Nils Postel, München, und Martin Stürmer, Frankfurt
Wirksamkeitsanalyse bei verschiedenen Kombinationen von Resistenzmutationen – geboostetes Atazanavir, Darunavir und Lopinavir im Vergleich

In der vorliegenden Arbeit wurden die Wirksamkeitsverluste bei den geboosteten Proteaseinhibitoren ATV/r, DRV/r und LPV/r mithilfe von vier gebräuchlichen Resistenzalgorithmen bei Vorliegen von mehreren PRAMs in Kombination mit absolut sehr selten, relativ aber häufig in vivo selektierten, substanzspezifischen Hauptmutationen verglichen.

Hintergrund

Im Jahr 30 der HIV-Erkrankung stehen mehr als 20 verschiedene Wirkstoffe zur Verfügung, die eine gute Behandelbarkeit der Infektion bei insgesamt tolerablen Nebenwirkungen erlauben. Mathematische Modelle zeigen, dass unter bestimmten Voraussetzungen eine annähernd normale Lebenserwartung für neu HIV-Infizierte erreicht werden könnte.1 Da nach jedem virologischen Versagen Morbidität und Mortalität zunehmen, ist die maximale Virussuppression eine auf Jahrzehnte angelegte conditio sine qua non zur Erreichung dieses Zieles. Für die antiretrovirale Therapie gilt: wo signifikante Virusvermehrung, da Resistenzmutationen – früher oder später. Und wo Resistenzmutationen, da sukzessives Therapieversagen in immer kürzeren Abständen – hieran ändert auch die eine oder andere „Zweitgenerationssubstanz“ mit geringerem Kreuzresistenzpotenzial bzw. geringerem Potenzial, resistenz-wirksame Mutationen zu selektieren, wenig.

Die Prävalenz übertragener Resistenzmutationen im Reverse Transkriptase- oder Protease-Gen liegt in Deutschland bei ca. 14,5%. Primäre Proteaseinhibitor-assoziierte Resistenzmutationen (PRAMs) liegen zwischen 1996 und 2009 mit geringen Schwankungen annähernd gleichbleibend um 3% (Serokonverterstudie des RKI). Hiervon sind 73% einzeln übertragene Mutationen; die gleichzeitige Übertragung mehrerer PRAMs hat in den letzten Jahren abgenommen.2

Das früher häufig als wichtig erachtete Thema der Therapiesequenzierung („Wann setzt man welche Wirkstoffe optimalerweise nacheinander ein, um eine möglichst jahrzehntelange Wirksamkeit sicherzustellen?“) ist bei vielen HIV-Experten in den Hintergrund getreten, da Resistenzen gegen die aktuell eingesetzten Substanzen seltener auftreten als gegen ältere Wirkstoffe. Insbesondere gegen die Gruppe der geboosteten Proteaseinhibitoren kommt es ausgesprochen selten zu de-novo-Resistenzmutationen. Angesichts der Vielzahl von kürzlich zugelassenen Substanzen mit neuem Wirkmechanismus bzw. Zweitgenerationssubstanzen bekannter Wirkstoffklassen, die partiell differente Resistenzprofile aufweisen, scheint diese Einschätzung eine gewisse Berechtigung zu haben. Sie berücksichtigt allerdings zu wenig, dass in den kommenden Jahren nur noch einige wenige Substanzen neu auf den Markt kommen werden, die in virologischer Hinsicht echte Innovationen darstellen. HIV-Therapeuten müssen davon ausgehen, dass sie im Wesentlichen mit den bis dato zur Verfügungen stehenden Substanzen in den nächsten Jahrzehnten werden auskommen müssen. Das Armentarium ist gut gefüllt – aber eben auch annähernd komplettiert. Darüber hinaus stimmt die Gleichung: neue Substanz = wenig resistenzanfällig durchaus nicht immer. So ist Raltegravir in Bezug auf Effektivität und innovativen Wirkmechanismus eine beispielgebende Substanz, hinsichtlich ihrer Resistenzanfälligkeit jedoch keineswegs.

Hypothese: Die genannten Gründe werden dazu führen, dass die Frage einer optimalen Therapiesequenzierung zukünftig wieder an Bedeutung gewinnt.

