EVA WOLF UND HANS JÄGER, MÜNCHEN
Bundesweite DAGNÄ-Studie 50/2010:
Die ältere Patientin, der ältere Patient

Nach einem Jahr Vorbereitung startet die Untersuchung 50/2010 im III. Quartal 2008. Vierzig Schwerpunktpraxen und Ambulanzen werden über 2 Jahre (bis 2010) Daten zur Gesundheit von HIV/AIDS-Patienten, die über 50 Jahre alt sind, sammeln. In 6-Monatsabständen werden 250 HIV-Patienten mit zwei HIV-negativen Kontrollgruppen, die jeweils die gleiche Größe haben, verglichen (Gesamt n = 750). Pro Zentrum sollen maximal 30, mindestens aber 15 Patienten in die Untersuchung eingeschleust werden.

Neben AIDS-typischen Komplikationen werden bei HIV-Patienten zunehmend nicht-AIDS-definierende Ereignisse sowohl aus dem Herz-Kreislauf- und Malignombereich, als auch aus anderen Krankheitsentitäten berichtet.1-5


Dynamometer zur Messung der Griffstärke

Die HIV-Erkrankung selbst ist in immunologischer und phänomenologischer Hinsicht als vorzeitiger Alterungsprozess beschrieben worden.6 Innerhalb der nächsten 5-10 Jahre werden über die Hälfte der HIV-Patienten über 50 Jahre alt sein.

Der große Fortschritt, der sich in der Behandelbarkeit seit Mitte der 90er Jahre abzeichnete, geht auf 3 Gründe zurück: In Zusammenarbeit mit den Mathematikern des Rechenzentrums in Los Alamos, Kalifornien, wurde ein besseres Verständnis der Virusreplikation entwickelt, die Viruslast im Blut wurde direkt messbar und - wahrscheinlich der entscheidende Faktor - die Dreifachkombinationstherapie mit sehr effektiven Medikamenten zur Viruslastverminderung wurde zum Standard.

GREYING AND GROWING

In der bundesweiten Kohorte des Kompetenznetzes HIV/AIDS (n = 9.258) beträgt der Anteil der 50- bis 59-jährigen Patienten 15,9%, der Anteil der über 59-jährigen Patienten 9,6%. Das Durchschnittsalter der über 50-Jährigen liegt bei den Frauen bei 55,1 Jahren und bei den Männern bei 56,3 Jahren.

Häufige Komorbiditäten bei älteren, über 50-jährigen HIV-Patienten7
  • Depression 52%
  • Hepatitis 31%
  • Arthritis 31%
  • Neuropathie 30%
  • Hypertonus 27%
Tab. 1: ROAH Kohorte 2006 - Komorbidität

Psychosoziale Erkenntnisse bei älteren, über 50-jährigen HIV-Patienten7
  • Sozial oft marginalisiert (ageism)
  • Vernachlässigt, oft ohne die Supportsysteme jüngerer Patienten
  • Scham ; verhindert, dass Patienten mit Freunden oder Familie sprechen: 50% kein HIV-coming-out gegen-über Familie, nur 35% hatten mit Freunden darüber gesprochen
  • "Mainstreaming is needed"
Tab. 2: ROAH Kohorte 2006 - Psychosoziales

Noch vor 10 Jahren erschien es wenig zielführend, sich mit den Gesundheitsproblemen älterer HIV-Patienten (in der Literatur sind dies über 50-Jährige) zu befassen. Die Entwicklung der letzten Jahre mit einem - was die Lebenserwartung betrifft - durchaus offenen Horizont, erfordert gezielte und stärkere Erforschung dieses Patientenanteils.

