Aktualisierte
DAIG-Leitlinie veröffentlicht
Früherer Therapiestart in der Schwangerschaft setzt sich
durch
Bei hoher mütterlicher Ausgangsviruslast, d.h. Werten über 100.000 Kopien/ml oder auch im Fall einer Mehrlingsschwangerschaft wird der Prophylaxebeginn spätestens in der 25. Schwangerschaftswoche (24+0) empfohlen. Der frühere Beginn der Transmissionsprophylaxe trägt der Tatsache Rechnung, dass eine vollständig supprimierte Viruslast bei einigen Schwangeren aufgrund der zu kurzen Dauer der antiretroviralen Therapie bislang nicht erreicht werden konnte. Kohortendaten zeigen entsprechend, dass der Erfolg der Prophylaxe mit der Dauer der HIV-Therapie in der Schwangerschaft korreliert.
„Normale Geburt“ mit HIV
Liegt die mütterliche HI-Viruslast vor der Geburt, d.h. in der 33. bis 36. Schwangerschaftswoche, unter 50 Kopien/ml kann eine vaginale Entbindung angestrebt werden. Diese sollte, wenn möglich, in einem erfahrenen HIV-Schwerpunktzentrum stattfinden. Immer mehr dieser Kliniken tragen bei uns dem Wunsch HIV-positiver Schwangerer Rechnung und bieten ihnen auch die Möglichkeit einer Spontangeburt an. Bei supprimierter Viruslast der Schwangeren entfällt unabhängig vom Geburtsmodus zukünftig die intravenöse AZT-Gabe unter der Geburt. Die risikoadaptierte Postexpositionsprophylaxe für das Neugeborene bleibt weiterhin bestehen.
Mit oder ohne AZT?
Bislang war Azidothymidin (AZT) gemäß der Deutsch-Österreichischen Empfehlungen ein fester Bestandteil der antiretroviralen Transmissionsprophylaxe in der Schwangerschaft. Die neue Leitlinie lässt nun auch AZT-freie Regime zu, da die maximale Viruslastreduktion das entscheidende Kriterium für die Vermeidung der vertikalen Transmission ist und weniger die einzelnen Komponenten eines Therapieregimes. Beim NUC-Backbone können also sowohl AZT+3TC als auch ABC+3TC oder TDF+FTC eingesetzt werden. Generell werden für die Transmissionsprophylaxe aber auch weiterhin bevorzugt Substanzen empfohlen, mit denen bereits gute Erfahrungen in der Schwangerschaft vorliegen. Im NNRTI-Bereich wird bei uns nur das Nevirapin empfohlen. Bei den Proteaseinhibitoren sollte der Behandler in erster Linie zwischen Lopinavir/Ritonavir, Atazanavir/Ritonavir und Saquinavir/Ritonavir wählen.
Wen fragen zu Risiken und Nebenwirkungen?
Mit ihren Empfehlungen grenzt sich die DAIG-Leitlinie gegen andere Empfehlungen in Europa ab. Der aktuelle Entwurf der Britischen AIDS-Gesellschaft (BHIVA) hält bevorzugt an AZT-haltigen Regimen in der Schwangerschaft fest und empfiehlt den NNRTI Efavirenz sowohl als Bestandteil einer laufenden Therapie weiterzuführen als auch, ihn in der Transmissionsprophylaxe einzusetzen. Im PI-Bereich können alle geboosteten Proteaseinhibitoren gleichermaßen eingesetzt werden. Die Europäische AIDS-Gesellschaft (EACS) hingegen empfiehlt auf den Einsatz von Efavirenz in der Schwangerschaft ganz zu verzichten und auch Nevirapin nur dann einzusetzen, wenn es bereits Bestandteil einer laufenden Therapie ist. AZT sollte nach Meinung der EACS auch weiterhin Bestandteil der Therapie in der Schwangerschaft sein.
