Stefan Graafen,
Michael Jansky1, Maria Blettner2, Burkhard Schappert3
Welchen
Fortbildungsbedarf sehen Allgemeinärzte in Bezug auf HIV?
Im Jahre 2007 infizierten sich weltweit ca. 2,5 Millionen Menschen neu mit dem HI-Virus. Insgesamt wird die Anzahl der an HIV-Erkrankten auf 33,2 Millionen (30,6 Millionen – 36,1 Millionen) geschätzt [UNAIDS/WHO 2007]. In Deutschland sind es etwa 59.000 [Robert Koch-Institut 2007]. Da im Jahre 2007 in der Bundesrepublik 59.000 Hausärzte praktizierten, bedeutet dies statistisch gesehen, dass auf jeden hausärztlich tätigen Mediziner durchschnittlich ein HIV-Patient kam.
Aufgrund dieser geringen Anzahl, stellte sich für uns die Frage, ob und wenn ja welchen Fortbildungsbedarf Hausärzte im Bezug auf HIV sehen. Da in Deutschland einerseits wegen der guten Erfolge der antiretroviralen Therapie die jährliche Todesrate stark rückläufig ist (im Jahre 2007 verstarben 700 Menschen an HIV/AIDS [Robert Koch-Institut 2007]) andererseits die Neuinfektionsrate ansteigt (im Jahre 2007 2.700 Fälle) ist zukünftig mit einer steigenden Zahl HIV-Positiver hierzulande zu rechnen. Dem zu Folge werden mehr HIV-Patienten vom Hausarzt betreut werden und dieser wird öfters die erste Anlaufstation eines HIV-Infizierten sein [Aceto et al. 2005]. Die akute HIV-Infektion verläuft in bis zu 90% der Fälle vorübergehend symptomatisch [Streeck et al. 2008]. Ungefähr 30% der HIV-Infizierten zeigen einige Wochen nach der Infektion mit dem HI-Virus ein mononukleoseähnliches Krankheitsbild mit Lymphknotenschwellungen, Fieber, Splenomegalie, Angina, Myalgien und Exanthem. Aufgrund der zu diesem Zeitpunkt sehr hohen Viruslast besteht hier auch die größte Infektiösität. Da ein frühzeitiges Erkennen der Symptome einer akuten HIV-Infektion und das Stellen der Diagnose sowohl für den Patienten als auch für die Gesellschaft von außerordentlicher Bedeutung ist, wäre es wünschenswert, dass die Hausärzte dazu auch in der Lage sind. Bei der von uns durchgeführten Untersuchung interessierte vor allem welchen Bedarf Allgemeinmediziner an Fortbildung auf dem Gebiet HIV/AIDS sehen.
Methode
Als Erhebungsinstrument diente einer von den Autoren selbst entwickelter Fragebogen. Dieser wurde in einem Pretest-Verfahren evaluiert und anschließend allgemeinmedizinisch tätigen Ärzten im näheren Einzugsgebiet der Universität Mainz per Post zugesandt.
Der Fragenbogen umfasst 18 Fragen, die folgende Themenbereiche ansprechen:
- Charakteristika des Studienteilnehmers und die seiner Praxis
- Merkmale der behandelnden HIV-Patienten
- Selbsteinschätzung des eigenen Wissen über HIV/AIDS
- Fortbildungen auf dem Gebiet HIV/AIDS
- Zusammenarbeit mit einem HIV-Spezialisten
Anderthalb Monate nach Anschreiben der Ärzte wurden alle eingetroffenen Fragebögen ausgewertet und mit dem Tabellenkalkulationsprogramm EXCEL analysiert. Zur besseren Veranschaulichung werden Kuchendia- und Histogramme sowie Tabellen verwendet.
Ergebnisse
Von ursprünglich 459 angeschriebenen Ärzten, haben 205 Personen an der Studie teilgenommen. Dies entspricht einer Rücklaufquote von 44,7%. In die Auswertung sind 200 Ärzte eingegangen (Grund war das Überschreiten der zeitlichen Deadline). Auf ein Eruieren der Gründe für eine Nichtteilnahme und auf die Durchführung eines Recalls wurde wegen der zufriedenstellenden Rücklaufquote verzichtet.
