Harriet Langanke, Köln
Die Wurzeln der DHIVA reichen weit zurück

Jahrelang hatte ich meine Kusine Ina aus den Augen verloren. Doch Anfang der 1990er Jahre kreuzten sich unerwartet unsere Wege. Ina war pädagogische Mitarbeiterin im Freien Tagungshaus Waldschlösschen. Ich arbeitete als stellvertretende Geschäftsführerin für die Nationale AIDS-Stiftung in Bonn. 1992 hatten wir beide denselben Eindruck in unserer jeweiligen AIDS-Arbeit: Für Frauen gab es viel zu wenig Möglichkeiten und Angebote. Ina wollte das ändern und lud zu einem Treffen nur für Frauen in das Tagungshaus im Wald nahe Göttingen ein.

Gewidmet Annette Kayser – und allen DHIVA-Autorinnen, die wie sie an den Folgen ihrer HIV-Infektionen gestorben sind.

Mit mir folgten rund ein Dutzend Frauen aus allen Ecken der Republik der Einladung. Wir kamen mit und ohne HIV, mit und ohne Test, mit und ohne bezahlte Arbeit. In Hausschuhen und auf Socken (Straßenschuhe waren wegen der damals neuen Holztreppen verpönt!) saßen wir im Stuhlkreis und erklärten einander, warum uns der Seminar-Titel „Zwischen Lust und Frust – Macherinnen in der Aids-Krise“ so sehr ansprach.

Neben vielen Unterschieden stellten wir schnell Gemeinsamkeiten fest. Zum Beispiel, dass wir uns in unseren jeweiligen Regionen sehr alleine fühlten. In den ersten zehn Jahren der deutschen Aids-Zeitrechnung war es vielen schwulen Männern gelungen, erfolgreiche Bündnisse und Gruppen auf die Beine zu stellen. Doch bei uns Frauen fehlte es an Zusammenhalt und Austausch. Wir hatten damals keine Frauenreferentin bei der Deutschen Aids-Hilfe, keine Poster, keine Postkarten und erst recht keine Kampagnen, die unsere Anliegen transportierten.

„Frauentreffen seien doch wohl eher Kaffeekränzchen.“

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Netzwerk-Beine

Abhilfe sollte ein Zusammenschluss bringen, dem wir den damals noch frischen Namen „Netzwerk“ gaben. Mit dem bundesweiten „Netzwerk Frauen und Aids“ wollten wir fachlich miteinander in Kontakt bleiben und uns persönlich stärken. Denn nicht nur mein eigener männlicher Vorstand war damals ganz offen der Meinung, Frauentreffen seien doch wohl eher „Kaffeekränzchen“.

1992 gab es für mich noch kein Internet, E-Mails, Foren oder Blogs. Ich sehe noch das Kästchen vor mir, in dem ich Woche für Woche die Informationen sammelte, die für uns Frauen relevant sein könnten. Das ganze Material, ob Zeitungsartikel oder Veranstaltungsflyer, habe ich bis zum Papierstau fotokopiert, in Umschläge gesteckt, mit Briefmarken versehen und per Post an die Kolleginnen geschickt, die wir bis heute Knotenfrauen nennen. Dort wiederholte sich das Kopieren und Verschicken, um die regionalen Verteiler zu bedienen. Nicht selten mussten wir uns für die Zeit und das Porto rechtfertigen, denn manche unserer männlichen Kollegen und Vorgesetzten fanden die Kosten dafür zu hoch.

„Wir wollten berichten, wie anstrengend das Leben als Frau mit HIV war.“

Aber wir wollten uns nicht nur gegenseitig informieren. Es ging uns auch darum, eigene Themen in die Öffentlichkeit zu bringen. Wir wollten berichten, wie anstrengend das Leben als Frau mit HIV war. Zum Beispiel, wenn wir Angehörige pflegten, statt uns um unser eigenes HIV zu kümmern. Wir wollten zeigen, wie schwierig unsere AIDS-Arbeit war. Zum Beispiel, weil die Frauenarbeit immer nur befristet finanziert wurde. Und wir wollten ein Beispiel geben, wie wir die Herausforderungen meistern und anderen Mut machen. Daraus entstanden Idee und Konzept für einen Newsletter.

Nicht nur für meine Kusine lag es auf der Hand, dass dazu meine journalistischen Fähigkeiten gefragt waren. Auch wenn ich bei der AIDS-Stiftung inzwischen mehr als Managerin arbeitete, hatte ich doch in meiner Ausbildung zur Journalistin gelernt, wie man „ein Blatt macht“. Nun sollte ich Geburtshelferin für eine Publikation unseres Netzwerks werden.

