-- 17. CROI 16.-19.02.2010 in San Francisco
Auf der Suche nach Gesundheit im Alter

Auf der 17. CROI in San Francisco wurden wie immer viele interessante Arbeiten vorgestellt, doch es gab anders als in den vergangenen Jahren keine Aufsehen erregenden Highlights. Im Mittelpunkt stand vielmehr die Suche nach der Bedeutung von HIV und antiretroviraler Therapie bei der Entstehung von „Alterskrankheiten“ wie Herzinfarkt, Osteoporose, Krebs usw. Die einzige große Therapie-Studie war ACTG 5202. Hier wurden vier gängige Optionen direkt miteinander verglichen.

Bereits bei der Eröffnung der 17. CROI in San Francisco war die „Normalisierung“ der Erkrankung von HIV/Aids zu spüren. Außer einem chinesischen Drachentanz (am Wochenende vorher war chinesisches Neujahr) gab es nichts Spektakuläres. Keine Prominenz aus Hollywood oder Politik war angereist, keine politischen Forderungen wurden gestellt. HIV/Aids ist zwar nach wie vor in vielen armen Ländern ein drängendes Problem, doch die Hilfsprogramme sind angelaufen, mehr Menschen werden behandelt als man je für möglich gehalten hat. Doch, die Erkenntnis, dass die finanziellen Mittel beim besten Willen nicht ausreichen, um alle Infizierten lebenslang zu therapieren (auf einen behandelten Patienten kommen zwei bis drei Neuinfektionen), ist ernüchternd. Somit ist die Prävention wieder an die erste Stelle gerückt. Und hier gelangt man in die Sackgasse, denn die erneut auf dem Kongress favorisierte Test and Treat-Strategie, d.h. die sofortige Behandlung aller Infizierten, könnte zwar die Epidemie auslöschen, ist aber weltweit nicht umsetzbar.

Wie jedes Jahr gab Kongresspräsident John Mellors, Philadelphia einen Überblick zum Programm. Mehr als 4.000 Teilnehmer aus aller Welt waren angereist, um 956 Arbeiten zu sehen bzw. zu hören. Wie immer stammte mehr als die Hälfte der Studien aus den USA, rund 35% aus Europa und 10% aus Afrika. Für die Studien aus den Entwicklungsländern gibt es mittlerweile kaum noch eigene Sessions. Sie sind thematisch im Programm eingebunden, denn die Qualität der zumeist in Kooperation mit amerikanischen Universitäten oder Organisationen entstandenen Arbeiten ist gut. Zudem liefern diese Studien zunehmend Informationen, die auch für westliche Länder von Bedeutung sind.

Bilder von der CROI 2010Die traditionelle Bernard Fields Lecture hielt Georg Shaw aus Birmingham, Alabahma zu den Grundlagen der HIV-Transmission. Shaw gelang es, durch phylogenetische Analysen bei frisch Infizierten die Zahl der übertragenen Viren zu identifizieren. Dabei zeigte sich, dass die Infektion bei Heterosexuellen meist von einem Virus hervorgerufen wird, bei MSM und IVDU dagegen häufiger mehrere Viren übertragen werden (#20 Shaw G). Die N‘Galy-Mann Lecture hielt die Inderin Suniti Solomon aus Chennai. Solomon gab einen Überblick zu HIV/Aids in Indien und insbesondere zur Geschichte des von ihr mitbegründeten YR Gaitonde Center for AIDS Research and Education (#21 Solomon S).

Research Agenda des NIAID  

Knapp und klar stellte der Leiter des amerikanischen NIAID (National Institute of Al-lergy and Infectious Diseases), Anthony Fauci, Bethesda die Prioritäten des größten öffentlichen Geldgebers für die HIV-Forschung dar. Auf seiner Agenda stehen drei Punkte:

  1. Test and Treat
  2. „Heilung“
  3. Prävention

Die HIV-Therapie ist, so Fauci, die größte Erfolgsgeschichte der Medizin. „Doch selbst dieser Fortschritt wird die HIV-Pandemie nicht stoppen“, erklärte Fauci. Therapie ist daher nicht die Antwort. Die Antwort könnte „Heilung“ (bei Fauci immer mit Anführungszeichen) sein im Sinne einer Eradikation des Virus aus dem Körper oder im Sinne einer funktionellen Heilung, d.h. die Kontrolle von HIV durch den Körper selbst. „Hier gibt es interessante Ansätze, doch wann es zum Durchbruch kommt, ist nicht absehbar“, meinte Fauci (#5 Fauci A).

