Sonderheft zum WeltAidsTag 2008: HIV/AIDS bei Kindern
CHRISTOPH KÖNIGS, FRANKFURT
Besonderheiten der Therapie
Die Therapie HIV-infizierter Kinder unterscheidet sich grundlegend von der erwachsener Infizierter. Angefangen vom Therapiebeginn, über die Darreichungsformen der Medikamente, bis hin zu einem anderen und sich im Verlauf ändernden Stoffwechsel ist die Therapie nicht mit der Erwachsener zu vergleichen - ganz zu schweigen von den Schwierigkeiten der Therapie einer Infektion, die dem Kind nicht bekannt ist oder den Schwierigkeiten der Therapie in der Pubertät. Kurz gesagt: Mit Ausnahme des Virus und der Wirkstoffe gibt es wenig Gemeinsamkeiten.
Die Einführung der antiretroviralen Kombinationstherapie hat wie im Erwachsenenbereich die Behandlung HIV-infizierter Kinder in Deutschland grundlegend geändert. Bekanntermaßen gilt dies nur für bestimmte Regionen der Erde, in denen lediglich 1% der infizierten Kinder und Jugendlichen leben. Mit Einführung der antiretroviralen Kombinationstherapie sank sowohl die Morbidität als auch die Mortalität deutlich. So konnten in den USA die Zahl der Todesfälle von 7,2/100 Patientenjahren in 1994 auf 0,6/100 in 2006 reduziert werden. Diese Rate liegt jedoch immer noch mehr als 30-fach über der von nicht infizierten Kindern. Ebenso sank der Anteil der Kinder mit AIDS-definierenden Erkrankungen von 13% in 1992 auf 2% in 2001. Parallel hierzu stieg der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die mit einer Kombinationstherapie aus drei Substanzen therapiert werden.
WENIG HIV-MEDIKAMENTE FÜR KINDER
Kindern steht im Vergleich zu Erwachsenen ein nur sehr begrenztes Spektrum an Substanzen zur Verfügung (Tab. 1). Kombinationspräparate standen Kindern bislang gar nicht zur Verfügung. Eine feste Dosierung verschiedener Wirkstoffe in einer Tablette macht eine gewichts- oder körperoberflächenadaptierte Dosierung unmöglich. Seit Mitte des Jahres steht zumindest mit der Kombination AZT/3TC (Combivir®) die erste Dosiskombination mit Bruchrille für gewisse Alters- und Gewichtsklassen zur Verfügung. Ebenso ist Abacavir/3TC (Kivexa®) ab zwölf Jahren einsetzbar.
Tab. 1: Für Kinder gibt es sehr viel weniger antiretrovirale Substanzen als für Erwachsene: grün:
Zulassung im Kindesalter ab wenigen Monaten und mit adäquaten Formulierungen, orange: eingeschränkt
im Kindesalter nutzbar (z.B. Efavirenz ab drei Jahren, Lopinavir/r ab zwei Jahren, Nelfinavir ab drei
Jahren, etc.), rot: Substanzen ohne Zulassung und/oder adäquater Formulierung für Kinder
Deutlich wird die begrenzte Möglichkeit bereits in der Primärtherapie an folgendem Fallbeispiel: Ein HIV-positiver Säugling soll nach einer Transmissionsprophylaxe mit Nevirapin, AZT und 3TC behandelt werden. Entsprechend der Zulassungssituation ist eine weiterführende Therapie lediglich mit den bereits verwendeten Substanzen möglich. Alternativen entsprechend der Zulassung gibt es nur für NRTIs. Außerhalb der Zulassung kann man lediglich Nelfinavir, Lopinavir/r oder Ritonavir in therapeutischer Dosis einsetzen. Ritonavir wird aufgrund des Geschmacks von den Kindern selten toleriert. Vergleicht man diese Möglichkeiten mit den Therapieempfehlungen der internistischen HIV-Behandler, wird man (heutzutage wohl aus gutem Grunde) Schwierigkeiten haben, die meisten dieser Kombinationen zu finden...
