Ross Bleckner – Malerei zwischen Abstraktion und Symbolismus
Ross Bleckner lebt und arbeitet in Sagonapack, Long Island, im ehemaligen Haus von Truman Capote. Zu seinen Nachbarn zählen bekannte Künstlerkollegen wie Barbara Kruger, Julian Schnabel und David Salle. In vielen seiner großformatigen Bilder setzt er sich in einer Bildsprache, die sich zwischen Abstraktion, Symbolismus und Gegenständlichkeit bewegt – mit dem Thema Aids und der Art und Weise, wie die Krankheit die Gesellschaft verändert hat, auseinander.
Daneben engagiert sich Bleckner seit langem auch direkt im Kampf gegen die Krankheit. So unterstützte er 1987 den Sammler Christoph bei einer Versteigerung zur Unterstützung eines Aids-Care Programms im St. Vincent’s Hospital in Greenwich Village – der Beginn seines lange währenden Engagements im Kampf gegen die Immunschwäche. Er ist Mitbegründer und Präsident der Community Research Initiative on AIDS (CRIA), eine Nonprofit-Organisation zur Erforschung der Behandlung der in Verbindung mit HIV auftretenden Krankheiten.
2009 reiste er als erster UN Goodwill Botschafter im Kampf gegen Menschenhandel nach Uganda, und gab dort Kindern 10 Tage Malunterricht, um ihnen dabei zu helfen, die psychischen und physischen Folgen des Krieges verarbeiten zu können.
Streifenbilder
Abb. 1: Circle of Us, 1987, Öl auf Leinwand, 274,3 x 182,9 cm
Bekannt wurde Ross Bleckner durch seine großformatigen Streifenbilder (Abb. 1), die die Bildsprache der Op-Art aufgriffen, wie sie vor allem durch die Malerin Bridget Riley bekannt sind. Anstelle harter Schwarzweiß-Kontraste, die optische Interferenzmuster erzeugten, setzte er unscharfe Konturen, und die perfektionistische Geometrie durchbrach er mit bunten Farbschlieren, Flecken und gegenständlichen Bildelementen wie zum Beispiel Kolibris und löste sie auf. Der ursprüngliche Purismus und Idealismus der Op-Art verwandelte sich in einen Ausdruck von Verletzlichkeit und die Bilder wurden zum Zerrspiegel der politischen und gesellschaftlichen Ängste der 80er, insbesondere der Angst vor Aids.
Bleckner selbst wollte damit die Unmöglichkeit ausdrücken, einen konkreten Punkt zu lokalisieren – und damit eine bestimmte Identität zu finden. „Die Bilder handelten von der Unmöglichkeit, etwas zu lokalisieren. Ihre optische Erscheinung erzeugte den Eindruck von etwas, das völlig aufgelöst war. Es war wie eine Illumination, ein Pulsieren. Und die Unmöglichkeit, eine bestimmte Identität zu haben.“
Symbolismus und Melancholie
Die Thematik der Auflösung und damit von Bleckner assoziierte Themen wie Tod, Jenseits, Trauer wird auch in den Titeln seiner Bilder deutlich: In der Serie „Memorial Paintings“ machen Bezeichnungen wie Hospital Room, Memoriam, X-Friends, 8,122+ as of January 1986 (= die offizielle Zahl der Aids-Toten in New York) seine intensive Beschäftigung mit der Bedrohung durch HIV deutlich.
Abb. 2: Memory of Larry, 1984, Öl und Wachs auf Leinwand,
121,9 x 101,6 cm
Abb. 3: Falling Birds, 1994, Öl auf Leinwand, 240 x 300 cm
In der darauf folgenden Werkphase werden die Bilder zunehmend allegorischer und zeigen eine Bildsprache, die sich stark an den Symbolismus und Morbidität – bis hin zum Kitsch – des 19. Jahrhunderts anlehnt: Sie zeigen düstere, schwer fassbare Bildräume, die sich im Dunkeln verlieren, möbliert von ausladenden Kronleuchtern, überquellenden welken Blumenbuketts und Urnen (Abb. 2). Andere erzeugen den Eindruck kuppelartiger, sakraler Räume, wie das Innere eines Mausoleums – all diese Malerei strahlt eine große Schwermut aus. Bleckner bediente sich dabei bewusst einer kollektiven, bis ins Klischee reichenden Bildsprache, um einen doppelten Verlust auszudrücken: den Tod von Freunden und das Fehlen einer individuellen, persönlichen Sprache, um der Trauer darüber Gestalt geben zu können.