Ziele und Methodik

Untersucht wurde, welcher der drei am häufigsten eingesetzten geboosteten Proteasehemmer Atazanavir, Darunavir und Lopinavir (ATV/r, DRV/r, LPV/r) unter Berücksichtigung verschiedener Resistenzszenarien die geringste Wirksamkeitseinschränkung erfährt. Anhand einer Literaturrecherche wurde eine Vielzahl bisher in vivo aufgetretener resistenzvermittelnder, substanzspezifischer Hauptmutationen (=major mutations) gegen die Proteaseinhibitoren Atazanavir, Lopinavir und Darunavir identifiziert. Die Auswahl der Resistenzmutationen ist mit Sorgfalt und unter Sichtung der einschlägigen Literatur erfolgt. Gleichwohl ist insbesondere die Wahl der Kombinationen der Hauptmutationen an einigen Stellen willkürlich; einerseits, weil die Datenlage ein anderes Vorgehen nicht erlaubt, andererseits, da jede Festlegung auf eine spezifische Konstellation andere – bisweilen genauso mögliche – Konstellationen ausschließt.

Anhand von vier verschiedenen regelbasierten Resistenzalgorithmen wurden dann die am häufigsten aufgetretenen Resistenzmutationen qualitativ und quantitativ bewertet. In einem weiteren Schritt wurden anhand eines eigenen Algorithmus mögliche Therapiesequenzen unter besonderer Berücksichtigung des Kreuzresistenzpotentials erarbeitet.

Für alle Analysen wurde ein interner Resistenz-Score verwendet. Für jede Bewertung als „sensitiv“ wurde ein Punkt vergeben. Für jede Bewertung als „intermediär wirksam“ (=eingeschränkte Wirksamkeit, =niedriger Resistenzlevel) gibt es zwei Punkte. Für jede Bewertung als „resistent“ wurden drei Punkte vergeben. Hieraus folgt: je niedriger der Punktwert, desto geringer die Wirksamkeitseinschränkung; je höher der Punktwert, desto größer die Resistenzempfindlichkeit/-anfälligkeit der untersuchten Substanz. Insofern werden die Ergebnisse der verschiedenen Resistenzalgorithmen gemittelt und ein Substanzvergleich durchgeführt.

ATV/r, DRV/r und LPV/r wurden in einem ersten Schritt auf ihre Resistenzanfälligkeit hinsichtlich von Nebenmutationen untersucht (vergleiche Ergebnisse Teil A). Hierzu wurden die aus der Literatur bekannten drei häufig gemeinsam auftretenden Sekundärmutationen (=minor mutations, =Nebenmutationen) identifiziert und etwaige Wirksamkeitsverluste mit Hilfe der regelbasierten Resistenzalgorithmen von HIV-Grade, Version 07/2010; ANRS, Version 7/2009; HIVDB 6.0.9 und Rega, Version 8.0.2, analysiert. Alle vier Algorithmen sind über die Homepage von HIV-Grade verfügbar.

In einem zweiten Analyseschritt wurde jede der drei Substanzen in je drei Analysen getestet (vergleiche Teil B). In jeder Analyse wurden zwei substanzspezifische Hauptmutationen untersucht, die bis dato in vivo von der jeweiligen Substanz selektiert wurden. Soweit möglich wurden die häufigsten Kombinationen berücksichtigt. Die Auswahl der Mutationen erfolgte anhand der Mutationsliste der Internationalen AIDS-Gesellschaft (IAS), zuletzt aktualisiert im Dezember 2010, und der veröffentlichten, jeweils zitierten Literatur. Um eine höhere Trennschärfe zwischen den Substanzen zu erreichen, wurden in einer weiteren Untersuchung die drei in der ersten Analyse bereits verwendeten Nebenmutationen jeweils gemeinsam mit denselben Hauptmutationen des zweiten Analyseschrittes bewertet (Teil C). Je größer die Unterschiede der Punktzahlen zwischen den Substanzen, desto geringer ist das Kreuzresistenzpotential. Eine geringe Kreuzresistenz wurde angenommen, wenn die Differenz zwischen den Substanzen in der derselben Analyse mindestens vier Punkte betrug. Dieses spielt für die Frage nach einer rationalen Therapiesequenzierung eine wichtige Rolle.

