Deutsche AIDs HilfeErhebung von DAH und dem JES-Netzwerk zeigt alarmierende Daten
HIV/HCV (k)ein Thema für die Substitution?

Die Substitutionsbehandlung bietet aufgrund des engen und kontinuierlichen Kontaktes zwischen Behandler und Patient hervorragende Voraussetzungen, um über eine Hepatitis-A- und Hepatitis-B-Impfung präventiv zu wirken. Darüber hinaus kann mit einer Erhebung des HIV- und HCV-Serostatus ein frühzeitiger Behandlungsbeginn initiiert werden.

Aufgrund der Tatsache, dass wir sowohl von PatientInnen als auch aus dem Hilfesystem immer wieder Informationen erhielten, dass den Themen Testung und Impfung zu wenig Bedeutung beigemessen wird, galt es für uns hierzu einige Daten zu erheben und auszuwerten.

Im Zeitraum Oktober bis Dezember 2008 führte das bundesweite JES-Netzwerk in Kooperation mit der Deutschen AIDS-Hilfe eine Befragung von Substituierten durch.

Ziel war es, Informationen zur Durchführung von HIV- und HCV-Tests bei Drogenkonsumenten im Rahmen der Substitutionsbehandlung zu erlangen.

Neben der Kenntnis des aktuellen HIV- und HCV-Infektionsstatus, wurde die Frequenz von regelmäßigen HIV- und HCV-Tests bei substituierten Patienten mit negativem Infektionsstatus erfragt. Schließlich galt es, Informationen zum aktuellen HAV- und HBV-Impfstatus zu erhalten.

Zielgruppe:

Die Zielgruppe dieser Befragung waren Personen, die sich aktuell in einer Substitutionsbehandlung befinden.

Methode

Die Befragung wurde mittels eines standardisierten Fragebogens durchgeführt.

Durch einen 4-stelligen Code wurden Dopplungen vermieden und die Anonymität der Befragten gewährleistet. Eine grobe regionale Zuordnung kann durch die Angabe der ersten beiden Ziffern der Postleitzahl des Wohnortes vorgenommen werden.

Durchführung

Der Fragebogen wurde an Einrichtungen der AIDS- und Drogenhilfe sowie der Drogenselbsthilfe gesandt, die seit geraumer Zeit mit der Deutschen AIDS-Hilfe kooperieren. So wurde ein ausreichender Rücklauf von beantworteten Fragenbögen gewährleistet.

Die Distribution wurde so gesteuert, dass der Auswertung Daten aus unterschiedlichen Regionen sowie aus Groß- und Kleinstädten zugrunde lagen (Berlin, München, Köln, Hannover, Lehrte, Peine, Bielefeld, Mainz, Halle, Stuttgart, Duisburg, Münster, Hamm).

Ergebnisse

Insgesamt konnten 309 Fragebögen in die Auswertung einbezogen werden.

Geschlecht und Alter der TeilnehmerInnen (Abb. 1)

Mit 69,9% (216) Männern und 30,1% (93) Frauen spiegelt die Gruppe der Befragten das Geschlechterverhältnis in der Szene wieder. Erwartungsgemäß war der überwiegende Teil der Befragten zwischen 30 und 40 Jahre alt (133/43%) oder älter (136/44%). Keiner der Befragten war jünger als 18 Jahre und 13% (40) der Befragten waren 18 bis 29 Jahre alt.

Abb. 1: Alter der Befragten
Abb. 1: Alter der Befragten

Dauer der Substitution (Abb. 2)

Der überwiegende Anteil der Befragten (172/55,7%) befand sich zum Zeitpunkt der Befragung länger als fünf Jahre in einer Substitutionsbehandlung. Zwischen drei und fünf Jahre nahmen 20,7% (60) der Befragten in einer substitutionsgestützten Behandlung teil. Mit 11,3% (35) (<1 Jahr) und 12,3% (38) (1- bis 2 Jahre) befanden sich ca. ¼ der Befragten erst recht kurz in einer Substitutionsbehandlung.

Abb. 2: Dauer der Substitution
Abb. 2: Dauer der Substitution

HIV- und HCV-Tests im Rahmen der Substitutionsbehandlung (Abb. 3)

HIV-Test:
Insgesamt 303 Befragte machten Angaben zum HIV-Test. Bei 73,3% (222) wurde ein HIV-Test im Rahmen einer Substitution durchgeführt. 81 Befragte (26,7%) gaben an, dass bei ihnen im Rahmen der Substitution kein HIV-Test durchgeführt wurde.