Prävention 

Bei der Prävention werden derzeit verschiedene Strategien geprüft. Bei den Mikrobiziden hat es viele Rückschläge gegeben. Zuletzt hat sich das Gel PRO2000 als unwirksam erwiesen (#87 LB Chisembele M et al.). Studien zu Mikrobiziden mit antiretroviralen Substanzen laufen noch. Auch die Forschung nach einem Impfstoff wird nach vielen Rückschlägen weiter vorangetrieben. Die sogenannte Thai-Studie hat erstmals einen – wenn auch geringen – Effekt gezeigt.

T&T-Studie in USA angelaufen

Abb. 1: Durchschnittliche Viruslast in der Gemeinde korreliert mit Neuinfektionsrate in San Francisco
      (#33 Das-Douglas M et al.)
Abb. 1: Durchschnittliche Viruslast in der Gemeinde korreliert mit Neuinfektionsrate in San Francisco (#33 Das-Douglas M et al.)

Abb. 2: Patienten (%) unter der Nachweisgrenze zu Woche 96 (#59 LB Darr E et al.)
Abb. 2: Patienten (%) unter der Nachweisgrenze zu Woche 96 (#59 LB Darr E et al.)

Abb. 3: ACTG 5202: Mittlere Veränderung der Kreatininclearance
Abb. 3: ACTG 5202: Mittlere Veränderung der Kreatininclearance

Im Mittelpunkt des Interesses des NIAID steht momentan die Präexpositionsprophylaxe (PREP) und die „Test and Treat“ (T&T)-Strategie. Diese Strategien können und sollen miteinander kombiniert werden, wobei bei Hochrisikogruppen PREP, bei Gruppen mit niedriger Prävalenz T&T im Vordergrund stehen sollte. Von der Wirksamkeit dieser Strategien ist Fauci überzeugt, die Umsetzbarkeit sei dagegen noch Gegenstand der Forschung. 

Zur Effektivität der T&T-Strategie gab es einige epidemiologische Analysen. In San Francisco beispielsweise sank die HIV-Neuinfektionsrate von 2004 (n=798) bis 2008 (n=434) ebenso wie die mittlere Viruslast der gesamten Gemeinde von rund 24.000 auf 15.000 Kopien/ml und im kanadischen British Columbia wurde eine ähnliche Entwicklung beobachtet (Abb. 1) (#66 Das-Douglas M et al., #88 LB Montaner J et al.). Das Konzept wird jetzt prospektiv in einer NIAID-Studie geprüft, und zwar in der South Bronx in New York und in Anacastia in Washington DC.

Transmission unter Therapie sehr selten  

Unterstützt wird das Konzept auch von einer afrikanischen Studie, in der der Einfluss der antiretroviralen Therapie auf die Übertragung von HIV bei diskordanten Paaren beobachtet wurde. Bei rund 2.284 Paaren war die Frau HIV-infiziert, bei 1.097 Paaren der Mann. 31% bzw. 28% der Paare hatten ungeschützten Sex. Bei 349 Paaren wurde beim infizierten Partner eine Therapie eingeleitet, was das Transmissionsrisiko um 92% verminderte. Bei diesen Paaren wurde im Lauf von zwei Jahren nur eine Übertragung beobachtet im Vergleich zu 102 Transmissionen bei Paaren ohne Therapie (#136 Donnell D et al.).

ACTG 5202

In ACTG 5202 wurden gängige einmal tägliche Therapieoptionen direkt miteinander verglichen, nämlich die zwei Backbones ABC/3TC und TDF/FTC in Kombination mit ATV/r oder Efavirenz. Die Interpretation dieser Studie ist außerordentlich schwierig.  Es gab sehr viele Endpunkte, die zudem unterschiedlich dargestellt wurden mal als
Intent-to-Treat-, dann als As-Treated-Analyse, mal zu Woche 48, dann zu Woche 96. 

