Positionspapier
Keine
Kriminalisierung von Menschen mit HIV!
„Die Strafbarkeit der HIV-Übertragung begünstigt die Verbreitung von HIV”
Die Deutsche AIDS-Hilfe lehnt die strafrechtliche Sanktionierung der HIV-Übertragung beziehungsweise -Exposition bei selbstbestimmten sexuellen Handlungen ab. Diese bürdet Menschen mit HIV die alleinige Verantwortung auf und schadet zugleich der HIV-Prävention. HIV-Übertragungen werden so nicht verhindert, sondern begünstigt.
Die Kriminalisierung der HIV-Übertragung und -Exposition erfolgt über den Straftatbestand der Körperverletzung. Nach vorherrschender Rechtsprechung müssen HIV-Positive auf dem Gebrauch von Kondomen bestehen oder ihre Partnerinnen beziehungsweise Partner über die Infektion informieren.
Diese Auslegung des geltenden Rechts ist keineswegs zwangsläufig, sondern gründet oft auf der Annahme, auf diese Weise zur Verhinderung von HIV-Infektionen beizutragen. Die Deutsche AIDS-Hilfe fordert die Justiz auf, ihre Anwendung der genannten Gesetze zu überdenken und fortan auf die daraus resultierende Kriminalisierung von Menschen mit HIV zu verzichten.
Solange die HIV-Übertragung und -Exposition noch kriminalisiert werden, müssen Gerichte zumindest berücksichtigen, dass eine gut funktionierende HIV-Therapie mindestens genauso wirksam vor der Übertragung des Virus schützt wie Kondome.
Keine einseitige Zuweisung von Verantwortung
„Für den Schutz vor einer HIV-Übertragung sind alle Beteiligten verantwortlich.”
Nicht die HIV-Infektion an sich führt zur Übertragung, sondern sexuelle Handlungen, die zwei Menschen gemeinsam vollziehen. Dabei sind beide voll für ihr Handeln und damit für den Schutz vor einer HIV-Übertragung verantwortlich.
Die Täter-Opfer-Logik des Strafrechts passt nicht zu sexuellen Begegnungen. Sie deutet eine Situation zu einer einseitigen Handlung von HIV-Positiven um, die Verantwortung der Partner wird ignoriert.
Kriminalisierung schadet der Prävention
Wer die Verantwortung vor allem HIV-Positiven zuweist, unterhöhlt den Grundansatz der erfolgreichen Prävention in Deutschland: Jeder Mensch kann sich selbst schützen, sofern er über die nötigen Informationen und Mittel verfügt und ihn äußere Umstände nicht daran hindern.
„Die Strafbarkeit vermittelt ein falsches Sicher-heitsgefühl. ”
Indem die Verantwortung beim HIV-Positiven verortet wird, kann die Illusion entstehen, der Staat habe HIV unter Kontrolle. Menschen könnten sich darauf verlassen, dass allein HIV-Positive für Schutz verantwortlich seien. Das ist schon allein deswegen fatal, weil bei vielen HIV-Übertragungen Menschen beteiligt sind, die gar nichts von ihrer Infektion wissen.
Da nur verurteilt werden kann, wer von seinem HIV-Status weiß, kann die Kriminalisierung Menschen vom HIV-Test abhalten. Das ist kontraproduktiv: HIV-Übertragungen werden unter anderem dann wirkungsvoll verhindert, wenn möglichst viele Menschen von ihrer Infektion wissen und sich rechtzeitig behandeln lassen. Mit einer gut wirksamen Therapie schützen sie auch ihre Partner vor einer HIV-Übertragung (siehe unten: „Die Bedeutung der Viruslast einbeziehen“).
Manchmal wird argumentiert, die Strafandrohung motiviere HIV-Positive, ihre Partner zu schützen. Dafür gibt es keine Belege. Untersuchungen zeigen, dass Strafandrohungen das sexuelle Verhalten kaum beeinflussen.
Die Strafandrohung ist in keinem Fall hilfreich. Ganz im Gegenteil: Sie steigert die Angst, über HIV und Schutz zu reden und sich damit möglicherweise als HIV-positiv zu offenbaren. Je größer der Druck auf Menschen mit HIV, desto größer die Angst vor Ablehnung.
Sicherheit und Wahrhaftigkeit sind nicht einklagbar
Wenn es um Sexualität geht, ist es oft nicht leicht, offen zu reden. Ängste und Hemmungen spielen ebenso eine Rolle wie Sehnsüchte und Projektionen. Die eigene HIV-Infektion zu thematisieren ist besonders schwierig, da oft Angst vor Ablehnung und Schuldgefühle damit verbunden sind.
„Hilfreich ist ein Klima, in dem manoffen über HIV und Sexualität sprechen kann.”
