Juliane Brunner und Ulrich Seybold, München, Barbara Gunsenheimer-Bartmeyer und Osamah Hamouda, Berlin, Johannes Bogner, München, und ClinSurv-Studiengemeinschaft
Langfristig wirksame Zweit-Therapie der HIV-Infektion bei Klassenwechsel nach virologischem Versagen unter Protease-Inhibitoren

Sollte man nach Versagen einer Proteasehemmer-basierten Initialtherapie innerhalb der Klasse umstellen oder gleich die Klasse wechseln? Die Daten der deutschen ClinSurv-Kohorte sprechen für den Wechsel.

Hintergrund

Für die Initialtherapie der HIV-Infektion bestehen evidenzbasierte Empfehlungen im Hinblick auf die Auswahl der antiretroviralen Kombinationstherapie (cART). Die Kombination von zwei Nukleos(/t)idischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) und einer dritten Substanz aus einer weiteren Klasse, üblicherweise entweder einem Protease-Inhibitor (PI) oder einem Nicht-Nukleosidischen-Reverse-Transkriptase-Inhibitor (NNRTI), gilt hier seit 1996 als Therapiestandard.1 Im Unterschied dazu existieren zur Zweit-Therapie nach erstem virologischen Versagen keine vergleichenden Studien zur Langzeiteffektivität verschiedener Therapieregime.

Die europäischen Therapierichtlinien geben zur Auswahl der Zweit-cART keine eindeutigen Empfehlungen. Ein neues Regime nach virologischem Versagen sollte laut Europäischer Leitlinie zur antiretroviralen Therapie sowohl einen geboosterten Protease-Inhibitor als auch eine Substanz einer neuen Klasse beinhalten.1 Ziel dieser Studie war daher die Analyse unterschiedlicher Strategien für die Zweit-Therapie nach virologischem Versagen eines initialen Protease-Inhibitor (PI)-basierten Regimes, spezifisch der Vergleich zwischen dem Wechsel zu einem anderen PI und dem Klassenwechsel auf einen Nicht-Nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitor (NNRTI).

Patienten und Methodik

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Abb. 1 Zusammensetzung der Studienpopulation

Anmerkung: Statistisch ausgewertet wurde die Kohorte der 84 Patienten mit PI Erst-Regime bzgl. des virologischen Erfolgs der Zweit-Therapie mit entweder einem anderen PI oder einem NNRTI.


Abb. 1 Zusammensetzung der Studienpopulation
Abb. 2 Kaplan-Meier-Analyse zur Dauer des erfolgreichen Zweit-Regimes nach Versagen eines PI-basierten Erst-Regimes

Anmerkung:
Gruppe 1: PI-Erst-Therapie, PI-Zweit-Therapie,
Gruppe 2: PI-Erst-Therapie, NNRTI-Zweit-Therapie. Zensierte Beobachtungen sind durch senkrechte Striche markiert.

Für diese Untersuchung wurden Patienten des Projektes Klinische Surveillance der HIV-Krankheit, ClinSurv, des Robert Koch-Instituts in eine retrospektiv ausgewertete Kohortenstudie (1999 bis 2008) eingeschlossen. Von den 14.377 Patienten der ClinSurv Kohorte war für 157 Patienten ein Therapiewechsel nach virologischem Versagen einer primär erfolgreichen Erst-Therapie über mindestens 3 Monate dokumentiert. 84 der 157 Patienten (54%) hatten eine PI-basierte Erst-Therapie, so dass diese in die statistische Analyse eingeschlossen wurden. 51 der 84 Patienten (61%) wechselten auf einen anderen PI (Gruppe 1) und 33 (39%) auf einen NNRTI (Gruppe 2) (Abb. 1). Primäre Ziele waren die Zeit nach Therapiewechsel bis zur Viruslastsenkung unter die Nachweisgrenze, die Dauer des erfolgreichen Zweit-Regimes und die Wahrscheinlichkeit für virologisches Versagen im Zweit-Regime.