An der Studie nahmen 1.857 Patienten teil (>80% Männer, 38 Jahre alt, 35% Schwarze, CD4-Zahl 230/µl). Präsentiert wurden jetzt der Vergleich ATV/r vs. EFV bei allen Patienten sowie ABC/3TC vs. TDF/FTC bei Patienten mit einer Viruslast <100.000 Kopien/ml. Der hochvirämische NRTI-Arm war bereits Anfang 2008 entblindet worden, nachdem es hier unter ABC/3TC signifikant schneller zum virologischen Versagen gekommen war.

Bei den niedrig virämischen Patienten war die Wirksamkeit von ABC/3TC vs. TDF/FTC sowie von ATV/r vs. EFV bei allen Patienten vergleichbar (Abb. 2). Erwartungsgemäß kam es im Falle von virämischen Versagen unter dem NNRTI unabhängig vom Backbone signifikant häufiger zu primären Resistenzmutationen. Der CD4-Zellzahlanstieg war unter dem PI und NNRTI in Kombination mit ABC/3TC gleich groß, unter ATV/r in Kombination mit TDF/FTC jedoch signifikant höher als unter EFV mit TDF/FTC (252 vs 221/µl, p=0,002). Im Hinblick auf die Sicherheit/Verträglichkeit schnitt ABC/3TC etwas ungünstiger ab aufgrund von Hypersensitivitätsreaktionen, denn als die Untersuchung 2007 begann, war der HLA–B*5701-Test noch nicht Standard. Kardiovaskuläre Ereignisse waren in allen Gruppen gleich verteilt. Gesamt-, LDL- und HDL-Cholesterin waren nach 48 Wochen in der As-Treated-Analyse unter Efavirenz im Vergleich zu ATV/r signifikant stärker angestiegen und es gab einen Trend zu höheren Werten bei Kombination mit ABC/3TC. Eine Verschlechterung der Kreatinin-Clearance wurde nur unter der Kombination TDF/FTC/ATV/r beobachtet. Insgesamt waren die Veränderungen jedoch moderat und innerhalb der drei Jahre wurde nur bei 5% der Patienten eine Verschlechterung der Clearance um >25% beobachtet (. 3) (#59 LB Daar E et al.).

Abb. 4: A5224s: Mittlere Veränderung der Knochendichte der LWS (%) (#106 LB McComsey G et al.)
Abb. 4: A5224s: Mittlere Veränderung der Knochendichte der LWS (%) (#106 LB McComsey G et al.)

Abb. 5: EuroSIDA: Substanzen mit erhöhtem Risiko für chronische
      Nierenerkrankung (#107 Kirk O et al.)
Abb. 5: EuroSIDA: Substanzen mit erhöhtem Risiko für chronische Nierenerkrankung (#107 Kirk O et al.)

Abb. 6: ODIN: Wirksamkeit (#57 Cahn P et al.)
Abb. 6: ODIN: Wirksamkeit (#57 Cahn P et al.)

Abb. 7: Quad vs. Atripla® und Cobisistat vs. RTV Anteil der Patienten mit HIV-RNA <50 Kopien/ml (ITT
      M=F) (#58 LB Cohen C et al.)
Abb. 7: Quad vs. Atripla® und Cobisistat vs. RTV Anteil der Patienten mit HIV-RNA <50 Kopien/ml (ITT M=F) (#58 LB Cohen C et al.)

Lipodystrophie 

In der Substudie ACTG A5224 wurden 269 Patienten der Studie ACTG 5202 genauer auf Langzeitnebenwirkungen untersucht. Unter allen vier Therapieregimen kam es initial zum Knochenverlust mit einer Stabilisierung nach rund 48 Wochen. Insgesamt war jedoch nach 96 Wochen die Knochendichte unter TDF/FTC signifikant geringer als unter ABC/3TC (LWS p= 0,004, Hüfte p= 0,025) sowie unter ATV/r aber nur an der LWS (p=0,035) (Abb. 4). Die Frakturrate der im Schnitt 38-jährigen Studienteilnehmer war in allen Gruppen gleich niedrig. Eine subklinische Lipoatrophie (Fettabnahme >10%) wurde insgesamt bei 16% der Patienten beobachtet, und zwar in allen Gruppen gleich häufig. Die Fettzunahme an den Extremitäten war dagegen in der As-Treated-Analyse nach 96 Wochen unter ABC/3TC besser als unter TDF/FTC (2,0 kg vs 1,0 kg, p=0,023) sowie in der Intent-to-Treat-Analyse unter ATV/r besser als unter EFV (30% vs 15%, p=0,01) (#106 LB McComsey G et al.).

