HIV-positiv + behandelt = nicht ansteckend!

Deutsche AIDS-HilfeVor fünf Jahren brach das EKAF-Statement ein Tabu: HIV-Positive unter wirksamer Therapie sind sexuell nicht ansteckend, hieß es darin. Damals war die Aufregung groß, doch inzwischen bestätigen viele Studien die Schweizer Stellungnahme. Nun stellt sich die Frage: Inwieweit verändern die Therapie-Erfolge die HIV-Prävention?

Auch ein kleines Land kann ein großes Echo auslösen. In diesem Fall war es die Schweiz. Vor gut fünf Jahren, am 30. Januar 2008, verkündete die Eidgenössische Kommission für Aids-Fragen (EKAF) in der Schweizerischen Ärztezeitung: Menschen mit HIV können ungeschützt Sex haben – ohne ihren Partner anzustecken. Als Voraussetzung nannte die EKAF: Die Betroffenen nehmen regelmäßig antiretrovirale Medikamente und lassen deren Wirkung ärztlich überwachen. Die im Labor gemessene Virenmenge im Blut muss seit sechs Monaten unter der Nachweisgrenze liegen. Außerdem dürfen keine weiteren sexuell übertragbaren Infektionen wie z.B. Herpes oder Syphilis vorliegen.

Das EKAF-Statement war nur ein kurzer Artikel, aber ein riesiger Fortschritt für Menschen, die mit HIV leben. Sie verspürten eine große Erleichterung. Der Münchner HIV-Spezialist Hans Jäger erinnert sich: „Das Entscheidende für meine Patienten war, dass sie sich von nun an nicht mehr als Gefährdungspotenzial erlebt haben. Das war eine sehr wichtige psychische Reaktion auf diese eigentlich rein biologische Erkenntnis aus der Schweiz.“

Maya Czjaka, damals im Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe, sagte im Februar 2008: „EKAF bedeutet zuerst einmal eine wesentliche Erleichterung und Ent-Ängstigung … sowohl für den HIV-negativen Part, weil die Ängste vor Ansteckung auf ein wesentlich realistischeres Maß reduziert werden können, aber auch für den HIV-positiven Part, der in der überwältigenden Mehrzahl der Fälle massive Ängste hat, den HIV-negativen Partner anzustecken.“

Gleichzeitig erntete das international beachtete „Swiss Statement“ scharfe Kritik. Das „Okay“ zum Kondomverzicht „könnte den Präventionskampagnen auch in Deutschland einen Bärendienst erweisen“, warnte die Ärztezeitung, denn es werde „einige Menschen geben, die die Botschaft miss- oder nur halb verstehen und dadurch sich oder ihren Partner dem Risiko einer HIV-Infektion aussetzen“. Die FAZ fand es bedenklich, Menschen mit HIV „eine Art Persilschein der Nichtinfektiosität“ auszustellen. Noch am Tag der Veröffentlichung zog das Berner Bundesamt für Gesundheit die Notbremse und relativierte die EKAF-Aussage. Diese gelte in der Schweiz nur für „wenige tausend Personen, welche ganz strenge Vorgaben erfüllen“, insbesondere Paare, die sich Kinder wünschten.

Wo kein Virus, da auch keine Ansteckung!

Im Rückblick wirkt die Aufregung erstaunlich. Denn im EKAF-Statement stand nichts Neues. Die Schweizer hatten nur zusammengefasst, was in der Wissenschaft und Behandlungspraxis seit Jahren bekannt war: Die Kombinationstherapien wirken so gut, dass bei den meisten HIV-Patienten nach einigen Wochen keine Viren mehr im Blut zu finden sind. Selbst hochempfindliche Tests, die das Virus nachweisen können, fallen dann negativ aus. In der Fachsprache heißt das: Die Viruslast ist unter der Nachweisgrenze. Und in der Regel bedeutet das, dass die Virusmenge auch in den anderen Körperflüssigkeiten, die beim Sex eine Rolle spielen (Sperma, Scheidensekret, Flüssigkeitsfilm auf der Darmschleimhaut) gering ist. Eine Übertragung ist damit fast ausgeschlossen – wo kein Virus, da auch keine Ansteckung. Viele Ärzte hatten diese beruhigende Information bereits an ihre HIV-Patienten weitergegeben.

Der Streit kreiste und kreist bis heute vor allem um die Frage, ob die frohe Botschaft auch für schwule Männer gilt – die damals vorliegenden Daten bezogen sich vor allem auf Heterosexuelle – und ob man sie öffentlich verkünden dürfe. Die Deutsche AIDS-Hilfe entschied sich schließlich für Offenheit und verabschiedete im April 2009 ihr Positionspapier „HIV-Therapie und Prävention“, welches das EKAF-Statement unterstützt und für die Praxis anwendbar macht. Darin heißt es etwas vorsichtiger, dass eine HIV-Übertragung bei funktionierender und kontrollierter Therapie unwahrscheinlich ist.

Fünf Jahre später hat sich die Aufregung weitgehend gelegt. Das liegt auch daran, dass die EKAF-Botschaft inzwischen durch die große Vergleichsstudie HPTN 052 wissenschaftlich bestätigt wurde. Ihr Ergebnis: Eine gut funktionierende HIV-Therapie hat einen Schutzeffekt von mindestens 96 Prozent. Als die Studienergebnisse 2011 auf einem Aidskongress in Rom vorgestellt wurden, erhoben sich die Anwesenden zu Standing Ovations – ein unter Wissenschaftlern eher seltener Gefühlsausbruch. Mehrere andere Studien kamen zu ähnlichen Ergebnissen. Zum Vergleich: Beim Kondom liegt die Schutzwirkung nach seriösen Schätzungen zwischen 80 und 95 Prozent– je nachdem, wie gut die Anwender mit den Präservativen umgehen können.

