GUNDULA NOTHEIS UND PETRA MANZEY, MÜNCHEN
Jugendliche mit HIV

Sowohl bei den perinatal infizierten Jugendlichen als auch bei den Jugendlichen, die sich erst im Jugendalter infiziert haben ist von Seiten der Ärzte und psychosozialen Mitarbeiter ein besonderes Augenmerk auf die spezifischen Probleme dieser Altersgruppe zu richten wie Adhärenz, veränderter Lebensstil, Alkohol, Nikotin, Drogen und Sexualität.


Abb. 1: "Was man mit den Tabletten alles machen kann"
Quelle: "Le BD contre silence". Autor: Jack Levy, Universitäts-Kinderklinik Brüssel

Inzwischen haben in Deutschland viele perinatal HIV-infizierte Kinder das Jugendalter erreicht. Diese Jugendlichen blicken auf eine lange Krankheitsgeschichte zurück und wurden meist schon über Jahre therapiert. Wenn es auch fast allen heute dank verbesserter Therapiemöglichkeiten gut geht, haben viele als Kinder HIV-assoziierte Erkrankungen durchgemacht, manche bis zum Vollbild AIDS. Bei einigen Jugendlichen resultiert daraus eine verzögerte Pubertätsentwicklung. Durch Einschränkung vorhandener Behandlungsmöglichkeiten wurden einige Patienten eine Zeit lang nicht ausreichend therapiert, was zu Resistenzentwicklung und wechselnden Therapieregimen führte. Im Gegensatz hierzu sind Jugendliche, die sich erst im Jugendalter angesteckt haben, zu betrachten. Falls eine Behandlung erforderlich ist, können die Patienten von Anfang an effektiv behandelt werden. In der Regel bestehen keine Vorerkrankungen. Andererseits müssen sich diese Patienten erst mit der HIV-Diagnose auseinandersetzen und sich an Therapieregime gewöhnen.

ADHÄRENZ - EIN GROßES PROBLEM

Es gibt zahlreiche Studien bei Jugendlichen mit einer chronischen Erkrankung wie Diabetes und Asthma bronchiale, die eine mangelnde Adhärenz in dieser Altersgruppe belegen. Für eine erfolgreiche HIV-Therapie ist eine Adhärenz von mindestens 95% erforderlich, um Therapieversagen und Resistenzentwicklung zu vermeiden.

Der Lebensstil von Jugendlichen wie langes Schlafen und langes Ausgehen, aber auch neue Arbeitsbelastungen in der Schule oder Lehre verhindern oft die regelmäßige Tabletteneinnahme. Erinnerungssysteme wie Wecker und Handys sowie kleine Medikamentenboxen zur diskreten Mitnahme der Tabletten können die Adhärenz der Jugendlichen erleichtern. Bei jedem ambulanten Kontrolltermin ist detailliert nach der Medikamenteneinnahme zu fragen, Probleme wie Nebenwirkungen, Pillenbelastung etc. anzusprechen und diese, wenn möglich zu lösen. Adhärenz und Akzeptanz können zusätzlich über Fragebögen dokumentiert werden. Durch die regelmäßige Überwachung der Medikamentenspiegel kann oft schon frühzeitig eine mangelnde Adhärenz erkannt werden, auch wenn diese vom Patient zunächst nicht offen zugegeben wurde. Die regelmäßige Einnahme der antiretroviralen Therapie erfordert gerade von den infizierten Jugendlichen ein hohes Maß an Disziplin, was in dieser Lebensphase eine große Herausforderung darstellt. Die tägliche Tabletteneinnahme erinnert immer wieder an die Erkrankung und konfrontiert in diesem Alter mit dem Thema: eigene Erkrankung, Ansteckung, Sexualität und evtl. Mitteilung der Diagnose an den Sexualpartner.

