13th International Workshop on
Clinical
Pharmacology of HIV-Therapy,
Barcelona, April 2012
Begleitmedikation
berücksichtigen
bei
Jung und Alt
Komorbiditäten
Abb.
1 Hepatotoxisches Potential antiretroviraler Substanzen1
Begleiterkrankungen sind bei der Auswahl der antiretroviralen Therapie (ART) ein wichtiges Thema. Kurzzeitnebenwirkungen können durch geschickte Auswahl oder Wechsel der ART vermieden werden, denn die antivirale Wirkung ist durch die potenten Arzneistoffe gesichert. Der Fokus bei der Auswahl der ART liegt somit auf dem Minimieren von Langzeitnebenwirkungen. Ein Aspekt ist hier das hepatotoxische Potential der verschiedenen Substanzen, das insbesondere bei Patienten mit vorgeschädigter Leber bedacht werden sollte (Abb. 1).
Welche ART bei Patienten mit kardialen Vorerkrankungen günstig ist, ist nicht abschließend geklärt. Das Risiko von Myokardinfarkten ist nach Friis-Moller vor allem durch die Triglycerid- und Cholesterin-Dyslipidämie beim Einsatz von Protease Hemmern erhöht.
Problem: Alter
Die ART wird mit steigendem Alter weniger gut vertragen. So wurden bei 18-39 jährigen HIV-Patienten bei LDL-Cholesterin, Glucose und Kreatinin nur in 21%, 6% und 3% der Fälle Grad 2-4 Abnormalitäten beobachtet, bei den über 50-Jährigen dagegen in 34%, 14% und 8% der Fälle. Auch die Prävalenz von Frakturen scheint unter ART im Alter erhöht zu sein, jedoch bleiben die absoluten Werte auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Durch höhere Tenofovir-Spiegel in einem Regime mit einem geboosterten Proteasehemmer besteht zudem vermehrt die Gefahr einer Osteoporose. Das Risiko einer Tenofovir-assoziierten Nierentoxizität steigt mit niedrigem Körpergewicht, höherem Alter und Zugabe eines geboosterten Proteasehemmer. Mit einem GFR-Rechner können im Internet die Nierenparameter vorhergesagt werden (http://www.nephron.com/MDRD_GFR.cgi).
Vitamin D und Efavirenz
Studien, die einen Zusammenhang zwischen Efavirenz (EFV) und erniedrigten Vitamin D-Spiegeln finden, häuften sich. In den Studien SENSE und ECHO verminderten sowohl Etravirin als auch TMC 278 die Vitamin D-Spiegel weniger stark als EFV. Theoretische Überlegungen bestätigten, dass EFV in den Vitamin D Stoffwechsel eingreift und den Umbau der aktiven Form von Vitamin D in die inaktive Form beschleunigt. Ob dieser Effekt nur von EFV beeinflusst wird, ist fraglich, denn 70% der HIV-Patienten in der SUN-Studie hatten defizitäre Vitamin D-Spiegel im Vergleich zu 79% der HIV-negativen Amerikaner. Afrikanische bzw. hispanische Herkunft, Übergewicht, Hypertension, wenig Bewegung, EFV, RTV, intensive Aussetzung von ultraviolettem Licht und eine eingeschränkte Nierenfunktion werden mit Vitamin D-Mangel assoziiert. Diskutiert wird eine vergleichbare Prävalenz niedriger Vitamin D-Spiegel bei HIV-Positiven und -Negativen, die sich bei HIV+ Patienten nur stärker ausprägt.1
Telaprevir und Boceprevir
Abb. 2 Kombinationsmöglichkeiten zwischen HCV-Proteasehemmer und antiretroviralen Substanzen 2
Die Ergebnisse der pharmakokinetischen Studien zu den HCV-Proteasehemmer Telaprevir und Boceprevir passen nicht immer zu den theoretischen Modellen der Abbauwege. Sie sind inkonsistent, unvorhersehbar, unerklärbar und wahrscheinlich multifaktoriell (Abb. 2).