WORTWÖRTLICH EINE LEBENSLANGE THERAPIE
Neben den oben genannten Aspekten ist noch zu erwähnen, dass bei der Therapie einer HIV-positiven Person von einer lebenslangen Therapie gesprochen wird. Aufgrund der schnellen Krankheitsprogression (siehe auch Indikationen zur Therapie) werden bereits Säuglinge therapiert. Bei HIV-positiven Kindern handelt es sich daher wörtlich um eine lebenslange Therapie. Der Benefit ist deutlich, die (Langzeit-) Nebenwirkungen sind aber noch weitgehend unerforscht. Zum einen trifft das Virus auf ein sich entwickelndes Immunsystem, zum anderen darf nicht vernachlässigt werden, dass der sich in der Entwicklung befindliche Körper dauerhaft mit antiretroviralen Substanzen und deren Verstoffwechselung konfrontiert wird. Die Folgen sind nicht bekannt.
Bevor die Einzelheiten der antiretroviralen Therapie besprochen werden, muss erwähnt werden, dass es "das Kind" nicht gibt. Neben den Unterschieden im Geschlecht sind verschiedene Altersgruppen zu berücksichtigen. So ist die Krankheitsprogression altersabhängig. Auch ist einfach vorstellbar, dass Tabletten mit einer festen Dosierung einfach nicht in Säuglinge "hineinpassen". Es muss aber auch bedacht werden, dass sich die Enzymsysteme zur Verstoffwechselung der antiretroviralen Wirkstoffe im Laufe der Zeit erst entwickeln und dabei auch durchaus die Aktivität im erwachsenen Individuum übersteigen.
INDIKATION ZUR THERAPIE ALTERSABHÄNGIG
Tab. 2: Klinische, virologische und immunologische Parameter für den Beginn einer initialen antiretroviralen Therapie bei Kindern
Die Indikation zur Therapie im Kindesalter richtet sich ähnlich wie bei Erwachsenen nach Klinik, Helferzellen und Viruslast, allerdings ist die Indikationsstellung altersabhängig (Tab. 2). Aufgrund des nicht zu tolerierenden hohen Risikos von Säuglingen, auch bei enorm hohen Helferzellzahlen im ersten Lebensjahr an AIDS zu erkranken oder zu versterben, werden im ersten Lebensjahr Helferzell- und Viruslast-unabhängig alle Kinder therapiert. In einer noch laufenden Studie in Südafrika konnte gezeigt werden, dass ein früher Therapiebeginn im ersten Lebensjahr mit einem deutlichen Rückgang von Todesfällen (76%!) assoziiert ist. Mit wachsendem Alter sinkt das Risiko der Krankheitsprogression. Entsprechend wird der Beginn der Therapie nach Helferzellen erst später empfohlen. Die Helferzellzahlen werden in Prozent bewertet, da die absolute Anzahl der Helferzellen stark altersabhängig ist. So hat ein Säugling mit beispielsweise 700 Helferzellen/µl einen schweren Immundefekt. Kinder und Jugendliche mit schwerer HIV-assoziierter klinischer Symptomatik oder mit Viruslasten über 100.000 Kopien/ml sollten ebenfalls in allen Altersgruppen therapiert werden.
Die Indikation zum Therapiewechsel stellt sich bei virologischem oder immunologischen Therapieversagen oder Nebenwirkungen der Therapie. Bei Nebenwirkungen wird man je nach Alter aufgrund der begrenzten Alternativen zunächst versuchen, diese, soweit möglich, durch verschiedene Strategien zu beherrschen.
