HIV-Infektionen und AIDS-Erkrankungen in Deutschland
RKI-LogoBericht zur Entwicklung im Jahr 2009 aus dem Robert Koch-Institut

Ein wesentliches Ziel der epidemiologischen Überwachung (Surveillance) von Infektionskrankheiten ist das Erkennen von aktuellen Entwicklungen des Infektionsgeschehens. Die Bestimmung der Anzahl der HIV-Neuinfektionen pro Zeiteinheit (HIV-Inzidenz) ist methodisch schwierig und aufwändig. Die im Folgenden dargestellten Meldungen über HIV-Neudiagnosen dürfen weder mit der HIV-Inzidenz noch mit der HIV-Prävalenz (Anzahl der zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehenden HIV-Infektionen) gleichgesetzt werden. Die Meldungen über HIV-Neudiagnosen erlauben auch keinen direkten Rückschluss auf den Infektionszeitpunkt, da HIV-Infektion und -Test zeitlich weit auseinander liegen können. Weitere Faktoren, die die Meldedaten beeinflussen können, sind das Angebot von Testmöglichkeiten, die Inanspruchnahme solcher Testangebote und das Meldeverhalten der Ärzte. Insbesondere Veränderungen dieser Parameter im Zeitverlauf können die Interpretation der Daten erschweren.

Andere Datenquellen zur Abschätzung der HIV-Inzidenz sind rar, daher bieten die Meldungen über HIV-Neudiagnosen, trotz aller Einschränkungen, die derzeit bestmögliche Grundlage zur Abschätzung des aktuellen Infektionsgeschehens. Eine vom Robert Koch-Institut (RKI) durchgeführte vom Bundesministerium für Gesundheit geförderte deutschlandweite Studie zur Bestimmung des Anteils der kürzlich erworbenen HIV-Infektionen unter den HIV-Neudiagnosen ist zu Beginn des Jahres 2008 angelaufen. Vorläufige Ergebnisse aus dieser Studie fließen in diesen Bericht mit ein.

Entwicklung der HIV-Meldedaten

Tab. 1: Ab 1993 eingegangene Meldungen über bestätigt positive HIV-Antikörpertests in der Bundesrepublik Deutschland nach Meldestatus und Diagnosezeitraum (ohne Mehrfachmeldungen)
Tab. 1: Ab 1993 eingegangene Meldungen über bestätigt positive HIV-Antikörpertests in der Bundesrepublik Deutschland nach Meldestatus und Diagnosezeitraum (ohne Mehrfachmeldungen)

Bis zum 01.03.2010 wurden dem RKI für das Jahr 2009 insgesamt 2.856 neu diagnostizierte HIV-Infektionen gemeldet (Tab. 1). Gegenüber dem Jahr 2008 (n=2.843) bedeutet dies keine nennenswerte Veränderung bei der Gesamtzahl der HIV-Neudiagnosen. Seit 2007 hat sich der in den Jahren davor beobachtete Anstieg der HIV-Neudiagnosen deutlich verlangsamt.

Betrachtet man die Entwicklung der HIV-Neudiagnosen in den verschiedenen Betroffenengruppen, so steigt die absolute Zahl der HIV-Neudiagnosen bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM) im Jahr 2009 gegenüber dem Vorjahr (2008) geringfügig um 3,3% an (von 1.575 auf 1.629); die Zahl der Personen mit Angabe eines heterosexuellen Infektionsrisikos (HET) nimmt ebenfalls um 3,2% zu (von 410 auf 423). Bei Konsumenten intravenös verabreichter Drogen (IVD) ging die Zahl neu diagnostizierter HIV-Infektionen um 20% zurück (von 125 auf 100), bei Migranten aus Hochprävalenzländern (HPL) um 6,3% (von 300 auf 281). Die Zahl der HIV-Neudiagnosen bei denen keine Angabe zum Infektionsrisiko vorliegt (k.A.) bleibt praktisch konstant (417 vs. 412) (Abb. 1).

