Community Cure Meeting, Boston, 02.03.2014
Das „Community Cure Meeting“ am Rand der CROI hat inzwischen schon Tradition. Bereits zum dritten mal gab es schon vor dem eigentlichen Konferenzbeginn einen exzellenten Überblick wo wir stehen und welche Herausforderungen noch zu bewältigen sind.
Die beiden „Bostoner Patienten“ – aus Fehlschlägen viel gelernt
Timothy Henrich gab einen Überblick über die beiden „Bostoner Patienten“, die beide auf Grund einer malignen Erkrankung (Hodgkin bzw. B-Zell-Lymphom, zusätzlich zu ihrer HIV-Infektion) eine allogene Stammzelltransplantation erhielten. Das Spender-Knochenmark hatte (im Gegensatz zum „Berliner Patienten“ keine CCR5-Deletion und die Patienten erhielten nur ein „reduced intensity conditioning“, d.h. keine Bestrahlung, keine Anti-Lymphozytenserum und Chemotherapie in verringerter Dosierung. Beide Patienten waren vor der Transplantation CCR5-heterozygot, was normalerweise mit einer langsameren Progression der HIV-Erkrankung einhergeht.
Beide Patienten wurden nach der Stammzelltransplantation intensiv nachbetreut und –beobachtet. Bei Patient A war etwa 100 Tage nach der Transplantation in Blut- und Gewebeproben keinen HIV-RNA oder –DNA mehr nachweisbar, bei Patient B dauerte es rund 300 Tage.
Nach eingehender Risikoabwägung und Beratung des Patienten entschied man sich, die Therapie (TDF/FTC/EFV bei Pat. A) nach 4,5 Jahren abzusetzen. Bei Patient B wurde nach 2,8 Jahren die Behandlung bestehend aus TDF/FTC/RAV beendet. Zunächst sah alles wunderbar aus, alle Testergebnisse lieferten immer wieder „target not detected“, doch schließlich begann sich das Virus in beiden Patienten wieder zu vermehren. Bei Patient A nach 100 Tagen, bei Patient B erst nach 220 Tagen. Die virale Kinetik entsprach dabei einer Erstinfektion, d.h. die Viruslast stieg innerhalb wenige Tage stark. Daraufhin wurde die ART sofort wieder begonnen. Unglücklicherweise nahm Patient A seine Therapie nur drei Tage ein und setzte sie dann selbst wieder ab. Dies führte zu einem weiteren Anstieg der Viruslast und der Ausprägung einer K103N Mutation. Mit einer neuen Therapie gelangte die Viruslast aber schließlich, ebenso wie bei Patient B, schnell wieder unter die Nachweisgrenze.
Neues Immunsystem – zweite Chance auf Heilung?
Da beide Patienten durch die Stammzelltransplantation praktisch ein „neues“ Immunsystem haben (d.h. naiv in Bezug auf HIV), haben sie auch keine Immunantwort gegen HIV. Es handelt sich also im Prinzip um eine Primärinfektion, die extrem früh behandelt wurde. Deshalb könnten die Patienten in einigen Jahren möglicherweise eine erneute Therapieunterbrechung wagen, in der Hoffnung, dass sie – ähnlich wie die Patienten der VISCONTI-Kohorte- „Post-Treatment-Controller“ werden.
Doch was war beim geheilten „Berliner Patienten“ eigentlich der ausschlaggebende Faktor? Die full-dose-Chemotherapie wohl nicht, da es bei Patienten, die damit behandelt wurden, nur zu einer vorrübergehenden Abnahme von HIV-RNA und –DNA kommt.
Möglicherweise spielt die Graft-versus-Host-Reaction (GvHR, d.h. die transplantierten Immunzellen erkennen den neuen Wirtskörper als fremd , vor allem die noch vorhandenen Immunzellen, und bekämpft sie. Man versucht, die Dosis der Immunsuppressiva so zu wählen, dass zwar restliche Immunzellen, die möglicherweise noch HIV enthalten, abgetötet werden aber der Rest des Körpers nicht geschädigt wird). Beide Bostoner Patienten hatten eine akute oder frühe chronische GvHR und kleine virale Blips noch Monate nach der Stammzelltransplantation , möglicherweise als Folge des Untergangs von Zellen, T-Zell-Aktivierung und / oder Virusproduktion als Ergebnis der GvHR.
