Dr. Ulrich Heide, Bonn
Die Kraft der Kunst ermöglicht konkrete Hilfe

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Dr. Heide, Prof. Berg und Dr. Fleck (v.l.) mit Kunstwerken der Auktion „Artists against AIDS“
Fotos: Deutsche AIDS-Stiftung

Bei dem Versuch, über AIDS zu sprechen, kommt der Kunst eine große Bedeutung zu, weil Kunst ein wesentlicher Aspekt emanzipierter menschlicher Existenz ist. Angst und Verdrängung hingegen, ganz typische Reaktionen nach dem Auftreten von AIDS, sind im Zweifel schlechte Ratgeber. In den 80er Jahren hätten die aus Angst folgenden Reaktionen und Entscheidungen den in Jahrzehnten mühevoll erreichten Fortschritten hin zu mehr Emanzipation und Toleranz gefährlich werden können. Insoweit betraf und betrifft AIDS alle Menschen, und insoweit war und ist es naheliegend und verständlich, dass sich gerade Künstler früh und intensiv mit dem Thema AIDS auseinandersetzten.

Gewidmet Prof. Dr. Dr. Siegfried Dunde, der als Mitglied im Gründungsvorstand der Deutschen AIDS-Stiftung und in anderen Funktionen maßgeblich Einfluss auf die AIDS-Arbeit und -Politik in unserem Lande genommen hat und im Mai 1993 an AIDS verstarb.

Wenn es darum geht, ein Klima zu schaffen, das frei ist von Stigmatisierung, sozialer Ausgrenzung und anderen Formen der Benachteiligung, dann ist die Kunst außerordentlich bedeutend. Denn Kunst erreicht Menschen in allen ihren Dimensionen, nicht nur den Intellekt. Sie ist selbst Ausdruck und Ergebnis von Freiheit im individuellen Lebensentwurf, damit auch oft ein Test auf die Belastbarkeit einer Gesellschaft.

„Das Spektrum reichte von Kabarettisten über klassische Chöre bis hin zu ganzen Theatern.“

Früh hatten sich Verbindungen zwischen der Arbeit der Deutschen AIDS-Stiftung und Künstlern aus unterschiedlichen Feldern künstlerischen Schaffens gezeigt. In der Regel war es so, dass Künstlerinnen und Künstler oder in diesem Feld Arbeitende auf uns zukamen und Unterstützung, zum Beispiel durch eine Benefizveranstaltung, anboten. So konnten wir die erste Verleihung unseres Journalistenpreises (heute Medienpreis) schon im Winter 1987 im Düsseldorfer Schauspielhaus in Kontext einer themenbezogenen Inszenierung vornehmen. Diese Benefizaktivitäten hatten für die Stiftung existentielle Bedeutung, denn sie bildeten in den frühen Jahren die wichtigsten Einnahmefelder der Deutschen AIDS-Stiftung. Da die Arbeit für Menschen mit HIV und AIDS nur aus wenigen gesellschaftlichen Bereichen Unterstützung erhielt, war deren relative Bedeutung für die Stiftungsarbeit umso größer.

Legendär erfolglos waren zum Beispiel die ersten Bemühungen, Unternehmen zu nennenswerter Unterstützung der Stiftung zu bewegen. Die wenigen positiven Ausnahmen bestätigten hier eher die Gesamthaltung, als dass sie sie brachen. Lediglich die Versicherungswirtschaft, insbesondere die privaten Krankenversicherungen, bildeten hier eine Ausnahme.

„Vollbild AIDS ... Die Ausstellung [...] wurde ein spektakulärer Erfolg.“

Früh wurden aber auch künstlerische Auseinandersetzungen mit dem Thema AIDS gefördert. Die im Herbst 1988 von Frank Wagner für die Neue Gesellschaft für bildende Kunst (NGBK) in Berlin zusammengestellte Ausstellung „Vollbild AIDS“ sei als ein Beispiel genannt. Diese „Kunstausstellung über Leben und Sterben“ kombinierte die künstlerische Auseinandersetzung direkt und indirekt betroffener Künstler mit HIV und AIDS mit der Dar- und Vorstellung etlicher (Selbsthilfe-) Initiativen. Sie wäre wohl ohne die relativ rasche Förderzusage der Deutschen AIDS-Stiftung nicht zustandegekommen; andere Institutionen gaben schließlich mehr Geld, ließen bis zu ihrer Entscheidung aber weit mehr Zeit verstreichen. Zeit, um deren Wert Menschen mit HIV und AIDS oft so viel mehr zu wissen scheinen als andere. Die Ausstellung selbst wurde ein spektakulärer Erfolg, nicht zuletzt wegen des riesigen Interesses am Thema, gerade bei den Menschen im Kulturbereich.