Die Absolutzahl der HIV-Neudiagnosen bei Frauen in Deutschland (n=461) hat sich gegenüber dem Vorjahr (n=465) nicht verändert, die Zahl der HIV-Neudiagnosen bei Männern steigt leicht von 2.348 auf 2.377 an, und die Zahl der Meldungen ohne Geschlechtsangabe geht von 30 in 2008 auf 18 in 2009 zurück. Der Anteil der Frauen unter den HIV-Neudiagnosen betrug im Jahr 2009 in Deutschland 16,1% und stabilisiert sich damit seit 2007 auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau.

Angaben zum Infektionsweg lagen für 86% der im Jahr 2009 neu diagnostizierten HIV-Infektionen vor. Darunter stellen MSM mit 67% unverändert die größte Gruppe. Der Anteil der nicht aus Hochprävalenzländern stammenden Personen, die angaben, ihre HIV-Infektion durch heterosexuelle Kontakte erworben zu haben, bleibt unverändert bei 17%. Der Anteil der Personen, die aus Ländern mit einer hohen HIV-Prävalenz in der allgemeinen Bevölkerung (Hochprävalenzländer) stammen, lag im Jahr 2009 bei 11% (Vorjahr 12%) der HIV-Neudiagnosen. Nach den verfügbaren Angaben ist anzunehmen, dass sich 20-25% der Personen aus HPL in Deutschland infiziert haben - in den meisten Fällen wahrscheinlich durch sexuelle Kontakte mit Partnern aus der selben Herkunftsregion. Der Großteil der Infektionen jedoch wurde in den Herkunftsländern erworben. Der Anteil der Personen, die eine HIV-Infektion wahrscheinlich über i.v. Drogengebrauch erworben haben, geht auf 3,5% zurück.

Entwicklung in den einzelnen Gruppen

Abb. 1: Anzahl der HIV-Erstdiagnosen pro Diagnosehalbjahr in den vier wichtigsten Betroffenengruppen im Verlauf der letzten zehn Jahre (Stand: 01.03.2010)

AAbb. 1: Anzahl der HIV-Erstdiagnosen pro Diagnosehalbjahr in den vier wichtigsten Betroffenengruppen im Verlauf der letzten zehn Jahre (Stand: 01.03.2010)

Die absolute Zahl der HIV-Neudiagnosen bei Männern, die Sex mit Männern haben, hat im Jahr 2009 verglichen mit dem Vorjahr nur geringfügig zugenommen (Abb. 1). Die größten Veränderungen wurden in Hamburg (Anstieg von 91 auf 131), Rheinland-Pfalz (Anstieg von 32 auf 50), Berlin (Rückgang von 338 auf 312) und Mecklenburg-Vorpommern (Rückgang von 19 auf 10) registriert.

Der Anteil der MSM, bei denen eine andere Herkunftsregion als Deutschland angegeben wurde, lag 2009 bei 15% (Herkunftsangabe fehlte bei 10% der Meldungen). Wichtigste ausländische Herkunftsregionen für in Deutschland neu mit HIV diagnostizierte MSM sind in der Reihenfolge ihrer Bedeutung Westeuropa (3,9%), Zentraleuropa (3,2%), Lateinamerika (2,5%), Südostasien (1,3%) und Osteuropa (1,1%). Erworben wurde die HIV-Infektion in mehr als 90% der Fälle in Deutschland. Wichtigste ausländische Infektionsregionen waren Westeuropa (1,4%), Lateinamerika (0,8%) und Südostasien (0,7%).