Beide Patienten entwickelten keine HIV-spezifischen Antikörper, vermutlich weil die Therapie so schnell wieder begonnen wurde, dass das neue Immunsystem gar keine Zeit hatte, zu reagieren. Eine Sequenzanalyse des wieder aufgetauchten Virus zeigte, dass es das ursprüngliche Virus war (also keine Re-Infektion) und dass es von nur wenigen Zellen, möglicherweise einer einzigen, ausging.
Testproblem: Was bedeuten grenzwertig positive Ergebnisse?
Bei einem Patienten sah man kurz vor der Therapieunterbrechung ein grenzwertig positives Signal beim Test auf virale DNA. Man entschied sich, dies als Artefakt zu werten, da alle anderen Tests nach wie vor kein Virus nachweisen konnten. Dies zeigt ein grundsätzliches Problem dieser Tests: Je empfindlicher sie werden, desto anfälliger werden sie auch für Fehler und damit falsche Resultate.
Vor der Stammzelltransplantation fand man bei Patient A 144 Kopien HIV-DNA pro 106 T-Zellen, bei Patient B waren es 96 Kopien. Ausgehend von der Nachweisgrenze der verwendeten Tests berechnete man, dass zum Zeitpunkt der Therapieunterbrechung Patient A noch zwischen 290 und 2.900 HIV-infizierte beherbergte, und deshalb, nach einem mathematischen Modell, die Chance für eine komplette Heilung zwischen 0 und 3% lag. Die Zeitdauer bis zum Wiederanstieg der Viruslast sagte das Modell mit 8-52 Wochen vorher. Bei Patient B waren es noch 40-730 infizierte Zellen, 0-65% Heilungswahrscheinlichkeit und 28-165 Wochen bis zum Wiederanstieg.
Wann ist man geheilt?
Damit decken sich die beobachteten Zeiten gut mit den Vorhersagen aus dem mathematischen Modell. Mit anderen Worten: Wenn nur noch wenige infizierte Zellen im Körper sind, kann es Monate, vielleicht sogar Jahre dauern, bis diese Zellen zufällig aktiviert werden und die Virusproduktion von neuem beginnt. Das ist ein weiterer Grund, warum es so schwer ist, einen Patienten endgültig als „geheilt“ anzusehen.
Maria Buzon: Understanding HIV Reservoirs
Maria Buzon gab einen Überblick über die Mechanismen, die der viralen Latenz zu Grunde liegen. Die (möglicherweise vorhandene) resisduelle Vermehrung von HIV und die latente Infektion werden beide durch Immunaktivierung / Entzündung begünstigt.
Wenn eine naive T-Zelle aktiviert wird, beginnt sie sich zu teilen und zu differenzieren: Zunächst in T-Memory-Stammzellen (TSCM), dann Central-Memory-T-Zellen (TCM), Effektor-Memory-T-Zellen (TEM) und schließlich terminal differenzierte Effektor-T-Zellen (TTD). Die TSCM wurden erst vor kurzem entdeckt. Sie haben den höchsten HIV-DNA-Gehalt aller dieser Zellen, aber da ihre Zahl vergleichsweise gering ist, ist der Beitrage der TEM zum Gesamtpool an HIV-DNA am größten. Je länger aber die Dauer der ART, desto größer wird der Beitrag der TSCM, da sie langlebiger sind als die TEM. Diese Memory-Stamm-zellen sind also ein besonders langlebiges Reservoir für HIV, das entscheidend zur Persistenz beiträgt und die Eradikation erschwert.
