30. Croi, 19. - 22. Februar 2023, Seattle, Washington
Kongress-Bowl 2023: Basis HIV, eine Prise COVID-19 und als Garnierung MPOX
Die Corona-Pause hat die Konferenz kaum verändert, die gleiche Struktur, die gleichen Gesichter, die (fast) gleichen Themen: HIV, COVID-19 und in diesem Jahr neu MPOX. Auch das Interesse an der wissenschaftlichen Plattform CROI hat nicht nachgelassen. Mehr als 1.600 Arbeiten wurden eingereicht. Die Vorsitze waren durchgehend paritätisch mit Mann und Frau besetzt und auch hinsichtlich Ethnie und Community hat man sich sichtlich Mühe gegeben. Beim korrekten Wording gab es dagegen noch ein wenig Aufholbedarf. So wurden in einer Session bemängelt, dass es nicht „adipöse Menschen mit HIV“ heißt, sondern „Menschen mit HIV und Adipositas“.
Protest gegen Fauci
Die Eröffnung mit den üblichen Schwerpunkten wurde in diesem Jahr ergänzt durch einen langen CROI-Werbefilm anlässlich des 30. Jahrestages. Anthony Fauci, der mittlerweile pensionierte Leiter des NIH, wiederholte den Überblick mit Schwerpunkt auf die wissenschaftlichen Meilensteine der letzten 29 Konferenzen und appellierte an die jungen Wissenschaftler*innen die Fahne weiter zu tragen. Protestierende Aktivist*innen gab es auch – diesmal gegen die Corona-Impfung im Allgemeinen und gegen Anthony Fauci im Besonderen.
Heilung nicht geklappt
Bisher konnten fünf Menschen durch Transplantation von Stammzellen mit der CCR5-delta32 Mutation geheilt werden. Der letzte in dieser Reihe ist der „Düsseldorf Patient“, ein 53jähriger Mann, dessen ART fünf Jahre nach der Transplantation abgesetzt wurde und der mittlerweile fünf Jahre HIV-frei ist (Jensen B et al., Nature Medicine 2023). Bei einem 67jährigen Mann dagegen, dem „Chicago-Patient“, bei dem die ART 15 Monate nach Transplantation abgesetzt wurde, nachdem keine freie und Zell-assoziierte HIV RNA nachweisbar waren, kam es acht Wochen später zum Rebound des 100% R5-tropen Wildtypvirus (Rubinstein Paul et al., 343).
ART-LA bei Virämie?
Viel Aufmerksamkeit erfuhr eine Studie aus San Francisco. Dort wurden in einer Einrichtung speziell für Menschen mit HIV in sozial schwierigen Situationen 133 Personen (instabile Wohnungssituation 58%, Drogenabhängige 33%, psychiatrische Erkrankung 38%) mit Cabotegravir + Rilpivirin LA Q4W behandelt. 43% davon waren nicht behandelt bzw. nicht supprimiert. Alle initial supprimierten Teilnehmer waren auch weiterhin supprimiert, nur bei den initial virämischen Personen wurde in zwei Fällen ein virologisches Versagen beobachtet. Die Viruslast war innerhalb von 4 Wochen nicht um mindestens 2log abgefallen. Beide Personen hatten initial einen Resistenz-assoziierten Polymorphismus und danach mehrere NNRTI- bzw. INSTI-RAMs. Die Rate an virologischem Versagen lag rechnerisch bei 1,5% und ist somit – so die Autorin Monica Gandhi – nicht höher als in den Zulassungsstudien FLAIR und ATLAS (Gandhi M et al., 518; Chen W et al., 517).
Switch auf ART-LA
In der Studie SOLAR wurden erfolgreich mit BIC/TAF/FTC behandelte Personen entweder weiterbehandelt oder mit (40%) oder ohne Lead in (60%) auf CAB/RLP-LA umgestellt. Die virologische Wirksamkeit der beiden Regime war vergleichbar. Bei drei Personen unter der LA-ART kam es jedoch zum virologischen Versagen, wobei nur bei einer Person ein Risikofaktor vorlag (BMI 30,5). Alle drei Patienten hatten eine NNRTI-Resistenz und zwei Patienten zusätzlich eine INSTI-Resistenz entwickelt (Ramgopal MN et al., 191).
