5th International Workshop in HIV and Hepatitis Co-infection, 4.-6. Juni 2009
Update zur Hepatitis-Koinfektion
In Europa haben 33% der HIV-Infizierten eine chronische Hepatitis C (78% davon durch intravenösen Drogengebrauch infiziert) und 9% eine chronische Hepatitis B. In Deutschland sind weniger Patienten HIV/HCV-koinfiziert. Insgesamt haben rund 15% der deutschen HIV-Infizierten eine chronische Hepatitis C, innerhalb der Gruppe der IVDU sind es allerdings 82%. Vorherrschende HCV-Genotypen in Deutschland sind 1 und 3.
Mortalität
Abb. 1: D:A:D-Studie: Todesursachen
Die Hepatitis-Koinfektion ist insbesondere für die Prognose von Bedeutung. Die Leber-assoziierte Mortalität von HIV-Patienten hat im Lauf der Jahre zugenommen. In der D:A:D-Studie starben rund 14% der Patienten an einer Lebererkrankung (Abb. 1). Am häufigsten liegt hier eine Hepatitis C zugrunde. In Frankreich, so Caroline Sabin, London, hatten 71% der an einer Lebererkrankung Verstorbenen eine HCV-, 12% eine HBV- und 5% eine HCV/HBV-Koinfektion. Häufig ist ein hepatozelluläres Karzinom (HCC) die unmittelbare Todesursache, wobei Patienten mit schlechtem Immunstatus stärker gefährdet scheinen. Regelmäßige Ultraschall-Kontrollen sind daher bei Patienten mit Koinfektion obligat.
Schnellere Progression
Neuere Daten deuten auf eine schnellere Progression der Lebererkrankung bei HCV- oder HBV/HIV-Koinfektion. Selbst bei normalen Leberwerten kann die Fibrose fortschreiten, und zwar bei Koinfizierten häufiger als bei HCV-Monoinfizierten. Welche Rolle der Immunstatus und das Ansprechen auf die HAART für die Fibroseprogression spielen, ist noch unklar. Neuere Daten sprechen für einen negativen Einfluss eines schlechten Immunstatus und einen günstigen Effekt der HAART. „Möglicherweise trägt die Immunaktivierung im Rahmen der HIV-Infektion zur rascheren Progression bei“, meinte David Thomas, Baltimore. Fest steht allerdings, dass eine erfolgreiche Behandlung der Hepatitis das Risiko von Komplikationen mindert. Doch nach Daten der Swiss HIV Cohort-Studie (2004) werden von den 60% für eine HCV-Therapie in Frage kommenden Koinfizierten lediglich 12% tatsächlich behandelt.
HAART bei HCV-Therapie besser ohne Nukes?
Zur HCV-Therapie bei Koinfizierten wurden zwei Arbeiten präsentiert. In der ersten Studie erreichten Koinfizierte bei HCV-Therapie unter Nuke-freier HAART eine höhere SVR. Die SVR-Rate (n=90) unter einem Doppel-PI- oder PI/NNRTI-Regime lag bei 77% im Vergleich zu 42% unter HAART mit einem Nuke-Backbone. Insbesondere Abacavir und Zidovudin scheinen hier einen ungünstigen Effekt zu haben. Die SVR-Raten mit bzw. ohne Abacavir lagen bei 28% vs. 56% und mit und ohne Zidovudin bei 29% vs. 59% (Vogel M et al. P_06). Grund dafür scheint nicht eine erhöhte Rate an Nebenwirkungen zu sein (29% ohne NRTI vs. 21% mit NRTI). In einer weiteren Untersuchung (n=152) waren die SVR-Raten von Patienten mit HCV-Mono- bzw. -Koinfektion vergleichbar (59% vs. 52%), ebenso die Rate von moderaten und schweren klinischen Nebenwirkungen sowie von Therapieabbrüchen (Vogel M et al. P_15).
Akute HCV-Infektion
Seit rund sieben Jahren steigt die Zahl akuter HCV-Infektionen bei HIV-Positiven. Die ersten Arbeiten deuteten dabei auf eine perenterale HCV-Transmission durch Fisting und Sex-Toys. Neuere Daten sprechen für eine sexuelle Übertragung durch Sperma. Daniel Fierer, New York, identifizierte in einer Untersuchung an 45 HIV-Patienten mit akuter HCV-Infektion ungeschützten Analverkehr (aktiv und passiv) sowie rezeptiven Oralverkehr mit Ejakulation als signifikante Risikofaktoren für die Transmission (Fierer D et al. O_15).
Das Risiko der sexuellen Transmission bei Heterosexuellen wird in der Literatur mit bis zu 0,3% innerhalb von 120 Monaten angegeben. Im heterosexuellen Bereich wird daher nicht zum Kondom geraten. Möglicherweise ist das Risiko der Übertragung bei HIV-Infizierten MSM höher, meinte Gail Matthews, Sydney. Die HCV-RNA im Blut sei bei HIV-Coinfizierten höher als bei HCV-Monoinfizierten und das Virus häufiger im Sperma nachweisbar.
Wie schnell bei einer akuten Hepatitis C bei HIV-Infizierten zur Leberfibrose bzw. -zirrhose kommt, ist umstritten. Fierer sah bei seinen New Yorker-Patienten in der Leberbiopsie ein rasches Fortschreiten der Fibrose. Martin Vogel, Bonn, fand im Fibroscan dagegen keine übermäßig schnelle Progression (Vogel M et al. O_11).