Telaprevir (TLP) und Boceprevir (BOC) werden über CYP3A4 abgebaut, so dass TLP- und BOC-Spiegel unter Ketokonazol, einem CYP3A4-Inhibitor ansteigen und unter EFV, einem CYP3A4-Induktor sinken. Doch Ritonavir (RTV) als Booster funktioniert nicht und damit auch die Kombinationen mit den meisten HIV-Proteasehemmern nicht.
HCV-Proteasehemmer inhibieren P-Glykoprotein bzw. CYP3A4 und damit den Abbau vieler Begleitmedikamente (z.B. Atorvastatin, Amlodipin, Midazolam, Digoxin) und RAL. Weswegen die Citalopram- und Ethinylestradiol-Spiegel abfielen, ist unklar. Die Hemmung renaler Transporter bewirkte einen Anstieg der TDF-AUC unter BOC um 5% und unter TLP um 30%.4
Die NNRTIs (EFV, ETR, Rilpivirin) sind mit TLP kombinierbar. Nur unter EFV ist TLP mit 1.125 mg TID zu dosieren. Die Rilpivirin-AUC stieg 1,6-fach an. Die veränderten PK-Parameter waren aber für eine QT-Prolongation klinisch nicht relevant.5
BOC ist bisher wahrscheinlich nur mit ETR kombinierbar. Die ETR-AUC und Cmin sanken unter BOC 800 mg TID um 23% und 29%, während die BOC-Spiegel leicht anstiegen (Abb. 3).6
In einem Fallbeispiel wurde deutlich, dass die Gabe eines HCV-Proteasehemmers zu einer HIV-Therapie mit weiteren Begleitmedikamenten wohl überlegt sein sollte.
Abb. 3 Erwartete und gemessene Interaktionen zwischen den HCV-PIs und Begleitmedikamenten 4
Fall 1
Ein 45-jähriger Mann, der 1990 mit HIV infiziert wurde, bekam Darunavir/Ritonavir (DRV/r), Raltegravir (RAL) und Etravirin (ETR). Zusätzlich nahm er Atorvastatin für die Hypercholesterinämie, Amlodipin für die Hypertonie ein und nutzte ein Fentanyl-Pflaster gegen chronische Schmerzen bei peripherer Neuropathie. Der behandelnde Arzt stellte die Frage, welche Veränderung er vornehmen müsse, um Interaktionen zu vermeiden. Laut Fachinformationen sind HIV-Proteasehemmer wie DRV/r kontraindiziert, da die DRV- und Telaprevir-Spiegel in den pharmakokinetischen Studie stark absanken. Übrig blieb Atazanavir/Ritonavir (ATV/r), welches ohne Dosisanpassung mit Telaprevir kombiniert werden kann. Für Lopinavir/Ritonavir (LPV/r) fehlt die Dosisanpassung für die erniedrigten Telaprevir-Spiegel. Der Arzt entschied sich für die interaktionsarmen NRTIs TDF/3TC als Backbone plus ATV/r. Da Amlodipin-Spiegel unter Telaprevir ansteigen können, ist hier, je nach Blutdruck, eine Amlodipin Dosisreduktion vorzunehmen oder alternativ Enalapril einzusetzen. Atorvastatin ist aufgrund des 10,6-fachen Anstiegs der Atorvastatin-Cmax unter Telaprevir kontraindiziert.2 Hier könnten interaktionsarme Statine wie z.B. Pravastatin eingesetzt werden. Es sollte aber engmaschig auf Anzeichen einer Rhabdomyolyse geachtet werden, weil es bisher keine Interaktionsstudie zu dieser Kombination gibt.13
Fall 2
Das zweite Fallbeispiel handelt von einem 43-jährigen drogenabhängigen Kaukasier aus dem Early Acess Program (EAP), der TDF/3TC und ATV/r einnahm und eine HCV-Therapie erhalten sollte. ATV/r war als Kombinationspartner aufgrund des niedrigen Interaktionspotentials als möglich erachtet worden. Doch die Bilirubin-Werte lagen bei 3,5 mg/dl. 1,8-fach erhöhte Bilirubin-Werte waren ein Ausschlusskriterium für den Einsatz von Telaprevir im EAP. Deshalb stellte das italienische Zentrum nur Patienten mit einem Bilirubin < 2,2 m/dl auf ATV ein. Nun ergibt sich die Frage, ob das ungeboosterte ATV als „mainstream“ Therapie sinnvoll ist, um stark erhöhte Bilirubin-Spiegel zu erniedrigen oder ob auf RAL gewechselt werden sollte.
