Claudia Kröger, Bremen
HIV aus verschiedenen beruflichen Perspektiven
Anfang der 80er begann ich meine Lehre zur Arzthelferin in einer internistischen Praxis.
In dieser Praxis wurden sehr viele Hämophilie-Patienten behandelt. Innerhalb kürzester Zeit wurden viele dieser Patienten krank und wir wussten zunächst nicht, was die Ursache war. Es war schrecklich, die Menschen leiden und sterben zu sehen und nicht helfen zu können. Dann stellte sich heraus, dass sich die Patienten über die Faktorpräparate mit HIV infiziert hatten. Beim Personal machte sich Unruhe breit, als klar wurde, dass die Infektion auch durch Blut übertragen werden konnte, denn zu diesem Zeitpunkt wurden zur Blutabnahme weder Handschuhe getragen noch gab es Vakuumspritzen. Beim Blutabnehmen lief schon mal Blut daneben und über die Finger der Helferinnen – die Unsicherheit war groß.
Als dann AZT zur Verfügung stand, waren zunächst alle erleichtert. Mir wurde dabei aber klar, dass die Erkrankung nicht nur mit körperlicher Grausamkeit verbunden war, sondern auch mit einer enormen Stigmatisierung der Menschen mit HIV und AIDS einherging. Dies ging so weit, dass wir Arzthelferinnen den Patienten die Medikamente aus der Apotheke holen mussten, da sie Angst hatten, erkannt und diskriminiert zu werden. Auch Kolleginnen und Ärzte in Praxis und Klinik hatten damals Angst und Vorurteile. Viele reagierten ablehnend und geradezu hysterisch. Ein Patient wurde zum Beispiel damals von uns zum Röntgen geschickt. Im Wartezimmer hatte er sich an einem Kaktus verletzt und blutete. Die Helferinnen riefen völlig hysterisch bei uns an und man hörte, dass sich im Hintergrund tumultartige Szenen abspielten. Danach wusste sicherlich jeder in dieser Praxis, dass der Patient HIV-positiv war. Er kam danach völlig verstört zu uns.
Im
Labor des Paul-Ehrlich-Instituts 1992
photo privat
Die Hilflosigkeit in Bezug auf die HIV- Erkrankung Anfang der 80er Jahre in meinem Beruf als Arzthelferin ließ mich zu der Überzeugung kommen, ich müsste mehr tun. Ich studierte Biologie und habe im Studium versucht, einen wissenschaftlichen Beitrag im Bereich HIV zu leisten. Einige der Hämophilie-Patienten in der Praxis hatten sich trotz Substitution verschiedener Faktorpräparate nicht infiziert, während andere sich nur durch eine einmalige Substitution infiziert hatten. Ich wollte herausfinden, welche Ursache dies haben könnte. Damals kam die Idee auf, dass die T-Zellantworten vielleicht unterschiedlich sein könnten. Die Patienten aus der Praxis stellten mir ihr Blut für meine Forschung zur Verfügung und die Zellen meines Mannes dienten als Kontrollgruppe. Durch ein Stipendium konnte ich am National Institute of Health in Washington und am Paul-Ehrlich-Institut verschiedene Untersuchungsmethoden erlernen und dann am BNI in Hamburg meine Diplomarbeit zum Thema TH1/TH2-Antwort bei HIV exponierten, Sero-negativen Hämophiliepatienten durchführen. Ich konnte zwar einen Trend einer verstärkten TH1-Antwort bei diesen Patienten nachweisen, aber aufgrund von Geldmangel waren leider keine weiteren Untersuchungen möglich. Ein wenig frustriert, bezogen auf die eingeschränkten Möglichkeiten an der Uni, beschloss ich, in die Industrie zu gehen, die immer schon eine interessante Option für mich darstellte. Ich habe diesen Schritt nie bereut.