Es gibt inzwischen einen breiten wissenschaftlichen Konsens

Armin SchafbergerArmin Schafberger

„Es gibt inzwischen einen breiten wissenschaftlichen Konsens, und der heißt: Unter funktionierender HIV-Therapie ist eine Infektion äußerst unwahrscheinlich“, sagt Armin Schafberger, Medizinreferent der Deutschen AIDS-Hilfe. „Die Menge der Studien zeigt in die gleiche Richtung: Das Risiko geht gegen Null.“ Zwar gebe es immer wieder Daten, wonach die Viruslast zum Beispiel im Sperma auch bei funktionierender Therapie vorübergehend leicht ansteigen könne. Entscheidend sei aber, ob es tatsächlich zu HIV-Übertragungen komme, und da seien die Daten der HPTN-Studie sehr ermutigend. In der gesamten Studie mit 1.763 Paaren gab es nur eine Übertragung durch einen behandelten HIV-Positiven – und der erfüllte nicht einmal das wichtigste Kriterium: Seine Viruslast lag nicht unter der Nachweisgrenze!

Einen kleinen Haken haben die Erkenntnisse dennoch: Die guten Werte wurden bei heterosexuellen Paaren ermittelt. In Westeuropa aber stecken sich vor allem schwule Männer mit HIV an. Im ersten Fall ist meist Vaginalsex der Übertragungsweg, im zweiten Analsex. Trotzdem hält Schafberger die Daten für übertragbar, die Safer-Sex-Botschaft müsse entsprechend ergänzt werden: „Der Schutzeffekt für Heterosexuelle ist so überwältigend gut, dass wir es uns nicht leisten können, 15 Jahre zu warten, bis wir ebenso gute Daten für schwule Männer haben. Als die Aidshilfen die Safer-Sex-Regeln formuliert haben, gab es auch noch keine belastbaren Studien, aber die Notwendigkeit, lebbare Präventionsbotschaften zu entwickeln. Und auch damals war klar: Es geht darum, die Risiken zu minimieren, nicht um ein Nullrisiko.“

Und nicht zuletzt: Auch so manche Heteros haben Analverkehr, wenn auch im Schnitt sehr viel seltener als schwule Männer. Trotzdem gibt es in den Studien keine Infektionen, wenn die Viruslast unter der Nachweisgrenze ist.

Therapie-Erfolge können zur Verringerung von Stigmatisierung und Kriminalisierung beitragen

Kondome

Die EKAF-Debatte hat sich längst verlagert. Nun geht es nicht mehr darum, ob die guten Nachrichten aus den Arztpraxen an die Öffentlichkeit gelangen dürfen, sondern nur noch darum, wie das passieren sollte. Die klassische Safer-Sex-Botschaft „Kondome schützen“ ist zwar weiterhin gültig, aber ein paar neue Optionen kommen hinzu. Zudem bieten die Therapie-Erfolge die große Chance, die Stigmatisierung und Kriminalisierung von Menschen mit HIV zu verringern.

ZUM WEITERLESEN

Kurz und bündig: Unter http://www.aidshilfe.de/de/faq/schutz-durch-therapie beantwortet die Deutsche AIDS-Hilfe die häufigsten Fragen zum Thema.

Wer’s genau wissen will: Im Januar hat die Deutsche AIDS-Hilfe ein umfassendes Dossier zum Thema „Schutz durch Therapie“ veröffentlicht: www.aidshilfe.de/de/infothek/dossiers

Inhalt

HIV-positiv + behandelt = nicht ansteckend! – Ein Tabubruch und seine Folgen

Gar keine Angst mehr – Das gute Gefühl, nicht ansteckend zu sein

Effektiver Schutz mit Imageproblem – Die Botschaft von der Nicht-Infektiosität ruft auch Widerspruch hervor

Taugt die HIV-Therapie zur HIV-Prävention? Ein Expertenstreit

„Gesundes Volksempfinden“ – Viele Richter und Staatsanwälte wissen nichts von der Schutzwirkung der HIV-Medikamente

„Es geht um Menschen, nicht nur um Laborwerte“ – Schwerpunktarzt Hans Jäger über Empörung damals und HIV-Therapien heute

Die guten Nachrichten in Sachen HIV werden aber leider von einer bedenklichen Entwicklung eingetrübt: Andere sexuell übertragbare Infektionen feiern gerade ein Comeback. Bei der Syphilis zum Beispiel, die in den 1970ern als ausgerottet galt, steigen die Infektionszahlen seit der Jahrtausendwende wieder an. Für 2011 meldete das Robert Koch-Institut 3.700 neue Fälle. Besonders betroffen: schwule Männer in Großstädten. Das Tückische: Gerade die Syphilis erhöht bei unbehandelten HIV-Positiven die Wahrscheinlichkeit, dass sie HIV übertragen, und bei HIV- Negativen, dass sie sich mit HIV anstecken. Manche Experten finden deshalb, dass Aidshilfen und andere Präventionsprojekte nicht ausgerechnet jetzt über Safer Sex ohne Kondom informieren sollten.

Bisher allerdings sind keine verheerenden Folgen für die Safer-Sex-Moral der Deutschen zu beobachten. Gerade unter schwulen Männern ist das Schutzverhalten nach der letzten verfügbaren Untersuchung, der EMIS-Studie aus dem Jahr 2010,  erstaunlich stabil: Drei Viertel der Befragten gaben an, sich im Jahr vor der Befragung beim Analverkehr immer geschützt zu haben. Und der Kondomabsatz in Deutschland war nie höher.

2011 wurde mit 221 Millionen Stück eine neue Rekordmarke gesetzt.                   

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