20. Retrovirus-Conference, 03.-06. März
2013 in Atlanta
Heilung, Hepatitis und TB
Kongresspräsident Kevin de Cock von der CDC in Kenya, Nairobi, verkündigte die Erweiterung der Retrovirus-Konferenz auf Hepatitis und Tuberkulose auch ohne HIV-Infektion.
Kaum zu glauben, aber es war bereits die 20. Retrovirus-Konferenz, die Anfang März in Atlanta stattfand. In den letzten Jahren hat sich viel geändert. Auch wenn sich der Kongress nach wie vor als Industrie-freie wissenschaftliche Plattform versteht, steigt die Zahl der Teilnehmer jedes Jahr auf mittlerweile über 4.000. Bei dieser Zählung noch nicht berücksichtigt sind die Absagen der NIH-Mitarbeiter. Rund ein Drittel der Angestellten der National Institutes of Health mussten ihre Teilnahme kurzfristig absagen, da die von der Regierung wenige Tage vor Kongressbeginn beschlossenen Sparmaßnahmen gleich am nächsten Tag umgesetzt wurden. Selbst Anthony Fauci wurde nicht gesehen...
Im Gegensatz zur steigenden Teilnehmerzahl ist die Zahl der bahnbrechenden Studien im HIV-Bereich rückläufig. Dieser natürlichen Entwicklung angesichts der Fortschritte bei der Therapie begegnen die Kongressveranstalter mit einer „Indikationserweiterung“. Auch wenn man auf den neuen Namen der CROI „The Retrovirus-Conference“ großen Wert legt, sind die Gebiete Hepatitis und Tuberkulose auch ohne HIV-Koinfektion Schwerpunkte der diesjährigen Tagung. Und sie werden es auch bleiben, denn die Pipeline an neuen Substanzen (und Studien) gegen diese Erkrankungen ist gut gefüllt – jedenfalls viel besser als die HIV-Pipeline.
Heilung
Im Mittelpunkt der Tagung stand ganz klar die Heilung. Der erste Fall einer funktionellen Heilung eines HIV-infizierten Neugeborenen war DAS Highlight des Kongresses (vergl. Kasten), aber es gab auch noch einige andere interessante Arbeiten. So versuchte eine thailändische Arbeitsgruppe ebenfalls mit einer sehr frühen Therapie das HIV-Reservoir zu begrenzen. Die HIV-Diagnose der 68 Studienteilnehmer war im Mittel 15 Tage nach der HIV-Exposition mittels HIV-PCR gestellt worden und alle erhielten innerhalb von fünf Tagen eine Raltegravir-beinhaltende Therapie. Bei 37% der Patienten waren p24-Antigen und Antikörper noch negativ (Stadium Fiebig 1). Bei 92% dieser Patienten war noch keine integrierte HIV-DNA im peripheren Blut nachweisbar, bei 88% auch nicht im Sigmoid. Bei Patienten im Stadium Fiebig 2 (p24Ag+) und Fiebig 3 (p24Ag+, ELISA+, Western Blot neg) fiel die HIV-DNA in den PBMC im peripheren Blut ab und war nach 24 Wochen nicht mehr nachweisbar (Abb. 1). Bei 7 von 10 Patienten (3 Fiebig 1 und 4 Fiebig 3,4) mit initial nachweisbarer HIV-DNA in der Darmbiopsie war die erneute Untersuchung nach 24 Wochen ebenfalls negativ. Die zentralen CD4-Gedächtniszellen, die das wichtigste HIV-Reservoir darstellen, waren im Vergleich zu den CD4-Effektorzellen selten infiziert. Dies könnte diese Patienten zu guten Kandidaten für eine spätere funktionelle Heilung oder Eradikation machen (Ananworanich J et al., 47).
Abb. 1 Integrierte DNA zum Zeitpunkt der akuten HIV-Infektion (oben) und 24 Wochen nach ART (unten)
Neue Strategien sind gefragt
Bei Patienten mit chronischer HIV-Infektion gab es einen Rückschlag. In der ersten klinischen Studie mit Vorinostat an 20 Patienten mit komplett supprimierter Viruslast unter ART erwiesen sich 400 mg/d Vorinostat über 14 Tage als sicher und verträglich. Das Medikament führte auch zum gewünschten Effekt, der Aktivierung latent mit HIV-infizierten Zellen. Der errechnete Pool an integrierter HIV-DNA, d.h. das Reservoir, blieb jedoch in den 3 Monaten nach Ende der Vorinostat-Therapie unverändert. Das heißt, so die Studienleiterin Sharon Lewis aus Sydney, zur Elimination latenter Zellen braucht man höhere Dosen oder andere Strategien (Elliot J et al, 50LB). Die aktivierten Zellen sterben in absehbarer Zeit nicht von selbst ab und das Immunsystem allein ist offenbar nicht in der Lage, die aktivierten Zellen zu eliminieren.