Ergebnisse Teil A

Resistenzwirkungen durch drei Nebenmutationen


HIV-Grade
07/2010
ANRS
07/2009
HIVDB_
6.0.9
Rega
v8.0.2
Punktwert
gesamt
AtV/r21115
drV/r 11114
lPV/r11114

Die in den Analysen berücksichtigten Nebenmutationen sind L10I, L33F, A71V3,4,5,6,7,8. Polymorphismen oder non-Subtyp-B-spezifische PRAMs  wurden wegen geringer Relevanz nicht berücksichtigt.

Bei Vorliegen von drei Nebenmutationen kommt es nur laut HIV-Grade zu einer eingeschränkten Wirksamkeit von ATV/r; alle anderen Analysen zeigen jeweils volle Wirksamkeit von ATV/r, DRV/r und LPV/r.

Ergebnisse Teil B

Resistenzwirkungen durch die Lopinavir-assoziierten Hauptmutationen M46I und I54V


HIV-Grade
07/2010
ANRS
07/2009
HIVDB_
6.0.9
Rega
v8.0.2
Punktwert
gesamt
AtV/r21216
drV/r11114
lPV/r21216

Bei Vorliegen der M46I9,10,11 und der I54V8,9,10 ist die Wirksamkeit von LPV/r gering eingeschränkt, jedoch bei keinem der vier Algorithmen aufgehoben. Die Kreuzresistenz mit DRV/r ist gering, letzteres ist noch voll wirksam. ATV/r zeigt ein mit LPV/r identisches Kreuzresistenzprofil: die vier verschiedenen Scores bewerten die Wirksamkeitseinschränkung in Bezug auf dieselben Resistenzmutationen gleich.

Resistenzwirkungen durch die Lopinavir-assoziierten Hauptmutationen V32I und I47A


HIV-Grade
07/2010
ANRS
07/2009
HIVDB_
6.0.9
Rega
v8.0.2
Punktwert
gesamt
AtV/r21216
drV/r11226
lPV/r333211

Die Mutationen V32I12,13,14 und I47A11,12,14 haben die stärkste Wirkung auf LPV/r; treten sie in Kombination auf, verliert LPV/r in drei Analysen seine Wirksamkeit; im Rega-Score wird es als partiell wirksam bewertet. Die Kreuzresistenz sowohl zu DRV/r als auch ATV/r ist gering ausgeprägt: beide hätten nach Einsatz von LPV/r noch eine uneingeschränkte bis gute Wirksamkeit.

Resistenzwirkungen durch die Lopinavir-assoziierten Hauptmutationen M46I und L76V


HIV-Grade
07/2010
ANRS
07/2009
HIVDB_
6.0.9
Rega
v8.0.2
Punktwert
gesamt
AtV/r11114
drV/r11226
lPV/r23229

Durch die selten auftretende, aber interessante Mutation L76V17,15 wird die Wirksamkeit von LPV/r – insbesondere in Kombination mit M46I15,16 – deutlich eingeschränkt. Auch DRV/r erfährt einen – gering ausgeprägten – Wirksamkeitsverlust. ATV/r wäre in dieser Konstellation noch voll wirksam.

Resistenzwirkungen durch die Darunavir-assoziierten Hauptmutationen I47V und I84V


HIV-Grade
07/2010
ANRS
07/2009
HIVDB_
6.0.9
Rega
v8.0.2
Punktwert
gesamt
AtV/r21227
drV/r11226
lPV/r11215

Die Mutationen I47V17 und I84V18,19 schränken die Wirksamkeit von DRV/r nur geringfügig ein. Die Wirksamkeit von ATV/r ist etwas stärker, jene von LPV/r ist etwas geringer eingeschränkt. Das Kreuzresistenzpotential ist hoch.