Was die Verteilung der HIV-Erstdiagnosen auf Altersgruppen betrifft, sinkt der Anteil der 30-39-jährigen Männer weiter, während der Anteil höherer und niedrigerer Altersgruppen zu

Abb. 2: Anzahl von HIV-Neudiagnosen bei MSM pro 100.000 Männer nach Altersgruppen, 2005-2009

Abb. 2: Anzahl von HIV-Neudiagnosen bei MSM pro 100.000 Männer nach Altersgruppen, 2005-2009

nimmt. Berücksichtigt man die rückläufige Größe der jüngeren Alterskohorten ergibt sich im Jahr 2009 die höchste Zahl an HIV-Neudiagnosen pro 100.000 Männer in der Altersgruppe der 25-29-jährigen MSM, gefolgt von den 30-39-jährigen und dann bereits von den 21-24-jährigen. Die Zahl der Neudiagnosen pro 100.000 Männern bei MSM in der Altersgruppe der 21-24-jährigen MSM hat damit den höchsten Wert seit 1993 erreicht und nähert sich immer mehr den Werten, die in den traditionell am stärksten betroffenen Altersgruppen der 25-39-jährigen erreicht werden (siehe Abb. 2). Ein Teil dieses Anstiegs könnte aber auch dadurch erklärbar sein, dass die Testbereitschaft in den jüngeren Altersgruppen sehr hoch ist und ein großer Teil der Infektionen bereits sehr früh nach der Übertragung diagnostiziert wird.

Von September bis November 2009 fanden die ersten bundesweiten Testwochen für MSM im Rahmen der HIV-Präventionskampagne „ICH WEISS WAS ICH TU“ der Deutschen AIDS-Hilfe e.V. statt. Ziel dieser IWWIT-Testwochen war neben der Aufdeckung von bisher undiagnostizierten HIV-Infektionen v.a. bei MSM mit erhöhtem Risikoverhalten, die Steigerung der Testbereitschaft in der Zielgruppe und die Etablierung neuer Testangebote.

Bundesweit wurden 63 Testangebote in 51 Städten und allen 16 Bundesländern realisiert; beteiligt haben sich 40 Gesundheitsämter, 26 regionale Aidshilfen und 11 schwule Präventionsprojekte. 38 Testangebote wurden in Kooperation zwischen Aidshilfen und dem ÖGD organisiert; während einige Projekte ihre etablierten Testangebote in den Rahmen der IWWIT-Testwochen integrierten, wurden 17 völlig neue Testangebote geschaffen. Das Angebot an Testverfahren umfasste von herkömmlichen HIV-Labortests über HIV-Schnelltests je nach Testangebot auch die Möglichkeit sich auf verschiedene STIs testen zu lassen.

Die Testwochen hatten insgesamt knapp 3.000 Teilnehmer, davon ca. 57% MSM. Die teilnehmenden MSM waren im Schnitt 36 Jahre alt, ca. 60% waren zwischen 20 und 39 Jahren. Das Bildungsniveau war überdurchschnittlich hoch (70% der MSM besaßen die (Fach-) Hochschulreife). Der Anteil an Migranten aus 1. und 2. Generation lag bei knapp 18%; ca. 6% der Getesteten kamen aus Osteuropa.

Insgesamt 66 bestätigt positive HIV-Tests wurden im Rahmen der Testwochen berichtet. Bezogen auf die Gesamtzahl der 2.535 berichteten durchgeführten HIV-Tests bedeutet dies eine Positivenrate von 2,6%. Ein ausführlicher Ergebnisbericht zur Evaluation der IWWIT-Testwochen wird voraussichtlich Mitte Mai vorliegen.

Abb. 3: Durchschnittliche Verteilung der HIV-Neudiagnosen bei MSM auf Diagnosemonate in den Jahren 2006-2008 im Vergleich mit 2009

Abb. 3: Durchschnittliche Verteilung der HIV-Neudiagnosen bei MSM auf Diagnosemonate in den Jahren 2006-2008 im Vergleich mit 2009

Ein Vergleich der Zahl der HIV-Neumeldungen im Zeitraum der Testwochen mit den vorangehenden Monaten und den Vergleichszeiträumen der Vorjahre zeigt lediglich im Monat November einen geringfügigen Anstieg der  Neudiagnosen gegenüber den Vormonaten (siehe Abb. 3). Im Vergleich 2009 mit vorangegangenen Jahren ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass sich im Zeitraum der Testwochen (September bis November) die Anzahl von gemeldeten HIV-Erstdiagnosen verglichen mit den vorangegangenen Jahren wesentlich verändert hat.