Vorläufige Daten zeigen, dass Triglyceride und Bilirubin bei UGT1A1*28-Carriern unter ungeboostertem Atazanavir bei gleichbleibender Effektivität sinken..3
Cobicistat
Abb. 4 Plasmaspiegel von Elvitegravir in der QUAD-Pille 7
Ein Fokus des Kongresses lag auf dem neuen Booster Cobicistat, der wie Ritonavir (RTV) ein starker CYP 3A4-Inhibitor ist. Er zeigte in ersten klinischen Studien ähnliche Booster-Effekte wie RTV bei Patienten, die neben den Pharmacoenhancern TDF/FTC und ATV bekamen. Cobicistat wird mit TDF, FTC, Elvitegravir (EVG) auch in einer QUAD-Pille entwickelt.
In Barcelona wurden die PK-Parameter für ein potentiell NUK-freies Regime von ATV mit einer reduzierten EVG-Dosis von 85 mg und Cobicistat 150 mg vorgestellt. Der leichte Abfall der ATV-Ctrough um 21% gegenüber der Kontrollgruppe (ATV/r 300/100 mg) war klinisch nicht relevant. EVG-Spiegel waren vergleichbar mit denen der Standarddosis.
Wie sieht es mit der Begleitmedikation aus? Rosuvastatin schnitt gut ab. Der Anstieg der Rosuvastatin-AUC um 38% war klinisch nicht relevant. Elvitegravir-Spiegel blieben unbeeinflusst. Dagegen konnten die EVG-Spiegel in einer reduzierten Rifabutin-Dosis nicht gehalten werden. Rifabutin 150 mg alle zwei Tage wurde mit EVG/c 150 mg/150 mg kombiniert. Die antimycobakterielle Aktivität stieg zwar um 21%, doch die EVG-Ctrough fiel signifikant um 67%.7
Begleitmedikation
Voriconazol
Etravirin bleibt weiterhin die einzige antiretrovirale Substanz, die mit Voriconazol kombinierbar ist. Da Voriconazol hauptsächlich über das Isoenzym CYP 2C19 abgebaut wird, wurde in einer PK-Studie mit ATV/r versucht, eine Dosisfindung anhand des genetischen Polymorphismus vorzunehmen. Doch die Daten zu intermediär und schlecht Metabolisierenden gaben keinen weiteren Aufschluss über die Kombinierbarkeit mit ATV.8
Echinacin und Silymarin
Spiegelschwankungen unter ART und Echinacin sind gemäß einer PK-Studie mit Etravirin eher ungewöhnlich. Die Frage lautet vielmehr, ob die immunologische Wirkung von Echinacin ruhende infizierte Zellen aktiviere und deshalb vermieden werden sollte.
