Kass Kasadi, Hannover
AFRIDE: Innovative Prävention in der afrikanischen Community

Migranten aus dem südlichen Afrika stellen die zweitgrößte Gruppe von HIV-Infizierten in Deutschland. Sprachliche und kulturelle Barrieren sowie unterschiedliche oder differenzierte Wahrnehmungen von Krankheiten erschweren die Therapie und Prävention. In Hannover geht man einen neuen Weg: Beratung von Afrikanern durch Afrikaner mit einem von der Gemeinschaft selbst entwickelten Konzept.

Kass Kasadi, M.A. ist  Politologe und französischer Sprachwissenschaftler.

Kass Kasadi, M.A. ist Politologe und französischer Sprachwissenschaftler. Er lebt seit 30 Jahren in Deutschland und engagiert sich seit über 20 Jahren in der Gesundheits- und HIV-Beratung von Afrikanern. Seit einem Jahr ist er hauptamtlicher Referent für Migration und transkultureller HIV-Berater bei der Hannöverschen AIDS-Hilfe e. V.

Auf dem 6. Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongress am 12.-15. Juni 2013 wurde ihm für das Projekt „die Gesundgärtner“ von der Hannöverschen AIDS-Hilfe der erstmals ausgeschriebene HIV-Community-Preis verliehen. Gleichzeitig gehörte das von Kasadi initiierte Projekt AFRIDE zu den fünf Finalisten für den Publikumspreis. HIV&more sprach mit Kass Kasadi über den neuen Ansatz.

Herr Kasadi, können Sie uns mehr über AFRIDE erzählen?

Kass Kasadi: AFRIDE, Afrikaner Innen in Deutschland, ist ein Netzwerk von AfrikanerInnen aus unterschiedlichen Ländern. Die afrikanische Gemeinschaft hat einen dringenden Bedarf nach Informationen und Aufklärung über das Thema Gesundheit im Allgemeinen und insbesondere HIV/AIDS und STIs. Darum wurde im September 2012 AFRIDE gegründet.

AFRIDE versteht sich als Schnittstelle zwischen dem Aidshilfesystem und MigrantInnen aus Subsahara-Afrika (MiSSA). Es bietet Betroffenen und deren Angehörigen einen Ort des Vertrauens und des Respekts und gleichzeitig den im HIV- Bereich Tätigen (ÄrztInnen, BeraterInnen, etc.) einen transkulturellen Ansprechpartner. Wir sind überzeugt, dass nur eine sensible Annäherung, eine aktive Mitwirkung der Zielgruppe und eine kritische Überprüfung bisheriger- im Bereich afrikanische MigrantInnen, eingesetzter Präventionsmethoden effektiv und nachhaltig sind.

Was sind Ihre Ziele?

Kass Kasadi: Epidemiologische Daten belegen eine Zunahme der in Deutschland erworbenen HIV-Infektionen innerhalb der Subsahara-Afrika (SSA) Community. Ein wichtiges Ziel ist daher die Prävention. Weitere Ziele sind aus der Erfahrung mit Gesundheitsförderung in der afrikanischen Community entstanden, z.B.

  • Integration fördern durch Stärkung der Selbshilfepotenziale afrikanischer Frauen,
  • Aufklärung zum Thema HIV/AIDS/STIs, Familienplanung und sexuelle Gesundheit,
  • Stärken der Position/Rechte von HIV-positiven AfrikanerInnen innerhalb der Community und Gesellschaft, 
  • Einbindung der Community in das soziale und medizinische Versorgungssystem,
  • Beitrag zur Enttabuisierung von STIs  innerhalb der Community
  • Schulung bzw. Fortbildung  der im Gesundheits- und HIV-Bereich tätigen KollegInnen über afrikanische Lebensweisen bzw. Gesellschaften

Wie setzt AFRIDE dieses Konzept um?

Kass Kasadi: Grundlage der Arbeit von AFRIDE ist die emanzipatorische Präventionsarbeit, d.h. die Gesundheitsprävention soll als niedrigschwellige Gemeinschaftsaufgabe wahrgenommen werden.

Das derzeitige 15-köpfige Mobile Präventionsteam von AFRIDE (MPT) besteht aus 11 Frauen und vier Männern aus 12 unterschiedlichen afrikanischen Ländern.

Die Community aus Subsahara-Afrika (SSA)  hat das Konzept entwickelt und ist zugleich alleinige durchführende Gemeinde.

Unsere wichtige Kernphilosophie ist die extensionale Dimension von Kultur in der Kommunikation, d.h. die Suche nach verbindenden Elementen damit der, in der Muttersprache stattfindende Austausch harmonisch verläuft.

Durch Face-to-Face Beratung im Rahmen von Hausbesuchen mit jeweilig zwei geschulten afrikanischen PräventionistInnen werden die HIV/AIDS/STIs Themen nach passender Gelegenheit angesprochen. Andere Orte unseres Präventionsangebotes sind Trauerfeiern, Gottesdienste, Hochzeitsfeiern und Straßenaktionen. Zudem finden in regelmäßigen Abständen öffentliche Großveranstaltungen statt. Verständnis, Geduld und Vertrauen sind zentrale Voraussetzungen unserer Arbeit.

