Hans-jürgen Stellbrink, Hamburg
PrEP heute, morgen und übermorgen
Die PrEP mit TDF/FTC ist wirksam und etabliert. Geprüfte neue Optionen sind TAF/FTC und Cabotegravir-LA. Weitere innovative Ansätze sind angedacht. Entscheidend für die PrEP der Zukunft sind jedoch nicht nur die medizinische Wirksamkeit, sondern auch die richtige Anwendung, die Resistenzschwelle und der Preis.
Aktuelle PrEP
Die Präexpositionsprophylaxe (PrEP) stellt einen weiteren wesentlichen Fortschritt zur Kontrolle der weltweiten HIV-Pandemie dar und wird daher auch von der WHO empfohlen.1 Die in der Routine übliche orale Zweifachkombination von TDF und FTC, durchgehend2 oder On-Demand3 gegeben, bewirkte in Studien und in der breiten Anwendung eine deutliche Reduktion der Zahl neuer Infektionen.
Begleiterscheinungen
Abb. 1 Gewichtsentwicklung in PrEP-Studien
Häufig werden niedrigere Blutlipide und eine geringere Gewichtszunahme als Vorteile von TDF/FTC diskutiert. Unter TDF/FTC kommt es eher zu einer Gewichtsabnahme im 1. Jahr, später aber auch zu einem Anstieg. Unter Placebo, TAF und CAB-LA ist der Anstieg etwa gleich (Abb. 1).4,5,6,7 In HPTN083 kam es unter TDF/FTC zu einer Reduktion der Knochendichte, unter CAB-LA zu einem Anstieg.8 Diese TDF-Effekte sind in ihrer klinischen Wertigkeit unklar. Sie dürften bei On-Demand-PrEP wegen der zeitlich begrenzten, unterbrochenen Einnahme und der niedrigeren kumulativen Dosis ohnehin kaum ins Gewicht fallen.
Ein
Vorteil von TDF/FTC gegenüber neueren Optionen ist die auf einer
breiten Datenbasis dokumentierte
Sicherheit in der
Schwangerschaft und Stillzeit.8
Wenn ein eindeutiges hohes HIV-Infektionsrisiko besteht, erscheint
die PrEP mit TDF/FTC also auch bei Schwangeren, Frauen, die schwanger
werden könnten, und bei stillenden Müttern vertretbar.10,11
Die
TDF/FTC-PrEP bietet mit der Möglichkeit der durch konkrete
Expositionsereignisse getriebenen „On-
Demand“ (oder
„Event-Driven“)-Einnahme bei gleicher Wirksamkeit die
Flexibilität, nur die Zeiten eines erhöhten Infektionsrisikos
abzudecken. Die Anwender erhalten dadurch mehr Souveränität über
die Durchführung, unterliegen aber auch einer gewissen
Mitverantwortung im Falle einer Infektion mit Resistenzentwicklung
aufgrund einer fehlerhaften Einnahme. Eine wiederholte Überprüfung
der korrekten Einnahme und regelmäßig erfolgter
Kontroll-
untersuchungen bleiben daher wichtig, ebenso wie die
Aufklärung über mögliche Zeichen einer akuten Infektion, sodass
möglichst nicht mit einer PrEP wieder begonnen wird, wenn bereits
eine Infektion besteht. Dennoch dürfte bei Anwendung der PrEP
On-Demand nur über einige Tage bei schon bestehender Infektion das
Resistenzrisiko nicht so hoch sein wie bei fortgeführter Einnahme.
Neue Daten zeigen, dass die Hoffnung, eine TDF/FTC-PrEP würde gleichzeitig eine Hepatitis-B-Infektion verhindern, trügerisch ist. Selbst nach vorheriger Vakzination und unter PrEP werden einzelne Fälle von subklinischer HBV-Infektion beobachtet.12 Nach Absetzen von einer Tenofovir-haltigen PrEP könnte es dabei zu einer Exazerbation kommen.
