Prävention, Epidemiologie und Infektiosität unter ART
Zusammenfassung der Session 0-3
Nikos Pantazis: “Temporal Trends in Prognostic Markers of HIV-1 Virulence and Transmissibility”
Immer wieder wird diskutiert, ob HIV-1 im Laufe der Zeit virulenter und / oder leichter übertragbar geworden ist. Die hierzu verfügbaren Daten sind widersprüchlich. Nun wurde versucht, der Frage mit Daten der CASCADE-Kohorte nachzugehen. Untersucht wurden die Daten von 15.875 Patienten, die bei Serokonversion älter als 15 Jahre waren, sich vor 2009 infiziert hatten und von denen mindestens eine Viruslast- und CD4-Zellbestimmung vorlag. Die Ergebnisse überraschen:
- In den letzten 30 Jahren (von 1980 bis 2004) verringerte sich die Zeitspanne von der Infektion bis zu einem CD4-Wert von unter 350/µl von 7 Jahren auf 3,4 Jahre.
- Im selben Zeitraum stieg der virale Set-Point um 0,4 log an.
- Dies entspräche einem 44%igem Anstieg in der Übertragbarkeit.
Hong Ha M. Truong: „Transmission Clusters, Recent Infection and STIs Among New HIV Cases: Implication for Prevention“
In dieser Untersuchung aus San Francisco wurden die Daten von 1.311 neu diagnostizierten HIV-Infizierten ausgewertet. Es zeigte sich, dass bei einem Viertel dieser Fälle auch eine kürzlich zurückliegende sexuell übertragbare Infektion festgestellt worden war. Mehr als die Hälfte der Neuinfektionen war auf ein Übertragungsnetzwerk („transmission cluster“) zurückzuführen, das heißt, mehrere Personen infizierten sich nacheinander ( AàBàCà) oder eine Person infiziert mehrere andere (AàB,C,D). Wahrscheinlich ist dieser Anteil in Wirklichkeit sogar noch höher, da eine Übertragung von Personen, die nicht in dieser Untersuchung vertreten war, auch nicht erfasst werden konnte.
Chasity D. Andrews: „Correlating GSK1265744 Plasma Levels To Prevention of Rectal SHIV Transmission in Macaques“
GSK744 (so die Kurzform) ist eine leicht modifizierte Form von Dolutegravir, die als Nanosuspension für die i.m. Verabreichung entwickelt wird. Bei einer Gabe von 800mg i.m. (zwei Spritzen á 2ml) bleiben die Plasmaspiegel für mindestens 12 Wochen überhalb der 4fachen IC90 (korrigiert für die Bindung an Plasmaproteine, PAIC90). In Makaken ist die Pharmakokinetik anders, bei diesen Tieren müssen 50mg/kg verabreicht werden. In der Untersuchung an 16 Tieren mit wöchentlichen rektalen Expositionen („rectal challenge“) ergab sich ein 100%iger Schutz, wenn die Wirkstoffspiegel über der 3fachen PAIC90 lagen, bei Werten über der einfachen PAIC90 lag die Schutzwirkung immerhin noch bei 97%. Auf Grund dieser Daten werden im Frühjahr 2014 Phase-2-Studien am Menschen beginnen.
Jessica Radzio: „Monthly GSK744 Long-Acting Injections Protect Macaques Against Repeated Vaginal SHIV Exposures“
Die Konzentration von GSK744 im vaginalen Sekret ist deutlich geringer als im analen (cmax im Plasma 3,4 µg/ml, im Analsekret 2,2 µg/ml, im Vaginalsekret 0,9 µg/ml). Monatliche Injektionen konnten die Tiere dennoch vor einer Infektion bei vaginaler Exposition schützen.
Beatrice A. Chen: „Safety and Pharmacokinetics/Pharmacodynamics of Dapivirine and Maraviroc Vaginal Rings“
Bisherige Studien, bei denen die PrEP täglich oral genommen oder vaginal appliziert werden musste, hatten eher enttäuschende Ergebnisse, da die Adhärenz nicht optimal war. Vaginalringe sind eine attraktive Option, da sie wenig Aufwand erfordern, eine diskrete Anwendung ermöglichen und mehrere Substanzen über längere Zeit eingesetzt werden können. In dieser Untersuchung wurden Vaginalringe mit Plazebo, 25 mg Dapivirin (einem NNRTI), 100 mg Maraviroc sowie 25 mg Dapivirin plus 100 mg Maraviroc verglichen. Dabei blieb der Ring 28 Tage eingesetzt. Untersucht wurden 48 HIV-negative, sexuell abstinente Frauen im Alter von 18-40 Jahren. Die Verträglichkeit war gut. Die Dapivirin-Spiegel in Cervix-Biopsien nach 28 Tagen lagen mehr als 10fach über der IC90, während Maraviroc kaum nachweisbar war. Ex-vivo wurden Infektionsversuche mit dem Biopsiematerial gemacht. Dabei korrelierten die gefundenen Spiegel von Dapivirin mit der Schutzwirkung, die Maraviroc-Spiegel waren dafür zu gering.