Unter der Leitung von Stephen E. Karpiak und Andrew Shippy haben Wissenschaftler der AIDS Community Research Initiative of America (ACRIA) in einer allerdings ohne Vergleichsgruppe operierenden New Yorker Studie (ROAH, Research of Older Adults with HIV), kennzeichnend für ältere, über 50-jährige HIV-Patienten folgende Situationen beschrieben (Tab. 1 und 2).7

ZIELE

Die Datenerhebung soll zum besseren Verständnis der in dieser Patientengruppe auftretenden pathogenen Entwicklung beitragen. Schwerpunkte liegen bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Malignomen, dem metabolischen Syndrom und weiteren Komorbiditäten sowie psycho-sozialen Aspekten und Lebensqualität. Es ist zum derzeitigen Zeitpunkt unklar, ob in dieser Patientengruppe die Altersprozesse schneller oder anders verlaufen als bei anderen Patienten. Als HIV-negative Vergleichsgruppen werden 250 Patienten mit Diabetes mellitus II (ohne bekannte HIV-Infektion) und 250 Patienten, die sich ohne bekannte schwere chronische Erkrankung in den Schwerpunktpraxen und Ambulanzen vorstellen, erfasst. Die Untersuchungsziele und wichtigen Fragestellungen sind in Tabelle 3 zusammengefasst.

Die wichtigsten Fragestellungen zu Patienten mit über 50 Jahren
  1. Wie ist das allgemeine körperliche Befinden (Vitalstatus) des älteren Patienten - "gesunder" Patient und chronisch erkrankter Patient (HIV oder Diabetes) im Vergleich? Ist der objektive (vom Arzt beurteilte) Vitalstatus unterschiedlich im Vergleich zum subjektiven Vitalstatus?
    • objektiv via körperliche Untersuchung (BMI, Bauchumfang, Griffstärke), Laborparameter und Begleiterkrankungen
    • subjektiv via SF-36 (Fragebogen zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität)
  2. Ist das KHK-Risiko bei chronisch erkrankten Patienten höher als bei "Gesunden"?
    • Auftreten von KHK´s während des Beobachtungszeitraumes, Berechnung des KHK-Risikos über Framingham- und/oder Procam-Score
    • Prävalenz und Inzidenz von Bluthochdruck und Lipidveränderungen
  3. Treten akute Erkrankungen bei chronisch erkrankten Patienten häufiger als bei "Gesunden" auf?
  4. Treten Depressionen bei HIV- und/oder Diabetes-Patienten häufiger als bei "Gesunden" auf? (via Depressionsfragebogen HADS)
  5. Behandlung der Depression in den drei Gruppen (via Anwendung von Psychopharmaka bzw. Antidepressiva)
  6. Prävalenz und Inzidenz von Leber-Dysfunktionen in den drei Gruppen (APRI und FIB-4 Scores)
  7. Ist die Häufigkeit der Malignome in den drei Gruppen unterschiedlich?
  8. Ist die körperliche Aktivität in den drei Gruppen unterschiedlich? (via Sportfragebogen)
  9. Ist das sexuelle Verhalten in den drei Gruppen unterschiedlich? (via AMS, Fragebogen zu Sexualität und Symptomen im Alter)
  10. Ist der Sozialstatus in drei Gruppen unterschiedlich, d.h. leben chronisch erkrankte Patienten häufiger allein, sind früher in Ruhestand oder häufiger arbeitslos?
  11. Für den Fall, dass sich Unterschiede in den Gruppen (HIV+ vs HIV-) zeigen: Gibt es bei HIV-Patienten einen Zusammenhang mit dem CDC-Stadium der HIV-Erkrankung, der Dauer der HIV-Infektion, der aktuellen CD4-Zellzahl, der aktuellen Viruslast und/oder der Therapie?
Tab. 3: 50/2010 - Fragestellungen

METHODIK - DURCHFÜHRUNG

In 6-monatigen Abständen werden mit Hilfe von standardisierten Untersuchungsbögen sowohl Daten durch den behandelnden Arzt bzw. die Study-Nurse erfasst, als auch durch "paper and pencil"-Fragebogen Daten zur psychosozialen und demographischen Struktur der Patienten erfragt. Nach entsprechender Diskussion in der DAGNÄ-Kerngruppe (Tab. 4) werden für diese Studie die in Tabelle 5 genannten Parameter und Instrumente zu Baseline und in 6-monatigen Abständen erfasst.