Risiko Resistenz
Die Halbwertszeiten von Tenofovir und FTC sind nicht wirklich kurz: Beide Substanzen sind im Plasma in subinhibitorischen Konzentrationen noch nach 7-15 Tagen und in PBMC noch nach 2 Wochen nachweisbar.13,14 Es dürfte also durchaus noch Tage nach dem Absetzen ein Resistenzselektionsdruck bestehen. Um die Selektion von Resistenzen möglichst zu verhindern, sollte die PrEP-Einnahme bei Nachweis einer Infektion so rasch wie möglich beendet und eine voll wirksame ART eingeleitet werden.
Daten
der Dean-Street-Clinic in London legen nahe, dass bei Serokonversion
in Zusammenhang mit einer TDF/FTC-PrEP mittlerweile häufiger
Resistenzen beobachtet werden als ohne.15
Die Natur dieser Resistenzen (vorwiegend M184I/V) und das gute
Ansprechen auf die anschließende ART legen jedoch nahe, dass dies
kaum eine
Relevanz für den Therapieerfolg einer ART hat, wenn
durch raschen ART-Beginn einer weiteren Resistenzentwicklung (z.B.
mit einer zusätzlichen K65R) vorgebeugt wird. Die K65R wurde trotz
anderer Resistenzen in 9/31 Fällen von Serokonversion unter PrEP
(bisher?) nicht beobachtet.16
(Noch?) nicht verfügbare PrEP-Optionen
TAF/FTC wies in der DISCOVER-Studie gegenüber TDF/FTC einen numerischen, aber nicht signifikanten Vorteil bezüglich der Verhinderung von Infektionen und des Auftretens von Resistenzen bei PrEP-Versagen auf.5 Die Signatur-Toxizitäten von TDF (Nieren, Knochendichte) spielen unter TAF keine Rolle, dürften allerdings ebenfalls unter On-Demand-Einnahme von TDF/FTC kaum ins Gewicht fallen (s.o.). Entsprechende Kontraindikationen würden allerdings unter TAF/FTC entfallen, und ein routinemäßiges Monitoring der Nierenfunktion wäre verzichtbar.
GILEAD verfolgt die Zulassung von TAF/FTC in der EU nicht weiter, da von verschiedenen Seiten in der EU kein ausreichender Bedarf gesehen wurde. Selbst im Falle einer Zulassung wäre aus ökonomischen Gründen in Deutschland mit einer Verfügbarkeit von TAF/FTC nicht zu rechnen. Eine On-Demand-Einnahme wurde mit TAF/FTC bisher nicht untersucht. Ihre Gleichwertigkeit kann in dieser Anwendung daher nicht vorausgesetzt werden.
Dapivirin-Vaginalringe17 sind erheblich weniger wirksam und dürften ebenfalls nicht in Deutschland verfügbar werden, obwohl von der WHO empfohlen. TAF/FTC und Dapivirin-Vaginalringe bleiben daher hypothetische Optionen.
Parenterale PrEP
Abb. 2 HPTN 084: Cabotegravir-LA vs TDF/FTC
Eine Möglichkeit, für die relativ kurzen Halbwertszeiten der oralen TDF/FTC-PrEP zu kompensieren, scheint die intramuskuläre Gabe von long-acting Cabotegravir (CAB-LA) in 8-wöchigen Abständen in Anlehnung an die therapeutische Gabe zu sein. In den Studien HPTN083 (MSM und TGW) und HPTN084 (Frauen) war injizierbares Cabotegravir der oralen TDF/FTC-PrEP bezüglich der Verminderung der Infektionszahlen überlegen (Abb. 2).7,18 CAB-LA wird von der WHO bereits für die PrEP empfohlen.19 Die Zulassung ist bei der EMA beantragt. Abgesehen von der Frage, ob eine CAB-PrEP in den nächsten Jahren aus ökonomischen Gründen überhaupt in Deutschland verfügbar sein wird, dürften im positiven Fall logistische Probleme bei der Applikation bestehen. Auch die besondere Pharmakokinetik mit einer sehr langen terminalen Halbwertszeit und im Verlauf subinhibitorischen Substanzspiegeln im Median über 42 Wochen für Männer und 66 Wochen für Frauen (Beispiel aus HPTN077 in Abb. 3; in einigen Fällen bis 2,5 bzw 3,5 Jahre) wirft potenzielle Probleme auf (Abb. 3). Wird die PrEP trotz weiter bestehenden Risikos unterbrochen oder nicht in den erforderlichen Zeitintervallen durchgeführt, sind die Substanzspiegel im Verlauf für die Verhinderung der Transmission unzureichend, und das Risiko einer Infektion mit Selektion von Resistenzen ist prinzipiell erhöht. Monate nach der letzten Gabe könnten die Betroffenen die Gabe von CAB-LA lange vergessen oder verdrängt haben und erneut Risiken eingehen.