Die Beteiligung beider Geschlechter ist ausgewogen. Der Anteil an Frauen beläuft sich auf 37%, bei den Männern auf 63%. Werden diese Anteile mit den anfangs erhobenen Zusendungsdaten verglichen, liegt bei den Frauen eine Responserate von 46% und bei den Männern eine von 42,3% vor.
Fast jeder 2. teilnehmende Arzt ist im Alter von 51-60 Jahren gefolgt von der Gruppe der 41-50 jährigen mit 31,5%. Vorwiegend vertreten mit einem Anteil von 65% sind Ärzte, welche in Regionen <50.000 Einwohner praktizieren.
Interesse nach vermehrter Fortbildung im Bereich HIV/AIDS
Bei fast der Hälfte des befragten Kollektivs liegt ein Wunsch nach vermehrter Fortbildung (hierzu zählen jegliche Formen exklusiver Fachzeitschriften) im Bereich HIV/AIDS vor.
Das eigene Wissen über HIV/AIDS wird im Median als ausreichend eingeschätzt, wie die Abbildung 1 zeigt.
Abb. 1: Eingeschätztes Wissen über HIV/AIDS
Allgemein werden von hausärztlich tätigen Ärzten Weiterbildungsformen mittels Fachzeitschriften und Abendveranstaltungen bevorzugt. Ein Interesse speziell an vermehrten Fachartikeln über HIV/AIDS bekunden 61,5% der Studienteilnehmer.
Tabelle 1 beinhaltet die Themenbereiche in denen Allgemeinmediziner noch Fortbildungsbedarf sehen. Am häufigsten wird die Postexpositionsprophylaxe genannt. An zweiter Stelle werden die antiretrovirale Therapie sowie die Behandlung von opportunistischen Infektionen und das Management von medikamentösen Nebenwirkungen genannt. Als weiteren wichtigen Fortbildungsinhalt wünschen sich die Befragten das Erkennen von Symptomen der akuten HIV-Infektion (Tab. 1).
Tab. 1: Die Rangfolge der Fortbildungsthemen über HIV/AIDS
der Allgemeinmediziner
59,5% der Ärzte haben bereits an einer Fortbildung über das Thema HIV/AIDS teilgenommen. Es wird überwiegend das Lesen von Artikeln in Fachzeitschriften als Fortbildungsform bevorzugt. Dies haben insgesamt 112 Ärzte angegeben, gefolgt von Fortbildungen in Form von Abendveranstaltungen mit 24% (48 Personen).
Als Gründe für eine Nicht-Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen werden vor allem der nicht vorhandene Bedarf aufgrund geringer HIV-Patientenzahlen, der persönliche Zeitmangel und das geringe Angebot an geeigneten Fortbildungsveranstaltungen genannt (Abb. 2).
Abb. 2: Gründe, warum Ärzte auf Fortbildung im Bereich
HIV/AIDS verzichten
Aktuelle Versorgungssituation von HIV-Patienten
Eine enge Zusammenarbeit mit einem HIV-Spezialisten pflegen 93,8% der Studienteilnehmer. Diese Kooperation wurde im Median als befriedigend beurteilt. Eine kleine Minderheit (6,2%) arbeitet entweder mit einem nicht auf HIV spezialisierten Internisten zusammen oder verzichtet ganz auf eine Zusammenarbeit.
Zusammenhang zwischen dem Interesse an vermehrten Artikeln über HIV und den eigenen HIV-Patienten im letzten halben Jahr
Tendenziell zeigen allgemeinmedizinisch tätige Ärzte Interesse an vermehrten Artikeln über HIV. Dieses steigt parallel mit der Anzahl der zu betreuenden HIV-Patienten im letzten halben Jahr an. Wie in Abbildung 3 dargestellt liegt ab einer Anzahl von 4 Patienten die Befürwortungsquote bei 100% (Abb. 3).
Abb. 3:
Zusammenhang zwischen dem Interesse an vermehrten Artikeln über HIV und den
eigenen HIV-Patienten im letzten halben
Jahr
Zusammenhang zwischen der Zusammenarbeit mit einem HIV-Spezialisten und dem Interesse an vermehrter Fortbildung
Je besser die Zusammenarbeit mit einem HIV-Spezialisten vom Allgemeinmediziner eingeschätzt wird, desto geringer ist sein Interesse an Fortbildung in diesem Bereich. Dies zeigt die Abbildung 4. Ärzte, die die Zusammenarbeit als schlecht beurteilen, wünschen sich zu 67% mehr Fortbildungen. Bei guter Zusammenarbeit sind es 58,5% (Abb. 4).