Auch mit Silymarin 150 mg TID fiel die DRV-AUC um 14% nicht klinisch relevant. Aufgrund des induktiven Effektes von Silymarin auf die UGT ist mit Raltegravir eher Vorsicht geboten.9,10
Warfarin
In einer Studie wurde in 18 ART-Regimen die Warfarin-Spiegel untersucht. Bei afrikanischen Amerikanern musste die Warfarin-Erhaltungsdosis im Durchschnitt um 3,7 mg erhöht werden, bei täglicher Gabe von RTV 200 mg um 3,9 mg. Der Dosisanstieg wird durch den schnelleren Abbau von Warfarin über CYP 2C9 erklärt, das durch RTV induziert wird und das einem genetischen Polymorphismus unterliegt. Bei Afrikanern sollte daher auf die Warfarin-Wirkung geachtet werden. Aufgrund der ähnlichen Abbauwege werden unter Marcumar vergleichbare Ergebnisse erwartet.11
Artemether/Lumefrantin
Artemether/Lumefrantin (40/480 mg für 3 Tagen) beeinflussen zwar nicht die Spiegel von DRV/r und ETR, doch ETR senkt die Artemether und Lumefrantin-Spiegel, während DRV/r die Lumefantrin-Spiegel 2,75-fach anhebt. Unter ETR kann somit die Antimalaria-Aktivität reduziert sein und unter DRV/r aufgrund der erhöhten Lumefantrin-Spiegel die QT-Prolongation verstärkt werden.12
Individuelle EFV-Spiegel
Eine PK-Studie mit EFV und Rifampicin aus Kambodscha zeigte , dass in dieser Population der genetische Polymorphismus am Isoenzym CYP 2B6 eine starke Wirkung auf die EFV-Spiegel hat.13
Dolutegravir
Dolutegravir (DTG) ist ein einmal täglicher ungeboosterter Integrasehemmer. DTG wird hauptsächlich über das Isoenzym UGT1A1 abgebaut und interagiert mit UGT1A1-Inhibitoren wie ATV und UGT1A1-Induktoren.15
1 Martinez E. Complications and adverse reactions associated with antiretroviral therapy.
2 Molto J. Drug Interactions of new Drug. Clinical Implication.
3 Bonora S. Management of drug-drug-interaction of DAAs in HIV patients. Lesson learned from ARV.
4 Kiser J. Hepatitis C, Understanding drug-interaction and managing drug-interaction
5 Kakuda TN, Leopold L, Nijs S et al. Pharmacokinetic interaction between Etravirine or Rilpivirine and Teleprevir in healthy volunteers: a randomised, two-way crossover trial.
6 Hammond J. Pharmacokinetic drug interaction between Boceprevir and Etravirine in seronegativ volunteers.
7 Ramanathan S. Pharmacokinetics and drug-interaction profile of Cobicistat boosted-Elvitegravir with Atazanavir, Rosuvastatin or Rifabutin.
8 Zhu L, Uy J, Bruggemann R et al. CYP 2C19 genotype-dependent pharmacokinetic drug interaction between Voriconazol und Ritonavir boosted Atazanavir in healthy subjects.
9 Molto J, Valle M, Miranda C et al. Interaction between Echinacea purpurea und Etravirin in HIV-infected patients.
10 Molto J, Valle M, Miranda C et al. Effect of Milk thistle on the pharmacokinetics of Darunavir/Ritonavir in HIV-infected patients.
11 Darin KM, Esterly JS, Gerzenshtein L et al. The clinical implication of antiretroviral drug interaction with Warfarin: a-case-control-study.
12 Kakuda T, Jarus-Dziedzic K, Demasi R et al. Pharmacokinetic interaction between Etravirine or Darunavir/Ritonavir and Artemether/Lumefantrin in healthy volunteers: a randomised trial.
13 Chou M, Bertrand J, Brand L et al. Pharmacokinetics of Efavirenz in combination with Rifampin in HIV-infected aduls: results of the PECAN study.
14 Kiser J Meeting Report - 6th International Workshop on Clinical Pharmacology of Hepatitis Therapy, Boston 22-23.6.2011.
15 Song I, Borland J, Chen S et al. Metabolism and drug-drug interaction profil of Dolutegravir.