Zu den anderen Strategien, die diskutiert wurden, gehört die Gentherapie. Bereits vor zwei Jahren gelang es mithilfe von Zinkfinger-Nukleasen den CCR5-Rezeptor auf CD4-Zellen selektiv auszuschalten. Jetzt sind weitere Untersuchungen mit manipulierten Stammzellen in Planung. So bereitet das französische Studiennetzwerk ANRS eine Studie vor, bei der Stammzellen mit Vektoren transfiziert werden. Erste in-vitro Versuche mit diesem Konzept geben Anlass zur Hoffnung. Weitere Ansätze versuchen, dendritische Zellen so zu verändern, dass einerseits die Latenz integrierter Viren aufgehoben wird und gleichzeitig eine Immunantwort gegen infizierte Zellen verstärkt werden kann sowie ein Protein auf der Zelloberfläche zu exprimieren, das – ähnlich wie T-20 – eine Fusion der Zelle mit HIV verhindert.
Was soll man überhaupt messen?
Ein heikles Problem auf der Suche nach einer Heilung sprach Robert Siliciano, Baltimore, an: Was ist ein geeigneter Surrogatparameter für die Studien? Was soll man messen? Freie RNA, Zell-assoziierte RNA, virale DNA? Und in welchen Zellen? Und mit welcher Methode? Solange diese methodischen Probleme nicht gelöst sind, sind Studien zur Eradikation extrem problematisch, unter anderem weil man die Therapie der Patienten nicht unterbrechen möchte, bevor man nicht wirklich sicher ist, dass auch eine gewisse Aussicht auf Erfolg besteht.
HIV/HCV – Koinfektion
Zur Therapie der HIV/HCV-Koinfektion wurden erstmals „real life“-Daten mit den Proteasehemmern Boceprevir und Telaprevir vorgestellt. An den Studien ANRS HC26 und 27 nahmen Nonresponder auf eine konventionelle duale Therapie teil. Ausgeschlossen waren Nullresponder mit Zirrhose. Alle Patienten wurden zunächst vier Wochen nur mit pegIFN und RBV und danach mit Tripletherapie mit Boceprevir bzw. Telaprevir behandelt. Präsentiert wurden die Ergebnisse zu Woche 16. In der Telaprevir-Gruppe (n=61) erreichten 88% eine RVR (VL<15 IU/ml) und EVR (HCV nicht nachweisbar), in der Boceprevir-Gruppe (n=64) 63% eine EVR (HCV nicht nachweisbar). Die Ansprechraten waren somit unter beiden Proteasehemmern hoch und auch Patienten mit fortgeschrittener Fibrose hatten gleichermaßen gut angesprochen (Abb. 2 und 3). Die Zahlen sind aufgrund der verschiedenen Therapiealgorithmen von Telaprevir und Boceprevir nicht miteinander vergleichbar. Virologische Durchbrüche wurden nicht beobachtet. Im Hinblick auf die Verträglichkeit ergaben sich keine Überraschungen. Gründe hierfür könnten im Vergleich zur CUPIC-Studie (EAP für Patienten mit Leberzirrhose) zum einen die weniger kranken Patienten und die längere Erfahrung mit dem Management der Nebenwirkungen sein (Cotte L et al., 36; Poizot-Martin et al., 37).
Abb. 2 Tripletherapie mit Telaprevir bei HIV/HCV-Koinfektion. Ansprechen (HCV-VL unter Nachweisgrenze) zu Woche 16
Abb. 3 Tripletherapie mit Boceprevir bei HIV/HCV-Koinfektion. Ansprechraten (HCV-RNA unter Nachweisgrenze) zu Woche 16 nach Fibrose-Score
Faldaprevir und Simeprevir
Erstmals wurden auch Studien zur Tripletherapie mit den neuen Proteasehemmer Faldaprevir und Simeprevir gezeigt. Beide Medikamente müssen nur einmal täglich eingenommen werden. Die Interim-Analysen der präsentierten Studien deuten auf eine ähnlich hohe Ansprechrate der Koinfizierten wie bei HCV-Monoinfizierten.
An STARTVerso 4 nahmen auch schwer zu behandelnde Patienten
teil, d.h. Nonresponder und Zirrhotiker. Trotz dieser ungünstigen
Voraussetzungen erreichten unter der Tripletherapie mit Faldaprevir von den
therapienaiven Patienten nach 4 bzw. 12 Wochen 80% bzw. 86% eine HCV-VL unter
der Nachweisgrenze (Abb. 4). Die Relapser schnitten dabei mit 93% nach 12
Wochen sogar noch besser ab.