Uridin: Kein Effekt! 

Uridin wird seit langem schon als Mittel gegen Lipoatrophie angeboten. In der kontrollierten Studie ACTG 5229 wurden nun 165 Patienten mit Lipoatrophie unter Thymidinanaloga entweder mit 36 mg Uridin (1 Beutel NukleomaxX®) dreimal täglich) oder Placebo behandelt. Rund 40% der Patienten brachen die Studie vorzeitig ab wegen des schlechten Geschmacks des Präparates, wobei Originalpulver und Placebo gleichermaßen schlecht schmeckten. Das Ergebnis der Studie war eindeutig. Nach 48 Wochen zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen Uridin und Placebo, selbst wenn nur die Patienten ausgewertet wurden, die Uridin bzw. Placebo zuverlässig eingenommen hatten (#313 McComsey et al.).

Mehr Nierenprobleme unter Tenofovir und Atazanavir  

Die Analyse der EuroSIDA-Kohorte im Hinblick auf Nierenerkrankungen brachte eine Überraschung zu Tage. Nicht nur Tenofovir, sondern auch der Proteasehemmer Atazanavir kann zu einer chronischen Nierenfunktionsstörung führen. In EuroSIDA entwickelten unter Tenofovir 3,3% der Patienten innerhalb der 4-jährigen Beobachtungszeit einen Abfall der glomerulären Filtrationsrate kleiner oder gleich 60 ml/Min bzw. bei einer solchen GFR zu Baseline einen Abfall um mehr als 25%. In der multivariaten Analyse erhöhte Tenofovir das Risiko für eine Niereninsuffizienz um 16% jährlich (p< 0,0001), Atazanavir um 21% (p= 0,0003), Indinavir um 12% (p<0,0001) und Lopinavir/r um 8% (p=0,03) (Abb. 5) (#107 LB Kirk O et al.).

ODIN: DRV 800 mg OD bei Vorbehandelten 

In der ODIN-Studie wurde Darunavir/r 1.200 mg BID gegen 800 mg OD verglichen und zwar bei vorbehandelten Patienten. An der offenen Studie nahmen 590 Patienten im Therapieversagen (VL 4,1 log Kopien/ml, CD4 220/µl) und ohne Darunavir-Mutationen (V11I, V32I, L33F, I47V, I50V, I54L/M, T74P, L76V, I84V, L89V) teil. 45% der Patienten waren PI-naiv und 85% waren für >8 PI empfindlich. Insofern ist das Ergebnis wenig erstaunlich. Beide Darunavir-Dosierungen waren nach 48 Wochen gleichermaßen wirksam (Abb. 6) (#57 Cahn P et al.).

Neue Substanzen 

Es gab nicht gerade eine Flut an neuen Substanzen, aber doch die eine oder andere interessante Entwicklung. So hat Boehringer Ingelheim den ersten „Capsid Assembly Inhibitor“ entdeckt, die Entwicklung leider aber wieder eingestellt (#50 Titolo S et al.). Weiter geht es dagegen hoffentlich mit den Inhibitoren des zellulären Integrationsfaktors LEDGF, die keine Kreuzresistenz zu den Integraseinhibitoren aufweisen (#49 Christ F et al.). Zum Integrasehemmer S/GSK1349572, der eine hohe Wirksamkeit und ein günstiges Resistenzprofil aufweist, wurden nur historische Daten gezeigt (#55 Johns B et al.). Der CCR5-Antagonist TRB-652 des kleinen Startup-Unternehmens Tobira senkte die Viruslast um -1,5 log-Stufen und muss nur einmal täglich gegeben werden (#53 Pelleja S et al.).