HBV-Koinfektion
Die HIV/HBV-Koinfektion ist vergleichsweise seltener als die HIV/HCV-Koinfektion, aber ebenso ein relevantes Problem. Der Verlauf der Lebererkrankung ist ungünstiger als bei HBV-Monoinfektion. In einer Kohorte von 3.500 spanischen Koinfizierten entwickelten 10% der Patienten innerhalb von 11 Jahren eine Zirrhose, 5% ein hepatozelluläres Karzinom. In der großen amerikanischen MACS-Kohorte war die Sterblichkeit an einer Lebererkrankung bei HIV/HBV-Infizierten um den Faktor 12 erhöht. Die Leber-assoziierte Mortalität in der MACS-Kohorte lag bei HIV/HBV-Infizierten bei 1,4% im Vergleich zu 0,17% bei HIV-Monoinfektion und 0,08% bei HBV-Monoinfektion.
Abb. 2: Smart-Studie: Zeit bis zur Wiederaufnahme der antiretroviralen Therapie im Pausen-Arm
Betroffen von der HIV/HBV-Koinfektion sind insbesondere Afrikaner. 38% der Patienten mit HIV/HBV-Koinfektion am Londoner Royal Free Hospital waren Afrikaner, 35% davon waren Frauen. Die Afrikaner waren zudem dreimal häufiger HbeAg-positiv und hatten sieben Mal häufiger eine Leberzirrhose (Armenis K et al. P_46). Des Weiteren finden sich, wie Vincent Soriano, Madrid, berichtete, bei Immigranten aus Afrika häufiger primär resistente HBV-Varianten.
Ein besonderes Problem ist die Progression der HIV-Infektion bei HIV/HBV-Koinfizierten. Hier hat die SMART-Studie gezeigt, dass die HAART bei Patienten im Pausen-Arm signifikant rascher wieder initiiert werden musste als bei HIV/HCV-Koinfizierten und HIV-Monoinfizierten (Abb. 2). Vermutlich hat der Hepatitis-Rebound zu einer rascheren Abnahme der Helferzellen geführt. Therapieunterbrechungen sind bei diesen Patienten möglichst zu vermeiden.
Effektive Therapie
Unter einer HAART mit HBV-wirksamen Substanzen (Tenofovir plus Lamivudin oder Emtricitabin) erreichen die meisten Patienten eine adäquate Absenkung der HBV-DNA. Im Londoner Royal Free Hospital lag die HBV-DNA bei rund 85% der Patienten <1.000 Kopien/ml (Armenis K et al. P_46). Bei vielen der Patienten scheint die HBV-Replikation sogar nahezu komplett supprimiert. 74% der 102 Patienten des Chelsea and Westminster Hospital hatten eine HBV-DNA <34 Kopien/ml. Eine HBV-DNA >1.000 Kopien/ml wurde lediglich bei 7%, >10.000 Kopien/ml bei 8% der Patienten gemessen (Nelson M et al. P_45).
Grund für die erhöhte HBV-DNA war hier stets eine mangelhafte Adhärenz. In einer portugiesischen Arbeit wurden einige Fälle einer HBV-Resistenz bei Koinfizierten nach sequentieller Monotherapie mit HBV-wirksamen Substanzen beschrieben (Corte-Real R et al. P_41).
Akute Hepatitis B trotz Impfung
Aus Toronto kam ein Bericht zu vier Fällen von akuter Hepatitis B-Infektion trotz Impfung. Besonders interessant ist der Fall eines Mannes, der als 14jähriger geimpft wurde und 10 Jahre später bei der HIV-Erstdiagnose noch einen HBs-Antikörpertiter von 52 IU/ml aufwies. Eine Boosterimpfung wurde nicht durchgeführt. Drei Jahre später kam es bei negativen HBs-Antikörpern zur akuten HBV-Infektion, die sechs Monate später bei gutem Immunstatus mit TDF/FTC/Lopinavir/r behandelt wurde. Nach einem Jahr kam es zur Ausheilung der Hepatitis B. Ein anderer Patient hatte sich nach drei erfolglosen Impfzyklen mit HBV infiziert. Zwei weitere Patienten hatten sich ebenfalls nach Impfung infiziert. Hier lagen auch keine Antikörpertiter nach Impfung vor (Wong D P_40).
Leberschaden durch HAART?
Bisher ging man davon aus, dass die HAART selbst bei leicht erhöhten Transaminasen keine strukturellen Schäden an der Leber verursacht. In Lissabon wurde der Verdacht geäußert, dass insbesondere Didanosin eine portale Hypertension ohne Zirrhose auslösen könnte. In einer spanischen Untersuchung des Teams um Vincente Soriano, Madrid, hatten 30/35 HIV-Patienten einen solchen Befund in der Leberhistologie ohne zugrunde liegende Lebererkrankung. 77% der Patienten entwickelten im weiteren Verlauf Komplikationen, d.h. Varizenblutung, Portalvenenthrombose und/oder Aszites. Die mittlere ddI-Exposition betrug 50 Monate. Bei HIV-negativen Patienten ist das Krankheitsbild unter Adenosin-Analoga z.B. Azathioprin, beschrieben. Als weitere mögliche Ursache wurde eine Phlebitis durch die mikrobielle Translokation aus dem Darm diskutiert (Maida I et al. O_13; Vispo E et al. P_50).