Den Kontrast und die Reduktion auf Licht und Finsternis trieb Bleckner in manchen Bildern bis ins Extrem, in „Falling Birds“ von 1994 (Abb. 3) schließlich liegt der Raum vollkommen im blauschwarzen Dunkel und verwischt gemalte weiße Tauben flattern darin auf, von einem Licht fahl erleuchtet, dessen Quelle verborgen bleibt, wie die verirrten Seelen der Toten, um in der Finsternis für immer zu verschwinden. In anderen Bildern dieser Serie wird das Dunkel auch durch gleißend helle Lichtpunkte durchbrochen, die auf einen jenseitigen, nicht vorstellbaren Raum verweisen – der Betrachter bleibt in der kaum fassbaren dunklen Wirklichkeit allein zurück.
Von der Metapher zum Mikroskop
Mitte der 90er Jahre kehrte sich Bleckner von der Melancholie des Fin de Siècle und der Thematik des Chiaroscuro ab und wandte sich wieder einer konkreteren, zeitbezogenen Formensprache zu.
Abb. 4: All the Facts, 1996, Öl auf Leinwand, 213,4 x 182,9 cm
Zunächst griff er das Motiv der Blüten wieder auf, die in ihrer Diffusität auf die Aquarelle Noldes verweisen – auch hier ist die Unschärfe als Zeichen für die Auflösung des Individuums in der Masse zu sehen, die gesamte Bildfläche überwucherten und sich von Bild zu Bild schließlich in zellförmige Strukturen (Abb. 4) verwandeln.
Ein Anstoß zu den „Molecular Paintings“ war neben der Auseinandersetzung mit der Krebserkrankung seines Vaters auch die für alle HIV-Kranken wichtige und lebensnotwendige Beschäftigung mit dem eigenen kranken Körper, speziell mit dem Blut. Bilder wie „Overexpression“ wirken wie eine Mikroskopaufnahme von kranken Zellen, andere wie „Mysticism for Beginners“ scheinen Modelle von Molekülen zum Ausgangspunkt zu nehmen. Tatsächlich beschäftigte sich Bleckner – nicht zuletzt in seiner Eigenschaft als Präsident von CRIA – intensiv mit der medizinischen Seite dieser Thematik. Es war, so Bleckner, „die Idee, dass der Körper so perfekt ist, bis er nicht perfekt ist. Nur eine fragile Membran trennt uns vom Disaster.“ Die Sterblichkeit des Menschen wird gewissermaßen in Nahaufnahme betrachtet, das Wuchernde der Zellstrukturen lässt kein Gefühl von Pathos aufkommen.
Abb. 5: Overexpression, 1998, Öl auf Leinwand, 213,4 x 182,9 cm
Auflösung des Konkreten
Die neueren Arbeiten Bleckners zeigen wieder die Unschärfe früherer Arbeiten, die Zellstrukturen lösen sich auch und mutieren weiter – in Massen von schwebenden Formen mit vieldeutiger Gestalt: Knospen, die auch Muskeln sein könnten, oder Blutkörperchen (Abb. 5) – umgeben von einer Aura, die das Unwirkliche ihrer Erscheinung noch erhöht.
In einem beinahe alchemistisch zu nennenden Arbeitsprozess legt Bleckner dabei aus einer schwarz überzogenen Bildfläche diese Formen frei, die in einer Bildschicht darunter begraben sind und ans Licht geholt werden. Ihrer Schönheit haftet dadurch etwas zweideutiges an. Dieser Arbeitsprozess definiert für Bleckner das Bild als etwas, das abgelöst wurde – ebenso wie das, was in diesem Prozess übrig bleibt. Es ist diese Vergänglichkeit jeder Vorstellung, die Bleckner zum Malen treibt. „Folgt man dem Prozess eines Gedankens – jedes Gedankens, nicht nur über Kunst – so verändert sich der Gedanke. Dies hat damit zu tun, was man im Gedächtnis behalten kann, und was man verliert. Das ist eine interessante Sache, die man zu malen versuchen kann.“