HCV-Test:
Insgesamt 302 Befragte machten Angaben zum HCV-Test. Bei 240 Befragten (79,5%) wurde während der Substitution ein HCV-Test durchgeführt. Etwa 1/5 (20,5%) der Personen, die zu dieser Frage Angaben machten, gaben an, dass im Rahmen der Substitution kein HCV-Test durchgeführt wurde.

Bei 215 Befragten (71%) wurde während ihrer Substitutionsbehandlung sowohl ein HIV- als auch ein HCV-Test durchgeführt.

Bei 56 Befragten (18,5) wurde während ihrer Substitutionsbehandlung weder ein HIV- noch ein HCV-Test durchgeführt.

Abb. 3: HIV- bzw. HCV-Test im Rahmen der Substitution
Abb. 3: HIV- bzw. HCV-Test im Rahmen der Substitution

Kommentar

 Geht man davon aus, dass die Erhebung des aktuellen Infektionsstatus zum Beginn einer Substitutionsbehandlung als zwingend notwendig anzusehen ist, mutet die Tatsache, dass knapp jeder 6. Befragte im Rahmen der Substitution noch nie einen HCV- und HIV-Test erhalten hat, geradezu unglaublich an.

Kenntnis des Infektionsstatus

Mit dieser Frage galt es Einblicke zu erhalten, inwieweit die Befragten Kenntnisse über ihren aktuellen Infektionsstatus haben.

HCV
52,6% (162) waren nach eigenen Angaben zum Zeitpunkt der Befragung HCV-infiziert. Hingegen gaben 47,4% (146) an, dass sie HCV-negativ sind oder ihr aktueller HCV-Status unbekannt ist.

HIV
Mit 11,0% (34) spiegelt der Anteil der HIV-Infizierten in dieser Befragung in etwa die HIV-Prävalenz in der Gesamtgruppe der Heroinkonsumenten wieder. Ihren HIV-Status mit negativ oder unbekannt gaben 89% (274) der Befragten an.

9,4% (29) hatten keine Kenntnis zum Status beider Infektionen (HIV und HCV).

HCV/HIV-Tests bei Patienten mit negativem oder unbekanntem  Infektionsstatus (Abb. 4)

Mit dieser Frage galt es, Daten zu regelmäßigen HIV- und/oder HCV-Tests im Rahmen der Substitutionsbehandlung  zu erheben.

HCV-Test
Mit 146 Personen wurden nur Daten derjenigen Befragten einbezogen, die ihren HCV-Status mit negativ oder unbekannt angaben. Mit „nein“ bzw. „niemals“ beantworteten 53,4% (78) der Personen mit negativem oder un-
bekanntem HCV-Status die Frage, ob im Rahmen ihrer Substitutionsbehandlung regelmäßige HCV-Tests durchgeführt werden. Bei lediglich (26,1%) der Befragten wurde alle sechs Monate oder alle zwölf Monate ein Test zur Feststellung des HCV-Status durchgeführt. 5% (7) der Personen gaben an, dass alle zwei Jahre ein Status erhoben wird. Bei 13% wurden HCV-Tests in noch größeren Abständen durchgeführt.

HIV-Test
Ein ähnliches Bild zeigte sich bei der Durchführung regelmäßiger HIV-Tests.

Auch hier wurden nur jene Personen einbezogen, die ihren Status mit HIV-negativ oder unbekannt angaben (274 Personen). Mit 49,7% wurden bei fast der Hälfte derjenigen, die HIV negativ sind oder ihren HIV-Status mit unbekannt angaben, keine entsprechenden Tests zur Feststellung des HIV-Serostatus durchgeführt. Nur 9,1% (alle sechs Monate) bzw. 16,4% (einmal jährlich) der Personen wurden in solchen Zeiträumen regelmäßig getestet wie es bei vulnerablen Gruppen empfohlen ist.

Abb. 4: Frequenz der HCV-/HIV-Testungen
Abb. 4: Frequenz der HCV-/HIV-Testungen

Impfstatus bei Hepatitis A und B (Abb. 5)

Da die HAV- und HBV-Impfung als eine der wichtigsten Schutzmaßnahmen bei vulnerablen Gruppen, wie z.B. iv-DrogengebraucherInnen angesehen wird, wurde bei den Befragten der Hepatitis-A- und Hepatitis-B-Impfstatus erhoben.

Impfstatus Hepatitis A
Insgesamt 292 Personen machten Angaben zu ihrem HAV-Impfstatus. Mehr als ¾ dieser Gruppe gaben an, dass sie über keinen Hepatitis-A-Impfschutz verfügen. Lediglich 22,9% (67 Personen) hatten einen Impfschutz. Von diesen 67 Personen  wurden 24 während der Substitution geimpft. Die Mehrzahl der HAV-geimpften Personen (43) gab an, dass sie bereits vor ihrer Substitutionsbehandlung geimpft wurden.

