Partizipative Qualitätsentwicklung (PQE) – ein innovativer Ansatz für die HIV-Prävention?
Abb. 1: Die Homepage www.qualitaet.aidshilfe.de ist im Sinne eines
interaktiven Handbuches aufgebaut: Grundlagentexte führen in die
Konzepte der Partizipativen Qualitätsentwicklung ein. Gute aufbereitete
Methoden-Steckbriefe bieten sich zum Download und zur Anwendung vor Ort
an. In einem internen Bereich können Praxisbeispiele aus anderen
Aidshilfen eingesehen werden und im Forum direkt mit Kolleg(inn)en
diskutiert werden.
Abb.
2: Die PQE ist ein anspruchsvolles Verfahren, das Unterstützung bei der
ersten Einführung vor Ort bedarf. Im Rahmen des Forschungsprojektes
hatten 12 Aidshilfen die Möglichkeit, sich vor Ort in der Anwendung der
PQE von einer Wissenschaftlerin beraten zu lassen. Hier im Bild die
Kollegen der SUB München und der Münchner Aidshilfe bei der Planung der
Evaluation ihrer Vorort-Aktivitäten „Danke für 25 Jahre Safer Sex“.
Foto:
Hella von Unger
Qualitätssicherung und Evaluation sind immer wieder Thema von Auseinandersetzungen in der sozialen Arbeit. Häufig gehen die Ansichten darüber, wie man die Qualität der sozialen Arbeit „messen“ könne, zwischen Zuwendungsgebern und Zuwendungsempfängern weit auseinander. Da niemand die Qualität der Qualitätssicherer kontrolliert, kommen leider auch Instrumente zum Einsatz, welche mit einem großen bürokratischen Aufwand verbunden sind, ohne einen nachweisbaren Beitrag zur nachhaltigen Qualitätssicherung zu leisten. Ein großes Problem ist dabei, dass viele Verfahren nicht die relevanten Dimensionen der Arbeit abbilden.
Partizipation als Leitidee
Ziel eines zweijährigen, durch BMG und BZgA geförderten Forschungsprojektes von Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und Deutscher AIDS-Hilfe (DAH) war, Ansatzpunkte für eine partizipative Qualitätssicherung (PQE) in der Primärprävention von Aidshilfen herauszuarbeiten, die dem genuin „partizipativen Ansatz“ der HIV-Prävention in Deutschland Rechnung trägt. Leitgedanke der Aidshilfen war von Anbeginn an eine enge Zusammenarbeit mit den von HIV bedrohten und betroffenen Gruppen und ihren Communities. Das von der WHO ausgegebene Motto GIPA (greater involvement of people with HIV/AIDS = stärkere Einbindung von Menschen mit HIV in die HIV-Prävention) wird von vielen Aidshilfen als Selbstverpflichtung erlebt.
Der „Kern“ des Projekts bestand darin, Konzepte und Methoden für partizipative Qualitätsmaßnahmen zu entwickeln und die Anwendbarkeit dieser Konzepte und Methoden in der HIV-Primärprävention von Aidshilfen zu überprüfen. Die Methoden wurden vom WZB in Anlehnung an die internationale Diskussion zur partizipativen Forschung ausgewählt und in mehreren Workshops vorgestellt und eingeübt. Maßgabe war dabei, sie an den spezifischen Arbeitsbedingungen und Fragestellungen der Aidshilfen zu orientieren. Diese Methoden kamen in den Beratungen zur praktischen Anwendung, um konkrete, lokale Fragestellungen aus der HIV-Präventionsarbeit der Teilnehmenden zu bearbeiten. Die Ergebnisse aus der Seminarreihe und den Projektberatungen wurden intensiv weiter bearbeitet und als „Konzepte und Methoden Partizipativer Qualitätsentwicklung“ auf der Plattform www.qualitaet.aidshilfe.de in Form eines „interaktiven Handbuches“ veröffentlicht.
Abb. 3: Die Nachhaltigkeit des Forschungsprojektes konnte in 2009 durch die Integration von Seminaren zu Konzepten und Methoden der PQE ins Veranstaltungsprogramm der Deutschen AIDS-Hilfe sicher gestellt werden. So nahmen insgesamt 14 Teilnehmer/innen an der dreiteiligen Seminarreihe teil, die mit großem Erfolg abgeschlossen werden konnte. 1. Bedarfsermittlung: Wie wissen wir, was die Zielgruppe braucht? 2. Zielformulierung: Was wollen wir vor Ort erreichen? 3. Evaluation: Wie wissen wir, was bei der Zielgruppe ankommt? Größte Herausforderung ist hierbei, die Methode der lokalen Ziele und Wirkungswege auf die eigene Arbeit anzuwenden und sich der kritischen Frage zu stellen: Wie können wir die selbst gesetzten Ziele mit den uns zur Verfügung stehenden Maßnahmen erreichen?