Als ich 1996 dann bei MSD im Außendienst anfing, wurden hier gerade die ersten Schritte für die Einführung von Indinavir gemacht. Die lange Historie von MSD im Bereich HIV hat mich damals sehr beeindruckt. Nach kurzer Zeit gehörte ich zum Team des ersten HIV-Außendienstes. Wir waren fünf Kolleginnen und Kollegen, die in Deutschland für Indinavir zuständig waren und von Siegfried Schwarze eingearbeitet wurden. Ein tolles Team, das mit viel Empathie, großem Engagement und Herzblut für den HIV-Bereich gearbeitet hat.
Therapieplaner für Indinavir 1998
photo: privat
In meinem Arbeitsfeld als HIV-Fachreferentin hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass ich hier etwas für die Patienten bewegen konnte. Mir wurde bewusst: mit Hilfe der neuen Medikamente gegen das HI-Virus wird sich etwas ändern.
Meine Aufgabe war es, die Ärzte über den Proteasehemmer Indinavir zu informieren.
Indinavir musste alle acht Stunden möglichst nüchtern oder mit einem fett- und eiweißarmen Snack und teilweise zeitversetzt die NRTIs eingenommen werden. Es sollten mindestens 1,5 Liter Wasser pro Tag getrunken werden.
Die Ergebnisse der wohl bekanntesten Studie zu Indinavir, dem Protokoll 035 (Dreifachkombination Indinavir plus Retrovir und Lamivudin) im Rahmen der legendären Welt-AIDS-Konferenz in Vancouver 1996 ließ die Menschen damals aufhorchen. Aufbruchstimmung! Im HIV-Bereich hatten sich alle betroffenen Gruppen – Wissenschaftler, Ärzte, Selbsthilfegruppen und Pharmaindustrie – zusammengefunden, um mit Herzblut gegen HIV zu kämpfen. Ich hatte in dieser Zeit das Gefühl, in einer großen Familie arbeiten zu dürfen, umso mehr, als ich gute Nachrichten zu einem neuen Medikament hatte.
Die Aufbruchstimmung und die Impulse, wirklich etwas bewegen zu können, spürte ich in meinen täglichen Gesprächen mit Ärzten, Selbsthilfe und Betroffenen.
Es war eine kleine Gruppe von Ärzten in Praxis und Klinik aus verschiedenen Fachgruppen, die sich mit dem Thema HIV beschäftigten. In den Gesprächen fand ein reger Austausch von wissenschaftlichen Informationen und Erfahrungen aus der täglichen Behandlungspraxis statt. In den Selbsthilfeorganisationen herrschte eine sehr große Zurückhaltung gegenüber der Pharmaindustrie. Aber auch hier entwickelte sich ein vertrauensvoller Austausch.
Es war ein tolles Gefühl, wenn ich wieder einmal von Betroffenen hörte, denen es durch die Behandlung mit Indinavir besser ging. Das Erlebnis, dass mich heute noch immer bewegt, wenn ich von dieser Zeit damals erzähle, ist die Begegnung mit einem Betroffenen bei den Münchener AIDS-Tagen. Ich arbeitete gerade am Stand, als er auf mich zukam, mich in den Arm nahm und sich bei mir bedankte. Er sagte mir, er sei schon im Hospiz gewesen, um dort zu sterben, aber dank der neuen Therapie jetzt wieder aus dem Hospiz herausgekommen. Die Dreifachkombination hat Leben gerettet. Mich beschlich und beschleicht bis heute in solchen Situationen auch die Trauer um die Betroffenen, die dies nicht mehr erleben durften.
MSD und die HIV-Forschung
Im Jahr 1986 begann ein Team von Wissenschaftlern bei MSD im Forschungszentrum in New Jersey, das HI-Virus zu erforschen. Sie wollten seinen Replikationszyklus und die Interaktionen mit dem menschlichen Körper verstehen. 1987 gelang es dem Team unter der Leitung von Dr. Irving Sigal erstmalig, die Rolle der Protease im viralen Lebenszyklus zu erkennen. Es war eine entscheidende Vorstufe in der Entwicklung der Protease-Inhibitoren. Ein Jahr später, 1988, dann die Tragödie: Irving Sigal starb bei dem Absturz des PAN AM Fluges 103 über Lockerbie. Das war ein immenser Rückschlag.