Resistenz-Risiko
Abb. 3 Cabotegravir-LA: Beispiel für den PK-“Tail“ in HPTN077
Insbesondere dürften Resistenzen aber auftreten, wenn bereits bei Einleitung der PrEP eine noch nicht diagnostizierte Infektion bestand, die durch die PrEP nur unzureichend supprimiert wird. Unter der Restaktivität bei niedrigen Substanzspiegeln kann es zu atypischen Serokonversionen kommen. Dabei kann die Antikörper-Positivität verzögert nachweisbar werden oder ausbleiben, und Symptome sind selten. Für diese Konstellation wurde die m.E. etwas hochtrabende Bezeichnung LEVI-Syndrom („long-acting early viral inhibition syndrome“) kreiert.20 Letztlich ist analog dazu auch unter einer irrtümlich trotz Infektion fortgeführten TDF/FTC-PrEP mit einem abgemilderten Verlauf zu rechnen, sodass „EVI“ möglicherweise passender wäre. Wegen solcher atypischen Serokonversionen empfiehlt die FDA trotz der Interpretationsprobleme bei sehr niedrigen HIV-RNA-Konzentrationen (u.U. falsch positiv) eine HIV-RNA-Testung vor CAB-LA-PrEP und bei jeder erneuten Gabe.21 Ob dann bei Nachweis von HIV-RNA an der Detektionsgrenze unter PrEP sofort eine ART eingeleitet werden sollte, bleibt aber m.E. der individuellen Abwägung überlassen.
Eine CAB-LA-PrEP kann im Falle des Versagens anders als die TDF/FTC-PrEP mit der Entstehung von Resistenzen gegen Integraseinhibitoren verbunden sein. Diese bringen im Unterschied zur M184I/V-Lamivudin/Emtricitabin-Resistenz eine wichtige Einschränkung der Wirksamkeit der am häufigsten verwendeten Erstlinien-ART mit Integraseinhibitoren mit sich. In der Folge erscheint eine rasche weitere Resistenzentwicklung auch gegenüber den anderen Substanzen der unverzüglich eingeleiteten ART möglich.
Hoher Beratungsbedarf
Zu bedenken ist logistisch auch, dass die Injektionsintervalle eine häufigere Vorstellung der PrEP-Nutzer erfordern als die orale TDF/FTC-PrEP, und dass diesbezüglich nur eine geringe Flexibilität möglich ist. Es ist vorstellbar, dass dies für Frauen aufgrund der unterschiedlichen Pharmakokinetik geringfügig anders sein könnte. Die Konsequenzen der Pharmakokinetik und schmerzhafte Reaktionen am Injektionsort müssen vor einer möglichen Anwendung eingehend realistisch besprochen werden. Die oben genannten Probleme der Pharmakokinetik treten nämlich schon nach der ersten Applikation auf. Kommt es zu einer Unverträglichkeit mit Abbruch der CAB-LA-PrEP, so muss für die Dauer von mindestens 42-66 Wochen (s.o.) für eine Abdeckung eines weiterbestehenden Infektionsrisikos durch eine orale PrEP gesorgt werden. Auch diese Konsequenz muss also anfänglich mitbesprochen werden. Bei gebärfähigen Frauen müssen die Unklarheiten bezüglich der Sicherheit von CAB-LA in der Schwangerschaft thematisiert werden. Obwohl aus der PrEP-Studie HPTN084 unter CAB-LA 43 unproblematische Schwangerschaftsverläufe berichtet wurden, sind diese Daten für die Annahme einer sicheren Anwendung bei Schwangeren oder Frauen mit Schwangerschaftswunsch unzureichend. Da viele Schwangerschaften ungeplant eintreten, würde ich – nur im Falle einer effektiven Verfügbarkeit nach Zulassung – eine Anwendung von CAB-LA für die PrEP bei Frauen überhaupt nur für vertretbar halten, wenn die Umstände eine Schwangerschaft binnen mindestens eines Jahres nach letzter Injektion praktisch ausschließen.
