TIM NIEHUES, KREFELD
Klinischer Verlauf im Kindesalter

Die HIV-Infektion im Kindesalter unterscheidet sich in vielen Punkten wesentlich von der HIV-Infektion bei Erwachsenen. Bei der Indikationsstellung zur ART werden die spezielle Virusdynamik und das sich entwickelnde Immunsystem des Kindes berücksichtigt. Ziel ist es, die Therapie bei maximaler Effektivität unter Vermeidung langfristiger Nebenwirkungen individuell zu steuern. Nachhaltige Erfolge werden mit der antiretroviralen Therapie erzielt durch interdisziplinäre Zusammenarbeit, standardisiertes Vorgehen, Teilnahme an multizentrischen Studien und Entwicklung neuer Medikamente und Strategien.

HIV gelangt beim Kind meist im Mutterleib durch maternofetale Transfusion direkt in die Blutbahn und wird in der Milz oder in anderen lymphatischen Organen abgefangen. Bei der Geburt ist die Viruslast zunächst niedrig (<10.000 Kopien/ml), steigt dann aber innerhalb der ersten ein bis zwei Lebensmonate bei unbehandelten Kindern deutlich an (>100.000 Kopien/ml) und nimmt schließlich bis zum Alter von vier bis fünf Jahren nur zögerlich ab. Begünstigend für die höhere Viruslast sind das Wachstum des lymphatischen Systems und die Unfähigkeit des unreifen Immunsystems im Kindesalter, eine HIV-spezifische Immunantwort zu entwickeln. Die HIV-Infektion des Kindesalters unterscheidet sich von der Infektion des Erwachsenalters hinsichtlich des Infektionsweges, der Virusdynamik, der Reife des Immunsystems und der klinischen Manifestationen (Tab. 1).

Eine gefürchtete Komplikation im Säuglingsalter ist die HIV bedingte Enzephalopathie. Säuglinge und Kleinkinder präsentieren sich mit Opisthotonus, kognitiven Defekten, dem Verlust von Meilensteinen und Hyperreflexie. Im Liquor findet sich nicht immer eine hohe Viruslast. Es besteht keine spezifische Therapie und auch die zügige Einleitung einer intensiven HAART unter Einschluss von zwei NRTIs und jeweils einem PI und NNRTI ist nicht immer erfolgreich.


Tab. 1: Vergleich der HIV Infektion bei Kindern und Erwachsenen

DIAGNOSE IMMER MIT PCR!

Bei Auftreten von Symptomen ist jedes HIV-verdächtige Kind oder Kind einer HIV-positiven Mutter zu testen.

Das Verschwinden der mütterlichen IgG-Antikörper (Seroreversion) sollte dokumentiert werden, bevor die HIV-Infektion bei einem exponierten Kind endgültig ausgeschlossen werden kann. Aufgrund der hohen anti-HIV-IgG-Titer bei infizierten Müttern und der noch höheren Konzentration im Kind können die mütterlichen Antikörper noch bis zu 18 Monate nach der Geburt nachgewiesen werden: Antikörper alleine beweisen keine Infektion!


Abb. 1: Unterschiede im natürlichen Verlauf der Viruslast und der anti-HIV Immunität zwischen Erwachsenen und Säuglingen/Kleinkindern

Besser ist die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) und sie kann schon nach zwei Wochen nach der Geburt eingesetzt werden: Für den direkten Nachweis von HIV steht mit der PCR eine hochsensitive und -spezifische Methode zur Verfügung. Ist die HIV-PCR positiv, so sollte dies unverzüglich in einer zweiten Blutprobe bestätigt werden. Es ist sinnvoll, Mutter und Kind parallel mit dem gleichen Test zu untersuchen. Ist die Mutter negativ, muss eine andere Testmethode eingesetzt werden, da bei besonderen HIV Subtypen ein besonderes Design der PCR notwendig sein kann (in Rücksprache mit dem Virologen).

In den Entwicklungsländern ist die Diagnostik eine andere, da nicht jedes asymptomatisches, HIV-exponiertes Kind systematisch auf HIV untersucht wird. Die WHO hat für "poor resource settings" ein spezielles diagnostisches Vorgehen vorgeschlagen: Als Basis werden hier Anamnese (z.B. gestillt?), der Untersuchungsbefund und evtl. nur die CD4 Zellen benutzt, da andere Tests nicht zur Verfügung stehen (http://www.who.int/hiv/paediatric/infantdiagnosis.pdf).

SUPPORTIVE THERAPIE UND PROPHYLAXEN

Wenn die antiretrovirale Therapie noch nicht greift und die Immunrekonstitution noch nicht ausreicht, kann es auch heute noch zu opportunistischen Infektionen kommen. Bei Säuglingen und Kleinkindern häufigste Erstmanifestationen einer perinatalen HIV-Infektion sind die Pneumocystis-Pneumonie (PJP), die CMV-Infektion und die Tuberkulose. Bei rechtzeitiger Diagnose und Behandlung der perinatalen HIV-Infektion sind opportunistische Infektionen selten. Gewöhnliche Infektionen sind nicht häufiger als bei immungesunden Kindern. Immunglobulinsubstitution und Prophylaxe gegen PJP oder Pilzinfektionen sind dann nicht mehr notwendig. Die STIKO hat zur Impfung von HIV-infizierten Kindern Stellung genommen (www.rki.de). Kurz zusammengefasst, sind bei asymptomatischen Kindern alle Impfungen empfohlen. Bei symptomatischen Kindern sind Lebendimpfungen gefährlich. Hier ist eine möglichst schnelle Immunrekonstitution (Wiederherstellung der Immunsystemfunktion) durch eine effektive antiretrovirale Therapie anzustreben, und dann zu impfen.