Abb. 4: Zusammenhang zwischen der Zusammenarbeit mit einem
HIV-Spezialisten und dem Interesse an vermehrter Fortbildung
Die Allgemeinmediziner sehen vor allem, wie Tabelle 2 zeigt, Verbesserungsbedarf in einem beschleunigten Informationsfluss bezüglich Patientenbefunde und Therapie sowie im Bereich Terminvergabe. Hier sollten zeitnahe Patientenvorstellungen ermöglicht werden (Tab. 2).
Tab. 2: Wünsche die Zusammenarbeit der Allgemeinmediziner
mit einem HIV-Spezialisten betreffend
Diskussion
Zur Repräsentativität der Stichprobe
59.000 Ärzte haben laut der Kassenärztlichen Bundesvereinigung am 31.12.2006 an der hausärztlichen Versorgung in Deutschland teilgenommen. Während die Alters- und Geschlechtsverteilung repräsentativ erscheint, findet sich ein Unterschied bezüglich der Anzahl der betreuten HIV-Patienten pro Arzt zwischen der Studien- und der Gesamtpopulation. Anhand der Daten des Robert Koch-Institutes (RKI) wurden zum Zeitpunkt der Befragung durchschnittlich 0,95 HIV-positive Patienten pro niedergelassenen Allgemeinmediziner betreut. Dagegen fällt in der vorliegenden Untersuchung die durchschnittliche Anzahl von HIV-Patienten pro Arzt mit ca. 1,59 deutlich höher aus. Als mögliche Ursachen sind hierfür zu diskutieren:
- das ausgewählte Einflussgebiet der Universität Mainz gehört laut RKI zu den Gebieten in Deutschland mit durchschnittlich höherer HIV-Patientenzahl
- möglicherweise haben Hausärzte, die schon HIV-Patienten betreuen, vermehrt an der Studie teilgenommen.
Dem Problem der Beantwortung von Fragen im Rahmen der „Sozialen Erwünschtheit“ wurde versucht durch die Anonymität der Befragung zu begegnen. Ganz auszuschließen ist das Phänomen, gerade bei einem so sensiblen Thema wie HIV und AIDS, natürlich nie.
Interesse an Fortbildung auf dem Gebiet HIV/AIDS
Bei hausärztlich tätigen Ärzten besteht ein generelles Interesse an vermehrter Fortbildung im Bereich HIV/AIDS. Fast zwei Drittel der Befragten bevorzugen diesbezüglich Artikel in Fachzeitschriften. Diesem Fortbildungsinstrument sollte daher, möglicherweise auch im Rahmen von CME, verstärkt Rechnung getragen werden.
Das Interesse an vermehrter Fortbildung im Bereich HIV/AIDS wird scheinbar maßgeblich von folgenden Faktoren beeinflusst:
• Je mehr HIV-positive Patienten ein Hausarzt betreut, desto größer ist dessen Interesse an diesbezüglicher Fortbildung
Dies könnte damit zusammenhängen, dass sich für den Arzt der enorme zeitliche Aufwand für die Fortbildung im Bereich HIV/AIDS nur dann lohnt, wenn er mehrere HIV-Patienten betreut. Umgekehrt werden höchstwahrscheinlich mehr HIV-Positive sich diesen Arzt als Hausarzt wählen, weil er aufgrund der Fortbildungen eine größere Kompetenz auf diesem Sektor hat.
Ein weiterer Faktor, der den Besuch von Fortbildungsveranstaltungen erhöht, ist die Zufriedenheit mit vorausgegangenen Veranstaltungen.
• Je besser die subjektiv wahrgenommene Qualität der Fortbildung war, desto größer der Wunsch nach weiterer Fortbildung
Dies bedeutet, dass bei der Entwicklung von Fortbildungsveranstaltungen ein hoher Wert auf die Qualität gelegt werden sollte.