Sollte CAB-LA tatsächlich in Deutschland verfügbar werden, so könnte es für einen Teil der Nutzer durchaus eine attraktive Option darstellen. Die Angaben zur Patientenzufriedenheit aus klinischen Studien sollten wegen eines möglichen Selektions-Bias allerdings zurückhaltend bewertet werden. Obwohl eine injizierbare PrEP einige der Probleme einer oralen PrEP löst, wirft sie eine Reihe weiterer Probleme auf (s.o.).
Experimentelle PrEP-Optionen
Das dürfte allerdings auch für die aktuell in den PURPOSE-1 und -2-Studien untersuchte Lenacapavir-PrEP gelten (NCT04994509, NCT04925752). Im Makaken-Modell kam es nach rektaler SHIV-Inokulation nicht zu Infektionen.22 Auch Lenacapavir scheint keine sehr hohe genetische Barriere zu haben, wobei eventuell resultierende Capsidinhibitor-Resistenzen die Wirksamkeit von Nukleosidanaloga und Integraseinhibitoren nicht zu betreffen scheinen. Islatravir wurde lange optimistisch als eine neue einmal monatliche orale PrEP-Option für die Zukunft diskutiert. Auch eine Gabe als Implantat wäre wohl machbar. Erste Daten im Makaken-Modell zeigten unter einem ISL-Implantat nach vaginaler SHIV-Inokulation keine Infektionen.23 Angesichts der Toxizitätsprobleme in HIV-Therapiestudien mit Abbruch der Phase-3-PrEP-Studien (NCT04652700, NCT04644029) soll die Entwicklung für die PrEP zumindest in der Dosis von 60 mg oral pro Monat nicht weiterverfolgt werden.
Eine Phase-2-Studie zu RPV-LA-PrEP (NCT02165202) wurde durchgeführt.23 Dieses Regime wurde jedoch nicht weiterverfolgt.
Auch Kombinationen von breit neutralisierenden monoklonalen Antikörpern (bnAbs) könnten für die PrEP interessant werden. Ihre Hauptprobleme bleiben aber die teils ungenügende Neutralisation von Wildtyp-Varianten24, der rasche Immun-Escape und die Pharmakokinetik, wobei letzteres lösbar erscheint. Die Notwendigkeit der parenteralen Gabe kann u.U. auch als Vorteil gesehen werden (s.o.). Um wirklich an Stelle der bisherigen PrEP-Regime in Frage zu kommen, müsste durch bnAb-Cocktails die Neutralisation von HIV-Varianten so verbreitert werden, dass der Effekt ähnlich umfassend ist wie der einer Chemo-PrEP.
Zusätzlich zu neuen Substanzen werden neue potenzielle Applikationsformen entwickelt (Abb. 4). Sie beinhalten überwiegend (aber nicht ausschließlich) bekannte antiretrovirale Substanzen, deren Pharmakokinetik im Sinne einer drastisch verlängerten Exposition verändert wird. Sollte es gelingen, Substanzen so zu applizieren, dass im Gegensatz zu CAB-LA ein langer pharmakokinetischer „Überhang“ im Falle eines Abbruchs verhindert werden kann (zum Beispiel durch Explantation), könnte eine solche PrEP tatsächlich eine attraktive Option für die fernere Zukunft darstellen. Sie könnte helfen, die Akzeptanz der PrEP weiter zu erhöhen.