Die Gesamtzahl der HIV-Neudiagnosen mit Angabe eines heterosexuellen Übertragungsrisikos stieg von 2008 bis 2009 leicht von 410 auf 423 Fälle an. Die Veränderungen in einzelnen Bundesländern oder Städten sind infolge dessen gering und können auch als zufällige Schwankungen interpretiert werden. Die stärksten Veränderungen wurden in Baden-Württemberg (Zunahme von 30 auf 39 Fälle), Bremen (Zunahme von 5 auf 11 Fälle), Thüringen (Zunahme von 0 auf 4 Fälle), Hessen (Rückgang von 46 auf 33 Fälle), Niedersachsen (Rückgang von 30 auf 19 Fälle) und Schleswig-Holstein (Rückgang von 15 auf 10 Fälle) beobachtet.

Die Zahl der HIV-Neudiagnosen bei Personen aus Hochprävalenzregionen ging von 300 im Jahr 2008 auf 281 im Jahr 2009 zurück. Das Verhältnis von Frauen zu Männern ist nahezu 2:1. In 2009 wurde bei über 20% (n=60) der gemeldeten Infektionen von Menschen die aus Hochprävalenzregionen stammen angegeben, dass die Infektion vermutlich in Deutschland erfolgt ist.

 Abb. 4: Anteilige Verteilung auf angegebene Infektionsregionen (y-Achse) bei neu mit HIV neu diagnostizierten Personen mit heterosexueller Transmission (HET + HPL) und Herkunftsangabe (x-Achse), Deutschland 2009 (n=553). AF-N/NO = Nordafrika/Naher Osten; AF-SS = Subsahara-Afrika; AM = Amerika; AS-SSO = Südost-Asien; D = Deutschland; EUR-O = Osteuropa; EUR-W = Westeuropa; EUR-Z = Zentraleuropa

Abb. 4: Anteilige Verteilung auf angegebene Infektionsregionen (y-Achse) bei neu mit HIV neu diagnostizierten Personen mit heterosexueller Transmission (HET + HPL) und Herkunftsangabe (x-Achse), Deutschland 2009 (n=553). AF-N/NO = Nordafrika/Naher Osten; AF-SS = Subsahara-Afrika; AM = Amerika; AS-SSO = Südost-Asien; D = Deutschland; EUR-O = Osteuropa; EUR-W = Westeuropa; EUR-Z = Zentraleuropa

Da fast alle HIV-Neudiagnosen bei Personen aus Hochprävalenzregionen auf heterosexuellem Wege übertragen werden, wurden HIV-Neudiagnosen mit heterosexuellem Übertragungsrisiko und HIV-Diagnosen bei Personen aus Hochprävalenzländern für die Analyse der Verteilung nach Herkunftsregion und Infektionsregion zusammengefasst. Die Verteilung der insgesamt 553 HIV-Erstdiagnosen mit den entsprechenden Angaben aus den beiden Gruppen nach Herkunfts- und Infektionsregion wird in Abb. 4 dargestellt. Die Darstellung zeigt, dass sich ein nennenswerter Teil der Personen nicht-deutscher Herkunft vermutlich in Deutschland infiziert hat. Wichtigste ausländische Infektionsregionen waren Subsahara-Afrika und Südostasien, gefolgt von anderen europäischen Ländern. Eine weitere Ausdifferenzierung nach Geschlecht zeigt diskrete Unterschiede zwischen Frauen und Männern: Frauen haben sich zu einem etwas geringeren Anteil in Deutschland infiziert als Männer (45% vs. 54%).