Die meiste Beachtung wurde der neuen Quad-Pille geschenkt. Diese Fixkombination besteht aus dem Integrasehemmer Elvitegravir, dem neuen Booster Cobicistat und Tenofovir plus Emtricitabin. Die präsentierten Daten der Prüfung gegen die Fixkombination Efavirenz/Tenofovir/Extricitabin bestätigen die gute Wirksamkeit. Nach 24 Wochen lag die Viruslast bei 95% bzw. 96% der Patienten unter der Nachweisgrenze. In der gleichen Studie wurde auch der neue Booster Cobicistat gegen Ritonavir untersucht. Hier zeigte sich ebenfalls eine vergleichbare Wirksamkeit (Abb. 7). Allerdings kann Cobicistat durch Hemmung der Kreatininausscheidung zu einer Erhöhung des Kreatinins im Blut ohne Einschränkung der glomerulären Filtrationsrate führen, was in Kombination mit Tenofovir differentialdiagnostisch nur schwer zu interpretieren ist (#58 LB Cohen C et al.).

Vicriviroc kein Benefit bei Vorbehandelten 

Das Ergebnis der Phase-3-Studien VICTOR 3 und 4 an über 800 vorbehandelten Patienten war enttäuschend. Vicriviroc war Placebo nicht überlegen. Allerdings hatte es der CCR5-Antagonist auch schwerer als andere Substanzen in Studien mit vergleichbarem Design. In VICTOR 3 und 4 standen rund 64% der Patienten drei und mehr wirksame Substanzen in der optimierten Hintergrundtherapie zur Verfügung, so dass der zusätzliche Effekt schwer nachzuweisen war. Bei Patienten mit zwei oder weniger aktiven Substanzen erreichten dagegen sehr wohl deutlich mehr Patienten eine Viruslast <50 Kopien/ml. Dennoch strebt das Unternehmen MSD, in dessen Portfolio sich die Substanz nach der Übernahme von Essex  befindet, keine Zulassung für vorbehandelte Patienten an (#54 LB Gathe J et al.).

Intensivierung funktioniert nicht 

Ein möglicher Weg zur Heilung könnte die Intensivierung der Therapie bei Patienten mit einer Viruslast unter der Nachweisgrenze sein. Dieses Konzept scheint jedoch nicht zu funktionieren. Bereits frühere Studien haben gezeigt, dass sich HIV durch die Intensivierung nicht komplett aus dem Blut eliminieren lässt. Auch in einer weiteren Untersuchung an sieben Männern mit einer Viruslast <40 Kopien/ml für mehr als drei Jahre ergab die zusätzliche Gabe von Raltegravir allein oder in Kombination mit Efavirenz bzw. geboostertem Darunavir über 12 Wochen keine Reduktion der zellgebundenen HIV-DNA in den PBMC und im Darm (#279 Yukl S et al.).

Nicht funktioniert hat leider auch die Intensivierung mit dem CCR5-Antagonisten Maraviroc, um die CD4-Zellzahl bei Patienten mit schlechtem Anstieg zu steigern. In der amerikanischen Pilotstudie ACTG 5256 wurden 34 Patienten mit komplett supprimierter Viruslast seit mehr als zwei Jahren, einer CD4-Zahl im Durchschnitt von 150/µl und einem Anstieg von +/- 20/µl pro Jahr um  24 Wochen lang zusätzlich mit Maraviroc behandelt – mit nur geringem Effekt. Es fanden sich allerdings  Hinweise auf eine verminderte Immunaktivierung (#285 Wilkin TJ et al.).

Krebserkrankungen 

Abb. 8: Risiko für Nicht-Aids-definierende Tumoren in Abhängigkeit vom
      Immunstatus (#28 Silverberg M et al.)
Abb. 8: Risiko für Nicht-Aids-definierende Tumoren in Abhängigkeit vom Immunstatus (#28 Silverberg M et al.)