Katherine E. Bunge: „FAME-02: A Phase I Trial to Assess Safety, PK and PD of Gel and Film Formlations of Dapivirin“
Neben dem Einsatz in Vaginalringen werden noch weitere topische Anwendungsformen von Dapivirin erprobt: Als Gel und Film
Film und Gel wurden bei 60 Frauen mit den entsprechenden Plazebos verglichen. Mit dem Film wurden Wirkstoffspiegel erreicht, die der des Vaginalrings entsprachen aber etwas niedriger lagen als beim Gel. Einige Frauen beklagten die etwas schwierige Handhabung (der Film klebte scheinbar schon an den Fingern), so dass diese Darreichungsform wohl noch weiter optimiert werden kann.
Jared Baeten: „Single Agent TDF Versus Combination FTC/TDF PrEP Among Heterosexual Men and Women”
Bisherige Studien mit oraler PrEP haben entweder TDF alleine oder die Kombination aus TDF und FTC (Truvada®) untersucht. Dabei waren die gefundenen Unterschiede statistisch nicht signifikant. Dies sollte in einer Verlängerung der Partners PrEP-Studie näher untersucht werden. Die Studie begann im Juli 2008, im Juli 2011 empfahl das DSMB eine Entblindung, da der Vorteil von TDF bzw. TDF+FTC gegenüber Plazebo signifikant war. Danach wurden die bisherigen Plazebo-Empfänger erneut randomisiert und erhielten nun TDF oder TDF+FTC bis zum Ende der Studie im Dezember 2012. Insgeamt konnten 8.791 Personenjahre ausgewertet werden, in der TDF-Gruppe kam es zu 31 Infektionen, in der TDF+FTC-Gruppe zu 21 was einer HIV-Inzidenz pro 100 Personenjahren von 0,7 bzw. 0,48 entspricht. Der Unterschied war nicht statistisch signifikant. Auch bei Subgruppenanalysen ergab sich kein signifikanter Vorteil für die Kombination.
Ariane van der Straten: „Divergent Adherence Estimates With Pharmacokinetik and Behavioral Measures in VOICE (MTN003)“
Bekanntlich versagte die PrEP in der VOICE-Studie kläglich – schlicht und einfach deshalb, weil die Frauen das Gel nicht anwendeten bzw. die Pillen nicht schluckten. Obwohl sie selbst die Anwendung dokumentierten bzw. bei Interviews zu Protokoll gaben, entsprach dies nicht der Realität (bzw. der Spiegelmessung). Für die Korrelation von Adhärenz zu Wirkung benötigen wir also dringend objektive Marker.
DAS HIGHLIGHT: Alison Rodger: „HIV transmission risk through condomless sex if the HIV positive partner is on suppressive ART: PARTNER Study”
Das Risiko einer HIV-Übertragung bei Kontakt mit einer HIV-positiven Person mit einer Viruslast unter der Nachweisgrenze wird immer noch unterschiedlich eingeschätzt. Bis jetzt gab es nur sehr begrenzte Daten aus Paar-Untersuchungen (330 Paar-Jahre), noch dazu kaum Daten für MSM.
In die Studie wurden (und werden) Paare aufgenommen, die Sex ohne
Kondome praktizieren, weder PrEP noch PEP anwenden wobei der infizierte Partner
in den letzten 12 Monaten eine Virulast unter 200 Kopien/ml hatte. Bis 1.11.2013 wurden 1.100 Paare rekrutiert. Die Daten von
767 Paaren (894 Follow-Up-Jahre, d.h.
mehr als doppelt so viel wie die bisherige Datenbasis!) wurden ausgewertet. Das
Ergebnis ist schnell dargestellt: Es kam zu keiner „linked transmission“, d.h.
zu keiner Übertragung vom HIV-positiven auf den HIV-negativen Partner.
Auf Grund der Tücken der Statistik (d.h. der Breite des Konfidenzintervalls, siehe Bild) muss man dennoch vorsichtig mit Schlussfolgerungen sein. Um die Unsicherheit noch weiter verringern zu können, sollten die endgültigen Ergebnisse der Studie, die noch bis 2017 läuft, abgewartet werden. Nach ihrer Einschätzung gefragt, meinte Alison Rodger: „Our best guess: The risk is zero.“