So kann es bei perinatal infizierten Jugendlichen zur Therapiemüdigkeit kommen, während neu Infizierte die HIV- Infektion oft ignorieren möchten. Misstrauen gegenüber dem Medizinbetrieb, Unwissenheit über den Verlauf der HIV-Infektion und ihrer effektiven Behandlung stehen einer erfolgreichen Therapie im Wege.

MEHR EIGENVERANTWORTUNG DURCH SCHULUNG DER JUGENDLICHEN

  • Wie ist die Tabletteneinnahme im Schullandheim oder im Urlaub mit Freunden möglich?
  • Wo bewahre ich die Medikamente auf?
  • Ist es möglich mal ein paar Tage nicht daran zu denken und sie einfach wegzulassen?
  • Ich fühle mich gut, warum immer diese Tabletten?
  • Wer ist verantwortlich für die regelmäßige Tabletteneinnahme? Ich oder meine Mutter?
  • Wie erkläre ich die Notwendigkeit, ein Kondom zu benutzen? Kann ich das "handling" überhaupt?
  • Muss ich meine Infektion überhaupt wem mitteilen?
  • Wann und wie sage ich es? Wie wird mein Ansprechpartner reagieren?
  • Welche Erfahrungen haben andere Jugendliche damit?

Tab. 1: Problemfelder, die in den Gesprächseinheiten während der Jugendschulung von den betroffenen Jugendlichen beschrieben werden

Die Sozialpädagogen der Immundefekt-Ambulanz des Dr. von Haunersches Kinderspital organisieren seit 2003 jedes Jahr eine Schulung für betroffene Jugendliche im Alter von 12 bis 16 Jahren. Der zeitliche Rahmen umfasst drei Tage, in denen tägliche Gesprächseinheiten und Freizeitaktivitäten miteinander verbunden werden (Tab. 1). Die Handhabung der Kontrolltermine von den betreuten Jugendlichen hat sich seitdem verändert. Durch das Kennenlernen und den Austausch unter den betroffenen Gleichaltrigen in der Jugendschulung haben einige Jugendliche mehr Eigenverantwortung für die medizinische Therapie übernommen und kommen jetzt eher alleine zum Vorstellungstermin in die Klinik. In Abwesenheit der Eltern fällt es den Jugendlichen und auch den Beratern leichter, über die aktuellen Probleme bei der Tabletteneinnahme und über sexuelle Erfahrungen zu sprechen. Mit den Eltern stehen Sozialpädagogen in einem regelmäßigen telefonischen oder persönlichen Kontakt.

SOZIALPÄDAGOGEN MIT INS TEAM

Der Wunsch "normal" wie die Anderen zu sein, steht bei den Jugendlichen im Vordergrund. Allein die Verantwortung für die regelmäßige Tabletteneinnahme übernehmen zu müssen, die Disziplin, daran täglich zu denken, die Konsequenzen zu überblicken und zu verantworten, stellen für den Jugendlichen eine Überforderung dar. Der Sozialpädagoge im Team übernimmt die wichtige Aufgabe, den Kontakt mit den Jugendlichen zu halten und - weg vom "erhobenen Zeigefinger" -, ganz praktische Lösungs- und Unterstützungsstrategien zu erarbeiten.

Es ist sehr wichtig, dass die Patienten über den Verlauf der HIV-Infektion und über die Behandlungsmethode genau Bescheid wissen. Dies kann zum einen im medizinischen Gespräch, aber auch etwas lockerer anhand eines Comics erläutert werden (Abb. 1).

Mit zunehmendem Alter kommen weitere Risikofaktoren wie Alkohol, Nikotin oder Drogen hinzu, die die Adhärenz, aber auch die HIV-Therapie beeinflussen. Der behandelnde Arzt sollte darüber vom Jugendlichen informiert werden, um Toxizität und Medikamenten-Interaktionen zu berücksichtigen.