Abb. 4 Tripletherapie mit Faldaprevir bei HIV/HCV-Koinfektion. Ergebnisse zu Woche 12. LLoQ: HCV-RNA unter Nachweisgrenze. LLoQ TND: HCV-RNA nicht nachweisbar
Die Verträglichkeit von Falaprevir war gut. Die meisten Nebenwirkungen verursachten erwartungsgemäß Interferon und Ribavirin. Hyperbilirubinämien waren selten und führten in keinem Fall zum Abbruch der Behandlung. Im weiteren Verlauf werden nun in Abhängigkeit vom frühen Ansprechen verschiedene Therapiealgorithmen geprüft (Dietrich D et al., 40LB).
Unter einer Tripletherapie mit dem Proteasehemmer Simeprevir
hatten in der Studie C212 zu Woche 24 insgesamt 66% der Patienten eine RVR und
77% eine SVR12 zu Woche 24 (Abb. 5). Bei den Nullrespondern (auch Patienten mit
F4-Fibrose waren eingeschlossen) hatten aber lediglich 37% eine RVR und bei 64%
lag die HCV-RNA zu Woche 24 <25
IU/ml. Einen Relaps entwickelten nur Patienten mit HCV-Genotyp 1a. Die
Verträglichkeit war gut. 4% der Patienten mussten die Studie wegen
Nebenwirkungen abbrechen. Bei 5% der Patienten wurde eine Hyperbilirubinämie
beobachtet (Dieterich D et al., 154LB).
Abb. 5 Vorläufige SVR4- und SVR12-Raten bei HIV/HCV-Koinfizierten unter Tripletherapie mit Simeprevir (SMV)
Im Hinblick auf die Kombinierbarkeit mit antiretroviralen Medikamenten hat derzeit Faldaprevir die Nase vorne, denn es kann auch mit Darunavir/r und Efavirenz kombiniert werden. Dabei muss allerdings die Faldaprevir-Dosis angepasst werden (Sabo JP et al., 35). Simeprevir wurde in der Studie C212 mit Raltegravir, Rilpivirin, Maraviroc und T20 eingesetzt.
Hepatitis – Monoinfektion
Abb. 6 ELECTRON-Studie. Ergebnisse der Therapie der HCV-Monoinfektion mit Sofosbuvir (SOF), Ledipasvir (LDV) und Ribavirin (RBV). Patienten n/N (%) mit HCV-RNA unter Nachweisgrenze
Bei der Monoinfektion stand die Interferon-freie Therapie im
Vordergrund. Das meiste Interesse galt hier dem Nukleotid Sofosbuvir, das gegen
alle Genotypen wirkt und gegen das in den klinischen Studien bislang keine
Resistenz beobachtet wurde. 2011 hatten die ersten Ergebnisse der
ELECTRON-Studie (Sofosbuvir plus Ribavirin über 12 Wochen) bei therapienaiven
Patienten HCV GT1 großen Enthusiasmus ausgelöst. 84% der Patienten hatten eine
SVR12 erreicht. In ELECTRON mit Nullrespondern hatten zwar auch alle Patienten schnell
und bis zum Therapieende angesprochen, 90% erlitten dann jedoch einen Relaps.
Das Fazit damals: Ein Nukleotid plus Ribavirin reicht bei diesen Patienten
nicht aus. Aus diesem Grund wurden zwei weitere Arme von ELECTRON aufgelegt.
Gleiches Studiendesign, d.h. gleiche Patientenzahl, gleiche Population, gleiche
Therapiedauer, gleiche Sobosfuvir-Dosis jedoch als drittes DAA (Direkt
Antiviral Agent) der NS5A-Inhibitor Ledipasvir (keiner der Referenten konnte
diesen Namen fehlerfrei aussprechen). Diese Kombination führte nun auch bei
nahezu allen Nullrespondern zur SVR12 (Abb. 6). Lediglich bei einem Patient
musste die Therapie wegen einer Divertikelperforation abgesetzt werden. Beide
Medikamente waren gut verträglich und das Unternehmen Gilead wird die Kombination
Sofosbuvir/Ledipasvir als Fixkombination weiterentwickeln (E Gane et al.,
41LB).