„Neben der finanziellen Hilfe auch für Solidarität und Toleranz [...] werben.“

Diese fast ausnahmslose Bereitschaft von Kulturschaffenden, sich einzusetzen und zu helfen, begleitet die Deutsche AIDS-Stiftung seit ihrer Gründung im Jahre 1987 und prägt wesentlich ihre Außendarstellung. Die Beziehung zwischen Kunst und Stiftung manifestiert sich bis heute unter anderem im Logo der Stiftung, das auf einem Kunstwerk der nord-amerikanischen Künstlergruppe GENERAL IDEA basiert, die sich bereits Mitte der 80er Jahre mit dem Thema AIDS auseinandersetzte. Die Künstler hatten die Buchstaben des berühmten Pop-Art-Gemäldes von Robert Indiana „LOVE“ durch „AIDS“ ersetzt und damit die beiden Themen Liebe und Leid in Beziehung gesetzt. Dieses Kunstwerk begleitet seit 1989 die Arbeit der Deutschen AIDS-Stiftung und symbolisiert sie nach außen. Die Allianz zwischen Künstlern und Stiftung prägte die Aktivitäten der Stiftung mit dem Ziel, neben der finanziellen Hilfe auch für Solidarität und Toleranz zu werben.

„Eine Hommage an die vielen von AIDS betroffenen Menschen aus dem Kunstbereich.“

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„Namen und Steine“: Offenes Quadrat I, Berlin


Das Kunstprojekt „Namen und Steine“ des Künstlers Tom Fecht und der Deutschen AIDS-Stiftung entstand 1992 anlässlich der documenta IX. Es handelte sich um eine Installation mit Namenssteinen, die ganz überwiegend an durch AIDS verstorbene Künstlerinnen und Künstler erinnerte – eine Hommage an die vielen von AIDS betroffenen Menschen aus dem Kunstbereich. Das Projekt, das zunächst von Fecht als Mémoire nomade, als nomadisierendes Kunstwerk, angelegt war, entwickelte unter dem Einfluss betroffener Menschen unterschiedliche Facetten. Temporäre Installationen aus immer wieder neu zusammengefügten Steinen an jeweils anderen Orten stehen neben Installationen, die auf Dauer angelegt sind. Daraus entwickelte sich ein Netzwerk mit Standorten in 27 Städten in Deutschland und im europäischen Ausland mit mehr als 2.300 Namenssteinen. Ursprünglich war das Projekt bis zum Jahre 2000 begrenzt, doch es wird auch heute noch an etlichen Orten ergänzt. Die gemeinsame Arbeit des Künstlers und der Stiftung an dem Projekt Namen und Steine – immer wieder angeregt und beeinflusst durch von HIV und AIDS betroffene Menschen – machen aus diesem Projekt eine im unmittelbaren Wortsinn „Soziale Plastik“. Es steht für die Annahme der sozialen Herausforderung durch Kunst und für die Überzeugung, dass Kunst bedeutsam für das Leben ist und sich nicht im Formalen erschöpft.

„Die erste erfolgreiche Auktion fand bereits 1988 auf der Art Cologne statt.“

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Olaf Nicolais Flechtarbeit „Kombination“, 2008 III

Einen besonders wichtigen Bereich für die Stiftung stellen unsere zahlreichen Benefiz-Kunstauktionen dar. Die erste erfolgreiche Auktion, organisiert durch Freifrau von Oppenheim, fand bereits 1988 auf der Art Cologne statt. Die Kunstberaterin und Kuratoriumsvorsitzende Jeane Freifrau von Oppenheim überzeugte namhafte Künstler wie Günther Uecker, Georg Baselitz, A.R. Penck und C.O. Paeffgen, ihre Bilder für die erste Auktion „Art against Aids“ in Köln  zur Verfügung zu stellen. Die stolze Bilanz: über 700.000 Mark. Neben weiteren erfolgreichen Benefizverkäufen zeitgenössischer Kunst in Köln, die sämtlich durch Freifrau von Oppenheim organisiert waren, veranstaltete die Stiftung 18 Jahre lang in Zusammenarbeit mit Kuratoriumsmitglied Renate Siebenhaar Kunstauktionen auf der Frankfurter Kunstmesse für moderne Kunst – bis die Art Frankfurt 2007 eingestellt wurde. Insgesamt wurde in diesen Jahren Kunst für insgesamt 1,5 Millionen Euro versteigert. Diese lange Partnerschaft war uns sehr wichtig, nicht nur wegen der Spenden, sondern weil wir uns so einen Ruf als verlässlicher Partner der Kunst erwerben konnten.