Keinen Einfluss auf das Interesse an Fortbildung haben anscheinend die Faktoren „Alter des Arztes“ und „Größe des Praxisortes“ (gemessen an der Einwohneranzahl)
Einen negativen Einfluss auf das Interesse nach Fortbildung scheint dagegen folgender Zusammenhang zu haben:
• Je größer die Zufriedenheit beim Hausarzt bezüglich der Zusammenarbeit mit einem HIV-Spezialisten ist, desto weniger sein Wunsch nach Fortbildung
Dies könnte damit zusammenhängen, dass der Hausarzt seinen Patienten durch die Kooperation mit dem Spezialisten gut betreut und daher nicht die Notwendigkeit einer eigenen intensiven Fortbildung auf dem Gebiet HIV/AIDS sieht. Eine gute fachliche Zusammenarbeit mit einem HIV-Spezialisten entlastet anscheinend den Hausarzt und sollte daher angestrebt werden.
Als Hauptgründe für eine bisherige Nichtteilnahme an Fortbildungsveranstaltungen im Bereich HIV/AIDS geben die Untersuchungsteilnehmer an:
• keinen Bedarf (da keine oder nur sehr wenige HIV-Patienten), keine Zeit und keine Angebote.
Die Gründe „keinen Bedarf“ oder „keine Zeit“ sind durchaus nachvollziehbar. Möglich wäre, dass der Hausarzt der Meinung ist, dass er seine begrenzte Zeit, die ihm für Fortbildungsmaßnahmen bleiben, eher in die sogenannten Volkskrankheiten wie Hypertonie, Diabetes oder Rückenschmerz investiert; gegenüber HIV hat er hier ein vielfaches an Patienten, die an diesen Erkrankungen leiden. Dem mangelnden Angebot an HIV Fortbildungsveranstaltungen könnte und sollte jedoch Abhilfe geschaffen werden.
Fortbildungsinhalte über HIV/AIDS
Bei der Frage nach Fortbildungsinhalten nannten die Allgemeinmediziner an erster Stelle die „Postexpositionsprophylaxe“. Dies könnte seinen Ursprung darin haben, dass dies ein in der hausärztlichen Praxis, wenn vielleicht auch ein seltener, aber durchaus ernst zunehmender Beratungsanlass ist. Da gerade bei der Postexpositionsprophylaxe „jede Minute zählt“, wäre es wünschenswert, dass der zurate gezogene Hausarzt dem betroffenen Patienten einen medizinisch fundierten Rat erteilen kann. Möglicherweise steht hinter dem Wunsch nach diesem Fortbildungsinhalt aber auch ein Eigeninteresse des Arztes, zu seinem eigenen Schutze und zu dem seines Personals.
An zweiter Stelle bei der Frage nach Fortbildungsinhalten wurde die Therapie gegen HIV und opportunistische Infektionen sowie deren Unerwünschten Wirkungen genannt, knapp vor dem Erkennen der Symptome einer akuten HIV-Infektion. Gerade das letztgenannte „Lernziel“ hat eine immense Bedeutung sowohl für den betroffenen Patienten als auch für die Gesellschaft generell. In bis zu 90% der Fälle verläuft die Akute HIV-Infektion symptomatisch [Streeck et al. 2008]. Sie ist eine wichtige Differentialdiagnose zu anderen viralen Erkrankungen, die mit unklarem Fieber, Lymphadenopathie und oder makulopapulärem Hautausschlag einhergehen (z.B. „Grippe“, Mononukleose, etc.) und leider zu selten erkannt wird. Dabei gibt es Hinweise, dass eine kurzzeitige Therapie zu diesem Stadium für den Patienten einen langfristigen immunologischen Vorteil bringen könnte [Hecht et al. 2006]. Da etwa die Hälfte der HIV-Neu-Infektionen während der Akuten HIV-Infektion zustande kommt [Brenner et al. 2007], lässt sich ermessen, welch große epidemiologische Bedeutung das Stellen der Erstdiagnose zu diesem Zeitpunkt hat. Hier kommt dem Hausarzt, der bei den o.a. Symptomen in der Regel die erste Anlaufstelle ist, eine wichtige Funktion zu [Aceto et al. 2005]. Anhand gezielter Fortbildung sollte er in die Lage versetzt werden aufgrund der Anamnese des Expositionsrisikos und der klinischen Symptomatik die Verdachtsdiagnose zu stellen. Desweiteren sollten ihm Kenntnisse bezüglich der spezifischen Labortests (z.B. HIV-PCR, negativer HIV-AK-Test) und deren Interpretation vermittelt werden.