Abb. 4 Innovative Applikationsformen
Es stellt sich mir für die Zukunft auch die vielleicht ketzerische Frage, ob nicht die Wirksamkeit der PrEP noch verbessert und das Risiko einer Resistenzentwicklung verringert werden könnte, wenn statt TDF/FTC oder CAB-LA eine der für die Initialtherapie der HIV-Infektion empfohlenen Ein-Tabletten-Kombinationen mit dem niedrigsten Resistenzrisiko verwendet würde (DTG/3TC oder TAF/FTC/BIC). Dem steht derzeit zweifellos das Argument hoher Kosten gegenüber, dessen Grundlage sich jedoch in der Zukunft verändern könnte.
Rolle der Adhärenz
Wie bei allen therapeutischen und prophylaktischen Maßnahmen ist die Adhärenz für den Erfolg von herausragender Wichtigkeit. Wird die TDF/FTC-PrEP in Phasen unterbrochen, in denen das Infektionsrisiko – möglicherweise wegen einer Fehleinschätzung der Anwender – weiter hoch ist, besteht nach einigen Tagen kein ausreichender Schutz mehr (s.o.). Eine Meta-Analyse von Gründen für einen Abbruch der PrEP ergab weniger Abbrüche in kontrollierten randomisierten Studien, bei Adhärenz-Interventionen und der Möglichkeit einer On-Demand-PrEP im Gegensatz zu einer kontinuierlichen Einnahme.25 Daten aus Afrika unterhalb des Saharagürtels zeigten eine erhöhte Abbruchrate. Es erscheint mir nicht plausibel, dass außerhalb klinischer Studien die Adhärenz durch eine injizierbare oder z.B. nur einmal monatlich einzunehmende orale PrEP per se höher sein sollte. Auch bei diesen PrEP-Formen gilt, dass Überschreitungen der Dosisintervalle ab irgendeinem Zeitpunkt in subinhibitorischen Substanzspiegeln und einem abnehmenden Schutz resultieren. Unter den langfristig zu niedrigen Spiegeln dürfte das Resistenzrisiko – abhängig von der genetischen Hürde – im Falle einer Infektion eher höher sein als unter den schneller abklingenden Tenofovir- und FTC-Spiegeln.
Meines Erachtens muss daher unter jeder PrEP die Aufrechterhaltung der notwendigen hohen Adhärenz ein wesentlicher Teil der ärztlichen Bemühungen sein. Sie erfordert eine flexible Kombination von Adhärenz-Interventionen, Kontrollen und Flexibilisierung des Einnahmemodus.
Optimale PrEP morgen
Nach meiner persönlichen Wunschliste sollte eine PrEP der Zukunft idealerweise aus einem Regime bestehen, das
- eine Wirksamkeit mindestens wie CAB-LA aufweist (also besser als TDF/FTC),
- im Falle eines PrEP-Versagens mit Resistenzentwicklung keine Einschränkung der Wirksamkeit einer antiretroviralen Therapie zur Folge hat,
- keine wesentliche akute, chronische, kumulative und v.a. keine relevante irreversible Toxizität aufweist,
- breit unabhängig von Alter, Geschlecht und Begleitmorbidität einsetzbar ist,
- in Schwangerschaft und Stillzeit für Mutter und Kind unbedenklich ist,
- keine relevanten Medikamenteninteraktionen mit häufiger Begleitmedikation hat,
- eine geringe Belastung im alltäglichen Gebrauch darstellt (Einnahmemodus, Tablettenzahl, Injektionsreaktionen, subjektive Nebenwirkungen, Logistik wie Terminbelastungen etc., keine limitierenden Kosten),
- auch im Falle einer teilweise autonomen Handhabung zuverlässig wirksam (z.B. On-Demand-PrEP) und
- kosteneffektiv ist.