Bald in der Praxis
Die Kombination von Sofosbuvir und Simeprevir mit/ohne Ribavirin über 12 Wochen bei Nullrespondern ohne fortgeschrittene Fibrose (COSMOS-Studie) führte bei über 90% der Patienten zur SVR8 und zwar bei 96% mit Ribavirin und 93% ohne Ribavirin. Es gab keine viralen Durchbrüche, aber zwei Relapser. Die Verträglichkeit der Medikamente war sehr gut. Bei 5% wurde eine Hyperbilirubinämie beobachtet, jedoch nur in der Ribavirin-Gruppe (Lawitz E et al, 155LB). Beide Medikamente werden voraussichtlich ungefähr zu Jahreswechsel zur Verfügung stehen – allerdings noch nicht zum Interferon-freien Einsatz zugelassen.
Eine weitere Interferon-freie Kombination war der Proteasehemmer ABT-450/r plus das NNRTI ABT 072 bzw. ABT 333 mit/ohne Ribavirin. Die 48-Wochendaten zeigen hohe SVR24-Raten bei den therapienaiven Patienten mit bis zu 95%, wobei Genotyp 1a oder 1b sowie der IL28B-Subtyp keine Rolle zu spielen scheinen. Bei den Nonrespondern (keine Nullresponder) sprachen Patienten mit IL28B CT besser an als TT (50% vs 40%). Die Verträglichkeit der Medikamente war gut. Lediglich Hyperbilirubinämien (max 6,4 g/dl) wurden bei bis zu 20% der Patienten beobachtet. Es gab keinen virologischen Durchbruch. Ein Relaps trat meist innerhalb der ersten 12 Wochen nach Therapieende auf, in einem Fall jedoch zu Woche 36 (Lawitz E et al., 38).
Statine und KHK
Abb. 7 Todesursachen bei 728 Todesfällen von HIV-Infizierten in Frankreich im Jahr 2010
Zur brennenden Frage, ob HIV das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen erhöht, gab es zahlreiche Untersuchungen. In Frankreich beispielsweise hat die Mortalität an Herz-Kreislauf-Erkrankungen in den letzten 10 Jahren von 8% auf 14% zugenommen und steht damit vor Lebererkrankungen an dritter Stelle der Todesursachen bei HIV-Infizierten (Abb. 7) (Henard S et al., 1048). In der Veteran’s Aging Cohort Study (VACS 2003-2008) fand man mehr als 50% höhere Myokardinfarkt-Rate bei HIV-Positiven (Althoff K et al., 59). In der großen D:A:D-Kohorte mit über 24.000 Männern hatten HIV-Infizierte ebenfalls ein erhöhtes Risiko, wenn auch deutlich geringer als in den anderen Auswertungen. Das kardiovaskuläre Risiko konnte (wie allgemein bekannt) am stärksten durch Nichtrauchen, Cholesterinsenkung und Blutdruckkontrolle beeinflusst werden (Petoumenos K et al., 61).
Statine scheinen aber auch einen über die Fettsenkung hinausgehenden Effekt haben. In der VACS-Studie verminderten sie – allen voran Atorvastatin und Rosuvastatin - die Gesamtmortalität, was auf antiinflammatorische Eigenschaften dieser Substanzen zurückgehen könnte (Drechsler H et al, 765). Zur aktuellen Diskussion über den diabetogenen Effekt der Statine gab es zwei widersprüchliche Arbeiten. In einer italienischen Arbeit senkten sie das Diabetes-Risiko, in einer amerikanischen Studie stieg das Risiko pro Jahr um 10% (Spagnuolo V et al, 766, Lichtenstein K et al., 767).
ART mit guter ZNS-Gängigkeit nicht besser
In einer kleinen Studie der Gruppe um Scott Letendre, San Diego, wurden 59 Patienten mit HAND (HIV-associated neurocognitive disorder) entweder mit einer besonders ZNS-wirksamen ART oder nach gängigen Leitlinien behandelt. Die detaillierte neurokognitive Untersuchung zeigte keinen relevanten Unterschied zwischen den Gruppen. Im Liquor fand sich unter der ZNS-gezielten Therapie sogar seltener eine komplette virologische Suppression. Dies Ergebnis könnte – so die Autoren – am niedrigeren CD4-Nadir und der häufigeren HCV-Koinfektion in der ZNS-Gruppe liegen (Ellis R et al., 20).
Tripletherapie bei akuter HCV-Infektion?
Die Behandlung der akuten Hepatitis C bei HIV-Positiven lässt sich möglicherweise durch Tripletherapie auf 12 Wochen verkürzen. In einer Pilotstudie wurden 20 Patienten 4 Wochen nach Diagnose mit einer 12wöchigen Telaprevir-basierten Tripletherapie behandelt. 79% erreichten eine SVR24. Zwei Patienten sprachen nicht an, bei einem Patienten kam es zum virologischen Durchbruch (Fierer D, 156LB).
Immunität gegen gleiche HCV-Genotypen?