Eine Analyse der VISCONTI-Patienten (mit sehr frühem Therapiebeginn) zeigte, dass sie ein deutlich kleines Reservoir haben als Patienten, die erst in der chronischen Phase mit der Behandlung begannen. Solche früh therapierten Patienten könnten deshalb attraktive Kandidaten für weitere Studien zur Heilung sein.
Anschließend wurden einige Daten von Studien mit dem HDAC-Inhibitor Panobinostat vorgestellt. HDAC Inhibitoren „wecken“ latentes HIV so dass die infizierte Zelle entweder vom Immunsystem oder entsprechenden Medikamenten vernichtet werden kann – so zumindest die Theorie.
HDAC-Inhibitoren: Nur bei einem Teil der Patienten wirksam?
Insgesamt gab es keine signifikanten Unterschiede im HIV-DNA-Gehalt von Zellen vor und nach einer Behandlung mit Panobinostat. Allerdings zeigte sich bei einer Untergruppe der Patienten („Responder“) eine deutlich Abnahme des HIV-DNA-Gehalts, vor allem in TSCM- und TEM-Zellen, also genau den Zellen, die hauptsächlich für das Reservoir von HIV verantwortlich sind. Nun suchen die Forscher nach den Faktoren, die Patienten zu Respondern machen um dann weitere Schritte in klinischen Studien zu überprüfen.
Romas Gelezunias von Gilead Sciences berichtete über „Concepts of Combination Therapy for HIV eradication“. Er schlug folgende Vorgehensweise(n) vor:
- Aktivierung der HIV-Expression in latent infizierten Zellen
- HDAC-Inhibitoren
- PKC (Protein-Kinase C) Aktivatoren
- Eliminierung von Zellen, die aktiv HIV produzieren
- Therapeutische Impfstoffe
- Monoklonale Antikörper, bispezifische Antikörper, ADC (Antibody-Drug-Conjugate)
- Immunmodulatoren (TLR7 agonist)
- Kombinationen der o.g. Methoden
Bei den HDAC-Inhibitoren ging erkurz auf die Nachteile von Vorinostat ein (zu schwacher Aktivator der HIV-Vermehrung). Auch Panobinostat (entwickelt von Novartis) erwähnte er nur kurz und konzentrierte sich auf Romidepsin, einen HDAC-Inhibitor der von Celgene entwickelt wurde und bereits ein FDA-Zulassung für die Behandlung des kutanen T-Zell-Lymphoms hat. Sein großer Vorteil gegenüber Vorinostat/Panobinostat ist, dass es die HDAC-Enzyme wesentlich länger hemmt und deshalb HIV effektiver aus der Latenz reißt. Außerdem ist es im Ames-Test nicht positiv (d.h. nicht mutagen und deshalb weniger bedenklich hinsichtlich einer Malignität). PKC-Aktivatoren sind zwar sehr effektive Aktivatoren der HIV-Vermehrung, allerdings sind die momentan verfügbaren Substanzen noch zu toxisch für den Einsatz bei HIV.
Renaissance der therapeutischen Impfung?
Große Hoffnungen setzt man in neu entwickelte, vom CMV abgeleitete Vektoren. Ein solcher therapeutischer Impfstoff konnte im Tierversuch zwar nicht vor einer Infektion mit einem hochpathogenen Stamm von SIV schützen, aber anschließend waren 6 von 12 Tieren in der Lage, die Infektion zu kontrollieren (d.h. die Viruslast ohne Behandlung unter der Nachweisgrenze zu halten) und nach drei Jahren war bei diesen Tieren kein Virus mehr nachweisbar. Sind diese Tiere also geheilt? Noch ist es zu früh, davon auszugehen, siehe oben. Jedenfalls ruft dieser Vektor eine ungewöhnlich breite CD8-Antwort hervor (d.h. die Zellen erkennen sehr unterschiedliche Virusvarianten). Eine solche Immunantwort hat man bisher mit noch keinem anderen Vektor gesehen.
Neue Antikörper, neues Glück?
