HARTWIG KLINKER, WÜRZBURG
Interaktionen ART - Substitution - Drogen

Die gleichzeitige Einnahme/Gabe einer HAART und einer Opioid-Agonisten-Therapie (OAT) bei drogensüchtigen HIV-Infizierten stellt besondere Anforderungen an den Patienten und den Behandler. Neben der Therapieadhärenz und der hohen Prävalenz von chronischen Lebererkrankungen spielen pharmakologische Wechselwirkungen zwischen den eingesetzten Medikamenten eine wichtige Rolle.

URSACHE UND RELEVANZ

Pharmakologische Interaktionen resultieren in erster Linie aus der Konkurrenz zweier oder mehrerer Substanzen um das abbauende Enzymsystem oder einer Induktion bzw. Inhibition desselben. Eine zentrale Bedeutung hat in diesem Zusammenhang das Cytochrom P450-System (CYP) in den Lebermikrosomen und der Darmmukosa-Zelle. Daneben spielt das P-Glykoprotein, ein als Efflux-Pumpe funktionierendes Membran-Transport-System, eine Rolle. Allgemein werden pharmakokinetische Interaktionen für klinisch relevant erachtet, wenn eine zumindest 30%ige Änderung in der maximalen oder minimalen Substanz-Konzentration oder eine entsprechende Änderung der Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve (Area under curve = AUC) resultiert.

METABOLISMUS

Tab. 1: Metabolismus von Opioid-Agonisten und antiretroviralen Substanzen
Tab. 1: Metabolismus von Opioid-Agonisten und antiretroviralen Substanzen

Pharmakokineti-sche Interaktionen können grundsätzlich die Absorption, die Verteilung, den Metabolismus und die Elimination von Pharmaka betreffen. Am bedeutendsten sind Interaktionen am metabolisierenden Enzymsystem. Die wichtigsten am Metabolismus der ART und der OAT beteiligten Enzyme sind in Tabelle 1 aufgeführt.

NUKLEOSIDISCHE REVERSE TRANSKRIPTASE INHIBITOREN (NRTI)

Die in der ART eingesetzten NRTI Abacavir, Azidothymidin, Didanosin, Emcitricitabin, Lamivudin, Stavudin und Tenofovir werden weder nennenswert am Cytochrom P450-System metabolisiert noch induzieren oder inhibieren sie die CYP-Enzyme. Es ist deshalb bei Kombination mit diesen Substanzen nicht mit relevanten Wechselwirkungen zu rechnen.

NICHT NUKLEOSIDISCHE REVERSE TRANSKRIPTASE INHIBITOREN (NNRTI)

Die in Deutschland seit längerer Zeit zugelassenen NNRTI Nevirapin und Efavirenz werden intensiv am Cytochrom-System verstoffwechselt. Beide Substanzen wirken darüber hinaus überwiegend induzierend auf das Enzymsystem und können so zu einem schnelleren Abbau einer ebenfalls CYP-abhängigen Begleitmedikation führen. Das seit kurzem zugelassene Etravirin ist Substrat und ein schwacher Induktor von CYP3A4 sowie Substrat und ein schwacher Inhibitor von CYP2C9 und CYP2C19.

PROTEASE-INHIBITOREN (PI)

Die derzeit verfügbaren PI Atazanavir, Darunavir, Fosamprenavir, Indinavir, Lopinavir, Ritonavir, Saquinavir und Tipranavir unterliegen einem besonders ausgeprägten CYP-Metabolismus und sind außerdem in unterschiedlichem Ausmaß P-Glykoprotein-Substrate. Am CYP-System wirken sie vor allem inhibierend, an einigen Isoenzymen aber auch induzierend. Daher sind Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten in dieser Substanzklasse besonders häufig. Jeder PI hat sein eigenes Profil bezüglich seines CYP-Metabolismus und seiner CYP-inhibierenden oder -induzierenden Eigenschaften.

FUSIONS-INHIBITOREN (FI)

Der einzige Fusions-Inhibitor, Enfurvitid, ist kein CYP-Substrat und beeinflusst dieses auch nicht. Daher spielen Wechselwirkungen hier keine Rolle.

CCR5-KOREZEPTOR-INHIBITOREN (CCR5-I)

Maraviroc ist ist ein Substrat des CYP P450 3A4-Isoenzyms und kann durch Stoffe, die dieses CYP-Isoenzym induzieren oder inhibieren, in seiner Pharmakokinetik erheblich verändert werden. Daher wird eine Dosisanpassung von Maraviroc empfohlen, wenn gleichzeitig CYP3A4-Induktoren oder -inhibitoren gegeben werden.

