Stefan Esser, Essen, für die Leitliniengruppe
Anale Dysplasien und Analkarzinome bei HIV-Infizierten – Prävention, Diagnostik und Therapie*

Erstmalig wird von der Deutschen AIDS Gesellschaft (DAIG) eine Leitlinie zur Prävention, Diagnostik und Therapie von analen Dysplasien und Analkarzinomen bei HIV-Infizierten unter aktiver Beteiligung verschiedener anderer Fachgesellschaften entwickelt, die bei der Mitgliederversammlung während des Deutsch-österreichischen AIDS-Kongresses abgestimmt werden soll. Somit wird es hierzu für Menschen mit HIV-Infektion nur eine gemeinsame Leitlinie geben und nicht verschiedene von unterschiedlichen Fachgesellschaften.

Hintergrund

Hintergrund ist die hohe Inzidenz und Prävalenz von persistierenden genitoanalen Infektionen mit verschiedenen Humanen Papilloma Viren (HPV)-Typen bei HIV-Infizierten. HPV wird von HIV-Infizierten seltener eradiziert und kontrolliert. Sowohl  low-risk (LR) HPV-Typen, die Feigwarzen (Condylomata acuminata) verursachen, als auch high-risk (HR) HPV-Typen, die mit einer malignen Transformation und der Entwicklung von intraepithelialen Neoplasien bis hin zum infiltrierend wachsenden Karzinom einhergehen können, werden bei HIV-Infizierten gehäuft nachgewiesen.

Condylomata acuminata, intraepitheliale Neoplasien und Analkarzinome finden sich bei HIV-Infizierten deutlich häufiger als in der Allgemeinbevölkerung. Die Übergänge von pesistierenden HPV-Infektionen über intraepitheliale Neoplasien hin zu Analkarzinomen können sich bei HIV-Infizierten rascher vollziehen. Ein schlechter Immunstatus begünstigt die Persistenz von HPV-Infektionen, das Auftreten assoziierter klinischer Läsionen und die maligne Transformation. Dennoch haben der breite Einsatz der antiretroviralen Therapie und die damit meist verbundene Immunrekonstitution zu keiner Abnahme der Inzidenz von Analkarzinomen geführt. Im Gegenteil, in einigen Kohorten wird noch immer ein weiterer Anstieg beschrieben. Das Analkarzinom gehört bei HIV-Infizierten inzwischen zu den häufigsten nicht AIDS-definierenden Neoplasien.

Bedeutung der Früherkennung

Da zwischen der Entwicklung eines Analkarzinoms und dem Auftreten von Feigwarzen und analen intraepithelialen Neoplasien einige Zeit vergehen kann, kommt der Früherkennung HPV-assoziierter Läsionen besondere Bedeutung zu. Die gynäkologischen Vorsorgeuntersuchungen von Frauen haben zu einem deutlichen Rückgang von Zervixkarzinomen geführt. Vor deren Einführung gab es wenig Evidenz für die heute unstrittige Effektivität der Vorsorgeuntersuchungen zur Vermeidung von Zervixkarzinomen. Zwischen Zervixkarzinomen und Analkarzinomen bestehen zahlreiche Ähnlichkeiten: HPV-Assoziation, Entwicklung in der Transformationszone, Risikofaktoren wie Promiskuität, Immunsuppression und Rauchen. In der Literatur finden sich zahlreiche Hinweise, dass genitoanale Vorsorgeuntersuchungen bei HIV-Infizierten zur Früherkennung von Vorläuferläsionen beitragen und damit die Inzidenz von Analkarzinomen reduzieren könnten. Auch wenn für das Analkarzinom noch keine ausreichende Evidenz für die Effektivität der Vorsorgeuntersuchungen vorliegt, erscheint ein Analogieschluss zwischen Anal- und Zervixkarzinom gerechtfertigt. Deshalb hat sich die DAIG für die Entwicklung einer geeigneten Leitlinie für HIV-Infizierte unter Einbeziehung relevanter Fachgesellschaften entschieden.