Auch bei den Antikörpern gibt es eine neue Generation breit neutralizierender Antikörper, die von „Elite-Neutralisierern“ isoliert wurden und 70-98% der geprüften HIV-Isolate neutralisieren können. Diese Antikörper erkennen das virale gp120. Sobald der Antikörper gebunden hat, gibt es mehrere Möglichkeiten:
- Antibody-dependent cell cytotoxicity ADCC (Das Virus bzw. die Zelle wird für die Zerstörung durch Killerzellen markiert)
- Antibody-dependent cell phagocytosis ADCP (Das Virus bzw. die Zelle wird für die Verdauung durch Fresszellen markiert)
- Antibody- and Complement dependent cytotoxicity ADCD (Das Virus bzw. die Zelle wird für die Zerstörung durch das Komplementsystem markiert, ein mehrstufiges Kaskadensystem ähnlich dem Blutgerinnungssystem das letztendlich Löcher in Zellmembranen bohrt und damit Zellen und Pathogene unschädlich macht).
Im Rhesusaffenmodell konnte eine einzige Infusion solcher Antikörper die Viruslast tagelang unter der Nachweisgrenze halten (bis der Antikörper abgebaut war). Es gab weder Resistenzen noch Verträglichkeitsprobleme. Die Tiere mit den niedrigsten Viruslast vor Therapie zeigten sogar eine anhaltende Viruslastsenkung (Heilung?)
- Bispezifische Antiköper erkennen mit einem Arm gp120 und binden mit dem anderen Arm an den T-Zell-Rezeptor von T-Zellen in der Nachbarschaft. Die Bindung eines Antikörpers an den T-Zell-Rezeptor ist ein sehr starkes Aktivierungssignal für diese Zelle, völlig unabhängig davon, welches Antigen sie normalerweise erkennen würde.
- Toll-like Rezeptoren (TLR) sind eine Gruppe von Molekülen des angeboren Immunsystems, die eine Vielfalt von Pathogenen erkennen können und die zur Aktivierung von CD8- und NK-Zellen führen. GS9620 von Gilead ist ein starker und selektiver Aktivator von TLR7 und könnte in Zukunft zusammen mit z.B. Romidepsin eingesetzt werden, um dessen Wirkung zu verstärken.
Vorbild Natur
Die Natur selbst benutzt zur Bekämpfung der meisten Infektionen einen Kombinationsansatz aus humoralem Immunsystem (Antikörper) und Abwehrzellen. Vielleicht ist es also gar nicht so dumm, diesen Ansatz nachzuahmen: Ein therapeutischer Impfstoff um die Abwehrzellen scharf zu machen, Medikamente um die virale Latenz zu durchbrechen und die infizierten Zellen für das Immunsystem sichtbar zu machen und neutralisierende Antikörper die möglicherweise auch Stellen erreichen, an die die Abwehrzellen nicht vordringen können.
Schließlich berichtete Remi Fromentin noch über die „potential role of PD-1 in the establishment and maintenance of HIV latency in CD4-cells“.
PD-1 ist einer von mehreren “immune checkpoint blockers” (ICB), die negative Regulatoren der T-Zell-Aktivierung , Proliferation und Zytokinproduktion sind. Man nimmt an, dass durch die Verhinderung der T-Zell-Aktivierung durch ICBs die virale Latenz ermöglicht und aufrecht erhalten wird. PD-1 ist also eine Art „Bremsblock“ für T-Zellen, der ihre Aktivierung verhindert. Deshalb werden PD-1-Blocker in der Onkologie verwendet. Sobald die „Bremse“ gelöst wird, werden die T-Zellen aktiviert und bekämpfen die Krebszellen.
Mehr PD-1, größeres Reservoir?
Fromentin zeigte, dass nach einer HIV-Infektion die PD1-Expression von CD4-Zellen erhöht ist und mit der Größe des HIV-Reservoirs korreliert. PD-1-positive Zellen enthalten mehr HIV-DNA. In ersten Studien führte die Zugabe von PD-1-Antikörpern zu Zellen von chronisch HIV-Infizierten zu einer verstärkten Virusfreisetzung. Man will deshalb den Einsatz dieser Wirkstoffe weiter prüfen.