Als deutscher Arzt ist es nicht leicht, die Probleme der afrikanischen Patienten zu erkennen. Können Sie uns das Leben von afrikanischen HIV-Infizierten näher bringen?

Kass Kasadi: Man kann nicht verallgemeinern: die/der afrikanische HIV-Positive an sich existiert nicht. Dennoch lassen sich über die unterschiedlichen individuellen Schicksale hinaus einige gemeinsame  Merkmale feststellen. HIV-Positive aus Subsahara-Afrika erleben eine zweifache Diskriminierung in Deutschland: einerseits als Migrant/in in der Mehrheitsbevölkerung und anderseits als HIV-Infizierte/r in der eigenen Community, weil das Outing unmöglich erscheint.

Die individualisierte medizinische Versorgung in Deutschland erschwert die Demokratisierung des Präventionsangebotes innerhalb der Gemeinschaft. Hinzu kommt noch, dass die Verbindung des HI-Virus mit dem Tabu behaften Thema der Sexualität eine Stigmatisierung der/des Betroffenen verursachen kann. In der Realität werden geoutete HIV-Infizierte aber nicht immer ausgegrenzt. In vielen Fällen werden die Betroffenen von der Gemeinschaft begleitet und bestärkt, was zu deren Empowerment beiträgt.

PatientInnen aus Subsahara-Afrika gelten als wenig therapietreu. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Kass Kasadi: Die von AFRIDE erhobenen Daten bestätigen leider diese Feststellung. Dennoch machen wir seit unserer Gründung die Erfahrung, dass unsere AnsprechpartnerInnen (so nennen wir unsere KlientInnen) eine höhere Adhärenz vorweisen. Dazu haben die Erleichterung des Outings und eine begleitete Therapie durch die AFRIDE-Community beigetragen. Umso mehr ist es entscheidend, HIV/AIDS/STIs in der Verantwortlichkeit der Gemeinde zu verankern.

Sie sind bereits mehr als 20 Jahre im HIV-Bereich tätig. Wie betrachten Sie die bisherige Präventionsarbeit der Aidshilfen in der afrikanischen Community?

Kass Kasadi: Ich war zunächst zwei Jahrzehnte ehrenamtlich tätig und seit einem Jahr jetzt hauptamtlich. Meine Einstellung bei der HAH ist die Antwort auf die gestiegene Nachfrage nach Beratung (sekundäre und tertiäre) der afrikanischen Community.

Der von uns in Hannover und Niedersachsen eingeschlagene Weg zeigt, wie dringlich und sinnvoll die aktive Einbindung der MigrantInnen  in der HIV/AIDS-Präventionsarbeit ist. Die Aneignung interkultureller Kompetenz seitens der Beraterlandschaft ist kein Ersatz für selbst entwickelte partizipatorische Präventionsangebote der Community.

Wir müssen uns immer vor Augen halten, dass Migranten aus dem südlichen Afrika nach den MSM, die zweitgrößte Betroffenengruppe sind mit circa 10 bis 15% aller HIV-Erstdiagnosen in Deutschland. Und von diesen neudiagnostizierten Infektionen wurde jede Dritte wahrscheinlich in Deutschland erworben.

Wie kommen Sie dazu, sich als Nicht-Betroffener für Gesundheit in Ihrer Community zu engagieren?

Kass Kasadi: Dieses war ein Zusammenwirken unterschiedlicher Faktoren und Epochen.

Als ich an der Universität Hannover studierte, lernte ich die ersten HIV-positiven KommilitonInnen kennen. Gleichzeitig hatte ich als Dolmetscher (10 Sprachen) Kontakt mit  AsylbewerberInnen aus dem südlichen Afrika und führte Präventionsarbeit in den Asylheimen durch. Der für mich entscheidende Fall ereignete sich im Jahr 1993 als sich eine afrikanische Familie aus dem Landkreis Hildesheim mir gegenüber outete. Die Familie bat mich, die Kinder im Fall ihres Ablebens zu adoptieren. Diese Ereignisse zusammen mit den ersten Todesfällen (bundesweit) in der Community motivierten mich und einige andere AfrikanerInnen in Hannover, die HIV-Prävention als gemeinsame Herausforderung einzusehen. Dies war die inoffizielle Geburtsstunde von AFRIDE.

Herr Kasadi, was möchten Sie uns noch auf den Weg geben?

Kass Kasadi: Die bisherigen Präventions-Anstrengungen müssen durch eine echte und aktive Partizipation der afrikanischen Community ergänzt werden. Die Etablierung eines transkulturellen Kommunikationskanals zwischen den Aidshilfen und der Community  könnte der Anfang sein. AFRIDE und die Hannöversche AIDS-Hilfe e.V. stehen hier als „Entwicklungshelfer“ gerne zur Verfügung.


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