Die Zahl der HIV-Neudiagnosen bei Gebrauchern intravenös konsumierter Drogen ist nach einem transienten Spitzenwert von 163 Meldungen im Jahr 2006 wieder im Sinken begriffen. Mit 100 HIV-Neudiagnosen wurden 2009 wiederum 25 Fälle weniger als im Vorjahr diagnostiziert. Die meisten Neudiagnosen erfolgten mit 51 Fällen in Nordrhein-Westfalen. Inwiefern sinkende Zahlen von HIV-Neudiagnosen bei i.v. Drogenkonsumenten auf unzureichende Testangebote zurückzuführen sind bleibt spekulativ. Lokale Erfahrungen mit Testangeboten für Drogenkonsumenten zeigen, dass bei entsprechenden Angeboten auch die Wahrnahme von Tests ansteigt. Die substitutionsgestützte Behandlung nutzt ihre eigentlich optimalen Rahmenbedingungen – enger Kontakt zu Patientinnen und Patienten, lange Behandlungsdauer – nur unzureichend, um wichtige begleitende Angebote im Bereich der Infektiologie anzubieten. Daher gilt es, in Kooperation mit Fachgesellschaften der Suchtmedizin das Bewusstsein für die Relevanz einer obligatorischen Abklärung des HIV und Hepatitis Status zu erhöhen.

Abb. 5: Herkunftsregionen von erstmals mit HIV diagnostizierten Drogengebrauchern, 2006-2009 (n=544)

Abb. 5: Herkunftsregionen von erstmals mit HIV diagnostizierten Drogengebrauchern, 2006-2009 (n=544)

In den meisten Fällen werden HIV-Infektionen bei i.v.-Drogengebrauchern als sporadisch auftretende Einzelinfektionen diagnostiziert. Nur aus wenigen Städten wurden 2009 mehr als eine HIV-Infektion bei Drogengebrauchern gemeldet. Diese Städte waren Dortmund (13), Düsseldorf (8), Frankfurt und Hamburg (4), Stuttgart, Hannover, Köln (3), Berlin, München und Krefeld (2). Ein Teil dieser Fälle kann bei Aufnahmeuntersuchungen in Haftanstalten diagnostiziert worden sein. Da als Wohnort die Haftanstalt angegeben wird entspricht der Ort, wo die Infektion diagnostiziert wurde in diesen Fällen nicht dem Ort, wo die Infektion erworben wurde bzw. dem Ort an dem die neu diagnostizierte Person zum Zeitpunkt der Infektion lebte. Die meisten Infektionen wurden als in Deutschland erworben berichtet. Die bedeutsamsten ausländischen Infektionsregionen sind Osteuropa, wo ca. 10% der Infektionen und Westeuropa, wo ca. 5% der Infektionen erworben worden sind. Bei ca. 20% der mit HIV diagnostizierten Drogengebraucher wird als Herkunftsregion Ost- oder Zentraleuropa angegeben (siehe Abb. 5).

Im Jahr 2009 wurden 9 HIV-Infektionen (<1%) bei Kindern und Neugeborenen diagnostiziert die sich über ihre Mutter infiziert haben. Davon wurden drei in Deutschland geboren und sechs Kinder sind bereits infiziert nach Deutschland eingereist. Bei einem der drei in Deutschland geborenen Kinder war kein HIV-Test in der Schwangerschaft durchgeführt worden, die Schwangerschaft war im Jahr 2006. In den anderen beiden Fällen war die HIV-Infektion der Schwangeren erst kurz vor der Geburt bekannt geworden. Ob die Übertragung durch intensivere Bemühungen zur raschen Reduktion der Viruslast bei der Mutter oder eine eskalierte kindliche Prophylaxe hätte verhindert werden können, muss offen bleiben.

Die „späte“ Diagnose einer HIV-Infektion in der Schwangerschaft ist eine Situation, die konsequentes, koordiniertes und kompetentes Vorgehen der betreuenden Ärzte erfordert, um die bestehenden Möglichkeiten einer Verhinderung der Mutter-Kind-Übertragung von HIV voll auszuschöpfen. Alle Ärzte, die sich mit einer solchen Situation konfrontiert sehen, sollten dringend unverzüglich Kontakt zu einem der erfahrenen Behandlungszentren für HIV-infizierte Schwangere in Deutschland aufnehmen und sich dort beraten lassen.  