INTEGRASE-INHIBITOREN (II)

Raltegravir wird nicht am CYP-System metabilisiert und führt weder zu einer Induktion von CYP3A4 noch zu einer Inhibition der wichtigsten Cytochrom P450-Isoenzyme. Raltegravir wird hauptsächlich über die Glucuronosyltransferase 1A1 zum Raltegravir-Glucuronid abgebaut.

OPIOID-AGONISTEN

Methadon hat eine lange Halbwertszeit von 24-36 Stunden, ein steady-state wird nach ca. 3-5 Tagen erreicht. Methadon wird rasch resorbiert, unterliegt dann allerdings einem erheblichen first-pass Metabolismus, was zu variablen Plasmakonzentrationen der Substanz führt. Methadon wird am mikrosomalen CYP-System der Leber intensiv, mit einer erheblichen interindividuellen Variation (!) metabolisiert. Daher können pharmakologische Interaktionen zu interindividuell unterschiedlichen Auswirkungen auf die Plasmakonzentrationen und zu differenten klinischen Effekten bei Patienten mit identischer Komedikation führen.

Buprenorphin (BUP) unterliegt in erster Linie einer N-Dealkylierung zu Norbuprenorphin, welches selbst keine pharmakologische Aktivität besitzt. Diese erfolgt vorwiegend (ca. 65%) am CYP3A4, daneben am CYP 2C8 (ca. 30%). Buprenorphin und Norbuprenorphin wirken in vitro als Inhibitoren von CYP3A4 und auch CYP2D6 (Zhang et al. 2003).

INTERAKTIONEN METHADON

Interaktionen von Methadon mit einigen NRTI sind zwar beschrieben, die Ergebnisse aber zum Teil widersprüchlich, klinisch sind sie offensichtlich nicht relevant. Eine Kombination von Methadon mit Enfurvitide oder Raltegravir sollte ebenfalls keine Rolle spielen, hier liegen jedoch noch sehr wenige Daten vor.

Die Interaktionen von Methadon mit den beiden NNRTI Efavirenz und Nevirapin sind dagegen sowohl aus pharmakologischen Studien als auch zahlreichen klinischen Beobachtungen bekannt. Es kommt zu einer Verminderung der Methadon-AUC bis ca. 50%. Hier ist mit einer erheblichen Wirkungsabschwächung von Methadon mit der möglichen Folge des Auftretens von Entzugserscheinungen zu rechnen. Diese können sich bereits nach wenigen Tagen einstellen. Oft werden Methadon-Dosissteigerungen zwischen 25% und 50% notwendig.

Die Interaktionen zwischen Etravirin und Methadon sind geringfügig und erfordern keine Dosisanpassung.

Protease-Inhibitoren können je nach Substanz zu einer, meistens aber eher geringgradigen, Wirkungsabschwächung oder auch Wirkungsverstärkung von Methadon führen. Die mit einem Methadon-Exzess assoziierten Symptome entwickeln sich typischerweise eher langsam über 10-20 Tage.

Pharmakologische Wechselwirkungen mit dem CCR5-Inhibitor Maraviroc sind denkbar, die Datenlage ist allerdings noch gering. Interaktionen mit Methadon und Buprenorphin sind bislang nicht untersucht, gemäß der Fachinformation von Celsentri® (Maraviroc) können sowohl Methadon als auch Buprenorphin ohne Dosisanpassung gegeben werden.

INTERAKTIONEN BUPRENORPHIN

Die geschilderten Wechselwirkungen gelten prinzipiell in gleicher Weise auch für eine Komedikation mit Buprenorphin, sind hier insgesamt aber weniger stark ausgeprägt als bei Methadon. Insbesondere scheinen hier trotz nachweisbarer pharmakologischer Interaktionen mit Reduktion der Buprenorphin-Spiegel seltener klinische Entzugserscheinungen aufzutreten.

Ein signifikanter Anstieg der BUP-AUC wurde unter Therapie mit dem Protease-Inhibitor Ritonavir beobachtet, ohne dass klinische Symptome einer BUP-Überdosierung zu beobachten waren. Die Fix-Kombination Lopinavir/Ritonavir veränderte die BUP-Pharmakokinetik dagegen wesentlich. BUP selbst hatte keinen erkennbaren Einfluss auf die PI-Plasmakonzentrationen.

Der PI Atazanavir führt sowohl ungeboostert als auch geboostert mit Ritonavir zu einem signifikanten Anstieg der minimalen und maximalen BUP-Konzentration, ebenso der BUP-AUC. Einige der Studienpatienten zeigten unter dieser Komedikation deutlich verstärkte Sedierungseffekte. Eine Dosisreduktion von BUP sollte deshalb erwogen werden.

Wesentliche pharmakologische Auswirkungen einer Methadon- oder Buprenorphin-Medikation auf die ART sind nicht beschrieben, können aber auch nicht ausgeschlossen werden. Die derzeitigen Kenntnisse über pharmakologische Interaktionen zwischen antiretroviralen Substanzen und den Opioid-Agonisten Methadon und Buprenorphin sind in Tabelle 2 zusammengefasst.

