Interview mit Silke Klumb, Geschäftsführerin der Deutschen Aidshilfe (dah)
Eine Erfolgsgeschichte: 40 Jahre Deutsche Aidshilfe
Silke
Klumb
Geschäftsführerin
der Deutschen Aidshilfe Berlin
E-Mail:
geschaeftsfuehrung@dah.aidshilfe.de
40 Jahre Aidshilfe. Können Sie uns ein wenig Geschichtsunterricht geben? Wie kam es zur Gründung der Aidshilfe?
Klumb: In Reaktion auf die Aidskrise gründete sich im Sommer 1983 in Berlin die Deutsche A.I.D.S.-Hilfe – damals noch in Großbuchstaben. Gründungsmitglieder waren eine Krankenschwester und neun schwule Männer. Das Ziel damals: Informationen beschaffen und weitergeben, Kranke und Sterbende begleiten, Ausgrenzung entgegentreten. Bereits Ende 1983 wurde die erste Info-Broschüre gedruckt und verteilt.
Und dann wurden noch viele weitere Vereine gegründet …
Klumb: Ja, die Not war groß. Es
gab viele schwerkranke Menschen, man wusste nicht viel über die
Krankheit und es gab keine Versorgungsstrukturen. Deshalb gründeten
sich mit der Zeit viele regionale Vereine, neben
Beratungsstellen
auch Sozialdienste, Pflegeeinrichtungen und so weiter, die seit 1985
im Dachverband Deutsche Aidshilfe e.V. organisiert sind. Aktuell gibt
es 115 regionale Aidshilfe-Organisationen.
Was konnte die Aidshilfe bewegen? Was war ihr größter Erfolg?
Klumb: Es gibt so viele große Erfolge! Aber wenn Sie so fragen: Drei Aspekte zeichnen Deutschland in der Bewältigung der Aids-Krise in den 80er und 90er Jahre besonders aus. Erstens: In Deutschland wurde, dank der damaligen Gesundheitsministerin Rita Süssmuth, sehr früh auf eine Lernstrategie, sprich Aufklärung, gesetzt, und mit Community-Organisationen zusammengearbeitet. Dafür gibt es seit 1985 staatliche Fördergelder. Zweitens: Staatliche Stellen und Aidshilfe-Organisationen haben sich die Aufgaben geteilt und gut zusammengearbeitet. Die DAH hat, drittens, zielgruppen-spezifisch gearbeitet, und zwar für alle vulnerablen Gruppen.
Was ist das Ziel der Arbeit der Aidshilfen?
Klumb: Unsere primären Anliegen sind nach wie vor die HIV-Prävention und das Ende von Stigmatisierung und Diskriminierung HIV-positiver Menschen. Im Lauf der Zeit haben wir den Fokus erweitert auf Hepatitis und andere sexuell übertragbare Infektion. Das lag nahe, da sich die vulnerablen Gruppen überschneiden. Intravenös Drogen konsumierende Menschen beispielsweise gehörten schon ganz früh zu unseren Zielgruppen. Die erste Substitutionsambulanz in Deutschland wurde 1985 von der Aidshilfe in Frankfurt gegründet. Sexarbeiter*innen, Migrant*innen und Menschen in Haft gehörten ebenfalls von Anfang an zu unseren Zielgruppen.
Was charakterisiert die Arbeit der Aidshilfe?
Klumb: Das lässt sich vielleicht am besten so beschreiben: Es gibt keine Gruppen oder Menschen, die schwer zu erreichen sind – auf das richtige Angebot kommt es an. Wir beteiligen Menschen auf Augenhöhe. Wir akzeptieren unterschiedliche Lebenswelten. Wir vermitteln Wissen, damit Menschen selbst gut informiert Entscheidungen treffen können. Aber das ist nicht genug. Gesundheit wird ja nicht allein vom individuellen Verhalten bestimmt, sondern hängt auch von gesellschaftlichen Verhältnissen ab.
Was meinen Sie damit?