Bislang galt die Meinung, dass eine ausgeheilte Hepatitis C keine Immunität hinterlässt. Jetzt zeigt eine Studie, dass Infektionen mit dem gleichen Genotyp deutlich seltener sind. Nur 6% infizierten sich mit dem gleichen Genotyp wie bei der ersten Hepatitis C, 25% hatten einen anderen Genotyp. Dies könnte auf eine protektive Immunität deuten (Thomas X et al., 708).
HBV-wirksame ART schützt vor Hepatitis B?
In einer holländischen Kohorte mit rund 3.000 HIV-Infizierten wurden mehr als 200 Fälle von akuter Hepatitis C beobachtet, aber nur 35 frische Hepatitis B-Infektionen. Das lag nicht nur an der Impfung. Das Risiko, sich mit HBV zu infizieren, wurde bei den Nicht-Geimpften durch die ART mit Tenofovir plus Emtricitabin oder Lamivudin gesenkt (Heuft M et al., 33).
PrEP versagt bei afrikanischen Frauen
Prävention bei Frauen in Afrika ist schwierig. In der
VOICE-Studie versagten sowohl vaginale Mikrobizide als auch die orale PrEP. Grund
für den Fehlschlag: Die Frauen hatten die medikamentöse Prävention nicht
angewandt. Trotz der eigenen Angabe mehr als 90% der Dosen appliziert zu haben,
war bei weniger als 30% der Frauen Wirkstoff nachweisbar. Warum die Adhärenz
insbesondere bei jungen, unverheirateten Frauen so schlecht war, ist unklar.
Möglicherweise ist die Motivation für eine Studienteilnahme eher der Zugang zu
Gesundheitsleistungen als das Engagement für die Inhalte der Untersuchung
(Marrazzo J et al, 26LB). Anlass zur Hoffnung geben Methoden, die man selten
anwenden muss, aber lange schützen. Beispielsweise ein Vaginalring, der über
mehrere Wochen ein Medikament freisetzt.
Erste Erfolge waren im Tierversuch mit einem Tenofovir-freisetzenden
Vaginalring zu verzeichnen. Er schützte Affen vier Wochen lang vor HIV (Smith J
et al, 25LB). Weitere Vaginalringe in der Entwicklung enthalten das NNRTI
Dapivirine (Phase 3) und den CCR5-Inhibitor Maraviroc (Phase 1).
Primärresistenz steigt
Die Rate an übertragenen Resistenzen steigt. In 10 amerikanischen Metropolen fand sich bei 16% der Neuinfizierten eine Primärresistenz. Am häufigsten waren NNRTI-Mutationen (8%) gefolgt von NRTI- Mutationen 7% und Proteasehemmer-assoziierten Mutationen (4,5%), die häufigsten Einzelmutationen waren K103N (72%), M41L (25%) und L90M (30%) (Kim D et al., 149). In New York wurde bei jungen MSM eine noch höhere Primärresistenz-Rate beobachtet. Bei den 13-25jährigen neu Infizierten fanden sich in 18% der Fälle übertragene Mutationen. Die Verteilung der Mutationen war ähnlich wie in der landesweiten Datenanalyse (Gagliardo C et al., 952b).
HIV-Medikamente
Nuke-frei bei Therapieversagen. Bei einem Versagen eines NNRTI-basierten Regime mit NRTI-Backbone ist eine Zweitlinien-Behandlung mit einem Nuke-freien Regime mit Lopinavir/r plus Raltegravir virologisch genauso gut wie die Kombination Lopinavir/r plus NRTI, führt aber zu einem signifikant besseren Anstieg der CD4-Zahl (167/µl vs. 132/µl) (Boyd M et al, 180LB). Und auch bei einer Salvage-Therapie kann man wohl auf NRTI verzichten. In ACTG OPTIONS wurden Patienten mit NNRTI- und NRTI-Resistenz von einem versagenden Proteasehemmer-basierten Regime umgestellt auf eine optimierte Therapie mit oder ohne NRTI. Für alle Patienten konnte ein Regime mit zwei oder mehr aktiven Substanzen zusammengestellt werden. Nach einem Jahr hatten jeweils 25% in beiden Gruppen versagt. „Man muss NRTI nicht recyclen, wenn genügend aktive Substanzen zur Verfügung stehen“, fasste Andrew Zolopa von der Stanford Universität das wenig überraschende Ergebnis dieser Studie zusammen (Tashima K et al., 153LB).
Efavirenz wurde mit Lopinavir/r im Hinblick auf den Effekt auf neurokognitive Funktionen verglichen. Es wurden Tests von über 400 Patienten, die Efavirenz bzw. Lopinavir/r länger als zwei Jahre eingenommen hatten, retrospektiv analysiert. Dabei schnitt Efavirenz insgesamt, bei den virologisch komplett supprimierten Patienten und den Patienten ohne Hepatitis C schlechter ab, nicht jedoch bei den Patienten mit HCV-Koinfektion (Letendre S et al., 407).