Welche Rolle möglicherweise zu niedrige Medikamentenspiegel spielen, ist derzeit unklar. In den Zulassungsstudien gab es hier keinen Zusammenhang. In einer französischen Arbeit, in der Spiegel gemessen wurden, waren Risikofaktoren für zu niedrige Konzentrationen neben einem hohen BMI der Start ohne orales Lead in (Rubenstein E et al., 195).
Low Level Virämie
Eine Low Level Virämie macht Patient und Behandler unruhig. Doch die Resistenztestung bei Viruslasten unter 250 Kopien/ml scheint wenig zielführend. Neue Mutationen sind hier sehr selten, Risikofaktoren sind ein NNRTI-basiertes Regime, jüngeres Alter sowie kein bzw. ein lang zurückliegender Resistenztest (Sudderuddin H et al., 575). Die persistierende niedrige Viruslast ist multifaktoriell bedingt, sofern keine suboptimalen Medikamentenspiegel und keine Resistenzmutationen vorliegen (Mohammadi A et al., 137). Ein Wechsel auf CAB/RLP-LA wegen einer Low-Level-Virämie führt jedenfalls nicht zum gewünschten Erfolg. Die Low Level Virämie bliebt unverändert (Kenney et al., 516).
Gewicht unter ART
INSTI der zweiten Generation und TAF scheinen mit einer Gewichtszunahme assoziiert zu sein. Besonders klar zeigte sich dieser Effekt in der randomisierten afrikanischen Studie ADVANCE bei therapienaiven Personen. Nun wurden 162 Studienteilnehmer*innen dieser Studie auf DOL/TDF/3TC umgestellt. Nach 52 Wochen war es bei den Frauen, die vorher DOL/TAF/FTC eingenommen hatten, zu einer deutlichen Abnahme gekommen. Bei Frauen, die von EFV/TDF/FTC auf das neue Regime wechselten, dagegen zu einer Zunahme (Abb. 1). Die Daten bestätigen, dass TDF eine „Gewichtsbremse“ ist, während Dolutegravir und TAF zur Zunahme führen. Erstmal wurde dabei auch klar gezeigt, dass der Switch von TAF auf TDF (zumindest bei Frauen) zur Gewichtsreduktion sowie Verbesserung von LDL-Cholesterin und Zuckerstoffwechsel führt (Bosch B et al., 671).
Abb. 1 Veränderung Gewicht nach Umstellung auf TDF/3TC/DTG (TLD) bei Frauen (rechts) und Männern (links)
Die Umstellung von BIC/TAF/FTC auf DOL/3TC führte nach 48 Wochen im Vergleich zur Weiterbehandlung bei Personen mit einem BMI <30 in beiden Gruppen zu einer weiteren Zunahme, bei adipösen Menschen dagegen zu einer leichten Gewichtsreduktion (DeGroote S et al., 672). Die Umstellung von BIC/TAF/FTC auf CAB/RLP-LA hatte keinen Einfluss auf Gewicht und Stoffwechsel (Darrell HS et al., 146).
Bei der Beurteilung von Kohorten-Analysen und Switch-Studien sollte man stets auch ein möglichen Channeling-Bias berücksichtigen. Im klinischen Alltag werden gemäß einer Analyse der TROI Kohorte (n=7.000) Personen mit Adipositas, schlechter Nierenfunktion, höherer CD4-Zahl sowie früherer INSTI-Therapie eher auf DTG/3TC umgestellt als auf BIC/TAF/FTC (Sax PE et al., 532).
Good News
Es gab auch ein paar erfreuliche Neuigkeiten auf der CROI. In der Schweizer Kohorte fand sich im Lauf von vier Jahren unter ART kein Hinweis auf eine neurokognitive Verschlechterung und auch kein Hinweis auf ein erhöhtes kardiovaskuläres unter INSTI (Damas J et al., 461; Surial B et al., 149). Die Sterblichkeit von Menschen mit HIV wird heute – sofern sie gut behandelt sind und einen guten Immunstatus haben – primär von Begleiterkrankungen bestimmt, die im Wesentlichen auf den Lebensstil zurückgehen. Das ergab die Analyse der internationalen RESPOND-Kohorte (n=33.000) (Tusch E et al., 870).
Islatravir: Es geht weiter!