Auf der Grundlage der Forschung von Dr. Sigal und seinem Team veröffentlichte MSD seine Ergebnisse zur Rolle der Protease-Inhibition und die Kristallstruktur der Protease in Nature. Diese Veröffentlichungen halfen Wissenschaftlern weltweit, ein tieferes Verständnis dafür zu bekommen, wie Medikamente zur Hemmung der Protease entwickelt werden können. Dies führte 1996 zur Zulassung der Protease-Inhibitoren der Firmen Roche, Abbott und MSD. Im weiteren Verlauf entdeckten die Wissenschaftler des Unternehmens MSD den nicht-nuk-leosidalen Reverse-Transkriptase-Inhibitor Efavirenz, der dann im Venture von DuPont und Merck (DuPont Merck Pharmaceutical) weiterentwickelt wurde. Die Erforschung der Integration der viralen DNA begann 1993 und führte 2007 zur Zulassung des ersten Integrasehemmers Raltegravir. Auch im Bereich Impfstoffforschung war MSD seit den Anfängen mit Forschungsprojekten beteiligt, leider erlitt die Impfstoffforschung in den letzten Jahren große Rückschläge.
Nach der anfänglichen Euphorie kam dann eine Zeit der Ernüchterung. Unter der Therapie konnten schwere Nebenwirkungen auftreten. Begriffe wie Crix-Belly, Buffalo hump, Nierensteine und eingewachsene Fußnägel wurden zu Diskussionspunkten in meiner täglichen Arbeit. Gemeinsam mit Ärzten und Selbsthilfe wurde nach Lösungen gesucht. So wurde z.B. anhand der vorhandenen Daten ermittelt, dass die Nierensteine im sauren Bereich löslich waren und eventuell vermieden werden könnten, indem man Cola trank.
Gleichzeitig versuchte man die Therapie einfacher zu machen. Es kam die Idee auf, Indinavir mit einer kleinen Menge Ritonavir zu boostern und somit die zweimal tägliche Gabe von Indinavir zu ermöglichen. Da es noch keine 100 mg Kapsel von Ritonavir gab, mussten die Patienten Ritonavir-Saft einnehmen. Diesem wurde nachgesagt, dass er nicht gut schmecken würde.
So haben meine Kollegen und ich den Saft selbst probiert, um eine Vorstellung davon zu haben, was wir den Betroffenen zumuten, um Indinavir zweimal nehmen zu können. Mir schmeckte der Saft bitter und der Geschmack hielt relativ lange an, aber jeder nahm den Geschmack des Saftes anders wahr. Das zeigte schon damals, dass die HIV-Therapie sehr individuell ist – die individuelle Therapie ist heute die Grundvoraussetzung für ihren Erfolg.
Die HIV-Therapie hat sich dank der Menschen, die in diesem Bereich engagiert arbeiteten und arbeiten, und letztendlich auch durch die Bereitschaft, neue Wege zu gehen, immer weiter verbessert. Meine Hoffnung ist, dass Industrie, Ärzte und Selbsthilfe dies auch weiterhin tun, und zwar nicht nur in der medizinischen Forschung, sondern auch im sozialen Bereich – denn auch wenn im HIV-Bereich sehr viel erreicht wurde, der Fortschritt ist längst nicht für alle Menschen auf dieser Welt erreichbar.
Claudia Kröger, Bremen
Claudia Kröger lernte und arbeitete als Arzthelferin in einer HIV-Schwerpunktpraxis in Bremen. 1989 entschloss sie sich, Biologie mit Schwerpunkt Virologie zu studieren, und schloss das Studium mit einer Diplomarbeit zum Thema HIV ab. Seit 1996 arbeitet sie bei der Firma MSD in verschiedenen Funktionen – als Fachreferentin HIV, Regionalleiterin HIV und nun als Customer Manager HIV.