Interview mit Prof. Michael Zitzmann, Ukm Münster
Mythen und Fakten zur männlichen Menopause
Die nachlassende Vitalität und sexuelle Performance im Alter wird von vielen Männern als männliche Menopause interpretiert. Gibt es das „Klimakterium virile“?
Prof. Dr. med. Michael Zitzmann
Facharzt für Innere Medizin/Endokrinologie und Andrologie
Sexualmediziner (FECSM)
Zitzmann: Nein, das gibt es nicht. Frauen kommen ausnahmslos in die Menopause, weil in den Ovarien kein Östrogen mehr gebildet wird. Bei Männern dagegen sinkt der Testosteronspiegel im Alter nicht zwangsläufig ab. Wir haben die Testosteronspiegel von rund 200 gesunden 80jährigen Männern, d.h. kein Übergewicht, keine KHK, keine Krebserkrankung, keine Medikamente, usw. mit den Testosteronspiegeln von 20jährigen Männern verglichen und keine relevanten Unterschiede festgestellt. Die Erektionsfähigkeit hatte im Alter zwar abgenommen, der Testosteronspiegel und auch die Spermienzahl aber nicht.
Tab. 1 Kontraindikationen für Testosteron
Tab. 2 Mögliche Symptome bei Testosteron-Mangel
In vielen Artikeln ist von einem relativen Testosteron-Mangel, d.h. einem Abfall im „individuellen“ Normbereich die Rede, der behoben werden muss.
Zitzmann: Das kann man so nicht sagen und das wird auch von allen Internationalen und nationalen Leitlinien unterstützt. Es gibt keinen „physiologischen“ oder „funktionellen“ Testosteron-Abfall oder -Mangel bei gesunden älteren Männern. Ein Testosteron-Mangel, definiert durch ein Unterschreiten der anerkannten Grenzwerte, geht auf Erkrankungen zurück, die im Alter häufiger vorkommen. An erster Stelle sind hier Übergewicht, Diabetes und chronisch entzündliche Erkrankungen zu nennen. Das Bauchfett und inflammatorische Zytokine regulieren über die Hypophyse und die Leydischen Zellen im Hoden die Testosteronproduktion. Selbst bei einer Grippe sinkt der Testosteronspiegel, erholt sich aber schnell wieder.
Ab welchen Testosteron-Werten ist eine Substitution indiziert?
Zitzmann: Da sind sich die Leitlinien einig. Nicht behandlungsbedürftig sind Männer mit einem Gesamt-Testosteron über 12 nmol/l bzw. 3,4 ng/dl. Eine Grauzone ist der Bereich 12-8 nmol/l, hier kann man bei entsprechenden Beschwerden das Hormon substituieren. Obligat behandelt werden müssen Männer mit einem Testosteron-Wert <8 nmol/l, wenn keine Kontraindikation vorliegt.
Welche Symptome deuten auf einen Testosteron-Mangel?
Zitzmann: Libidoverlust und verminderte Antriebskraft sind die häufigsten Beschwerden. Die Männer klagen über Müdigkeit, verminderte Leistungsfähigkeit und weniger Lust auf Sex. Das kann sich mit sinkenden Testosteronspiegeln bis hin zur Depression steigern. In fortgeschrittenen Stadien sieht man zudem eine Anämie und Osteoporose.
Abb. 1 Viszerales Fett und die hypothalamisch-hypophysär-gonadale Achse
Wie geht man diagnostisch vor? Braucht man hier das ganze endokrinologische Spektrum?
Zitzmann: Für die Diagnose „Testosteron-Mangel“ ist in der Regel das Gesamt-Testosteron ausreichend. Wichtig ist hierbei die Blutabnahme nüchtern am Vormittag zwischen 8 und 11 Uhr. Hormone werden pulsatil ausgeschüttet, deshalb sind Testosteron Werte nachmittags um 30% niedriger und nicht verwertbar.
Im
Grenzbereich 12 bis 8 nmol/l kann man als Hilfe für die
Therapieentscheidung noch das freie Testosteron
heranziehen.
Dazu muss man das Sexualhormon-bindende Globulin bestimmen und den
Wert des freien Testosterons ausrechnen. Hier liegt die Grenze bei
243 pmol/l.
Und vor Beginn der Therapie sollte man nicht vergessen, die Ursache für den Testosteron-Mangel zu suchen, d.h. LH und FSH sollten bestimmt werden. Erhöhte Gonadotropine deuten auf einen Hodenschaden, nicht messbar niedrige Spiegel auf einen Hypophysen-Schaden. Inadäquat niedrige Testosteron- und Gonadotropin-Spiegel gehen meist auf Übergewicht zurück.
Welchen Effekt hat die Testosterongabe, wenn kein Mangel besteht? Junge Männer ohne Mangel nehmen Testosteron unter der Vorstellung Muskel und Potenz zu steigern. Was ist zu erwarten?
Zitzmann: Wenn ein gesunder Mann Testosteron zuführt, passiert eigentlich gar nichts, außer dass die Spermien verschwinden. Bei hohen Dosen, wie sie z.B. beim Bodybuilding missbraucht werden, kommt es zu einem besseren Muskelaufbau sowie zum Anstieg von Erythrozytenzahl und Hämatokrit. Ein Teil des Testosterons wird dabei in Östrogene umgewandelt. Deshalb sieht man bei manchen Bodybuildern auf dem M. pectoralis eine kleine Brustdrüse, wenn nicht Aromatosehemmer missbraucht werden, um die Östrogenbildung zu blockieren.
Auf welche Nebenwirkungen muss man bei der Testosteron-Substitution achten?
Zitzmann: Diskutiert werden seit langem ein erhöhtes Risiko für Prostatakarzinome und kardiovaskuläre Ereignisse. Hier gab es widersprüchliche Studiendaten. Die amerikanische FDA wollte das endgültig geklärt haben und es wurde die placebokontrollierte Studie TRAVERSE aufgelegt. An der Studie nahmen rund 5.000 Männer nach Herzinfarkt oder mit deutlich erhöhtem kardiovaskulären Risiko teil. Sie waren im Schnitt 60 Jahre alt, das Gesamt-Testosteron lag bei <9,1 nmol/l und sie hatten mindestens zwei Symptome.
Das Fazit der Studie: Die Testosteron-Substition erhöht weder das Risiko für Prostatakarzinome noch für schwere kardiovaskuläre Ereignisse. Bei den teritären Endpunkten fand man, dass sich Anämie, Depression und Zuckerstoffwechsel besserten. Allerdings entwickelten mehr Männer unter Testosteron Vorhofflimmern. Tiefe Beinvenenthrombosen und Lungenembolien waren insgesamt selten, aber unter Testosteron numerisch häufiger (40 vs 30).
Vielen Dank für das Gespräch