THERAPIESTANDARDS IN DEUTSCHLAND
Ziel einer antiretroviralen Therapie bei Kindern und Jugendlichen ist das Senken der Viruslast unter 50 Kopien/ml und die Wiederherstellung bzw. der Erhalt der Immunkompetenz. In der Initialtherapie werden zwei NRTIs mit einem geboosterten PI oder NNRTI kombiniert. Hierbei ist die Auswahl insbesondere der PIs und NNRTIs aufgrund der Zulassung und des Vorhandenseins von kindgerechten Formulierungen eingeschränkt (siehe oben). Als NNRTI steht derzeit Nevirapin uneingeschränkt zur Verfügung, für Kinder ab 3 Jahren auch Efavirenz. Als PI ist ab zwei Jahren Lopinavir/r einsetzbar; es gibt außerhalb dieser Zulassung Daten für Kinder, die jünger als zwei Jahre sind. Alternativ kann der PI Nelfinavir eingesetzt werden (zugelassen ab vier Jahren). Auch wenn Nelfinavir als ungeboosterter PI in der Erwachsenenmedizin nicht mehr als PI der ersten Wahl empfohlen wird, greifen einige pädiatrischen Zentren aufgrund der Fülle der Daten, der Tatsache, dass Nelfinavir ohne Boosterung eingesetzt werden kann, der guten eigenen Erfahrungen und nicht zuletzt mangels Alternativen weiterhin auf Nelfinavir zurück.
Als NRTI-Backbone stehen deutlich mehr Substanzen zur Verfügung. Alle Substanzen außer Tenofovir sind als Säfte vorhanden und für den Einsatz bereits ab früher Kindheit zugelassen. Bis auf die Kombinationen AZT plus d4T, FTC plus 3TC, ddI plus d4T, ddI plus 3TC und solche mit TDF sind alle NRTI-Kombinationen in der Pädiatrie in der Ersttherapie möglich. Auch wenn die begrenzte Studienlage kaum Gewichtung erlaubt, werden Kombinationen aus ABC plus 3TC oder FTC, AZT plus FTC oder 3TC und ddI plus FTC empfohlen.
Ob ein PI- oder ein NNRTI-basiertes Regime in der Ersttherapie überlegen ist, ist unbekannt, wird aber derzeit in einer europäisch-amerikanischen Studie untersucht. Einige "kleinkindspezifische" Überlegungen müssen bei der individuellen Therapieentscheidung in Betracht gezogen werden: Bei der Auswahl eines auf Lopinavir/r-basierendem Regimes muss sich der Behandler darauf verlassen können, dass die Eltern zwei mal täglich das Kind zur Einnahme eines sehr schlecht schmeckenden Medikamentes - zumindest zu Beginn - zwingen werden. Alternativ ist zu überlegen, ob ein Nevirapin-basiertes Regime tatsächlich so regelmäßig genommen und auch bei gutem oder neutralem Geschmack nicht ausgespuckt oder erbrochen wird, so dass keine NNRTI-Resistenz entsteht und die ganze Klasse (in der Pädiatrie noch ohne Etravirin) verloren ist. In Bezug auf die Zweittherapie sei nur kurz erwähnt, dass Kinder nach Beginn mit einem NNRTI auf einen (geboosterten) PI umgesetzt werden sollen und umgekehrt. Die NRTIs werden entsprechend Resistenztest geändert.
EIN FALLBEISPIEL
Schwieriger wird es bei der Auswahl weiterer Therapien, was folgendes Beispiel veranschaulichen soll: Ein zwölf Monate alter Junge mit Therapieindikation wurde initial mit Lopinavir/r, AZT und 3TC behandelt. Den PI/r hat er aufgrund des Geschmacks immer erbrochen und ausgespuckt. Die Viruslast stieg, es entwickelte sich eine Resistenz gegen 3TC. Nach Umsetzen von Lopinavir/r auf Nevirapin sprach die Thearapie zunächst gut an, dann trat allerdings erneut eine Virämie auf, und es konnten Resistenzen Nevirapin und Efavirenz nachgewiesen werden. Der Junge ist inzwischen drei Jahre alt. Zur Verfügung stehen weitere geboosterte PIs außerhalb der Zulassung und ohne Dosierungsempfehlungen für dieses Alter. Der (Miss-)Erfolg wäre wahrscheinlich ähnlich wie bei Lopinavir/r, da der Ritonavir-Saft geschmacklich mit Lopinavir/r mindestens in der selben Liga spielt. Eine weitere Therapie ist derzeit somit fast unmöglich. Bei Jugendlichen ist die Auswahl entsprechend größer, da hier leichter die "Erwachsenenmedikamente" in voller Dosierung - wenn auch ohne Zulassung - eingesetzt werden können. In dieser Altersgruppe gibt es aber häufig das Problem von multiresistenten Viren. Die heute jugendlichen HIV-infizierten Patienten wurden seit Anfang bis Mitte der neunziger Jahre behandelt, haben also fast alle Mono-, Dual-, Add-on-Therapien hinter sich mit entsprechenden Folgen. Die Einsatzmöglichkeit neuer Substanzen im Kindesalter hinkt immer schon zeitlich hinterher - teilweise um Jahre.