Resistenzwirkungen durch die Darunavir-assoziierten Hauptmutation V32I und I50V


HIV-Grade
07/2010
ANRS
07/2009
HIVDB_
6.0.9
Rega
v8.0.2
Punktwert
gesamt
AtV/r21115
drV/r21227
lPV/r21227

Liegt die Mutation V32I20,21 gemeinsam mit der für Sulfonamidabkömmlinge spezifischen I50V21 vor, ist die Wirksamkeit von DRV/r gleichermaßen wie die von LPV/r geringgradig eingeschränkt; ATV/r ist praktisch noch voll wirksam. Das Kreuzresistenzpotenzial ist eher hoch.

Resistenzwirkungen durch die Darunavir-assoziierten Hauptmutation I54L und L89V


HIV-Grade
07/2010
ANRS
07/2009
HIVDB_
6.0.9
Rega
v8.0.2
Punktwert
gesamt
AtV/r11114
drV/r21227
lPV/r11114

Beide Mutationen sind in mehreren Untersuchungen22,23 durch DRV/r selektiert worden und schränken die Wirkung der Substanz mittelgradig ein. Auf LPV/r und ATV/r haben sie keine negative Wirkung.

Resistenzwirkungen durch die Atazanavir-assoziierten Hauptmutationen I50L und N88S


HIV-Grade
07/2010
ANRS
07/2009
HIVDB_
6.0.9
Rega
v8.0.2
Punktwert
gesamt
AtV/r333312
drV/r11114
lPV/r11114

Die Mutationen I50L24 und N88S24,25,26,27 heben die Wirksamkeit von ATV/r komplett auf. DRV/r und LPV/r zeigen volle Wirksamkeit, Kreuzresistenz liegt nicht vor.

Resistenzwirkungen durch die Atazanavir-assoziierten Hauptmutationen I50L und G73S


HIV-Grade
07/2010
ANRS
07/2009
HIVDB_
6.0.9
Rega
v8.0.2
Punktwert
gesamt
AtV/r333211
drV/r11114
lPV/r11114

Die I50L, hat – in Kombination mit der G73S28,29 – einen absoluten Wirksamkeitsverlust zur Folge. Indes ist für die I50L beschrieben, dass sie, obgleich als „Schlüsselmutation“ beschrieben29, nur in 8 bis 13% der Fälle30 von virologischem Versagen unter Atazanavir auftritt. Da die I50L die Bindungsaffinität von DRV/r und LPV/r an das aktive Zentrum der HIV-Protease erhöht, liegt keinerlei Wirkungseinschränkung von LPV/r oder DRV/r vor.

Resistenzwirkungen durch die Atazanavir-assoziierten Hauptmutationen M46I und N88S


HIV-Grade
07/2010
ANRS
07/2009
HIVDB_
6.0.9
Rega
v8.0.2
Punktwert
gesamt
AtV/r11327
drV/r11114
lPV/r21115

Die Kombination dieser beiden Mutationen führt nur in einem Resistenzscore zu einem kompletten Wirksamkeitsverlust von ATV/r, zwei andere sehen keinerlei Wirksamkeitsverlust (ein Beispiel dafür, dass in ausgewählten Situationen die verschiedenen regelbasierten Scores bisweilen zu stark unterschiedlichen Bewertungen kommen). Die Kreuzresistenz ist gering ausgeprägt; LPV/r und DRV/r wären klinisch voll wirksam.



gesamt-Punktzahlen
AtV/r 67 
drV/r52
lPV/r59


Ergebnisse Teil C

Resistenzwirkungen der Mutationen L10I, L33F, M46I, I54V und A71V (Lopinavir-assoziierte Hauptmutationen plus drei Nebenmutationen)


HIV-Grade
07/2010
ANRS
07/2009
HIVDB_
6.0.9
Rega
v8.0.2
Punktwert
gesamt
AtV/r332210
drV/r11125
lPV/r32229

In dieser Konstellation ist die Wirksamkeit von LPV/r mittelgradig bis mäßig stark eingeschränkt. Die Kreuzresistenz zu DRV/r ist gering. Die Wirksamkeit von ATV/r ist sogar noch etwas stärker eingeschränkt als jene von LPV/r.