Tab. 2: Symptome/Erkrankungen/Befunde bei Kindern und Jugendlichen: Spätestens jetzt ist ein HIV-Test sinnvoll!

Pneumocystis-Pneumonie

Jeder Säugling einer HIV-infizierten Mutter mit Husten und Sauerstoffbedarf hat bis zum definitiven Ausschluss (Bronchiallavage) eine Pneumocystis-Pneumonie (PJP). Die rasche Gabe von hochdosiertem TMP/SMX (20 mg/kg/d) kann lebensrettend sein. Die PJP kann sich foudroyant in wenigen Tagen, aber auch subakut über Wochen entwickeln. Die Behandlung erfolgt drei Wochen lang mit Cotrimoxazol (20 mg TMP/kg/Tag, in 3-4 Einzeldosen i.v. über 1 Stunde). Bei weniger ausgeprägter Erkrankung, wenn die akute Phase der Pneumonie überstanden und die gastrointestinale Aufnahme sichergestellt ist (kein Durchfall) kann auch oral behandelt werden. Steroide sind auch bei Kindern mit PJP dringend indiziert; Prednison initial 2 mg/kg/Tag für 1 Woche, dann über drei Wochen ausschleichen (z.B. 1 mg/kg über 1 Woche gefolgt von 0,5 mg/kg über 1 Woche, dann absetzen).

Eine PJP Prophylaxe (150 mg/m2 oder 5 mg/kg TMP/Tag an 3 Tagen der Woche) ist bei allen Kindern <12 Monate, bei neu diagnostizierten Kindern mit unvollständiger Immunrekonstitution (Primärprophylaxe) und nach überstandener PJP notwendig (Sekundärprophylaxe). Inzwischen hat eine retrospektive Analyse bei Kindern mit Immunrekonstitution unter HAART gezeigt, dass bei Erreichen der CD4 Altersnormwerte die PJP Prophylaxe sicher abgesetzt werden kann.

Cytomegalie-Virus (CMV)

CMV Pneumonie, Enteritis und Retinitis sind typische Komplikationen schwer immunsupprimierter Kinder. Ganciclovir wird über zwei bis drei Wochen intravenös über ein bis zwei Stunden in einer Dosis von 10 mg/kg/Tag (in zwei Einzeldosen) verabreicht, gefolgt von einer oralen Dauertherapie in wesentlich höherer Dosierung (90 mg/kg/Tag verteilt auf drei Einzeldosen). Dies kann aufgrund der Tablettenmenge schwierig sein. Valganciclovir ist bei Erwachsenen wirksam, größere Studien (insbesondere in Bezug auf die Dosierung) für Kinder fehlen. Zurzeit wird noch eine lebenslange Erhaltungstherapie mit Ganciclovir oder Valganciclovir empfohlen, allerdings ist bei vollständiger Immunrekonstitution ein Absetzen wahrscheinlich möglich. Studien hierzu gibt es bei Kindern nicht. Eine Alternative zu Ganciclovir oder Valganciclovir ist Foscarnet (180 mg/kg/Tag verteilt auf drei Einzeldosen).

Tuberkulose

Die Tuberkulose wird sich bei fortgeschrittener Infektion als pulmonale und extrapulmonale Form präsentieren. Bei letzterer ist die Lymphknotentuberkulose am häufigsten, Lymphknoten neigen dann zur Abszedierung und Fistelung. Bei der Behandlung ist besonders auf Interaktionen zwischen tuberkulostatischen und antiret-roviralen Medikamenten zu achten. Bei neu HIV-diagnostizierten und bisher unbehandelten Kindern sollte erst vier Wochen lang die tuberkulostatische Therapie gegeben und erst dann die antiretrovirale Therapie begonnen werden. Initial wird eine Therapie mit Isoniazid 10-15 mg/kg/Tag p.o. in einer Einzeldosis, Rifampicin 10-20 mg/kg/Tag p.o. in einer Einzeldosis, Pyrazinamid 20-40 mg/kg/Tag p.o. in einer Einzeldosis und Ethambutol 15-25 mg/kg/Tag p.o. in einer Einzeldosis gegeben. Bei Sensitivität des isolierten Erregers gegenüber den ersten zwei Substanzen können Ethambutol und Pyrazinamid nach zwei Monaten abgesetzt werden. Isoniazid und Rifampicin werden fortgeführt. Die minimale Gesamttherapiedauer beträgt für die pulmonale Tuberkulose neun Monate und für extrapulmonale Formen zwölf Monate.

Kommt es unter effektiver tuberkulostatischer Therapie und Ansprechen der HAART zu einer Zunahme von Lymphknotenschwellungen, pulmonalen und ZNS-Infiltraten und typischerweise neu auf-tretendem, hohem Fieber, wird dies als Immunrekonstitutionsyndrom (IRIS) bezeichnet. Das IRIS kommt nicht selten auch bei Kindern vor. Als Therapie werden ein bis zwei Wochen lang Steroide oder nicht-steroidale antiinflammatorische Medikamente empfohlen.

FAZIT

Das klinische Bild der HIV-Infektion bei Kindern hat sich in den westlichen Ländern von einer meist tödlichen zu einer chronischen Infektion gewandelt, vorausgesetzt, die HIV-Infektion wird rechtzeitig erkannt und behandelt. Das steht im Kontrast zu der Situation in den Entwicklungsländern, in denen ein Großteil der Kinder keinen Zugang zu HAART hat und nach Schätzungen der WHO alleine im Jahr 2001 mehr als 500.000 Kinder an den Folgen der HIV-Infektion gestorben sind.

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