Die Endauswertung von insgesamt 750 mal 5, d.h. 3.750 Studienvisiten über den geplanten 2-Jahres-Zeitraum ist für das 3. Quartal 2010 vorgesehen.

Nach einem Jahr erfolgt eine zusammenfassende Zwischenauswertung. Die Steuerung der Studie liegt bei der Geschäftsstelle der DAGNÄ in Aachen (Nicola Hanhoff, Armin Götzenich, Heribert Knechten), Datensammlung und Auswertung erfolgen bei MUC Research GmbH in München (Birgit Mück, Christine Kögl, Eva Wolf, Hans Jäger).

Die Kerngruppe
Axel Baumgarten, Berlin
Armin Goetzenich, Aachen
Nikola Hanhoff, Aachen
Hans Heiken, Hannover
Hans Jäger, München
Heribert Knechten, Aachen
Christine Kögl, München
Stefan Mauss, Düsseldorf
Christoph Mayr, Berlin
Franz Mosthaf, Karlsruhe
Birgit Mück, München
Hans-Jürgen Stellbrink, Hamburg
Ramona Volkert, München
Eva Wolf, München
Tab. 4: 50/2010 - Mitglieder der Kerngruppe
Variablen des Dokumentationsbogens und Erfassungsinstrumente
  • Gewicht, Körpergröße, Bauchumfang
  • Griffstärke
  • Blutdruck, Puls
  • Bestehende und neu auftretende Begleiterkrankungen
  • Aktuelle Medikation (antiretrovirale und andere Medikamente)
  • Laborparameter (Blutbild, klinische Chemie, CD4, Viruslast)
  • Items des Patientenfragenbogens
    • Soziodemographie
    • Sportliche Aktivität
    • Kardiovaskuläre Risikofaktoren
    • SF-36 (Fragebogen zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität mit den Dimensionen körperliche Funktionsfähigkeit, körperliche Rollenfunktion, körperliche Schmerzen, all- gemeine Gesundheitswahrnehmung, Vitalität, soziale Funktionsfähigkeit, emotionale Rollenfunktion und psychisches Wohlbefinden)
    • HADS-D (Depressionsfragebogen)
    • AMS ("Aging Male/Female Symptoms"; Fragebogen zu Sexualität und Symptomen im Alter)
Tab. 5: 50/2010 - Variablen
Literatur

1. Weber R, Sabin CA, Friis-Moller N, et al. Liver-related deaths in persons infected with the human immunodeficiency virus: the D:A:D study. Arch Intern Med 2006;166:1632-41.

2. Thiébaut R, El-Sadr W, Chenuc G, et al. Predictors of hypertension and changes in blood pressure in HIV-infected patients in the D:A:D Study. 11th CROI 2004, San Francisco, CA, USA. Abstract 75.

3. D'Arminio Monforte A, Abrams D, Pradier C, et al. HIV-induced immunodeficiency and risk of fatal AIDS-defining and non-AIDS-defining malignancies: Results from the D:A:D Study. 15th CROI 2008, Boston, MA, USA. Abstract 84.

4. Valcour V, Williams A, Watters M. Insulin resistance: A novel marker of cognitive function in older HIV+ Adults, the Hawaii Aging with HIV Cohort. 15th CROI 2008, Boston, MA, USA. Abstract 349.

5. Flexner C. The effect of aging on human pharmacology. 15th CROI 2008, Boston, MA, USA. Abstract 106.

6. Effros R. Immune exhaustion in aging and AIDS: Parallel mechanisms and possible solutions. 15th CROI 2008, Boston, MA, USA. Abstract 105.

7. ACRIA, AIDS Community Research Initiative of America. ROAH, 2006. www.acria.org/clinical/roah_final_sept06.pdf, letzter Zugriff 21. Juli 2008.

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