Am 16. Mai 2011 wurde mit der Kunstauktion „Artists against Aids“ in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn die Tradition wieder aufgegriffen: Der Intendant des Kunstmuseums Bonn, Prof. Stephan Berg, gewann 46 Künstlerinnen und Künstler für eine Teilnahme an der Auktion, unter ihnen Tony Cragg, Pia Fries, Tamara Grcic, Katharina Grosse, Jörg Herold, Stephan Huber, Peter Kogler, Olaf Nicolai, Albert Oehlen, David Schnell, Nedko Solakov, Jorinde Voigt und viele mehr. Sie alle spendeten ihre Arbeiten für den guten Zweck. Geplant ist es, die Auktion in Bonn jährlich zu veranstalten. Zehn Jahre lang versteigerte zudem Kuratoriumsmitglied und Entertainer Hape Kerkeling Kunst beim BKK-Landesverband NRW in Essen.

Eine „Mischung aus Kultur, Glamour und Charity.“

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Festliche Operngala für die Deutsche AIDS-Stiftung in der Deutschen Oper Berlin 2010
Foto: Frank Nürnberger

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Das Engagement vieler Spender ermöglicht die Arbeit der Stiftung
Foto: Deutsche AIDS-Stiftung

Auch in der Opernwelt ist die Deutsche AIDS-Stiftung seit vielen Jahren ein Begriff: Die von der Stiftung organisierten Operngalas haben sich zu einer wiedererkennbaren Marke entwickelt – neben der Berliner Gala hat sich auch die Düsseldorfer Operngala etabliert, die in diesem Jahr zum zweiten Mal stattfand. Weitere Gala-Standorte sind geplant – jede trägt ihren eigenen Charakter.

Seit 1994 findet auf Initiative von Alfred Weiss und Dr. Alard von Rohr jährlich die „Festliche Operngala für die Deutsche AIDS-Stiftung“  in der Deutschen Oper Berlin statt. Als künstlerischer Leiter stellt der ehemalige Direktor der Deutschen Oper Berlin und Konzertmanager Dr. Alard von Rohr seine zahlreichen Kontakte in der internationalen Opernwelt zur Verfügung. Für die AIDS-Stiftung treten die Künstlerinnen und Künstler ohne Gage auf, unter ihnen Weltstars sowie aufstrebende Nachwuchstalente. Gerade für junge Künstler ist die Operngala eine schöne Bühne, um ihr Können zu präsentieren. Uns ist es auch im Musikbereich wichtig, eine faire Partnerschaft mit den Künstlern aufzubauen, es ist ein Geben und Nehmen. Die Mischung aus Kultur, Glamour und Charity brachte in all den Jahren an den unterschiedlichen Standorten nahezu neun Millionen Euro in die Kassen der Deutschen AIDS-Stiftung.

In den Medien ist HIV/AIDS als Thema aus verschiedenen Gründen in den Hintergrund gerückt. Um Journalisten und andere Medienschaffende dazu zu bewegen, sich diesem nach wie vor so wichtigen Bereich zu widmen, verleiht die Stiftung ihren von Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG gesponserten Medienpreis. Mit dem Preis (bis 1996 Journalistenpreis) zeichnet die Deutsche AIDS-Stiftung seit 1987 Medienschaffende aus, die sachkundig über HIV/AIDS berichten und damit zur Solidarität mit Betroffenen beitragen.

Die Kraft der Kunst hat konkrete Hilfe für Menschen mit HIV und AIDS ermöglicht und ermöglicht sie weiter, und sie hat geholfen, das gesellschaftliche Klima zu verbessern. Aber auch für mich persönlich und für viele andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie für viele unserer ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer zählen die Begegnungen und die konstruktiven Auseinandersetzungen (wie zum Beispiel mit Tom Fecht) zu den wichtigsten inspirierenden und motivierenden Momenten der Arbeit, ohne die es nicht ginge. Die Kraft der Kunst hilft, zu leben. Die Deutsche AIDS-Stiftung wird dieser Kraft auch in Zukunft bedürfen, und sie wird die notwendige Unterstützung sicher auch weiterhin erhalten.





 -- Dr. Ulrich Heide, geschäftsführender Vorstand Deutsche AIDS-Stiftung

Ulrich Heide hat in Bonn und Köln Erziehungswissenschaften, Geschichte und Evangelische Religionslehre studiert und schloss das Studium 1979 mit dem Staatsexamen für das Lehramt ab. 1983 promovierte er an der Universität Bonn zum Dr. der Erziehungswissenschaften. Von 1982 bis 1986 war Ulrich Heide als Referatsleiter für audiovisuelle Medien in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung u.a. für die Filmproduktion dieser Behörde zuständig. Seit 1987 war er Geschäftsführer der Deutschen AIDS-Stiftung „Positiv leben“, später hauptamtlicher Vorstandsvorsitzender dieser Stiftung und seit 1996 ist er Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen AIDS-Stiftung.

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