 Ibalizumab-Infusionen) liegt die Viruslast unter der Nachweisgrenze, erstmals seit mehr als 6 Jahren. Die CD4-Zellzahl wurde mit 355/µl (24%) gemessen.
Diskussion
Im Zusammenhang mit der HIV-Infektion wird von einer Superinfektion gesprochen, wenn eine etablierte Infektion von einer heterologen Variante des gleichen Erregers überlagert wird. In den letzten Jahren ist es etwas stiller geworden um dieses Thema, das nach früheren Publikationen relativ häufig vorgekommen sein soll.1 Neuere Veröffentlichungen behandeln Themen wie die Transplantation HIV-positiver Organe in HIV-positive PatientInnen2 oder mathematische Modellierungen der genetischen Evolution bei Superinfektion.3 Die Transmission eines multiresistenten Virus mit der gesicherten Etablierung einer „neuen“ Infektion mit dieser Virusvariante trotz antiretroviraler Kombinationstherapie ist jedoch noch nicht häufig berichtet worden.
Bei dem beschriebenen Patienten liegt eine Superinfektion mit einem HIV-Stamm vor, der ein anderes Resistenzprofil hatte als der ursprünglich vorliegende. Damit führte die eingenommene antiretrovirale Therapie zu einem Therapieversagen. Es ist sicherlich bemerkenswert, dass ein Virus, das bei Multiresistenz eine Beeinträchtigung seiner Fitness erfährt, unter diesen Selektionsbedingungen eine neue Infektion etablieren kann. Zudem wurden in der vorgestellten Situation bei gleichem Virusstamm verschiedene Therapieverläufe beobachtet, die nicht unterschiedlicher sein könnten.
Während beim initial dargestellten Patienten seit 9 Jahren eine virologisch effektive Behandlung angewandt wird, lag bei seinem Lebensgefährten zumeist eine sog. Low-level Virämie unter einer nicht-suppressiven Therapie vor. Unter der niedrigen Replikation mit persistierendem Selektionsdruck kam es dann zu einer weiteren Akquisition von Mutationen. Der Lebensgefährte erhält nun eine innovative Kombinationsbehandlung, die bereits nach kurzer Zeit zu einer virologischen Kontrolle geführt hat. Falls diese positive Entwicklung anhält, kann über eine Therapievereinfachung des primär geschilderten Falles nachgedacht werden und auch bei ihm ein Teil der neuen Kombinationstherapie eingesetzt werden. Alle Überlegungen berücksichtigen die mögliche Reaktivierung abgelegter Varianten in beiden Patienten.
1 Krankenhaus der Augustinerinnen Köln
2 Praxis Prenzlauer Berg, Berlin
3 Institut für Virologie, Universität zu Köln
4 Institut für Virologie, Universitätsklinikum Düsseldorf
Literatur
1 Redd AD, Quinn TC, Tobian AAR. Frequency and Implications of HIV Superinfection. Lancet Infect Dis 2013; 13: 622-8
2 Bonny TS, Kirby C, Martens C, et al. Outcomes of donor-derived superinfection screening in HIV-positive to HIV-positive kidney and liver transplantation: a multicentre, prospective, observational study. Lancet HIV 2020; 7: e611-9
3 Sun X, Xiao Y. Modelling HIV superinfection among men who have sex with men. Math Biosciences 2016; 13: 171-91