Impfstatus Hepatitis B
Insgesamt 289 Personen machten Angaben zu ihrem HBV-Impfstatus. Mit 214 Befragten gaben auch hier etwa ¾ dieser Gruppe (214) an, dass sie über keinen Hepatitis-B-Impfschutz verfügen. Lediglich 26% (75 Personen) hatten einen Impfschutz gegen Hepatitis B. Von diesen 75 Personen wurden 32 Personen während der Substitution geimpft. Die Mehrzahl der HBV-geimpften Personen (43) gab an, dass sie bereits vor ihrer Substitutionsbehandlung geimpft wurden.

Abb. 5: Impfstatus Hepatitis A und Hepatitis B
Abb. 5: Impfstatus Hepatitis A und Hepatitis B

HCV-Tests bei Patienten, die länger als fünf Jahre substituiert werden (Abb. 6)

Jene Patienten, die sich länger als fünf Jahre in einer Substitutionsbehandlung befanden, wurden in Bezug auf eine kontinuierliche Überprüfung des HCV-Serostatus gesondert betrachtet. Insgesamt befanden sich 172 Personen länger als fünf Jahre in einer Substitutionsbehandlung. Mit 56% (97) war die HCV-Prävalenz für diese Gruppe unterdurchschnittlich gering. Dementsprechend gaben 44% (75) ihren HCV-Status mit „negativ oder unbekannt“ an. Im Hinblick auf die  HCV-Testfrequenz in der Gruppe der HCV-negativen oder „unbekannten“ zeigte die Auswertung, dass 55% (41) keine HCV-Tests erhalten.

In größeren Abständen als zwei Jahre wurden bei 13% (10) HCV-Tests durchgeführt. Lediglich 25% (19) aller Personen dieser Gruppe mit HCV-Status negativ oder unbekannt wurden kontinuierlich mit einer Frequenz von sechs Monaten bzw. zwölf Monaten auf HCV getestet.

7% (5) der Befragten erhielten alle zwei Jahre einen HCV-Test.

Abb. 6: HCV-Status und Testfrequenz  Patienten die länger als fünf Jahre substituiert werden
Abb. 6: HCV-Status und Testfrequenz Patienten die länger als fünf Jahre substituiert werden

Zusammenfassung und Bewertung

Die Ergebnisse dieser Evaluation bestätigen in negativer Hinsicht die Rückmeldungen von substituierten Patienten von Mitarbeiterinnen aus AIDS- und Drogenhilfen sowie einiger substituierender Ärzte. Es wurde deutlich, dass die Substitutionsbehandlung ihre vorhandenen Potentiale in der Erkennung, Prävention und Behandlung von Infektionserkrankungen (hier Hepatitis A, B und C sowie HIV) nur unzureichend nutzt.

Dies wird nicht nur in der mangelhaften Erkennung von HCV und HIV-Infektionen durch kontinuierliche Tests deutlich, sondern manifestiert sich auch in der völlig ungenügenden Prävention von Hepatitis-A- und -B-Infektionen durch eine entsprechende Impfung.

So verfügten etwa ¾ der Befragten substituierten Personen über keinen Impfschutz gegen Hepatitis A und Hepatitis B. Vor dem Hintergrund der problemlosen und kostengünstigen Anwendung von HAV/HBV-Impfseren kann dieses Ergebnis nur als katastrophal bezeichnet werden. Hier werden einfache Chancen der Infektionsvermeidung vertan und leichtfertig Infektionen in Kauf genommen. 

Aufgrund des geringen Stellenwerts, der dem Thema „Infektionserkrankungen“ im Rahmen der Substitutionsbehandlung beigemessen wird, verwundert es nicht, dass auch die Kenntnisse der Substituierten über ihren aktuellen Infektionsstatus im Hinblick auf HIV und Hepatitis C nur als unzureichend bezeichnet werden können. Etwa jeder fünfte Befragte hatte nach eigenen Angaben keine Kenntnis über seinen aktuellen Infektionsstatus in Bezug auf HIV oder Hepatitis C. Aufgrund der teilweise sehr weit zurückliegenden letzten HIV-und HCV-Tests darf eine gewisse Anzahl der Nennungen „HCV bzw. HIV negativ“ mit Vorsicht betrachtet werden. Bei ca. 1/3 der Befragten lag der letzte Test ein bis zwei Jahre bzw. länger als zwei Jahre zurück.