Resistenzwirkungen der Mutationen L10I, V32I, L33F, I47A und A71V (Lopinavir-assoziierte Hauptmutationen plus drei Nebenmutationen)


HIV-Grade
07/2010
ANRS
07/2009
HIVDB_
6.0.9
Rega
v8.0.2
Punktwert
gesamt
AtV/r31217
drV/r21227
lPV/r333312

Diese Konstellation hebt die Wirksamkeit von LPV/r komplett auf, ein klinischer Erfolg wäre nicht mehr zu erwarten. Sowohl zu ATV/r als auch zu DRV/r ist die Kreuzresistenz gering.

Resistenzwirkungen der Mutationen L10I, L33F, M46I, A71V und L76V (Lopinavir-assoziierte Hauptmutationen plus drei Nebenmutationen)


HIV-Grade
07/2010
ANRS
07/2009
HIVDB_
6.0.9
Rega
v8.0.2
Punktwert
gesamt
AtV/r33219
drV/r21227
lPV/r332210

Deutliche Einschränkung der Wirksamkeit von LPV/r, in ähnlichem Maße ebenso bei ATV/r; die Kreuzresistenz gegenüber DRV/r ist eher gering.

Resistenzwirkungen der Mutationen L10I, L33F, I47V, A71V und I84V (Darunavir-assoziierte Hauptmutationen plus drei Nebenmutationen)


HIV-Grade
07/2010
ANRS
07/2009
HIVDB_
6.0.9
Rega
v8.0.2
Punktwert
gesamt
AtV/r332210
drV/r22239
lPV/r22228

Die Wirksamkeit von DRV/r ist mittelgradig bis mäßig stark eingeschränkt. Die Kreuzresistenz zu den anderen beiden Substanzen ist hoch.

Resistenzwirkungen der Mutationen L10I, V32I, L33F, I50V und A71V (Darunavir-assoziierte Hauptmutationen plus drei Nebenmutationen)


HIV-Grade
07/2010
ANRS
07/2009
HIVDB_
6.0.9
Rega
v8.0.2
Punktwert
gesamt
AtV/r31217
drV/r322310
lPV/r22228

Die Wirksamkeit von DRV/r ist deutlich eingeschränkt, während LPV/r und ATV/r noch eine mittelgradige Wirksamkeit erwarten lassen.

Resistenzwirkungen der Mutationen L10I, L33F, I54L, A71V und L89V (Darunavir-assoziierte Hauptmutationen plus drei Nebenmutationen)


HIV-Grade
07/2010
ANRS
07/2009
HIVDB_
6.0.9
Rega
v8.0.2
Punktwert
gesamt
AtV/r21216
drV/r22228
lPV/r12216

DRV/r ist noch mittelgradig wirksam, LPV/r und ATV/r zeigen gleichermaßen noch eine gute bis mittelgradige Wirksamkeit; das Kreuzresistenzpotential ist eher hoch.

Resistenzwirkungen der Mutationen L10I, L33F, I50L, A71V und N88S (Atazanavir-assoziierte Hauptmutationen plus drei Nebenmutationen)


HIV-Grade
07/2010
ANRS
07/2009
HIVDB_
6.0.9
Rega
v8.0.2
Punktwert
gesamt
AtV/r333312
drV/r11114
lPV/r11114

In dieser Mutationskombination ist die Wirksamkeit von ATV/r komplett aufgehoben, während sowohl LPV/r als auch DRV/r noch voll wirksam sind. Kreuzresistenz besteht somit nicht.

Resistenzwirkungen der Mutationen L10I, L33F, I50L, A71V und G73S (Atazanavir-assoziierte Hauptmutationen plus drei Nebenmutationen)


HIV-Grade
07/2010
ANRS
07/2009
HIVDB_
6.0.9
Rega
v8.0.2
Punktwert
gesamt
AtV/r333211
drV/r11114
lPV/r11114

Auch hier wirkt ATV/r nicht mehr; LPV/r und DRV/r zeigen eine voll erhaltene Wirksamkeit. Keine Kreuzresistenz.

