19th European Aids Conference, 18.-21. Oktober 2023, Warschau, Polen
Neue Leitlinien präsentiert
Der
europäische HIV-Kongress fand nach 20 Jahren zum zweiten Mal in
Warschau statt. Auf der Tagung wurden
Daten zu den aktuellen
Standardtherapien sowie zu neuen Substanzen in der Entwicklung
vorgestellt. Wie gewohnt wurden auch die aktualisierten europäischen
Leitlinien präsentiert.
Die Effektivität und Verträglichkeit der aktuell gebräuchlichen Regime konnten zahlreiche Kohorten aus europäischen Ländern bestätigen. In den Kohorten BICSTaR (B/F/TAF) ebenso wie in URBAN (DOL/3TC) wurden therapie-naive wie vorbehandelte Personen mit HIV über drei Jahre, in der Kohorte VICDOR (DOR+2NRTI) Vorbehandelte über ein Jahr beobachtet. Das Fazit der internationalen Kohorte BICSTaR: Gute virologische Wirksamkeit in allen Gruppen, gute Verträglichkeit, kein Abbruch wegen renalen oder Knochenproblemen, die meiste Gewichtszunahme bei Therapienaiven in den ersten sechs Monaten, geringe Lipidveränderungen (Sabranski M et al., eP.A.081). Das Fazit der deutschen URBAN-Kohorte: Gute virologische Wirksamkeit, ein Patient mit Low-Level-Virämie und INSTI-RAMs, minimale Veränderungen von Lipiden und Leberwerten, signifikante Verbesserung der Zufriedenheit mit der Therapie bei vorbehandelten Personen (Noe S et al. eP.A.072). Das Fazit der deutschen Kohorte VICDOR: Gute virologische Wirksamkeit und keine Gewichtszunahme (Rockstroh J et al., eP.A.043).
DoDo funktioniert
Machen Sie mit bei DoDo!
PD
Dr. med. Ulrich Seybold, MSc
Medizinische
Klinik und Poliklinik IV
Koordinator,
Zentrum für Klinische
Infektiologie
am LMU Klinikum - KLIK
Pettenkoferstr.
8a, 80336 München
E-Mail:
useybold@med.lmu.de
Seit 2019 betreuen nicht nur wir in der Ambulanz am Zentrum für Klinische Infektiologie am LMU Klinikum (KLIK) Menschen mit HIV-Infektion, die eine duale Therapie mit Doravirin und Dolutegravir („DoDo“) erhalten. Studiendaten zu dieser Kombination existieren allerdings praktisch keine. Daher versuchen wir seit 2021, PatientInnen für eine beobachtende, inzwischen multizentrische Kohortenstudie zu gewinnen, an der in Deutschland und Österreich bereits 8 Zentren aktiv teilnehmen. Insgesamt wurden bisher 91 Personen eingeschlossen. Neben Konferenzbeiträgen konnten wir bereits eine Analyse der bisher größten beschriebenen Fallzahl publizieren (Sammet et al., Infection 2023, DOI 10.1007/s15010-023-02075-y).
Ziel der Studie DoDo ist die Dokumentation einer möglichst großen Zahl von Teilnehmenden. Die Datenerhebung beschränkt sich auf wenige zentrale Werte und umfasst maximal 7 Zeitpunkte im Jahresabstand. Für die Antragsstellung bei der Ethikkommission leisten wir gerne logistische Unterstützung. Wenn auch Sie PatientInnen mit „DoDo“ betreuen, die Sie in diese Kohorte einschließen wollen, melden Sie sich bitte gerne jederzeit bei mir, ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit mit Ihnen!
In einer Kohorte aus Deutschland wurde ein weniger gebräuchliches duales Regime beobachtet: Dolutegravir+Doravirin (DoDo). 90 Personen mit HIV wurden auf DoDo umgestellt. 95% waren zu diesem Zeitpunkt komplett supprimiert. Sie waren lange vorbehandelt (21 Jahre), hatten viele Wechsel hinter sich (6 Regime) und dementsprechend auch viele RAMs (NRTI 52%, NNRTI 33%, INSTI 2%). DoDo war effektiv und gut verträglich. Wegen virologischer Probleme musste die Therapie nur bei drei Personen abgesetzt werden: 2x Low Level Virämie und 1x V106A (Sammet S et al., eP.A.022).
Tägliche Einnahme ist besser
Dagegen hat die intermittierende Einnahme eines dualen Regimes nicht gut funktioniert.
In der französischen DUETTO-Studie nahmen mindestens ein Jahr jeweils rund 200 supprimierte Personen (n=219) Dolutegravir/3TC (66%) oder Dolutegravir/Ripivirin (34%) vier Tage plus drei Tage Pause oder täglich ein. Nach einem Jahr waren 94% sowie 96% immer noch unter der Nachweisgrenze. Allerdings wurden unter intermittierender Einnahme acht Therapieversagen beobachtet im Vergleich zu keinem Versagen bei täglicher Einnahme. Der Schaden war nicht groß. 4/8 hatten eine Resistenz entwickelt, wobei es sich bei 2/4 um vorbestehende Resistenzen handelte. 7/8 Personen waren nach Wiederaufnahme der täglichen Einnahme wieder komplett supprimiert (Landman R et al., eP.A.106).
Dual bei anti-HBc Only?
Die Konstellation ist bei HIV-positiven Personen gar nicht so selten: HBs-Antigen negativ, anti-HBs negativ aber anti-HBc positiv als Zeiten einer Infektion mit dem Hepatitis B-Virus. Was passiert, wenn diese Personen von einem Regime mit zwei NRTI auf eine duale Therapie umgestellt werden? In einer italienischen Kohorte kam es bei 1/9 bei dieser Konstellation zu einer HBV-Reaktivierung mit einem Flare. Bei allen Personen waren vor der Umstellung keine HB-Viren nachweisbar gewesen (Bertoni C et al.).