Jeweils etwa die Hälfte (HIV 49,7%, HCV 53,4%) der Personen, die ihren Infektionsstatus mit negativ oder unbekannt angaben, erhielten im Rahmen ihrer Substitutionsbehandlung keine (regelmäßigen) HIV- oder HCV-Tests. Den von der Deutschen AIDS-Hilfe empfohlenen optimalen Rhythmus von zweimal jährlich HIV- und HCV-Test bei
vulnerablen Gruppen (zu denen auch substituierte Personen zu zählen sind) erhielten nur ca. 10% der Befragten. Dieses Ergebnis ist als mangelhaft anzusehen. Vor dem Hintergrund des z.B. in der COBRA-Studie festgestellten hohen Anteils von Beigebrauch und der Fortsetzung von risikoreichen Konsummustern während der Substitutionsbehandlung sind die hier erhobenen Daten inakzeptabel.

Im Resümee bestärken uns die Ergebnisse, ein wesentlich stärkeres Augenmerk auf die Erhöhung des Bewusstseins für eine kontinuierliche HIV- und HCV-Testung sowie einer HAV- und HBV-Impfung während der Substitutionsbehandlung bei Patienten, Ärzten und MitarbeiterInnen in Aids- und Drogenhilfen zu legen.

Mag man davon ausgehen, dass bei Patienten Erklärungen für diese Daten in einem geringen Kenntnisstand, einem mäßigen Interesse am eigenen gesundheitlichen Zustand sind, so fallen Erklärungen für diese Daten im Hinblick auf die behandelnden Ärzte sehr schwer.



Substitution? – aber sicher! – Neuer Flyer der Deutschen AIDS-Hilfe zur Substitution

Mit diesem Flyer greift die Deutsche AIDS-Hilfe sowohl den missbräuchlichen Konsum von Medikamenten zur Substitution als auch das Thema „Wechselwirkungen“ auf.

Der doch sichtbare Schwarzmarkt von Substituten zeigt deutlich, dass DrogengebraucherInnen eine Regelsubstitution ablehnen und Methadon oder Subutex als Alternative zum Heroin benutzen, z.B. um einen Entzug zu vermeiden.

Durch die Tatsache, dass die flüssigen Substitute mit Säften oder Sirup versetzt sind und Substitute in Tablettenform zum i.v.-Konsum nicht geeignet sind, zeigen sich teilweise verheerende Gesundheitsschäden durch die missbräuchliche Anwendung.

Dieser Flyer rückt dieses Thema kurz und prägnant in den Blickpunkt und will Substituierte und Nicht-Substituierte für die Risiken falscher Anwendung sensibilisieren.

Neuer Flyer der Deutschen AIDS-Hilfe zur Substitution
Alle Medien der DAH können kostenfrei über das Internet www.aidshilfe.de
oder per Mail versand@dah.aidshilfe.de bestellt werden.

HANDBUCH 20 JAHRE JES-NETZWERK

Im Rahmen eines Seminars der Deutschen AIDS-Hilfe im Juli 1989 schlossen sich zumeist HIV-positive Junkies, Ehemalige und Substituierte mit dem Ziel zusammen, ihre Belange und Interessen von nun an selbst zu vertreten und gemeinsam mit ihren Bündnispartnern für eine Verbesserung der Lebens- und Konsumbedingungen Drogen gebrauchender Menschen zu kämpfen. In den 20 Jahren seines Bestehens hat JES viel erreicht – trotzdem werden die Potenziale der akzeptierenden Drogenselbsthilfe immer noch unterschätzt und folglich auch nicht umfassend gewürdigt und genutzt.

HANDBUCH 20 JAHRE JES-NETZWERKDas FORUM 56 der Deutschen AIDS-Hilfe macht die Haltungen, Ziele und Positionen des bundesweiten JES-Netzwerks anlässlich des 20-jährigen Bestehens transparent und rückt die positiven Effekte und gesundheitlichen und sozialen Potentiale der akzeptierenden Drogenselbsthilfe in den Blickpunkt. Zugleich werden in einigen Beiträgen zumeist von JES-Aktivisten unterschiedliche JES-Projekte vorgestellt und Themen wie z.B. „Legalisierung“ diskutiert, die JES seit dem Tag seiner Gründung auf der Agenda hat.

Insgesamt ist das Handbuch eine beeindruckende Rückschau, Gegenwartsanalyse und ein Zukunftsblick dieses weltweit einzigartigen Netzwerks von Drogengebrauchern, Ehemaligen und Substituierten in Deutschland.
Das Forum kann kostenfrei bei der Deutschen AIDS-Hilfe bestellt werden.
ISBN 978-3-930425-70-9

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