Unter den sechs im Ausland geborenen Kindern waren u.a. ein zwölf- und ein vierzehnjähriges Kind, die erst jetzt wegen klinischer Auffälligkeiten auf HIV getestet wurden. Darüber hinaus wurden noch zwei HIV-Neudiagnosen bei einem 18- und einem 19-Jährigen gemeldet, bei denen ebenfalls Mutter-Kind-Übertragung als Infektionsweg angegeben wurde. Das macht deutlich, dass auch bei älteren Kindern an die Möglichkeit einer HIV-Infektion gedacht werden sollte, insbesondere wenn die Mutter erkrankt oder verstorben ist.

Vorläufige Ergebnisse der bundesweiten HIV-Inzidenzstudie

Kaposi-Sarkome am Gaumen. Ein Drittel der HIV-Infektionen werden erst im Stadium des fortgeschrittenen Immundefekts diagnostiziert
Kaposi-Sarkome am Gaumen. Ein Drittel der HIV-Infektionen werden erst im Stadium des fortgeschrittenen Immundefekts diagnostiziert

Seit dem 01.03.2008 wird in Deutschland eine bundesweite Studie durchgeführt, deren Ziel es ist, den Anteil kürzlich (innerhalb der vorangegangenen 5 Monate) erworbener HIV-Infektionen unter den HIV-Neudiagnosen zu bestimmen. Diese Studie läuft noch bis mindestens Ende des Jahres 2010, eine erste Zwischenauswertung für den Zeitraum 01.03.2008 bis 28.02.2009 liegt aber bereits vor. Allein mit Hilfe dieser Querschnittsstudie können noch keine Aussagen über die tatsächliche Inzidenz von HIV-Neuinfektionen getroffen werden. Wenn entsprechende Daten kontinuierlich erhoben werden, erlauben sie aber im Kontext weiterer Daten und Studien eine bessere Abschätzung der Neuinfektions-Inzidenz und eine Identifizierung des Anteils der HIV-Neudiagnosen, der durch eine Zunahme der Testfrequenz bedingt ist.

Im Folgenden werden Ergebnisse des Laborarms der Inzidenzstudie kurz zusammengefasst.

Im Rahmen der Studie schickten 65 Labore mit HIV-Diagnostik Restblutproben von erstmals mit HIV diagnostizierten Personen aufgetropft auf Filterpapier an das RKI, wo diese Proben mit einem speziellen Test (BED-IgG-capture Immunoassay; BED-CEIA) weiteruntersucht wurden. Dieser Test ist in der Lage, den relativen Anteil der im Rahmen der frühen HIV-Infektion auftretenden Anti-HIV-gp-41 Antikörper an den Gesamtantikörpern zu detektieren. Mit einer Spezifität von 86% können so Proben identifiziert werden, bei denen der Infektionszeitpunkt noch nicht länger als 5 Monate (140 Tage) zurückliegt.

Die folgenden Ergebnisse beziehen sich auf die Auswertung von 1.512 Proben von gesicherten Erstdiagnosen, die zwischen 01.03.2008 und 28.02.2009 eingeschickt wurden. Diese Proben sind weitgehend repräsentativ für alle HIV-Neudiagnosen in Deutschland. Der Anteil kürzlich erworbener („rezenter“) HIV-Infektionen betrug bei Probanden aus der Gruppe MSM 36%, bei i.v.-Drogengebrauchern 37%, bei Menschen mit heterosexuellem Transmissionsrisiko 31% und 15% bei Personen, die aus Hochprävalenzregionen stammen.

Erhöhte Anteile rezenter HIV-Infektionen wurden vor allem bei jüngeren Probanden (<30 Jahre) gemessen (z.B. 54% rezente Infektionen bei MSM <30 Jahre in Berlin). Besonders hoch waren die Anteile prävalenter (länger zurückliegender) Infektionen bei Personen aus Hochprävalenzländern und bei älteren MSM (>44 Jahre) aus ländlichen und kleinstädtischen Regionen. 