INTERAKTIONEN SONSTIGE SUBSTANZEN

Benzodiazepine gehören zu den am häufigsten rezeptierten Medikamenten, daneben wird vielfach ein Abusus mit diesen Substanzen betrieben. Einige Benzodiazepine (z.B. Alprazolam, Clonazepam, Midazolam, Triazolam) unterliegen einem CYP3A4-Metabolismus und besitzen daher ein Interaktionspotenzial mit anderen CYP3A4-Substraten, insbesondere Protease-Inhibitoren. Derartige Interaktionen mit der klinischen Konsequenz einer erheblich verstärkten Benzodiazepinwirkung sind gut dokumentiert und müssen unbedingt beachtet werden. Alternativ ist ein Einsatz von z.B. Lorazepam, Temazepam oder Zolpidem möglich, da diese Substanzen nicht am CYP3A4 metabolisiert werden.

Ecstasy (3,4-Methylenedioxy-N-methamphetamin, MDMA) wird wesentlich am Cytochrom P450-Isoenzym 2D6 metabolisiert. Kasuistisch ist eine ausgeprägt verstärkte Toxizität von MDMA bei HIV-Patienten unter einer Ritonavir-haltigen HAART.

Heroin (Diamorphin/Diacetylmorphin/DAM) wird im Organismus zu Morphin abgebaut. Die Glucuronidierung von Morphin zu der aktiven Form Morphin-6-Glucuronid kann durch Ritonavir induziert werden. Klinisch relevante Interaktionen sind bislang allerdings nicht beschrieben.

Die Elimination von Kokain erfolgt unter Mitbeteiligung von CYP3A4, weshalb Interaktionen mit einer gleichzeitig verabreichten HAART denkbar sind. Zu möglichen Interaktionen zwischen Marijuana und antiretroviralen Substanzen liegen nur sehr spärliche Daten vor, die insgesamt keine Hinweise auf relevante Interaktionen ergeben.

Tab. 2: Interaktionen zwischen antiretroviralen Wirksubstanzen und Opioid-Agonisten}
Tab. 2: Interaktionen zwischen antiretroviralen Wirksubstanzen und Opioid-Agonisten

FAZIT

Patienten mit HIV-Infektion, die im Rahmen einer langfristigen Drogenersatzbehandlung antiretroviral behandelt werden, sind insbesondere in der Anfangszeit einer Kombinationsbehandlung engmaschig in Bezug auf Symptome eines Entzugs, aber auch einer Intoxikation hin zu beobachten. Die Patienten sollten vor Beginn einer entsprechenden Kombination auf das mögliche Auftreten solcher Symptome hingewiesen werden. Gegebenenfalls muss die Dosis schrittweise angepasst werden.

Die Kombination von Methadon mit den NNRTI Nevirapin oder Efavirenz sollte vermieden werden. Falls dies nicht möglich ist, ist eine besonders engmaschige Überwachung notwendig.

Besondere Vorsicht ist immer dann geboten, wenn neue Kombinationspartner in die ART eingeführt werden, zu denen noch wenige pharmakokinetische Daten zu möglichen Interaktionen vorliegen.

Das Instrument des Therapeutischen Drug Monitoring, sowohl bezüglich der Substitutionstherapie als auch der HAART, könnte geeignet sein, Interaktionen frühzeitig zu erkennen und sollte deshalb großzügig eingesetzt werden.


Literatur

Bruce RD, Altice FL, Gourevitch MN, Friedland GH. Pharmacokinetic drug interactions between opioid agonist therapy and antiretroviral medications: implications and management in clinical practice. J Acquir Immune Defic Syndr 2006; 41: 563-572

Bruce RD, McCance-Katz EF, Kharasch ED et al. Pharmacokinetic interactions between buprenorphine and antiretroviral medications. Clin Infect Dis 2006; 43 (Suppl 4): S216-S223

DiFrancesco R, Fischl MA, Donnelly J et al. Buprenorphine assay and plasma concentration monitoring in HIV-infected substance users. J Pharmaceut Biomed Analysis 2007; 44: 188-195

H. Klinker. Pharmakologische Interaktionen bei der antiretroviralen Therapie. Arzneimitteltherapie 2005;23: 80-88

McCane-Katz EF. Treatment of opioid dependence and coinfection with HIV and hepatitis C virus in opioid-dependent patients: the importance of drug interactions between opioids and antiretroviral agents. Clin Infect Dis 2005: 41 (Suppl 1): S89-S95

Ottero MJ, Fuertes A, Sanchez R et al. Nevirapine-induced withdrawal symptoms in HIV patients on methadone maintenance programme: an alert. AIDS 1999; 13: 1004-1005

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