Heilung
Von Heilung spricht man, wenn kein HIV mehr im Körper ist. Wenn das körpereigene Immunsystem HIV allein kontrollieren kann, wurde das bisher „funktionelle Heilung“ genannt. Der neue Begriff dafür lautet: „ART-frei HIV-Kontrolle“. Heiße Kandidaten auf dem Weg zu diesem Ziel sind aktuell breit neu-tralisierende Antikörper (bNABs) und Checkpoint-Inhibitoren/PD-1 Hemmer. Gilead Sciences präsentierte Daten, dass HIV in der akuten und frühen Phase der Infektion durch bNABs bzw. therapeutische Vakzine angreifbare Epitope aufweist (Selzer L et al., eP.A.124). ViiV Healthcare stellte Daten zur Sicherheit des neuen bNAB VH3810109 (N6LS) vor (Leone P et al., PS8.O5).
Checkpoint-Inhibitoren werden bereits routinemäßig in der Krebstherapie eingesetzt. PD-1 ist ein Rezeptor an „ausgebrannten“ Immunzellen, der die T-Zellaktivität supprimiert. Bei manchen Krebserkrankungen ebenso wie bei der chronischen HIV-Infektion sind die PD-1 Rezeptoren hochreguliert. Die Blockade könne latent HIV-infizierte Zellen aktivieren und für T-Zellen angreifbar machen.
In zwei kleinen Studien wurde dieser Ansatz mit dem PD-1 Inhibitor Budigalimab untersucht. Der PD-1 Hemmer verzögerte den Virus-Rebound bei 6/9 Teilnehmern, wobei 2/9 bis zur Datenauswertung sechs und 12 Monate nach Gabe immer noch ohne ART Virusfrei waren (Routy J-P et al., PS10.O3).
Neue Substanzen
Der Maturationsinhibitor GSK `254 war in zwei Dosisfindungsstudien im Hinblick auf Effektivität und Verträglichkeit mit Dolutegravir vergleichbar. Das Unternehmen sah daher keinen relevanten Vorteil, stoppte die geplanten Phase-3-Studien mit der oralen Formulierung, will die Substanz zur langwirksame ART weiter entwickeln (Joshi SR et al., RA2-O1/O2).
EACS-Leitlinien:
Was ist neu?
ANTIRETROVIRALE THERAPIE
Bei den empfohlenen Regimen hat sich gegenüber der vorherigen Version nichts geändert. Als Firstline wird ein INSTI ohne Booster plus 2 NRTI oder Dolutegravir plus Lamividin oder Tenofovir sein oder Doravirin plus 2 NRTI empfohlen. Alternativen sind Efavirenz, Rilpivirin oder ein Darunavir mit Booster jeweils plus 2 NRTI. Das duale Regime Dolutegravir/3TC kann auch nach PrEP-Versagen ohne vorherigen Resistenztest eingesetzt werden, aber nicht bei einer akuten HIV-Infektion. In dieser Situation ist ein 3er-Regime obligat.
SWITCH
Auf duale Regime inklusive der langwirksamen Spritzentherapie soll man nur mindestens Monate lang supprimierte Personen ohne historische Resistenz und ohne Hepatitis B umstellen. Als neue Option bei Therapieversagen wird Lenacapavir genannt, das in Europa ja leider nicht verfügbar ist.
SCHWANGERSCHAFT
Dolutegravir und TAF haben beide weder bei Konzeption noch in der Schwangerschaft einen negativen Einfluss. Abacavir sollte man dagegen nach Möglichkeit nicht mehr einsetzen. Stillen wird von der EACS nach wie vor nicht empfohlen, allerdings gibt es eine Fußnote zur individuellen Nutzen-Risiko-Abwägung.
PEP UND PrEP
Bei Oralverkehr mit Ejakulation kann bei MSM ohne PrEP oder unregelmäßiger PrEP-Einnahme eine PEP erwogen werden, wenn der Partner virämisch ist. Menschen unter PrEP sollten gegen Hepatitis A und B, gegen HPV und MPox geimpft sein. Eine Doxy-PEP kann man auf individueller Basis Personen mit häufigen STI anbieten.
OPPORTUNISTISCHE INFEKTIONEN
Neues bevorzugtes Regime für die Behandlung der zerebralen Toxoplasmose ist neuerdings TMP-SMX. Bei der Kryptokokken-Meningitis wurde analog den WHO Leitlinien liposomales Amphotericin B plus Fluconazol als gute Wahl für finanziell schwache Länder empfohlen.
Die ART sollte bei opportunistischen Infektionen „sobald als möglich innerhalb von zwei Wochen nach Beginn der Behandlung der OI“ eingeleitet werden. Ausnahmen: Bei Kryptokokken-Meningitis frühester ART-Beginn nach vier Wochen und bei tuberkulöser Meningitis nach 4 Wochen, es sei denn bei Personen mit CD4<50//μl ist eine optimale TB-Therapie und Überwachung gewährleistet.
PROMs
Ein neues Kapitel befasst sich mit Patient reported outcome measures (PROMs), Fragebögen, die Beschwerden und Lebensqualität von Patienten erfassen. PROMs sollen nach Meinung der EACS den Dialog von Arzt/Ärztin und Patient/Patientin erleichtern, die Aufmerksamkeit beider im Bezug auf die eigene Gesundheit erhöhen, zu Patienten-zentrierter Behandlung führen und Patient/Patientin im Gespräch stärken.