Die neuen Substanzen Tipranavir, Darunavir, Raltegravir, Maraviroc und Etravirin sind leider noch nicht für pädiatrische und adoleszente Patienten unter 18 Jahren einsetzbar. Kinder und Jugendliche können bisher nur in Ausnahmefällen und im Rahmen von individuellen Heilversuchen von diesen Substanzen profitieren.
PROBLEME BEI DER THERAPIE
Neben den bereits angesprochenen Problemen der Verfügbarkeit von antiretroviralen Medikamenten in pädiatrischen Formulierungen gibt es weitere Unterschiede zur Therapie Erwachsener. Der wichtigste Unterschied: Kinder nehmen die Therapie nicht selbst ein, sondern sie wird ihnen verabreicht. Das geschieht fast immer, ohne dass die Kinder verstehen oder wissen, warum sie diese Säfte nehmen müssen. Es entstehen hin und wieder absurde Konversationen mit anderen HIV-negativen Kindern: "Ich will auch nicht krank werden und will das auch nehmen!" oder "Du hast Durchfall? Nimm doch Kaletra" (bei einem Kind mit schwersten Durchfällen vor Erstdiagnose und Therapiebeginn). Vor allem sollte man sich vor Augen führen, dass Eltern sich fast immer schuldig fühlen, auch wenn sie alles gegen eine Transmission getan haben, und man ihnen noch so oft sagt, dass sie keine Schuld trifft. Vor diesem Hintergrund erwartet der Behandler, dass dieselben Eltern ihr Kind mehrfach täglich zur Einnahme übel schmeckender Substanzen zwingen. Sie wissen alle, dass das unbedingt erforderlich ist. Viel realer als die Krankheitsprogression ist aber das schreiende und sich wehrende Kind! Die nächste kritische Altersphase nach dem Kleinkindalter ist die Pubertät, auch für HIV-negative Jugendliche eine "besondere" Zeit. So sollen sich positive Jugendliche mit der eigenen Sexualität bei bereits bestehender HIV-Infektion auseinandersetzen - und natürlich täglich ihre Tabletten einnehmen. Da kommt es schon vor, dass die Tabletten regelmäßig "verbraucht" werden, die Viruslast "unerklärlicherweise" steigt und die Tabletten beim nächsten Renovieren in Hunderten hinter dem Schrank hervorrollen...
Der Altersabschnitt Adoleszenz hat seine eigenen Besonderheiten. Die jungen Erwachsenen werden an internistische Ambulanzen oder Schwerpunktpraxen übergeben, was nicht selten problematisch ist. Dieser Lebensabschnitt hat erneut ganz besondere Anforderungen, für die wir in Deutschland - im Gegensatz zu einigen anderen Ländern - kein Angebot haben. Für alle diese Situationen kann und muss man Verständnis haben, darf dabei aber die unumstößliche Realität einer sehr fordernden und notwendigen Therapie nicht vergessen.