Es ist sofort ersichtlich, dass weder TDF/FTC noch eine der möglichen zukünftigen Optionen vollständig diesen Anforderungen genügt. Weiterhin besteht also Spielraum für Innovation.
Allerdings stellt trotz der theoretisch vielfältigen Möglichkeiten das ökonomische Argument eine wesentliche Beschränkung dar. Die Hersteller müssen für neue PrEP-Regime berücksichtigen, dass ihre Vorteile gegenüber TDF/FTC erheblich sein müssen, um deutlich höhere Kosten aus Sicht deutscher Kostenträger als gerechtfertigt anzusehen. CAB-LA war TDF/FTC in der Verhinderung von Infektionen überlegen. Nach der Logik der klinischen Forschung wäre die Wirksamkeit von CAB-LA also die neue Bezugsgröße, an der sich zukünftige Ergebnisse orientieren müssten. Es bleibt zu hoffen, dass dies auch im Rahmen der Nutzenbewertung berücksichtigt wird.
Als Strategie verstehen
Angesichts der jüngst erneut negativen Ergebnisse einer großen Impfstudie (MOSAICO:26) erscheint mir eine breit wirksame HIV-Schutzimpfung fast so weit entfernt wie am Beginn der Pandemie. Auch von ihr wäre übrigens nach einmaliger Gabe keine dauerhafte Wirksamkeit zu erwarten, sodass das Adhärenzproblem damit nicht prinzipiell gelöst wäre. Es gibt also keinen Grund, auf eine Vakzine zu warten und die hoch wirksame Chemoprävention nicht breit einzusetzen. Dabei muss die PrEP m.E. nicht als Medikation, sondern als Teil einer Präventionsstrategie und nicht als Ersatz für klassische Prävention betrachtet werden. Die Wahl einer von hoffentlich zukünftig mehreren medikamentösen PrEP-Optionen ist davon nur ein Teil. Eine eingehende Aufklärung über die o.g. Aspekte gehört genauso dazu wie z.B. die zukünftige Implementierung von Recall-Systemen und andere adhärenzfördernde Interventionen, u.U. die Implementierung der Möglichkeit eines (zwischenzeitlichen) HIV-Selbsttests und die Verringerung der Zugangsschwellen zur PrEP für die Personen mit dem höchsten Risiko (mit u.U. Bereitstellung der PrEP vor Ort bzw. aufsuchende PrEP-Gabe, z.B. durch Pflegeteams). Dazu gehört auch die Berücksichtigung einer Suchtproblematik, die (z.B. bei Crystal Meth) zu einer inkonsistenten PrEP-Einnahme bei diesen Personen mit sehr hohem Risiko führen kann.27
Die Versorgungslogistik muss pragmatisch an das Ziel der möglichst weitgehenden Verhinderung von Infektionen angepasst werden. Das beinhaltet die Finanzierung dieser Ergänzungen zur reinen Medikamentenverschreibung durch Kostenträger und die gemeinsame Arbeit an einer flächendeckenden Bereitstellung der PrEP. Die oben ausgeführte Komplexität der PrEP bedeutet m.E., dass HIV-Behandlerinnen und -Behandlern auch in Zukunft die zentrale Rolle bei dieser wichtigen Aufgabe zukommen muss.
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7 Landovitz RJ et al. NEJM. 2021;385(7):595-609
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20 Eshleman Susan H. et al. CROI 2023, Seattle, Abstract 160
21 https://www.cdc.gov/hiv/pdf/risk/prep/cdc-hiv-prep-guidelines-2021.pdf
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25 Zhang J et al. Lancet HIV 2022; 9: e254-68
26 https://www.jnj.com/janssen-and-global-partners-to-discontinue-phase-3-mosaico-hiv-vaccine-clinical-trial
27 Moran A et al. CROI 2023 Poster 982