Diagnostik


Abb. 1  Algorithmus zur Prävention Diagnostik und Therapie von Condylomata acuminata-analen intraepithelialen DysNeoplasien und Analkarzinomen bei HIV-Infizierten

Abb. 1  Algorithmus zur Prävention Diagnostik und Therapie von Condylomata acuminata-analen intraepithelialen DysNeoplasien und Analkarzinomen bei HIV-Infizierten

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Ein Algorithmus zur Prävention, Diagnostik und Therapie von Condylomata acuminata, analen intraepithelialen Dys/Neoplasien und Analkarzinomen bei HIV-Infizierten wird derzeit entwickelt. Der aktuelle Zwischenstand wird in diesem Artikel präsentiert.

HIV-infizierte Männer, vor allem MSM, sollten analog zu HIV-infizierten Frauen proktologisch überwacht werden. Alle HIV-Infizierten mit genitoanalen oder oralen Feigwarzen, intraepithelialen Dys/Neoplasien oder Karzinomen in der Vorgeschichte sind Hochrisiko-Patienten für die Entwicklung eines Analkarzinoms. Sorgfältige genitoanale Inspektionen und regelmäßige proktologische Untersuchungen mittels (High Resolution) Anoskop/Kolposkop mit zytologischen Abstrichen und rechtzeitiger gezielter Probeentnahme können fatalem Tumorwachstum vorbeugen und verstümmelnde Operationen (Rektumamputation, Anus praeter) vermeiden. Rektales Palpieren und äußerliche Inspektionen der Anogenitalregion sind als Vorsorge für HIV-Infizierte alleine nicht ausreichend. Wenn ein Analkarzinom tastbar wird, ist es meist bereits schon weit fortgeschritten.

Screening

Für welche HIV-infizierten Patienten wie oft zytologische, kolposkopische und proktoskopische Untersuchungen zusätzlich zu den routinemäßig durchgeführten genitoanalen Palpationen und Inspektionen notwendig sind, wird im neu entwickelten Algorithmus der deutsch-österreichischen Leitlinie empfohlen.

Allen HIV-Infizierten sollten im Rahmen der jährlichen Inspektion und Palpation Analabstriche für zytologische Untersuchungen angeboten werden. Hochrisiko-Patienten für die Entwicklung eines Analkarzinoms wird zusätzlich eine Anoskopie mit geeigneten Gewebefärbungen (Essigsäure, Lugol`sche Lösung) und ggf. mit gezielter Probebiopsie empfohlen. Grundsätzlich sollten alle klinisch auffälligen HPV-assoziierten Befunde umgehend behandelt werden. Die Art der Therapie unterscheidet sich nicht von den Methoden bei HIV-negativen Patienten. Da sich die Übergänge von einer persistierenden HPV-Infektion über intraepitheliale Neoplasien hin zu einem Analkarzinom bei HIV-Infizierten rascher vollziehen können, sollten die erforderlichen Maßnahmen zeitnah eingeleitet werden.

Histologie

Die Diagnose Feigwarzen oder Analkarzinom kann oft klinisch gestellt werden, während der Grad einer intraepithelialen Neoplasie histologisch bestätigt werden muss. Probebiopsien zum Ausschluss von Malignität sind vor Therapiebeginn zu empfehlen. Bei Therapieresistenz, Frührezidiven sowie raschem oder vermutetem infiltrierendem Wachstum sind sie dringend indiziert.

Histologisch werden Condylomata acuminata, intraepitheliale Neoplasien nach Schweregrad I-III (IN) und invasiv wachsende Karzinome voneinander unterschieden. Vorab wird die anatomische Lokalisation angegeben. Somit entspricht ein AIN III einem analen Carcinoma in situ.