Efavirenz in der Frühschwangerschaft ist der Auswertung des großen französischen Schwangerschaftsregisters zufolge mit einem erhöhten Risiko für neurologische Defekte verbunden. Das Risiko neurologischer Defekte dieser Kinder war verglichen mit den anderen Kindern der Kohorte etwa dreimal hoch. Betroffen waren vier Kinder: Ein Pachygyria, ein Hydrocephalus, eine zerebrale Zyste und eine Agnesie des Korpus callosum. Gleichzeitig fand das Register eine erhöhte Rate von Herzfehler unter Zidovudin (Sibiude J et al., 81).
Abb. 8 SAILING: Dolutegravir vs. Raltegravir bei vorbehandelten Patienten mit Therapieversagen. 24-Wochen-Daten (Snapshot). Dolutegravir 50 mg QD ist Raltegravir 400 mg BID signifikant überlegen (p=0,003)
Dolutegravir erwies sich in der Studie SAILING bei vorbehandelten
Patienten mit Therapieversagen Raltegravir als überlegen. Die 715
Studienteilnehmer hatten eine zwei oder mehr Klassenresistenz und noch nie
einen Integrasehemmer eingenommen. Etwa 30% hatten eine Viruslast von
>50.000 Kopien/ml unter der versagenden ART. Die CD4-Zahl lag im Schnitt bei
200/µl. 24 Wochen nach der Umstellung auf ein Regime mit Dolutegravir 50 mg QD
oder Raltegravir 400 mg BID war die Viruslast bei signifikant mehr Patienten
unter Dolutegravir nicht nachweisbar (79% vs. 70%) (Abb. 8). Die Differenz war statistisch signifikant bei
Patienten mit hoher Viruslast (70 % vs 53%), nicht jedoch bei Patienten mit
einem Darunavir-enthaltenden Regime (80% vs. 81%). Ein virologisches Versagen
sowie Integrase-Resistenzen nach einem Versagen der Therapie waren unter
Dolutegravir seltener (4% vs. 9% bzw. 0,6% vs. 2,8%) (Pozniak A et al., 179LB).
Der neue Integrasehemmer scheint auch gut ins ZNS zu penetrieren. In einer
pharmakokinetischen Untersuchung waren die Spiegel im ZNS und Blut sowie der
Abfall der HIV-RNA von über -3log in beiden Kompartimenten unter Dolutegravir
plus ABC/3TC vergleichbar (Letendre S et al., 178LB).
Tenofovir Alafenamid (TAF) ist ein anderes Prodrug von Tenofovir als das momentan erhältliche Tenofovir Disoproxilfumarat (TDF). TAF zeigt gegenüber der Muttersubstanz einige Verbesserungen: Die intrazellulären Spiegel sind etwa 7fach höher und zwar bei etwa 90% geringem Plasmaspiegel. Daraus resultiert eine etwa gleiche klinische Wirksamkeit bei einem Zehntel der Dosis. Wenn TAF in einer Fixkombination mit Cobicistat gegeben wird, sind nochmals niedrigere Dosierungen erforderlich. In einer Phase 2-Studie wurde die Fixkombination aus Elvitegravir, Cobicistat, Tenofovir und Emtricitabine gegen die gleiche Kombination mit TAF statt Tenofovir geprüft. Die virologische Wirksamkeit war vergleichbar, der Anstieg des Kreatinins und der Abfall der Knochendichte waren geringer, der Anstieg von HDL- und LDL-Cholesterin etwas stärker (Zolopa A, 99LB).
MK-1439 ist NNRTI, der auch bei den häufigsten NNRTI-Mutationen (K103N, Y181C, G190A) noch wirksam ist. Die Substanz wird über CYP3A4/5 metabolisiert, ist aber selbst kein nennenswerter Inhibitor oder Induktor dieses Enzymsystems. In einer Phase-1-Studie fand sich eine Viruslastsenkung um bis zu 1,4 log bei guter Verträglichkeit (Anderson M et al., 100).
