Streiflicht
Pharmasponsoring und Vorteilsannahme: Notizen aus der Provinz

Hessen, im Februar 2013:

Integrationsminister Hahn sagt: „Bei Philipp Rösler würde ich allerdings gerne wissen, ob unsere Gesellschaft schon so weit ist, einen asiatisch aussehenden Vizekanzler auch noch länger zu akzeptieren.“ Ein Sturm selbstgerechter deutscher kollektiver Empörung über die vermeintlich rassistische Äußerung ergoss sich über Hahn. War seine rhetorische Frage tatsächlich Ausdruck tumber und beifallsheischender Fremdenfeindlichkeit? Oder kam das moralinsaure öffentliche Aufstoßen nicht auch gerade aus den Bäuchen derer, die sich gerade dabei ertappten zustimmend zu nicken beim Gedanken: „Jawoll, das frage ich mich auch schon lange.“?  Kein ganz abwegiger Gedanke, denn noch eine Woche nach der zweideutigen Äußerung Hahns überträgt das deutsche öffentlich rechtliche Fernsehen unbeanstandet eine frenetisch beklatschte Büttenrede mit dem nicht nur Herrn Rösler eindeutig diskriminierenden Ratewitz: „Wer ist das? – Kommen in Berlin eine Ossi-Tantea, ein Asiateb, ein Schwulerc und ein Behinderterd in die Kneipe“. Tätä, Tätä, Tätä…. Solcherlei freudsche Projektionen haben in Deutschland Tradition und richten sich immer auch gerne mal gegen Ärzte:

Deutschland, 1998:

„Sozialverträgliches Frühableben“ wird das Unwort des Jahres. Es stammte vom damaligen Präsidenten der Bundesärztekammer Karsten Vilmar und war eigentlich ganz anders gemeint.

Hamburg, im Oktober 2000:

Ausgerechnet die Musikgruppe „Die Ärzte“ veröffentlicht zukunftsweisend, bisher vermutlich kaum ausreichend gewürdigt, beziehungsreiche Lyrik zum Thema Geld.II Dies bringt uns zur nächsten Notiz:

Niedersachsen ist am Zug

Hannover, im November 2012:

Die Ärztekammer Niedersachsen (AEKN) beschließt eine Änderung der Ärztlichen BerufsordnungIII: „… Die Annahme von Beiträgen Dritter zur Durchführung von Veranstaltungen (Sponsoring) ist ausschließlich für die Finanzierung des wissenschaftlichen Programms ärztlicher Fortbildungsveranstaltungen … erlaubt“. Martina Wenke, Präsidentin der AEKN erläuterte die Intention sehr deutlich: „Das bedeutet, dass Ärzte von der pharmazeutischen Industrie keine Zuwendungen (Übernahme von Hotel- und Anreisekosten, Tagungsgebühren) entgegennehmen dürfen, welche die Teilnahme an einer Fortbildungsveranstaltung ermöglichen oder unterstützen.“ IV

im Februar 2012:

Empörung und geradezu fundamentalistische Ausdeutungen dominieren die Diskussion im Kreise der irgendwie davon Betroffenen: Vom Schild „Niedersachsen müssen leider draußen bleiben“ am Eingang des Speisesaals eines Tagungshotels über das generelle Verbot ärztlicher Fortbildungen durch moralisch besonders vorbildliche Krankenhausverwaltungen bis hin zur kollektiven Absage ans Sponsoring aller deutschen Ärzte in Deutschland durch einen einzelnen Pharmahersteller wurde binnen Wochenfrist keine Anmaßung gegenüber dem ärztlichen Berufsstand ausgelassen.

Ist es wirklich zuviel verlangt, wenn wir Ärzte (in Niedersachsen!) die Tragweite dieses bemerkenswerten Beschlusses einer Landesärztekammer zunächst selbst diskutieren und ausdeuten? Relativiert sich die Aussage in §32, Satz (1) vielleicht durch die von der AEKN selbst im nächsten Satz geforderte – und weitgehend schon lange geübte – Transparenz im Falle eines Sponsoring? Sind Präsentation von (eigener) Wissenschaft und Fortbildung in diesem Kontext eigentlich ein und dasselbe? Wie auch immer – Standesrecht ist nicht Strafrecht und ärztliche Fortbildung ist bisher – gottlob! – noch kein Offizialdelikt. Die wohlmeinenden, angeblich fürsorglich– aber eben auch vorauseilend – proklamierten Restriktionen externer Interessensgruppen und standesferner Institutionen sind wenig hilfreich. Zudem sind sie ungefähr so angemessen wie der Vorschlag einer Keuschheitsgürtelpflicht zur Förderung der Compliance zölibatär lebender Priester durch die Vorstände vom Oberammergauer Swinger-Club respektive vom Förderverein der FKK-Gruppe des Helgoländer Kastratenchors.V

Andererseits war die Steilvorlage aus Niedersachsen vielleicht auch überfällig: Entsprechende Regelungen sind in den USA schon lange selbstverständlich. In Deutschland wird schon immer von den Ärzt/innen – nach gültiger Rechtssprechung – eine maximale Fortbildungspflicht eingefordert. Wer diesem Gebot aber auch hierzulande im Feld einer hoch innovativen Medizin nachkommen wollte, wurde bisher praktisch niemals öffentlich unterstützt – und konnte kaum auf die in den USA verbreiteten „unrestricted grants“ zurückgreifen. Stets war Sponsoring von Ärzten in Deutschland in den anrüchigen Bereich der Vorteilsnahme (§331 StGB) gerückt und dort mit Freiheitsstrafen bis zu 3 Jahren bedroht.

Streiflicht
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Mainz, 1979:

Als der Rundfunkrat Dieter Hildebrandts Fernsehsendung „Notizen aus der Provinz“ wegen politischer Unausgewogenheit absetzte, monierte der Kabarettist: „Die Politik macht in jede Hose, die man ihr hinhält“.

Deutschland, im März 2013:

Man kann die Kontroverse um das Ärzte-Sponsoring vielleicht auch positiv sehen: Neue Hosen braucht das Land! – Niedersachsen hält der Legislative jetzt eine neue Hose hin. Wer sagt eigentlich, dass die (auch wieder) anrüchig gefüllt werden muss? Ärzte hatten schon immer eine rechtlich herausgehobene Verpflichtung zur Fortbildung, weil diese für die angemessene Patientenversorgung notwendig ist. Ihnen sollte auch ein rechtlicher Rahmen zugebilligt werden, der diejenigen, die dieser Verpflichtung auch nachkommen davor schützt, stets in das Licht von genusssüchtiger Vorteilsannahme gestellt zu werden.

I  Vom Redner waren mit (a-d) gemeint: Mitglieder der Bundesregierung.

II „Auch wenn euch das nicht gefällt, das Wichtigste, auf dieser Welt, ist nun mal Geld!“ Aus dem Song „Geld“ auf dem Album: „Die Ärzte: Runter mit den Spendierhosen, Unsichtbarer!“, Gaga-Verlag, Hamburg 2000

III siehe auch: „Keine Fortbildung auf Pharmakosten!?“ (HIV&more, 2013: Interview mit Dr. Hans Heiken)

IV siehe: Niedersächsisches Ärzteblatt: Änderung der Berufsordnung der Ärztekammer Niedersachsen. p35, Ausgabe Januar 2013

V Namensgleichheiten mit tatsächlich in der deutschen Provinz existierenden Institutionen oder eingetragenen Vereinen sind vom Autor nicht beabsichtigt und wären zufälliger Natur.

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