INTERVIEW MIT DR. TILL NEUMANN
Jeder zweite HIV-Patient ist herzkrank
So lautete die Überschrift eines Artikels in der Ärztezeitung vom 19. April 2007. In dem Bericht hieß es, Kardiologen hätten künftig zunehmend mit HIV-Patienten zu tun, denn die Häufigkeit HIV-assoziierter Herzkrankheiten werden steigen. Hintergrund des Beitrags war die Präsentation der HIV-HEART-Studie auf dem Kardiologen-Kongress in Mannheim. HIV&more sprach mit dem Referenten Dr. Till Neumann vom Westdeutschen Herzzentrum.
Auf der Frühjahrstagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie haben Sie gesagt, jeder zweite HIV-Patient sei herzkrank. Ist die Lage wirklich so dramatisch?
Dr. Neumann: Die Daten, die ich dort präsentiert habe, stammen aus der HIV-HEART-Studie. Im Rahmen dieser Untersuchung fand sich bei der Echokardiographie bei knapp 50% der Patienten eine systolische oder diastolische Herzinsuffizienz. Der Anteil symptomatischer Patienten war mit ca. 20% allerdings deutlich geringer. In der Mehrzahl lagen geringe bis mittelgradige Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit vor.
Welche klinische Relevanz haben diese Befunde?
Dr. Neumann: Die HAART hat das Leben der HIV-Patienten deutlich verlängert. Welche Nebenwirkungen und Folgeerkrankungen diese Langzeittherapie auf das Herz hat, wissen wir noch nicht. Deshalb haben wir im Oktober vergangenen Jahres eine Nachbeobachtung in der HIV-HEART-Studie gestartet. Im Abstand von zwei Jahren werden bei jedem Patienten nochmals eine Echokardiographie, ein EKG und ein Sechsminuten-Gehtest durchgeführt.
HIV-HEART-Studie
Die HIV-HEART-Studie untersucht Prävalenz, Risikofaktoren und Verlauf der dilatativen Kardiomyopathie bei HIV-Infizierten. Sie wird unterstützt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Kompetenznetz Herzinsuffizienz. An dem Projekt, das 2004 startete, haben HIV-Behandler im Raum Dortmund, Essen, Duisburg, Mühlheim und Bochum sowie 800 ambulante HIV-Patienten teilgenommen.
Soll man jetzt schon auf Herzinsuffizienz screenen?
Dr. Neumann: Asymptomatische Patienten engmaschig zu screenen, das wäre noch zu früh. Aber bei Patienten mit Dyspnoe und/oder Zeichen einer eingeschränkten körperlichen Belastbarkeit sollte man an das Herz denken und eine Echokardiographie bzw. einen Gehtest veranlassen. Hilfreich zur Differenzierung zwischen kardialer und pulmonaler Luftnot ist außerdem das BNP (B-Typ Natriuretisches Protein).
Was weiß man über die Genese der Herzinsuffizienz bei HIV-Infizierten?
Dr. Neumann: Die Genese ist vermutlich vielschichtig. In unserer Untersuchung hatten - im Gegensatz zu älteren Arbeiten - die CD4-Zahl und die Viruslast keinen Einfluss. Als mögliche Ursachen werden derzeit die mitochondriale Toxizität von antiretroviralen Substanzen, eine Störung des Calciumstoffwechsels durch gp120 sowie der Einfluss von opportunistischen Infektionen und Ernährungsfaktoren diskutiert.
Welche Rolle spielen die "klassischen" Risikofaktoren?
Dr. Neumann: Sicherlich spielt das Alter eine wichtige Rolle. HIV-Patienten werden immer älter. Das Durchschnittsalter in HIV-HEART lag bei 46 Jahren. Die anderen Haupt-Risikofaktoren KHK und Hypertonie korrelierten in der Studie nicht mit der Herzinsuffizienz. Doch sie werden in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Die Entwicklung der Atherosklerose auf dem Boden von Risikofaktoren wie Rauchen und Stoffwechselerkrankungen, die bei HIV-Patienten ja weit verbreitet sind, dauert viele Jahre.
Herr Dr. Neumann, vielen Dank für das Interview
Dr. Till Neumann · Email: till.neumann@uk-essen.de