Im Kontext der im Epidemiologischen Bulletin 48/2009 veröffentlichten Analysen zu „späten“ HIV-Erstdiagnosen gelangt man zu der Einschätzung, dass ca. 1/3 der HIV-Infektionen in Deutschland relativ rasch innerhalb von 6 Monaten nach der Infektion diagnostiziert werden, ca. 1/3 erst zu einem Zeitpunkt, zu dem schon ein Immundefekt besteht und häufig auch schon HIV-bedingte gesundheitliche Beschwerden auftreten. Das restliche Drittel der Diagnosen verteilt sich auf die Zeit dazwischen.

Entwicklung bei den AIDS-Erkrankungen

Zwischen dem 01.01.2009 und dem 31.12.2009 sind insgesamt 489 Berichte über neu an AIDS erkrankte Personen eingegangen. Die gemeldeten Erkrankungen verteilen sich auf mehrere Diagnosejahre. Damit steigt die Gesamtzahl der an das Robert Koch-Institut berichteten, seit Beginn der Epidemie mit dem Vollbild AIDS erkrankten Personen auf insgesamt 27.305. Bezüglich der Vollständigkeit der Meldung von AIDS-Fällen gibt es erhebliche regionale Unterschiede. Die Zahl der berichteten AIDS-Fälle bleibt in einigen Regionen deutlich hinter den auf Basis der in der Todesursachenstatistik erfassten HIV-assoziierten Todesfälle und der geschätzten HIV-Prävalenz zu erwartenden Zahlen zurück. Relativ vollständig werden AIDS-Fälle aus Berlin, Hamburg und Nordrhein-Westfalen berichtet. Auch die Zahl der aus Schleswig-Holstein, Brandenburg, und Mecklenburg-Vorpommern berichteten Fälle entspricht weitgehend den Erwartungen. Leichte bis deutliche Untererfassung lässt die Zahl der Berichte aus Niedersachsen, Hessen und Rheinland-Pfalz vermuten. Eine erhebliche Untererfassung von AIDS-Fällen – mit lokalen Ausnahmen – muss für Bremen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, sowie alle südlichen Bundesländer, d.h. Bayern, Baden-Württemberg, Saarland, und Sachsen angenommen werden.

Seit 2007 wird für das laufende Jahr sowie kumulativ seit Beginn der Epidemie eine Abschätzung der Gesamtzahl (d.h. berichteter und nicht berichteter) zu erwartender bzw. aufgetretener AIDS-Fälle in den Bundesländern und Großstädten vorgenommen, welche das Ausmaß der strukturellen Meldedefizite deutlicher erkennbar werden lässt. Die Gesamtzahl der in 2009 erwarteten AIDS-Fälle wird dabei auf 1.100, die kumulative Gesamtzahl seit Beginn der Epidemie auf 36.500 geschätzt.

Unter den zwischen 01.01.2007 und 31.12.2009 neu an AIDS Erkrankten waren 82% Männer und 18% Frauen. Dabei stellten unter den erkrankten Männern solche, die Sex mit Männern haben, mit 55% die größte Gruppe dar. Für 20% der berichteten AIDS-Fälle bei Männern liegen keine Angaben zum Infektionsrisiko vor. Mit 11% lagen bei den Männern Infektionen über heterosexuelle Kontakte an zweiter Stelle unter den bekannten Infektionsrisiken, gefolgt von Drogengebrauch mit 7% und der Herkunft aus einem Land mit einer hohen HIV-Prävalenz in der allgemeinen Bevölkerung (Hochprävalenzländer) mit knapp 7%.

Ganz anders stellt sich die Risikoverteilung bei Frauen dar. 45% der AIDS-Fälle bei Frauen wurden bei Frauen aus Hochprävalenzregionen diagnostiziert. Heterosexuelle Kontakte wurden für 26%, i.v. Drogengebrauch für 13% der in den letzten 36 Monaten diagnostizierten weiblichen AIDS-Fälle als wahrscheinlichstes Infektionsrisiko angegeben. Für 16% der gemeldeten AIDS-kranken Frauen fehlte eine Angabe zum Infektionsrisiko. Diese 16% verteilen sich zu unbekannten Anteilen im Wesentlichen auf i.v. Drogengebraucherinnen und Frauen, die sich über heterosexuelle Kontakte infiziert haben.



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