Foto: Simone Kamin
Im Rahmen des Projektes konnte aufgezeigt werden, dass der PQE-Ansatz ein taugliches Instrumentarium zur Verfügung stellt, um Aidshilfen in ihrer lokalen Arbeit nachhaltig zu unterstützen. Als Ergebnis des Forschungsprojektes haben sich fünf Instrumente bewährt, die das Gerüst für ein mögliches PQE-Zertifizierungsverfahren darstellen könnten:
- Seminartool:
Bedeutung epidemiologischer Zahlen verstehen
In einem zweitägigen Seminar lernen Mitarbeiter/innen, das epidemiologische Profil für die eigene Region zu erstellen und auf ihre Bedeutung für die HIV-Primärprävention vor Ort hin zu bewerten. - Curriculum:
Methoden der Partizipativen Qualitätsentwicklung
Eine dreiteilige Seminarreihe zu Methoden und Konzepten der PQE konnte in 2009 erstmals erfolgreich umgesetzt und evaluiert werden. Das Curriculum gliedert sich entsprechend dem „Dreischritt der PQE“ in die Module Bedarfs-ermittlung, Zielformulierung und Evaluation. - Plattform www.qualitaet.aidshilfe.de
Die Plattform fungiert als interaktives Handbuch zur PQE. Sie ermöglicht es, die Inhalte des Curriculums zu vertiefen, Methoden abzurufen und Erfahrungen in der Anwendung der PQE mit Kollegen auszutauschen. - PQE-Beratung
zu lokalen Interventionen
Wichtigstes Element des Forschungsprojektes war, die Methoden der PQE bei einer eigenen primärpräventiven Fragestellung unter wissenschaftlicher Beratung anwenden zu können. Dazu hatten die Projekte die Möglichkeit, eine wissenschaftliche Beratung durch die Arbeitsgruppe Public Health am Wissenschaftszentrum Berlin im Umfang von 3-7 Tagen in Anspruch zu nehmen. Deutlich wurde dabei, dass diese erste Anwendung der PQE einen Entwicklungsprozess der Organisation anstößt, der zu Beginn eine Anleitung von außen braucht, wenn er zielführend sein soll. Da das Angebot der wissenschaftlichen Beratung entsprechende fachliche Ressourcen voraussetzt, muss eine ausreichende Zahl an PQE-Berater(inne)n zur Verfügung stehen: Deshalb werden ab Ende 2010 Teilnehmer/innen aus den bisherigen Curricula zur PQE rekrutiert und zu Peer-Berater(inne)n ausgebildet. - Qualitätskolloquium:
Präsentation einer eigenen PQE Fragestellung
Das Qualitätskolloquium (QC) ist ein Instrument, das in Anlehnung an Konzepte des Peer Reviews (Begutachtung durch Gleichgesinnte) von Praktikern der HIV-Prävention entwickelt wurde. Das QC schafft ein Forum des zweckfreien und respektvollen Diskurses, bei dem die Fragestellung vom vorstellenden Projekt vorgegeben wird. Eingeladen sind Praktiker der HIV-Prävention, Zielgruppenvertreter, Forscher und Zuwendungsgeber, die die aufgegebene Fragestellung aus ihrer jeweils eigenen Perspektive diskutieren. Projekte erhalten hierdurch eine strukturierte Rückmeldung zu ihrer Arbeit, die über die rein kollegiale Sichtweise hinausweist. Das Zertifizierungsverfahren schließt mit der Einstellung eines eigenen Praxisbeispiels auf der Internetplattform www.qualitaet.aidshilfe.de.
Während die Schritte 1-4 im Rahmen des o.g. Forschungsprojektes erfolgreich umgesetzt werden konnten, gab es lange Zeit Probleme, das Konzept des Qualitätskolloquiums in der Praxis anzuwenden. Obwohl das Konzept von Praktikern mit entwickelt wurde und damit ihren eigenen Wünschen nach einer fundierten, inhaltlichen Rückmeldung Rechnung trug, war die Angst zu Beginn groß, sich mit einer eigenen Fragestellung einem Gremium außerhalb der eigenen Einrichtung zu stellen. In der Analyse der hemmenden Faktoren wurde deutlich, welch große Rolle das Angstmanagement und die Entwicklung einer respektvollen Diskurskultur spielen, wenn es um Fragen der Qualitätssicherung und der Evaluation der eigenen Arbeit geht. Zu Beginn des Forschungsprojektes hatten wir zu wenig bedacht, dass entsprechende Prozesse zur Beeinflussung der Diskurskultur einen längeren Vorlauf brauchen. So konnte die erste Anwendung des QC erst nach Abschluss des Forschungsprojektes stattfinden, da erst die intensive Auseinandersetzung im Rahmen des Forschungsprojektes die diskursiven Voraussetzungen für das QC schaffte. Damit haben sich mit Stand November 2009 alle Elemente des angestrebten Zertifizierungsverfahrens bewährt.
An dieser Stelle ist hervorzuheben,
welch große Rolle die gelungene Zusammenarbeit im Dreieck Wissenschaftszentrum
Berlin, Dachverband Deutsche AIDS-Hilfe und regionale Aidshilfen spielte. Das
Forschungsprojekt leistete so nicht nur einen Beitrag zur
Organisationsentwicklung der einzelnen regionalen Organisationen,
sondern moderierte auch das Verhältnis zwischen Dachverband
und regionalen Mitgliedsorganisationen. Voraussetzung hierfür war zweifelsohne
die vertrauensvolle Zusammenarbeit aller Beteiligten, die ganz wesentlich durch
den Partizipationsstil geprägt wurde, den das Wissenschaftszentrum Berlin
modellhaft in der Zusammenarbeit mit den Praxispartnern vorlebte.
Für 2010 bis 2013 steht die weitere Systematisierung und Implementierung des Verfahrens der PQE an. Abhängig von einer weiteren finanziellen Förderung würde es dabei auch um eine Wirksamkeitsüberprüfung der PQE gehen.
Im Juni 2010 startet die dreiteilige Seminarreihe zur Partizipativen Qualitätsentwicklung zum 2. Mal. Noch gibt es einige freie Plätze für Mitarbeiter/innen aus Aidshilfen und Gesundheitsämtern.
Anfragen am besten per E-Mail an:
Karl.Lemmen@dah.aidshilfe.de