GSK1265744 ist ein Integrasehemmer, der in Nanopartikel „verpackt“, intramuskulär gegeben bis zu 50 Tagen und möglicherweise noch länger wirkt (Andres C et al., 24LB)
Cenicriviroc hemmt den CCR5-Rezeptor und gleichzeitig den CCR2-Rezeptor. Letzterer bindet MCP-1, das „Monocyte Chemoattractant Protein 1“, das bei Entzündungsreaktionen eine Rolle spielt. Durch dieses doppelte Wirkprinzip erhofft man eine entzündungshemmende Wirkung. Cenicriviroc hat eine lange Halbwertszeit von 30-40 Stunden, wird über CYP3A4 und CYP2C8 verstoffwechselt ohne selbst Induktor oder Inhibitor zu sein und wirkt synergistisch mit allen anderen antiretroviralen Substanzklassen. In einer Phase-2b-Studie wurde Cenicriviroc in Kombination mit FTC/FTC gegen die Kombination TDF/FTC plus Efavirenz geprüft. Nach 24 Wochen hatten in beiden Gruppen gleich viele Patienten eine Viruslast unter der Nachweisgrenze erreicht. Unter Cenicriviroc gab es jedoch mehr Nonresponder (12%/14% vs. 4%). Das bessere Abschneiden ist also darauf zurückzuführen, dass die Substanz besser verträglich ist als Efavirenz. Wie zu erwarten war, stieg unter Cenicriviroc das MCP-1 im Plasma an, während das sCD14, das in Studien wie SMART als unabhängiger Prädiktor für Mortalität gefunden wurde, abfiel. Inwieweit diese Effekte einen klinischen Vorteil bedeuten, werden die Phase 3-Studien zeigen (Gathe J et al., 106LB).
Tuberkulose
Rifampicin kann und sollte möglicherweise deutlich höher dosiert werden als bisher. Die aktuelle Dosis der Substanz, die in den 60er Jahren entwickelt wurde, ist ein Kompromiss zwischen Wirksamkeit und damaligem Preis. Die maximale Dosierung jedenfalls wurde nie erforscht. Eine neue Studie, in der Rifampicin im Rahmen der 4er-Kombination mit Isoniazid, Ethambutol und Pyrazinamid bis zur 3,5fachen Dosis eingesetzt wurde, zeigt eine gute Verträglichkeit und deutet auf eine bessere Wirksamkeit. Unklar ist bislang die Auswirkung der höheren Dosierung auf Interaktionen mit anderen Medikamenten. Es ist möglich, dass die höhere Dosierung das CYP-System stärker induziert (Boeree M et al. 148LB).
Rifapentin hat den Vorteil der einmal wöchentlichen Gabe. In der RIFAQUIN-Studie war die viermonatige Gabe von 1.200 mg Rifapentin plus Moxifloxacin einmal wöchentlich nach der Standard-Initialtherapie über zwei Monate gleich gut wie der Standard Rifampicin und Isoniazid. Rifapentin, ein Rifampicin-Derivat, ist bereits zugelassen. In den Leitlinien wird derzeit jedoch nur die Kombination mit Isoniazid empfohlen (Jindani A et al., 147LB)
Die Sensation: Funktionelle Heilung bei Kind
Die Schlagzeile ging um die Welt. „Kind
von HIV geheilt“ oder etwas differenzierter „Erste dokumentierte funktionelle
Heilung eines HIV-infizierten Kindes“.
Hintergrund des Berichts ist der Fall eines Kindes, das vor fast drei
Jahren in einem Krankenhaus in Jackson im Bundesstaat Mississippi auf die Welt
kam.
Viruslast des Kindes
Die HIV-Infektion der Mutter wurde während der Geburt diagnostiziert. Eine Prophylaxe während der Geburt erhielt das Kind nicht, da die Klinik auf solche Fälle nicht vorbereitet war. Das Kind wurde deshalb gleich in die Johns Hopkins Universität in Baltimore verlegt, wo innerhalb der ersten 30 Stunden die HIV-Infektion standardmäßig durch zweimaligen Nachweis einer positiven HIV-PCR und HIV-DNA nachgewiesen wurde. Aufgrund der besonderen Risikosituation erhielt das Kind anstatt der Hochrisiko-Prophylaxe mit AZT/3TC und Nevirapin OD gleich eine Therapie mit AZT/3TC und Nevirapin BID erhielt.
Die ART wurde damit 31 Stunden nach der Geburt bei einer Viruslast von 20.000 Kopien mit AZT/3TC und Nevirapin BID eingeleitet. Der Resistenztest der Mutter zeigte keine Primärresistenz, dennoch wurde nach einer Woche auf AZT/3TC und Lopinavir/r umgestellt. Zu Tag 7, 12 und 20 war die HIV-PCR noch positiv, zu Tag 29 dann lag sie bei <20 Kopien/ml. Das Kind wurde 18 Monate behandelt, die Viruslast lag stets unter der Nachweisgrenze. Dann erschien das Kind nicht mehr zur Kontrolle.