SCHNELLERER STOFFWECHSEL - NIEDRIGERE SPIEGEL
Neben der Adhärenz stellen die besondere Pharmakokinetik und Pharmakodynamik eine Herausforderung dar. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass besonders bei kleinen Kindern sehr häufig Medikamentenspiegel von PIs gemessen werden, die deutlich unter denen in Erwachsenenkollektiven sind. Hierbei sind die Auswirkungen auf den langfristigen Therapieerfolg völlig unklar. Die niedrigen Spiegel sind teilweise auch Ausdruck mangelnder Studien. In der Vergangenheit wurden Medikamentendosierungen häufig nach Gewicht heruntergerechnet und nicht bei Kindern in entsprechenden Altersgruppen in Studien getestet. Diese Vorgehensweise lässt z.B. die Entwicklung der Enzymsysteme im Körper völlig außer acht. So ist gerade für das in der Verstoffwechslung von PIs wichtige Cytochrom P450 System bekannt, dass die Aktivitäten der Enzyme sich nach Geburt langsam steigern, in der frühen Kindheit die Enzymaktivität von Erwachsenen teilweise sogar übersteigt, um sich dann der Aktivität der Erwachsenen wieder anzunähern. Die Auswirkungen auf die Medikamentenspiegel sind offensichtlich. Eine adäquate Dosierung für Kinder kann somit nicht errechnet, sondern muss geprüft werden.
OHNE THERAPIE VERRINGERTES WACHSTUM
Die Infektion und auch die Therapie interferieren mit der Entwicklung der Kinder. So ist zum Beispiel der negative Einfluss der (unbehandelten) HIV-Infektion auf Wachstum und Entwicklung von Kindern seit Mitte der 80er Jahre bekannt. Der Einfluss der ART auf das Wachstum ist in Studien kontrovers diskutiert. Eine suffiziente Therapie ist jedoch meistens förderlich für ein normales Wachstum, da die Wachstumsverzögerung mit der Höhe der Viruslast korreliert. Das Wachstum (Länge und Gewicht) eines Säuglings mit unbehandelter HIV-Infektion kann sich deutlich verzögern (Abb. 1). Nicht zu vergessen ist, dass bei Kindern die Dosierung der ART ständig an Körpergewicht oder -oberfläche (auch bei einer vollen Sprechstunde :-) angepasst werden muss.
Abb. 1: Wachstumskurve eines HIV-infizierten Kindes: Ab dem dritten Lebensmonat kein Wachstum mehr bis das
Kind im 9. Monat vorgestellt, die HIV-Infektion festgestellt und eine Therapie begonnen wurde.
SÄFTE SIND WENIGER DISKRET ALS TABLETTEN
Auch wenn es nach den vorgehenden Ausführungen fast banal klingt: Die antiretrovirale Therapie von Kindern basiert meist auf Säften, die ggf. besonders gelagert werden müssen, die man nicht so einfach (und ggf. diskret) verabreichen kann wie Tabletten, und die besonders bei Reisen (Temperatur im Auto, Flüssigkeiten im Handgepäck, etc.) häufig besonderer Anstrengungen bedürfen, aber ohne die auf der anderen Seite die adäquate Therapie mit richtiger Dosierung nicht möglich wäre.
Das Spektrum der Nebenwirkungen bei Kindern und Jugendlichen unter ART ist ähnlich dem von erwachsenen Patienten. Die Ausprägung ist aufgrund mangelnder Daten schwierig zu vergleichen. Die metabolischen Auswirkungen beziehen sich hauptsächlich auf Fettverteilungsstörungen (6-47%), Störungen im Lipid- (13-67%), Glukose- (0-13%) und Knochenstoffwechsel. Interessanterweise treten diese Störungen häufig erst zu Beginn der Pubertät auf. Vor allem bei kleinen Kindern dominieren die Auswirkungen auf die Bildung von Blutzellen mit den Folgen einer Anämie und Neutropenie.
NEUE SUBSTANZEN BEI KINDERN
Anhand der Definition von "neue Substanzen" wird deutlich, wie sehr die Fortschritte in der Therapie von HIV-positiven Kindern denen von Erwachsenen hinterherhinkten. An "neuen" Substanzen ist kürzlich Fosamprenavir (ab sechs Jahren) in Deutschland zugelassen worden. In den USA wurde gerade die Zulassung für den Tipranavir-Saft erteilt, die demnächst für Deutschland erwartet wird (zum Vergleich: Zulassung von Tipranavir für die Therapie der HIV-Infektion von Erwachsenen in Deutschland: 2005).
Aktuell läuft eine Phase II-Studie mit Etravirin als Bestandteil der ART im Kindesalter. Wenn auch leider nicht in Deutschland, so laufen in den USA Studien zur Etablierung von pädiatrischen Dosierungen von Atazanavir, Fosamprenavir (für jüngere Altersgruppen), Darunavir und Raltegravir.