Bei sexuellen Begegnungen kann es aus diesen Gründen kein Recht auf Wahrheit geben. Einklagbare Wahrheit – dieses Denken suggeriert, das Strafrecht könne Sicherheit herbeiführen. Hundertprozentige Sicherheit gibt es im Bereich der Sexualität aber nicht, auch nicht in auf Dauer angelegten Partnerschaften. Dies gilt es in alle Überlegungen zur Prävention einzubeziehen und nicht durch unrealistische Vorstellungen zu negieren.
Die Deutsche AIDS-Hilfe fordert darum ein Ende der rechtlichen Sanktionierung auch für Fälle, in denen HIV-Positive ihre Infektion verschwiegen oder fälschlicherweise erklärt haben, HIV-negativ zu sein. Weil in aller Regel nicht böse Absicht, sondern Angst zugrunde liegt, sind strafrechtliche Drohungen auch hier schädlich. Hilfreich ist ein Klima, das es ermöglicht, offen über HIV und Sexualität zu sprechen.
Die Deutsche AIDS-Hilfe plädiert zugleich für eine deutliche Unterscheidung zwischen moralischen und juristischen Fragen. Psychische Verletzungen und gesundheitliche Schäden, die durch das Verschweigen einer HIV-Infektion und eine eventuelle Übertragung des Virus entstehen, dürfen nicht bagatellisiert werden. Diese erfordern aber andere Formen der Bearbeitung als juristische Sanktionen.
Die Bedeutung der Viruslast einbeziehen
„Auch HIV-The-rapien sind ein geeigneter Schutzvor der Übertragung.”
Immer noch erkennen zu wenige Gerichte an, dass auch HIV-Therapien ein wirksamer Schutz vor der Übertragung sein können, weil sie die Vermehrung von HIV im Körper reduzieren. Bei einer gut funktionierenden Therapie ist die Übertragung nahezu unmöglich, die Schutzwirkung mindestens so hoch wie die von Kondomen.
Die Deutsche AIDS-Hilfe plädiert für die Abschaffung der Kriminalisierung von Menschen mit HIV. So lange die HIV-Exposition aber noch kriminalisiert wird, müssen Gerichte zumindest die Frage der Viruslast berücksichtigen. Lassen sich im Blut eines HIV-positiven Menschen dauerhaft keine HI-Viren mehr nachweisen, hat er damit faktisch für den Schutz des Partners gesorgt.
Auf aidshilfe.de hat die Deutsche AIDS-Hilfe ausführliche Hintergrundinformationen zum Thema zusammengestellt. Interviews mit Experten sowie mit Menschen, die wegen einer HIV-Übertragung oder -Exposition vor Gericht gestanden haben, verdeutlichen die Auswirkungen der Strafbarkeit im realen Leben.
www.aidshilfe.de/de/infothek/dossiers
Fazit
Das Strafrecht wird zurzeit missbraucht, um moralische Vorstellungen durchzusetzen. In der Gesellschaft herrscht die Auffassung vor, HIV-Positive seien in besonderem Maße für den Schutz der HIV-Negativen verantwortlich. Zugrunde liegt offenbar das Bedürfnis, die Verantwortung von sich zu weisen und sie an andere Menschen zu übertragen. Oft steckt die Illusion dahinter: Wenn HIV-Positive für den Schutz sorgen müssen, können die HIV-Negativen unbesorgt weiter ungeschützten Sex praktizieren.
Was wir brauchen, ist ein offenes Klima, in dem Sexualität, Rausch und HIV keine Tabus sind. Wer sich gegen Diskriminierung einsetzt, unterstützt damit auch die HIV-Prävention. Gefragt sind hier Justiz, Politik, Medien und die gesamte Gesellschaft. Veröffentlicht im März 2012
„Positive Begegnungen 2012“: Auf nach Wolfsburg!
„Bewegen – Gestalten – Entscheiden“ – unter diesem Motto finden vom 23. bis 26. August in Wolfsburg wieder die „Positiven Begegnungen“ statt. Bei Europas größter Selbsthilfekonferenz zum Leben mit HIV werden bis zu 400 Teilnehmer_innen erwartet.
Einen inhaltlichen Schwerpunkt bildet in diesem Jahr die Zukunft der Selbsthilfe, diskutiert wird über ihre Ziele, Arbeitsformen und Kommunikationskanäle. In Plena, Workshops und Podiumsdiskussionen geht es außerdem um Themen wie die Strafbarkeit der (potenziellen) HIV-Übertragung (siehe Positionspapier links), HIV im Arbeitsleben und weitere Fragestellungen aus dem Alltag mit HIV.
Das umfangreiche Programm haben Selbsthilfeaktivist_innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammengestellt. Erstmals gibt es in diesem Jahr ein eigenes Programm für Jugendliche. Die Veranstaltung richtet sich an Menschen mit HIV sowie An- und Zugehörige.
Programm, weitere Informationen und Anmeldung: www.positivebegegnungen.de.