Erst im Alter von 22 Monaten wurde das Kind erneut vorgestellt. Die ART war nicht fortgesetzt worden. Dennoch lag die Viruslast im Plasma bei dem mittlerweile 28 Monate alten Kind bei mehrfachen Kontrollen stets unter der Nachweisgrenze, HIV-spezifische Antikörper sowie HIV-DNA in peripheren Leukozyten waren nicht nachweisbar. Lediglich in Single Copy Assay fand sich gelegentlich ein positives Signal sowie einige wenige, nicht replikationsfähige Bruchstücke von HIV-DNA. „Dieser Fall belegt, dass eine funktionelle Heilung möglich ist“, erklärte die Virologin Deborah Persuad von der Johns Hopkins University und fuhr fort, „Klinische Konsequenzen ergeben sich derzeit nicht, aber dieser Fall wird ähnlich wie der Berliner Patient die Erforschung der funktionellen Heilung beflügeln“ (Persuad D et al., 48LB).
Interview mit Dr. Cornelia Feiterna-Sperling, Berlin
Dr. Cornelia Feiterna-Sperling
Fragen an die Kinder-Expertin
War das Kind wirklich HIV-infiziert?
Feiterna-Sperling: Generell geht man von einer intrauterinen Infektion aus, wenn die HIV-PCR schon innerhalb der ersten 48 Lebensstunden positiv ist. Ist die PCR initial negativ (bis 48 Std.) und zu einem späteren Zeitpunkt erst positiv, dann geht man von einer Transmission unmittelbar unter der Geburt aus. Da die Viruslast bei dem Kind in den ersten Wochen mehrfach positiv war, bestätigt das eine manifeste HIV-Infektion des Neugeborenen.
Wie kommt es zu der initial relativ niedrigen Viruslast?
Feiterna-Sperling: Die Höhe der HI-Viruslast ist bei perinatal / intrauterin HIV-infizierten Neugeborenen abhängig vom Infektionszeitpunkt. Ist es erst kurz vor der Entbindung zu einer Transmission gekommen, wäre eine niedrige Viruslast von 20.000 Kop/ml mit 30 Stunden durchaus denkbar. Im weiteren Verlauf können diese gigantisch ansteigen, aber bei Bestimmungen zu einem so frühen Zeitpunkt wäre es möglich. Bei unseren Patienten haben wir Verläufe mit postnatal niedrigen VL am 1. oder 2. Lebenstag auch schon beobachtet.
Wie ist das Standardvorgehen bei einer solchen Hochrisiko-Geburt?
Feiterna-Sperling: In einer Studie wurde die Effektivität einer eskalierten Neugeborenen-PEP untersucht (Nielsen-Saines K et al. N Engl J Med 2012). Die Ergebnisse sind Grundlage der US-Empfehlungen, nämlich bei Hochrisiko den Neugeborenen Zidovudin für sechs Wochen plus Nevirapin drei Gaben in der ersten Lebenswoche zu geben. Beim Mississippi-Baby wurde die Dosierung offenbar gleich auf eine therapeutische Dosis erhöht.
Welche Bedeutung hat das Fehlen von Gedächtnis-T-Zellen bei Neugeborenen?
Feiterna-Sperling: Neugeborene haben initial ein unreifes Immunsystem, das auch die zelluläre Immunität betrifft. Wie weit das Fehlen von Gedächtniszellen bei Neugeborenen – abgesehen von einer verminderten Fähigkeit der Abwehr z.B. von Virusinfektionen – von Bedeutung für die HIV-Infektion ist, ist unklar.
Sollte man jetzt alle Neugeborenen mit hohem Infektionsrisiko gleich therapieren?
Feiterna-Sperling: Das muss man sehr kritisch diskutieren und vor allem braucht man mehr Daten dazu. Wenn Ultrafrühtherapie, dann am besten im Rahmen von Studien. Kommt es zu einer Hochrisikogeburt, dann ist in der Tat zu überlegen, je nach Einschätzung des individuellen Risikos ggf. eine 3-Fachprophylaxe durchzuführen.
Was hier aber zu bedenken ist, dass wir gar nicht gute Daten haben zu Pharmakokinetik und Sicherheit von antiretroviralen Substanzen im Neugeborenenalter. Nevirapin zur Prophylaxe in therapeutischer Dosis ohne Induktion bei Frühgeborenen ist überhaupt nicht geprüft. Es gibt nicht einmal eine empfohlene Dosis für Kinder unter 14 Tagen! Das Vorgehen ist in diesem Fall erfolgreich gewesen, aber auch experimentell. Man muss davor warnen, standardmäßig Neugeborene mit derartig forschen Regimen zu behandeln. Einen jungen Säugling mit nachgewiesener, etablierten HIV-Infektion würde man in jedem Fall so früh wie möglich behandeln.