Resistenzwirkungen der Mutationen L10I, L33F, M46I, A71V und N88S (Atazanavir-assoziierte Hauptmutationen plus drei Nebenmutationen)


HIV-Grade
07/2010
ANRS
07/2009
HIVDB_
6.0.9
Rega
v8.0.2
Punktwert
gesamt
AtV/r333211
drV/r11114
lPV/r22217

Vollständiger Wirkverlust von ATV/r bei voller Wirksamkeit von DRV/r und mäßig bis mittelgradig eingeschränkter Wirksamkeit von LPV/r. Gegenüber DRV/r findet sich kein Kreuzresistenzpotenzial, gegenüber LPV/r nur ein geringes.



gesamt-Punktzahlen
AtV/r 83 
drV/r58
lPV/r68


Zusammenfassung, Diskussion,Schlussfolgerungen, Einschränkungen

In der vorliegenden Arbeit wurden die Wirksamkeitsverluste bei den drei häufig eingesetzten geboosteten Proteaseinhibitoren ATV/r, DRV/r und LPV/r mithilfe von vier gebräuchlichen und gut evaluierten, internet- und regelbasierten Resistenzalgorithmen bei Vorliegen von mehreren PRAMs in Kombination mit absolut sehr selten, relativ aber häufig in vivo selektierten, substanzspezifischen Hauptmutationen analysiert.

Zwei Eigenschaften kennzeichnen Proteasehemmer-assoziierte Resistenzmutationen im Wesentliche: zum einen werden sie sehr selten selektiert, relativ gesehen jedoch durchaus mit unterschiedlicher Häufigkeit bezogen auf die einzelnen Proteasehemmer. Zum anderen müssen mehrere Mutationen in Kombination vorliegen, um einen Wirkverlust zu bedingen. Auf Grund der leerer werdenden Medikamentenpipelines wird die Bedeutung einer rationalen, Wirkmechanismen und Kreuzresistenzprofile berücksichtigende Therapiesequenzierung in Zukunft wieder zunehmen. In dieser Arbeit wurden deshalb die Anfälligkeit von ATV/r, DRV/r und LPV/r gegenüber zahlreichen Kombinationen von resistenzvermittelnden Mutationen und das Ausmaß von Kreuzresistenzen untersucht.

Nebenmutationen

Die in Kombination relativ häufig auftretenden Nebenmutationen lösen keinen klinisch relevanten Wirksamkeitsverlust der drei Proteasehemmer aus.

Hauptmutationen ohne Nebenmutationen

Geboostetes Darunavir zeigt insgesamt den geringsten Wirksamkeitsverlust, Atazanavir/r den stärksten. Lopinavir/r nimmt eine Mittelstellung ein. In dieser Analyse kann sich ein „publicationbias“ verbergen: Darunavir ist die jüngste Substanz, entsprechend sind substanzspezifische Mutationen am wenigsten umfangreich beschrieben und charakterisiert; im Gegensatz hierzu sind die bisher insbesondere unter Atazanavir in vivo aufgetretenen Mutationen klar charakterisiert. Von wenigen Ausnahmen abgesehen herrscht bis heute kein Konsens über die genaue Einordnung der Darunavir-Resistenz-assoziierten Mutationen als Haupt- oder Nebenmutationen.

Hauptmutationen mit Nebenmutationen

DRV/r verliert am wenigsten stark seine Wirksamkeit bei zusätzlich zu den Hauptmutationen vorhandenen Nebenmutationen; Auch diese Analyse muss mit Vorsicht interpretiert werden: die gegenwärtig vorhandenen resistenten HIV-Stämme treten in nennenswerte Zahl erst nach jahrelanger Verzögerung auf und sind damit das Ergebnis früherer Mutationsselektion als es Darunavir noch nicht gab; es ist durchaus zu erwarten, dass sich der Pool an vorhandenen Resistenzen in den nächsten Jahren zuungunsten von Darunavir verändern könnte. ATV/r büßt am stärksten an Wirksamkeit ein; sie ist die am wenigsten robuste Substanz. Atazanavir hat ein sehr distinktes Resistenzprofil, hierdurch treten – anders als bei den anderen Proteasehemmern – ausgeprägtere Wirksamkeitsverluste ein. Dies zeigt sich auch darin, dass – relativ gesehen – häufiger Resistenzmutationen bei virologischem Versagen auftreten als bei LPV/r oder DRV/r. Es finden sich jedoch durchaus auch Resistenzkonstellationen, in denen ATV/r noch wirkt, wenngleich DRV/r nur noch eingeschränkt wirksam ist.