Ein Grund für den Trend, die HIV-Therapie früher einzuleiten, ist die Hoffnung, das erhöhte Risiko für Nicht-AIDS-definierende Tumoren zu vermindern. Ob dies so ist, müssen randomisierte Studien zeigen. Die aktuellen Kohorten-Analysen belegen lediglich ein erhöhtes Krebsrisiko, und zwar insbesondere bei schlechtem Immunstatus. Im Kaiser Permanente-Register  (Datenpool einer Krankenversicherung) war nach Adjustierung für Alter, Geschlecht und Risikofaktoren das Risiko für Anal- und Lungenkrebs, Mund- und Halstumoren sowie Hodgkin-Lymphomen erhöht. Die Viruslast spielte dabei keine Rolle, wohl aber der Immunstatus. Insbesondere CD4-Zellen <200/µl waren mit einem signifikant höheren Risiko für Analcarcinome, M. Hodgkin und HNO-Tumoren verbunden. Das Risiko für Analkrebs war bei >500 CD4-Zellen/µl 34fach, bei <200/µl 164fach erhöht (Abb. 8) (#28 Silverberg M et al.).

Bei Lungenkrebs spielen auch traditionelle Risikofaktoren eine wichtige Rolle. In der VACS (Veterans Administration Aging Cohort Study) hatten HIV-Patienten deutlich häufiger Lungenkrebs (0,26 vs. 0,16 pro 100 Personenjahre). Rauchen war dabei der bei weitem gravierendste Risikofaktor. HIV verdoppelte das Risiko, tägliches Rauchen verzehnfachte es und selbst gelegentliches Rauchen verdreifachte das Lungenkrebsrisiko noch (#30 Sigel K et al.).

Widersprüchliche Daten zum Frakturrisiko 

Die HIV-Infektion scheint ein unabhängiger Risikofaktor für die Osteoporose zu sein. Ob dies sich auch klinisch manifestiert, d.h. ob osteoporotische Frakturen bei HIV-Positiven häufiger sind, ist allerdings nach wie vor umstritten. Probleme bereitet insbesondere das Fehlen zuverlässiger Daten zu Frakturen bei gleichaltrigen HIV-negativen Kontrollen. Einer Untersuchung der amerikanischen HOPS-Kohorte (n=8456) zufolge sind Frakturen bei HIV-Infizierten 4-mal häufiger, und zwar in erster Linie Nicht-Extremitäten-Frakturen (40% vs. 34%). Unabhängige Risikofaktoren waren ein schlechter Immunstatus (CD4-Zellen <200/µl), Diabetes, eine Hepatitis C-Koinfektion und Substanzmissbrauch. In der VACS (Veterans Aging Cohort Study, n=40.216 Männer) war HIV kein Risikofaktor für Frakturen im allgemeinen, wohl aber für Hüft- und Wirbelfrakturen. Das Risiko einer solchen Fraktur bei über 50-jährigen wurde durch die HIV-Infektion um rund 30% gesteigert. Aus diesem Grund empfehlen die Autoren eine Knochendichtemessung bei Patienten, die neben HIV noch weitere Risikofaktoren aufweisen. Prämenopausale Frauen hatten dagegen, so eine Analyse der Women´s Interagency HIV Study im Verlauf der 5-jährigen Beobachtung nach Adjustierung für die traditionellen Risikofaktoren kein erhöhtes Risiko für osteoporotische Frakturen (#128 Dao C et al., #129 Womack J et al., #129 Yin M et al.).

Kardiovaskuläres Risiko 

Abb. 9: D:A:D-Studie: Rauchen als Risikofaktor für KHK bei HIV-Infizierten (#124 Petoumenos K et al.)
Abb. 9: D:A:D-Studie: Rauchen als Risikofaktor für KHK bei HIV-Infizierten (#124 Petoumenos K et al.)