STUDIEN BEI KINDERN
Studien zur antiretroviralen Therapie bei Kindern sind nach wie vor dringend erforderlich. Die Studienlage unterscheidet sich deutlich von der bei Erwachsenen: Zum einen gibt es generell deutlich weniger Studien, zum anderen sind wichtige Fragen zum Beispiel zu verschiedenen Nebenwirkungen der antiretroviralen Therapie gar nicht beantwortet. Der Bedarf von neuen Substanzen ergibt sich aus den vorherigen Ausführungen. Ebenso sind weitere Studien zur Dosierung und Nebenwirkungen von bereits zugelassenen Substanzen erforderlich. Die gesetzliche Situation hat sich in der jüngeren Vergangenheit in Europa geändert.
So wurde durch die Umsetzung mehrerer EU-Direktiven zum einen die Durchführung von pädiatrischen Studien verpflichtend (mit entsprechender Patentschutzverlängerung als Ausgleich für die pharmazeutische Industrie), zum anderen wurden aber auch erst wichtige Grundlagen geschaffen, die die Durchführung von Studien bei Gruppennutzen (zuvor musste das einzelne, in eine Studie eingeschlossene Kind von dieser Studie profitieren können, was zum Beispiel Dosisfindungsstudien schwierig machte) erst ermöglichen.
VIELEN DANK
an Dr. Dr. R. Linde, K. Beuckmann und B. Reimers für die Unterstützung bei der Erstellung des
Artikels, unseren Kunsttherapeutinnen J. Heid und V. Griesing und unseren Kindern und Jugendlichen, die
die abgebildeten Bilder während der Sprechstunde angefertigt haben. Links zu den aktuellen
Therapieempfehlungen sind unter www.kinder-aids.de zu finden.
Aktuell laufen neben den oben bereits erwähnten Studien mit neuen Substanzen vor allem Studien zur Pharmakokinetik, zu langfristigen Auswirkungen der ART im Kindesalter und zur Adhärenz in diesen Patientengruppen. Ebenso beschäftigen sich verschiedene Studien mit dem Management von Nebenwirkungen unter ART. Auch werden verschiedene Therapiekonzepte und -strategien in Studien geprüft. Neben den auch in der Pädiatrie durchgeführten HIV-Impfstudien werden Studien zu empfohlenen Regelimpfungen von HIV-positiven Kindern (z.B. mit Tetanus) und immunologische Untersuchungen zur Entwicklung des T- und B-Zellsystems bei perinatal infizierten Kindern durchgeführt. Trotz SMART wird weiterhin der Sinn von Therapieunterbrechungen durch z.B. das europäische Studiennetzwerk PENTA bei Kindern geprüft. Das mag zunächst nicht nachvollziehbar erscheinen, muss aber vor dem Hintergrund gesehen werden, dass die Therapieindikationen im Kindesalter andere sind (z.B. Therapiebeginn bei allen Kindern unter einem Jahr), und somit eine strukturierte Therapiepause von anderen Voraussetzungen ausgeht. Natürlich gibt es auch in der Pädiatrie verschiedene Kohortenstudien. In Deutschland wurde bereits vor längerer Zeit ein Therapieregister geführt. Aktuell wurde das pädiatrische Modul ins Kompetenznetz HIV/AIDS integriert mit der Möglichkeit, systematisch spezifische Aspekte von Kindern und Jugendlichen zu erfassen und auszuwerten.
Abschließend ist zu sagen, dass natürlich die Therapie der HIV-Infektion im Kindesalter deutliche Fortschritte gemacht hat. Leider hinkt der Fortschritt weiterhin dem in der Therapie von internistischen HIV-Patienten hinterher und hat noch sehr viele Graubereiche. Neben der Herausforderung, die die antiretrovirale Therapie vor allem an Kinder, Jugendliche und Eltern aber auch an den Pädiater stellt, macht die Betreuung von und der Umgang mit HIV-positiven Kindern und Jugendlichen vor allem große Freude.