Klumb: Ein Beispiel: Wenn Drogen konsumierende Menschen strafrechtlich verfolgt werden, landen sie im Gefängnis. Dort haben sie keinen Zugang zu sterilen Spritzen, die vorhandenen werden also gemeinsam benutzt. Wenn Substituierte aus der Haft entlassen werden, entstehen Behandlungslücken – und damit neue riskante Konsumsituationen. Wenn es keine Drogenkonsumräume gibt, steigt das Risiko einer tödlichen Überdosis. Die Risiken sind von Politik und Gesellschaft gemacht.
Welche Rolle spielt Stigmatisierung?
Klumb: Eine große. Ein Krankenpfleger wird nicht zum HIV-Test gehen, wenn er Angst haben muss, seinen Job zu verlieren. Eine Frau wird ihrem Partner die Diagnose nicht mitteilen, wenn sie Angst hat verlassen zu werden. Wir wissen aus der Befragung positive stimmen 2.0, dass Menschen mit HIV teilweise aufgrund von Diskriminierungserfahrungen medizinische Leistungen nicht in Anspruch nehmen. Gesundheit hängt immer von sozialen, gesellschaftlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen ab. Die DAH nimmt daher eine gesundheitsbezogene Menschenrechtsperspektive ein.
In Deutschland hat sich in den letzten Jahren für vulnerable Gruppen, Minderheiten, Menschen mit HIV, queere Menschen viel zum Guten verändert. Wo sehen Sie noch Bedarf?
Klumb: Es gibt Verbesserungen, mehr Sensibilität – aber immer noch viel Diskriminierung. Wir erhalten täglich Berichte von Menschen mit HIV, die benachteiligt oder zurückgewiesen werden – insbesondere im Gesundheitswesen. Ein neues Dogma ist die Viruslast unter der Nachweisgrenze. Das Wissen von der Nichtübertragbarkeit von HIV hat eine große Entlastung gebracht. Jetzt aber werden Menschen mit HIV plötzlich immer häufiger nach ihrer Viruslast gefragt, auch wenn die gar nicht relevant ist.
Mittlerweile ist HIV eine gut behandelbare Erkrankung, die Lebenserwartung – bei rechtzeitiger Diagnose und Therapie – normal. Was sind die Ziele heute und morgen?
Klumb: Sie sagen es selbst: Wenn die Diagnose rechtzeitig gestellt wird und wenn Zugang zur Behandlung besteht. Das ist nicht immer der Fall. Es gibt nach wie vor viele späte Diagnosen in Deutschland. Viele Menschen ohne Aufenthaltspapiere oder Krankenversicherung haben keinen Zugang zur Therapie. Unsere wesentlichen Ziele sind gleich geblieben, auch wenn die Vorzeichen sich geändert haben. Unsere Arbeit wird zudem immer vielfältiger: Wir haben zum Beispiel über die Bedarfe bezüglich sexueller Gesundheit von Sexarbeiter*innen sowie von trans und nicht-binären Menschen geforscht, und bieten jetzt auch eine Ausbildung „Lebenswelt-orientierte Sexualberatung“ an.
HIV und Aids ist in den Medien nur noch Thema, wenn mal wieder über eine Heilung berichtet wird. Die Gelder werden immer knapper. Wie finanziert sich die DAH?
Klumb: Wir erhalten nach wie vor eine Förderung vom Bund aus dem Haushaltstitel für HIV/STI-Prävention sowie Gelder aus anderen Quellen wie Krankenkassen, Stiftungen und Spenden. Durch steigende Kosten und Inflation erleben wir faktisch Kürzungen unseres Budgets. Wenn die Gelder noch knapper werden, wird es zu massiven Einschnitten kommen. Das wäre dramatisch. Wer bei Prävention spart, muss das später teuer bezahlen.
Zum Schluss eine persönliche Frage. Sie sind seit 2010 Geschäftsführerin der Deutschen Aidshilfe. Was treibt Sie persönlich an?
Klumb: Auf unserer 40-Jahres-Feier in Berlin habe ich gesagt „Die Hoffnung, unsere kleine Welt besser machen zu können“. (lacht) Das war doch etwas euphorisch. Heute möchte ich es so formulieren: Mich begeistert die Community-Verbundenheit, wir arbeiten zusammen, wir halten zusammen und wir bewegen gemeinsam etwas, sei es auch noch so kleinschrittig, indem wir Menschen, die sonst keine öffentliche Stimme haben, eine geben – unsere und vor allem ihre eigene.