Untersuchungen zum Einfluss von HIV bzw. der antiretroviralen Therapie auf das kardiovaskuläre Risiko zeigen, dass die Endothelfunktion auch bei HIV-Patienten mit nicht nachweisbarer Viruslast vermindert ist, wobei die Immunaktivierung eine größere Rolle zu spielen scheint als traditionelle Risikofaktoren. Klinische Daten unterstreichen dagegen die Bedeutung der bekannten Risikofaktoren. So verdreifachte Rauchen in der D:A:D-Studie das Infarktrisiko und eine Verdoppelung der Triglyceride erhöhte es um rund 11%  (Abb. 9) (#124 Petoumenos K et al., # 127 Worm S et al.). Im Hinblick auf einzelne Substanzen gab es zu Abacavir keine negativen Schlagzeilen. Interessanterweise wurde erstmals unter TDF/FTC ein erhöhtes KHK-Risiko beobachtet, und zwar bei HIV-infizierten Kindern und Jugendlichen. Die jungen Patienten hatten im Schnitt schon 15 Jahre antiretrovirale Therapie inklusive 1,5 Jahre unter TDF/FTC hinter sich. Bei 52% wiesen die Koronarien im Kernspinn Unregelmäßigkeiten auf. Diese Patienten hatten signifikant länger TDF/FTC eingenommen (#864 Mikhail I et al.).

Vitamin D-Mangel 

Das Thema Vitamin D-Mangel ist noch ganz jung. Dennoch wurden schon erste Analysen von Datenbanken aus Italien, der Schweiz und den USA präsentiert. Leider ergaben diese kein einheitliches Bild, sondern unterstreichen vielmehr wie komplex das Geschehen ist. Der Vitamin D-Spiegel wird nämlich stark von vielen Variablen, z.B. Hautfarbe, Sonneneinstrahlung (Jahreszeit! Urlaub im Süden!), Tageszeit, Begleiterkrankungen usw. beeinflusst. Ein niedriger 25 (0H) Vitamin D-Spiegel kann zudem durch vermehrte Aktivierung des Vitamins ausgeglichen werden.

Abb. 10: Prävalenz des Vitamin D-Mangels bei HIV-Infektion (#752 Mueller N et al.)-
Abb. 10: Prävalenz des Vitamin D-Mangels bei HIV-Infektion (#752 Mueller N et al.)

In den bisher publizierten Arbeiten lag die Prävalenz des Vitamin D-Mangels bei HIV-Positiven bei 5%-74%. Auch die aktuell vorgestellten Arbeiten kommen zu sehr unterschiedlichen Zahlen. In der amerikanischen SUN-Studie haben rund 75% der 627 HIV-Patienten einen Vitamin D-Mangel, in der italienischen ICONA-Kohorte (n=856) sind es 54% und der Schweizer Kohorte (n=211) 42% (Frühjahr) bzw. 14% (Herbst) (Abb. 10). Ein einheitlicheres Bild lieferten die Analysen lediglich im Hinblick auf den Einfluss von Medikamenten. In allen drei Kohorten war die Gabe eines NNRTI – am häufigsten Efavirenz – mit einem niedrigen Vitamin D-Spiegel assoziiert.

Die Schweizer beschäftigten sich zudem intensiv mit der Rolle von Tenofovir.  Die mit diesem NRTI assoziierte tubuläre Protein- und Hyperphosphaturie führte häufig zu einem erhöhten Knochenumsatz mit Aktivierung der Osteoklasten, wobei auch eine verminderte glomeruläre Filtrationsrate, Vitamin D-Mangel  und Hyperparathyreoidsmus einen negativen Einfluss hatten. Unter Tenofovir kam es allerdings zu einem kompensatorischen Anstieg von aktiviertem Vitamin D, was dem Knochenabbau entgegen wirkt. Die Autoren schließen, dass ein Vitamin D-Mangel insbesondere beim Einsatz von Tenofovir korrigiert werden sollte. (#750 Dao C et al., #751 Broderi M et al., #752 Mueller N et al., #748 Fux C et al., #749 Wirz S et al.)