Die meisten Studien mit dem neuartigen langwirksamen NRTTI Islatravir waren vor rund zwei Jahren ausgesetzt worden, nachdem ein Abfall der Lymphozyten beobachtet wurde. Mittlerweile sind die Studien detailliert ausgewertet. Es fand sich ein dosisabhängiger Effekt, der alle Lymphozyten-Populationen betrifft. In niedrigen Dosierungen, d.h. 0,5 mg/d und weniger, war der Einfluss auf die Lymphozytenzahl nicht mehr nachweisbar. In zukünftigen Studien, die noch dieses Jahr anlaufen sollen, wird Islatravir in einer Dosierung von 0,25 mg eingesetzt werden (Squires KE et al., 192; Mills AM et al., 197, Molina JM et al., 196).
STI-Prävention
Die spannendste Studie auf dem Kongress wurde gleich zu Beginn präsentiert: Die Studie DoxyVac zur STI-Prävention mit Doxycyclin und einer Meningokokken B-Impfung. Die Einnahme von 200 mg Doxycyclin 24-72 Stunden nach kondomlosem Sex verminderte die Rate von Chlamydien- und Syphilis-Infektionen um jeweils fast 90%, halbierte die Rate der Gonorrhoe und hatte keinen Einfluss auf Mykoplasmen (Abb. 2). Der geringere Effekt auf die Gonorrhoe geht vermutlich auf hohe Rate an Tetrazyklin-Resistenz bei den Gonokokken zurück. In der neunmonatigen Studie wurde zudem ein geringer Anstieg von resistenten Gonokokken dokumentiert. Die Meningitis B-Impfung allein hatte einen Schutzeffekt von insgesamt 30% und die Wirkung beider Maßnahmen addierte sich (Molina JM et al, 119; Luetkemeyer AF et al, 120).
Abb. 2 Doxycyclin PEP führte zu einer deutlichen Reduktion der Infektionen mit Chlamydien (a) oder mit Syphilis (b), einer moderaten Reduktion der Gonokokken-Infektionen (c) und nicht zu einer relevanten Reduktion von Mykoplasmen-Infektionen (rechts)
Nicht bei Frauen!
Interessanterweise hatte die DoxyPEP bei cisgender Frauen in Kenia keinen präventiven Effekt gezeigt. Warum ist derzeit unklar, die Adhärenz war gut, die Medikamentenspiegel dürften ausreichend hoch gewesen sein. Diskutiert wird die Möglichkeit einer hohen Rate an resistenten Gonokokken, aber Chlamydien-Infektionen wurden auch nicht reduziert (Haaland R et al.,118; Stewart J et al., 121).
PrEP Implantat
Implantate haben zwei wichtige Vorteile: Sie können Substanzen über einen langen Zeitraum abgeben und sie können bei Bedarf entfernt werden. Vorgestellt wurde ein Implant, das von extern mit einer Substanz-enthaltenden Flüssigkeit gefüllt werden kann. Das System wurde bereits unter anderem mit Islatravir getestet. Eine Füllung ergab einen konstanten Islatravir-Spiegel über 20 Monate, der Affen zu 100% vor einer HIV-Infektion schützte (Pons-Faudoa Fernanda et al., 165).
MPOX Verlauf
Besonders gefährdet bei MPOX sind Menschen mit fortgeschrittener HIV-Infektion. In der Auswertung der Daten von 382 HIV-Positiven mit weniger als 300 CD4-Zellen/µl starben 27 Personen (7%). Alle hatten weniger als 200 CD4-Zellen und die Mortalität war in der Gruppe mit <100 Zellen/µl mit 27% am höchsten. Die CD4-Zahl dieser Menschen lag im Schnitt bei 35/µl, nur 7% waren unter ART supprimiert und 30% hatten eine hohe HI-Viruslast.
Bei 85 Patienten war erstmals eine ART eingeleitet worden, ein Viertel der Behandelten entwickelte ein IRIS und die Hälfte davon verstarb. Ob ein früherer oder späterer ART-Beginn vorteilhafter gewesen wäre, ist unklar. Fest stehe jedoch, so Chloe Orkin, London, dass neben dem fortgeschrittenen Immundefekt auch eine hohe Virämie ein wichtiger negativer Prädiktor ist (Oriol M et al., 173).