In den unterschiedlichen Empfehlungen spiegelt sich der Mangel an Ergebnissen randomisierter Studien zum Einsatz antiretroviraler Substanzen in der Schwangerschaft wider. Die verlässlichste Quelle für die Sicherheit antiretroviraler Medikamente in der Schwangerschaft bietet derzeit das antivirale Schwangerschaftsregister (APR) in den USA, das weltweit Daten sammelt und die Fehlbildungsrate, die unter einer antiviralen Substanz auftritt mit der in der Normalbevölkerung vergleicht. Dringend notwendige Daten zur möglichen Langzeittoxizität bei intrauterin ART- exponierten Kinder gibt es derzeit kaum.
Stillen: Wunsch und Wirklichkeit
Das Stillen bietet in vielen afrikanischen Ländern Kindern die höchste Überlebenschance, weil für sie saubere Flaschennahrung nicht ausreichend zur Verfügung steht. Behandelt man eine HIV-positive stillende Mutter antiretroviral oder gibt wahlweise dem Säugling eine medikamentöse Dauerprophylaxe, kann das Risiko einer HIV-Übertragung durch das Stillen minimiert werden. Somit ist Stillen unter dem Schutz antiretroviraler Medikamente für einige Regionen ein Weg zur weiteren Reduktion der Mutter-Kind-Übertragung von HIV. In Deutschland stellt sich die Situation anders dar. Flaschennahrung steht bei uns ausreichend zur Verfügung und bei der Diskussion über das Stillen überwiegen derzeit die Risiken einer möglichen HIV-Transmission und die Exposition des Säuglings gegenüber milchgängigen antiretroviralen Substanzen die Vorteile des Stillens. Mögliche Langzeittoxizitäten als Folge der Medikamentenexposition über die Muttermilch sind aktuell noch nicht untersucht. Vor diesem Hintergrund wird das Stillen für HIV-positive Mütter in Deutschland wie in allen anderen westlichen Industrieländern nicht empfohlen.
Therapiepause nach Entbindung: Kein Problem?
Therapieunterbrechungen werden seit den Ergebnissen der SMART-Studie im klinischen Alltag unbedingt vermieden. Bei Schwangeren mit HIV, die selbst keine Therapieindikation haben, wird allerdings nach der Geburt ihres Kindes die Transmissionsprophylaxe in der Regel abgesetzt. Dies wird so auch weiterhin empfohlen. Auf der CROI in Seattle wurde jetzt eine Arbeit aus England vorgestellt, die bei 1.177 Frauen mit mehr als einer Schwangerschaft nach HIV-Erstdiagnose den Verlauf von CD4-Zellzahl und HI-Viruslast untersucht hat (Abstract 1019). Das Intervall zwischen den Schwangerschaften betrug im Mittel 2,3 Jahre. 40% der Schwangeren hatten in ihrer zweiten Schwangerschaft mit HIV eine CD4-Zellzahl <350/µl, davon 24% sogar <200/µl. In der ersten Schwangerschaft hatte knapp die Hälfte dieser Frauen noch Werte >350/µl gezeigt. Die Autoren warfen vor dem Hintergrund ihrer Ergebnisse die Frage auf, ob es nicht sinnvoll sei, bei Frauen nach der Geburt ihres Kindes die HIV-Transmissionsprophylaxe als antiretrovirale Therapie weiterzuführen. Ein Beispiel für die vielen noch offenen Fragen zum Thema HIV und Schwangerschaft, die uns in nächster Zeit beschäftigen und die Entwicklung aktueller Leitlinien beeinflussen werden.
Leitlinie zur HIV-Therapie in der Schwangerschaft und beim exponierten Neugeborenen: www.daignet.de
Mitglieder der Leitliniengruppe:
Matthias Beichert, Mannheim • Bernd
Buchholz, Mannheim • Andrea Gingelmaier, München • Thomas Grubert, Ravensburg •
Annette Haberl, Frankfurt • Ulrich Marcus, Berlin