Ausgabe 1 - 2010Back

Hepatitis-Koinfektion

Bei der Therapie der chronischen Hepatitis C ist ein CC-Genotyp für IL28 (Interleukin 28 oder Interferon Lambda) ein signifikanter positiver Prädiktor, während Patienten mit einem TT-Genotyp deutlich seltener eine Heilung erreichen. Die Prävalenz und Bedeutung des neu entdeckten Genotyps bei HIV-Patienten untersuchten u.a. Nattermann und Kollegen von der Universität Bonn. Sie verglichen die Daten von 192 Koinfizierten (74 hatten eine akute HCV-Infektion), 156 HCV-Monoinfizierten und 136 Gesunden. Die Verteilung der Genotypen war in allen drei Gruppen gleich und ein günstiger Genotyp war auch bei chronischer HCV/HIV-Infektion ein prädiktiver Parameter. Bei der akuten Hepatitis C bei HIV-Infizierten spielte der Genotyp keine so große Rolle (Abb. 11) (#164 Nattermann J et al.). In einer spanischen Arbeitsgruppe korrelierte dagegen die spontane Heilung der akuten Hepatitis C mit dem IL28-Genotyp. 75% der Koinfizierten mit Spontanheilung hatten den günstigen Genotyp im Vergleich zu 46% der Patienten, bei denen die Hepatitis chronisch wurde (#165 Rallon N et al.).

Patienten mit chronischer Hepatitis sollten wegen des erhöhten Risikos für hepatozelluläre Karzinome regelmäßig sonographiert werden. Dies scheint jedoch noch nicht klinischer Alltag zu sein. Lediglich 57% der Koinfizierten werden regelmäßig gescreent, so eine retrospektive Analyse der Daten von 20 Zentren in Kanada, USA, Brasilien, England und Spanien (#685 Nunez M et al.).

Abb. 11: IL-28B Genotyp und SVR-Rate (#164 Nattermann J et al.)
Abb. 11: IL-28B Genotyp und SVR-Rate (#164 Nattermann J et al.)


Schweinegrippe: Impfstoff mit Adjuvans besser

Die Schweinegrippe war auch auf der CROI ein Thema. Die Epidemie verlief bei HIV-Patienten als immungeschwächte Risikogruppe in der Regel nicht schwerer (#802LB Martinez E et al.). Der Erfolg der Impfung war in Frankreich und Deutschland gut (95% bzw 69% Serokonversionen). In den USA wurde dagegen der Impfstoff ohne Adjuvans eingesetzt, was zu einer geringeren Konversionsrate von lediglich 55% führte (#804LB Launay O et al., #805LB Bickel M et L, #806LB Tebas P et al.).


Lebenserwartung bei HIV

HIV-Infizierte ohne Symptome haben eine nahezu normale Lebenserwartung, insbesondere wenn die CD4-Zahl mehr als drei Jahre über 500/µl liegt.

Die Lebenserwartungen eines 25-jährigen HIV-negativen Holländers beträgt 53,1 Jahre, einer HIV-Positiven ohne Aids und ART in den ersten 24 Wochen nach Diagnose 52,7 Jahre.

(#526 van Sighem Gras L et al.; #527 Lewden C et al.).                                                                           RP

TDF bei HIV/HBV

Innerhalb von 60 Monaten erreichten 100% der HBeAg-negativen (n=15) und 92% der HBeAg-postiven (n=67) HIV/HBV-Koinfizierten eine HBV-DNA <20 IU/ml. Im Verlauf verloren 46% HBeAg und 12% sogar HBsAg. Die glomeruläre Filtrationsrate fiel dabei allerdings um rund 10 ml/Min, wobei der stärkste Abfall zu Beginn der Therapie zu beobachten war. Drei Patienten mussten Tenofovir wegen Nierenproblemen absetzen 

(#631 de Vries-Sluijs et al.).                                   RP

RAL/TDF/FTC – Langzeitdaten

Nach 192 Wochen war der Anteil der Patienten mit nicht nachweisbarer Viruslast in einer Phase-2-Studie (n=198) unter RAL/TDF/FTC und EFV/TDF/FTC mit jeweils 74% vergleichbar. Die Verträglichkeit war gut. Neue Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet. 

(#514 Gotuzzo E et al.).                                          RP

Primärresistenz steigt

Die Analyse des amerikanischen Center for Disease Control von 2.500 Resistenztests von rund 10.000 therapienaiven Patienten zeigt einen klaren Anstieg der Primärresistenz seit 1999. Im Jahr 2007 hatten 16% der Amerikaner und 11% der Nicht-Amerikaner mindestens eine Resistenzmutation. (#99 Kim D et al.)

CDC Survey: Muster der Primärresistenz
CDC Survey: Muster der Primärresistenz

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