Ergebnisse

Die mediane Zeit bis zum virologischen Erfolg war mit 88 d in Gruppe 1 und 57 d in Gruppe 2 nicht signifikant unterschiedlich (p=0,16). Nach >3.000 Tagen waren in Gruppe 2 mit Klassenwechsel auf NNRTI noch >50% der Patienten erfolgreich behandelt, das Risiko eines virologischen Versagens damit deutlich niedriger als in der Gruppe 1 mit Wechsel innerhalb der PI, wo die mediane Zweit-Therapie-Dauer lediglich 581 Tage betrug (Abb. 2). In der multivariaten Cox-Regressionsanalyse war keine der untersuchten weiteren Kovariaten ein signifikanter Prädiktor der Dauer des Zweit-Regimes oder ein Störfaktor. Es ergab sich für die Gruppe 1, die innerhalb der PI wechselte, ein >2-faches Risiko, während der Beobachtungszeit virologisch zu versagen. (HR=2,3; 95%CI 1,1-4,9; p=0,03).

Diskussion

Bei deutschlandweit 64.000-70.000 HIV-Infizierten2 und einem Anteil von 1% bis ca. 30% der Patienten, für die in neueren klinischen Studien innerhalb von 48 Wochen ein virologisches Versagen beschrieben ist3-7, erscheint eine evidenzbasierte Empfehlung bezüglich des Folgeregimes sinnvoll. Die Auswertung dokumentierter Zweit-Therapien nach primärem PI-Versagen im Rahmen der deutschen ClinSurv-Kohorte zeigt die Überlegenheit eines Klassenwechsels auf einen NNRTI im Vergleich zum Wechsel auf einen anderen PI: nach 48 Wochen kam es bei 18% der Patienten in der NNRTI-Gruppe, aber bei 42% in der PI-Gruppe zum virologischen Versagen. Die mediane Dauer der erfolgreichen Zweit-Therapie war mit NNRTI >8 Jahre, mit PI 1,6 Jahre.

Diese Ergebnisse bestätigen mit einem größeren Unterschied zwischen beiden Therapiestrategien die bereits in einer Metaanalyse gezeigte Überlegenheit eines Klassenwechsels von einem PI-Regime auf ein NNRTI-Folge-Regime.8 Hier wurden jedoch auch Patienten nach mehrfachen versagenden Regimen eingeschlossen. Unter anderem die prospektive randomisierte Doppelblindstudie ACTG 5142 zeigte, dass ein NNRTI-Erst-Regime im Vergleich zu PIs eine höhere virologische Suppressionspotenz haben kann.5 Außerdem sind NNRTI im Vergleich zu PI im Allgemeinen besser verträglich, wodurch die Ursache von Therapieversagen seltener mit Adhärenzproblemen zu erklären ist.9 Diese Vorteile von NNRTI-Regimen können auch für das Zweit-Regime bestehen bleiben und somit zur Überlegenheit der NNRTI-Zweit-Regimes führen.

Eine Limitation des retrospektiven Studiendesigns sind die unterschiedliche Frequenz der Datenerhebung und mögliche fehlende Daten. Da aber in der überlegenen Gruppe 2 (Umstellung von PI auf NNRTI) die Zeitintervalle zwischen den Messungen am kürzesten sind, ist anzunehmen, dass sich bei gleichfrequenten Messungen der Unterschied zwischen den Gruppen eher vergrößern würde. Ein weiterer limitierender Faktor ist die mögliche Inhomogenität der Therapiegruppen bezüglich Störvariablen. Die Bestätigung der Ergebnisse in der multivariaten Cox-Regressionsanalyse unterstreicht allerdings die Robustheit der Ergebnisse. Ein Vorteil des Studiendesigns liegt in der relativ langen medianen Beobachtungsdauer. Des Weiteren bilden die Patienten dieser Studie die reale Situation ab, in der Adhärenzprobleme, Unverträglichkeiten, Lebensgewohnheiten etc. die Therapie mit beeinflussen.

Die relativ geringe Gruppengröße der hier untersuchten Datensätze aus der ClinSurv-Kohorte ergibt sich aus den sehr strengen Regeln bezüglich der Datenvollständigkeit und Einschlusskriterien. Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass die Einschlusskriterien einen Selektionseffekt erzeugen.

Folgerung

Nach virologischem Versagen eines PI-basierten Erst-Regimes hat ein Klassenwechsel von PI auf NNRTI im Gegensatz zu einem Wechsel innerhalb der PI Vorteile bzgl. der Durabilität des Zweit-Regimes.




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