Daneben kann auch der HPV-Subtyp bestimmt werden, um zwischen High-risk/Low-risk-Typen zu unterscheiden. Dies ist derzeit in der Gynäkologie bei unklaren zytologischen Befunden hilfreich. Die Subtypenbestimmung ist sonst noch keine Routinediagnostik und spielt bei Therapieentscheidungen eine untergeordnete Rolle.

Zytologie

Darüber hinaus stehen zytologische Abstrichuntersuchungen als weitere Screeningmethode für Zervix- und Analkarzinome und deren Vorstufen zur Verfügung. Während die Zytologieergebnisse der Zervixabstriche nach Papanicolaou eingeteilt werden, folgt die Klassifikation bei Analabstrichen meist dem Bethesda System. Dieses unterscheidet zwischen normalen Befunden, Inflammation und verschiedenen Atypien: Atypical squamous cells (ASC: -US (undetermined significance), -H (cannot exclude HSIL), atypical glandular cells (ACG), low-grade oder high-grade squamous intraepithelial lesion (LSIL oder HSIL). Sensitivität und Spezifität der Analabstriche sind mit der Zervixzytologie vergleichbar. Jeder wiederholt auffällige oder höhergradige (HSIL) zytologische Befund sollte zeitnah eine Kolposkopie oder eine Protoskopie nach sich ziehen.

Anoskopie

Die „High Resolution Anoscopy/Colposcopy“ als Goldstandard für die Früherkennung HPV-assoziierter Läsionen wird in spezialisierten Zentren angeboten und verbessert die Treffsicherheit bei der genitalen, peri- und intraanalen Inspektion für notwendige Probebiopsien, besonders nach Applikation von Essigsäure (3-prozentig Schleimhäute, 5-prozentig Haut) und zusätzlicher Färbung mit Lugol`scher Lösung.

Therapie

Alle Behandlungen sind bisher unbefriedigend und gehen mit einer hohen Rezidivrate einher. HPV-Impfungen und Immunstimulierende oder modulierende Therapien sind bei CD4-Zellzahlen von unter 350 Zellen/µl fragwürdig. Die Verhältnismäßigkeit operativer Maßnahmen sollte kritisch abgewogen werden, da die persistierende HPV-Infektion damit meistens nicht geheilt wird. Ein histologisch und klinisch eindeutig diagnostiziertes intraanales Carcinoma in situ muss weder zwingend großflächig exzidiert noch zeitnah mit einer Radiochemotherapie behandelt werden. Ablative Verfahren wie elektrokaustische Abtragungen von analen intraepithelialen Neoplasien waren in einer Vergleichsstudie an HIV-positiven MSM einer lokalen Chemotherapie mit Fluorouracil und einer Behandlung mit Imiquimod überlegen.

Je früher ein Analkarzinom diagnostiziert wird, desto erfolgreicher ist eine Radiochemotherapie. Die Radiochemotherapie sollte den Immunstatus des HIV-Infizierten und Interaktionen mit der antiretroviralen Therapie (ART) berücksichtigen. Ggf. muss die ART umgesetzt oder pausiert werden.

Wir hoffen, dass die Empfehlungen der Leitlinie auf breite Akzeptanz stoßen und deren Umsetzung in den klinischen Alltag die Versorgung und Früherkennung HPV-assoziierter Erkrankungen bei Menschen mit HIV-Infektion verbessern.


Leitliniengruppe:

N. Brockmeyer (DDG), O. Degen (DGI), G. Elderling (DAIG), St. Esser (DSTIG),

A. Gingelmaier (DGGG), A. Jessen (DAGNÄ), H. Knechten (NAGNÄ), A. Kreuter (DAIG),

F. A. Mosthaf (DGHO), M. Oette (DGVS), N. Postel (Vir+), M.-L. Sautter (DAIG),

A. Schafberger (DAH), H. Schalk (ÖAIG), H.-J. Stellbrink (DAIG), J. Swoboda (DGZ),

Jan Thoden (KAAD), U. Wieland (GfV), Beratendes Mitglied (ohne Mitgliederbeschluss nachnominiert): J. Jongen (DGK)


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