Also folgte ich wenige Wochen nach dem Treffen in Göttingen wieder einer Einladung nach Niedersachsen. Diesmal stieß ich zu einer kleinen Arbeitsgruppe in Hildesheim. Dort saß ich mit anderen engagierten Frauen stundenlang auf dem Fußboden und sortierte Papierschnipsel. Mit Schere und Klebestift – und keineswegs am Bildschirm! – entstand unsere „Nullnummer“ aus kopierfreundlichen DIN A4-Seiten: die erste Ausgabe einer deutschen Zeitschrift für Frauen zu Aids.

„Die Positive Frauen-Post“

Themen und Texte hatten wir schnell ausgewählt. Aber ein zündender Name wollte uns nicht einfallen. Auch nach stundenlangem Brainstorming hatten wir nichts als rauchende Köpfe. Wir beließen es resigniert bei dem etwas fragwürdigen Arbeitstitel „Die Positive Frauen-Post“. Ich betrachtete meinen Job als getan und kehrte an meinen Arbeitsplatz nach Bonn zurück.

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Jubiläumsausgabe 15 Jahre DHIVA

Mit der PFP als Blaupause übernahm Annette Kayser, eine HIV-positive Aktivistin aus dem Ruhrgebiet, die Redaktion. Sie war es, die mit ihrem Team, zu dem auch meine Kusine Ina gehörte, den Namen DHIVA kreierte, der das stumme, aber deutliche HIV ins Zentrum stellt. Und sie gab der DHIVA auch ihren Untertitel „Parteiisch, infiziert, engagiert!“

Siebzehn reguläre DHIVAs und zwei Sonder-Ausgaben entstanden bis 1998, zumeist ehrenamtlich, unter Annettes Regie. Wie die anderen Knotenfrauen im Land habe auch ich die schwarzweißen Hefte entklammert, kopiert, wieder zusammengeheftet und weiterverteilt. So gelangten unsere Themen auch in die entlegendsten Winkel der Republik. Zum Beispiel, dass Babys von Frauen mit HIV auch ohne HIV zur Welt kommen. Oder dass es ein Kondom speziell für Frauen gibt. Oder dass bei den großen Aids-Konferenzen auch Frauen ihre Forschung vorstellen.

Doch dann verlor Annette den Spaß an der vielen unbezahlten Arbeit mit der DHIVA. Sehr zum Verdruss der Frauen im Land, die das Medium vermissten. Die von Interims-Redakteurin Gaby Wirz erstellte Notausgabe aus dem Jahr 2001 fiel einer engagierten Bonner Verlegerin in die Hände. Die wusste, dass ich inzwischen meinen Chefsessel in der AIDS-Stiftung gegen die Redaktionsarbeit getauscht hatte. Dank ihrer Überredungskünste kehrte die DHIVA im Jahr 2002 zu mir zurück.

Seither habe ich als ehrenamtliche Chefredakteurin mit den ebenfalls ehrenamtlichen Beiträgen von vielen engagierten Frauen – und ein paar Männern! – weitere 30 Ausgaben erstellt. Das bunt gedruckte Magazin muss heute niemand mehr entklammern und kopieren. Denn wer die DHIVA nicht gedruckt erhält, kann sie inzwischen auch im Internet lesen.

„Heute schreiben die DHIVA-Autorinnen über die Kinder, die sie früher nicht bekommen sollten.“

Wenn ich durch die inzwischen 50 Hefte blättere, sehe ich, wie sich das weibliche Gesicht von HIV und Aids in Deutschland verändert hat. Heute schreiben die DHIVA-Autorinnen über die Kinder, die sie früher nicht bekommen sollten. Sie schildern, wie sie mit HIV älter werden und wie gut – oder weniger gut – ihre Therapien klappen. Doch leider blieb aber auch einiges durch die Jahre unverändert. Noch immer berichten Autorinnen, wie sie von Zahnärzten diskriminiert, von Nachbarn gemieden werden.

Ich hoffe, die DHIVA kann auch in Zukunft ein Sprachrohr für Frauen sein. Ganz so, wie meine Kusine Ina und ihre Kolleginnen sie einst geplant haben.




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Harriet Langanke, Köln

Harriet Langanke ist studierte Journalistin. 1991 übernahm sie die Öffentlichkeitsarbeit bei der Nationalen AIDS-Stiftung. 1992 gehörte sie zu den Gründerinnen des bundesweiten Netzwerks Frauen und Aids, in dem sie sich bis heute zumeist ehrenamtlich engagiert. Bis 2001 war sie Geschäftsführerin der Deutschen AIDS-Stiftung, seither leitet sie ein eigenes Redaktionsbüro in Köln sowie seit 2007 die von ihr gegründete Gemeinnützige Stiftung Sexualität und Gesundheit-GSSG.


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