Kreuzresistenzpotenzial

In der hier vorliegenden Untersuchung finden sich geringe Kreuzresistenzraten bei LPV/r (in 4 von 19 Fällen) und bei ATV/r (in 5 von 19 Fällen). Wenn LPV/r oder ATV/r virologisch versagt haben, sind oftmals die anderen Proteaseinhibitoren noch mit guter Wirksamkeit einsetzbar. Dies überrascht, da bisher von einer geringen Kreuzresistenzrate lediglich bei Atazanavir ausgegangen wurde. Darunavir-assoziierte Resistenzen führen in fast allen Fällen zu einer hohen Kreuzresistenzrate. Hieraus könnte sich ableiten, dass LPV/r und ATV/r geeigneter für eine firstline-PI-basierte Therapie geeignet wäre, als DRV/r.

Limitationen/Caveats

Die vorliegenden Daten reichen keinesfalls als alleinige Referenz für oder gegen eine Therapieentscheidung aus. Hierfür gibt es mehrere Gründe: die Daten betrachten ausschließlich die Auswirkungen auf die Wirksamkeit bei Vorliegen bestimmter Kombinationen von Resistenzmutationen. Nicht berücksichtigt ist die genuine antiretrovirale Potenz der untersuchten Substanzen. Ebenso nicht berücksichtigt sind Nebenwirkungsprofile der Substanzen sowie die Individualität des Patienten, die bei der Auswahl eines antiretroviralen Therapieregimes sehr wichtige Einflussgrößen darstellen. Nicht berücksichtigt wurde des Weiteren die klinisch häufigste Situation, nämlich das Fehlen von Resistenzmutationen.



1 van Sighem Gras et al., 17th Conference on Retro-viruses and Opportunistic Infections. February 16-19, 2010. San Francisco. Abstract 526

2 Meixenberger et al., PW 53, 5. DÖAK, 2011, Hannover

3 Johnson et al., Topics in HIV medicine, 2010, 18(5):156-163

4 Lataillade et al., 9th ICDT, P180, Glasgow, 2008

5 Rhinehart et al., 5th EHDRW, 2007

6 Lathouwers et al., ICAAC, 2010

7 Mc Grath et al., HIV drug resistance workshop, Sitges, 2007

8 Orkin et al., 10th ICDT, 2010, Glasgow

9 DeMeyer et al., poster H-1020, ICAAC, 2007

10 Kempf et al., J Virol, 2001; 75: 7462-7469

11 Wolf, Braun, HIVNET 2010, S. 309

12 Johnson et al., Topics in HIV medicine, 2010, 18(5):156-163

13 Delaugerre et al., MONARK TRIAL, abstract 75. HIVDRW, Budapest, 2007

14 Friend et al., AIDS 2004; 18:1965-70

15 Delaugerre et al., MONARK TRIAL, abstract 75. HIVDRW2007

16 Vermeiren et al., J Virol Methods 145: 47-55

17 Johnson et al., Topics in HIV medicine, 2010, 18(5):156-163

18 Rhinehart et al., 5th EHDRW, 2007

19 Molto et al., Antimicrobial Agents and Chemotherapy, 2008, 52(11): 3928-3932

20 De Meyer et al., abstract 874. CROI 2008

21 Van Marck et al., abstract. HIVDRW2007

22 Delaugerre et al., AIDS 2008; 22:1809-1813

23 Lambert-Niclot et al., Antimicrob Agents Chemother 52: 491-496

24 Uy et al., P185, 9. ICDT, 2008, Glasgow

25 Coakley et al., abstract 716, CROI 2005

26 McGrath et al., HIVDRW2006

27 Lataillade et al., P180, 9. ICDT, 2008, Glasgow

28 Rhee et al., Proc Natl Acad Sci U S A 103: 17355-17360

29 Colonno et al., J Infect Dis, 2004 May 15;189(10):1802-10

30 Zolopa et al., 10th ICDT, P134, Glasgow, 2010

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