UMGANG MIT DER SEXUALITÄT PROBLEMATISCH

Die Pubertät ist geprägt von Auseinandersetzungen mit den Eltern und der Schule, von Wünschen, Ängsten und Erwartungen. Die Gesprächsmöglichkeit innerhalb der "Peergroup" ist in dieser Phase besonders bedeutend. Die Eltern stehen als altmodische, nervige Gesprächspartner meist außen vor. Die sexuelle Entwicklung in der Pubertät stellt für alle Jugendlichen eine schwierige Zeit dar.

Für die HIV-infizierten Jugendlichen ist der Umgang mit ihrer Sexualität in Verbindung mit einer sexuell übertragbaren Erkrankung eine besondere Herausforderung. Auf der einen Seite läuft die sexuelle Entwicklung dem Alter entsprechend. Auf der anderen Seite können sie über die emotionalen Ängste und Bedürfnisse bezüglich der HIV-Infektion nicht sprechen. Die berechtigte Sorge, stigmatisiert und abgelehnt zu werden, bestimmt und schränkt die Auseinandersetzung mit den Gleichaltrigen ein. Viele infizierte Jugendliche vermeiden es, ihre eigene Sexualität zu erfahren und auszuleben. Für sie ist Sexualität eng mit der eigenen Infektion und den Ängsten und Vorbehalten gegenüber HIV/AIDS verbunden. Das Geheimnis darf nicht offenbart werden. Die eigenen sexuellen Bedürfnisse werden verdrängt.

Nur wenige Jugendliche gehen sehr offen und ehrlich mit dem gewünschten Sexualpartner um und informieren ihn am Anfang der sexuellen Beziehung über ihre Infektion. Die Reaktionen des Partners reichen vom sofortigen Beziehungsabbruch bis zur intensiven Annäherung. Es gibt auch Fallbeispiele, in denen die betroffenen Jugendlichen die Erkrankung trotz Gesprächs- und Aufklärungsangeboten ausblenden und weder die Partner informieren, noch für den ausreichenden Schutz sorgen. Erlebte Wertvorstellungen, Konfliktmanagementstrategien und Umgangsregeln mit der Infektion im Elternhaus als Lern- und Orientierungsmodell beeinflussen wie ein Jugendlicher mit seiner HIV-Infektion umgeht.

Überraschend ist die frühe Auseinandersetzung der Jugendlichen mit dem Thema Kinderwunsch. 12- bis 13-Jährige sprechen darüber und fragen in der Jugendschulung, ob sie gesunde Kinder zur Welt bringen können und später die Möglichkeit der Familiengründung trotz HIV-Erkrankung besteht. Extrem wichtig ist die Beratung über geschützten Geschlechtsverkehr. Für Mädchen werden noch zusätzliche Maßnahmen zur Empfängnisverhütung empfohlen. Diese sollten mit dem Gynäkologen besprochen und falls die "Pille" verordnet wird, sind die Wechselwirkungen mit der HAART zu beachten.

MÖGLICHST SANFTER ÜBERGANG ZUR ERWACHSENENMEDIZIN

Inzwischen sind viele unserer Jugendlichen über 18 Jahre alt, und wir müssen Modelle entwickeln, die einen sanften Übergang von der auf das Kind fokussierten Medizin auf die Erwachsenenmedizin ermöglichen. In der Ambulanz der Kinderklinik werden die Patienten familienorientiert von einem multiprofessionellen Team aus Kinderarzt, Sozialpädagogen und Kinderkrankenschwestern betreut. Normalerweise besteht eine lange Beziehung zwischen den Betreuern und dem Patienten und dessen Familie. Für die Jugendlichen mag die nur auf den Patienten konzentrierte medizinische Betreuung in einer Klinik für Erwachsene oder in der Praxis eines Internisten ungewohnt sein. Deshalb ist es wichtig, den Patienten auf die Umstellung vorzubereiten und den zukünftigen Behandlern die zu erwartenden Probleme darzustellen. Falls möglich und erwünscht wird der Jugendliche bei der Erstvorstellung beim Internisten von seinem betreuenden Sozialpädagogen begleitet.

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