Marc Quinn – Bodily Functions*
„Self“, Blut (des Künstlers), flüssiges Silikon, Edelstahl, Glas, Perspex und Kühlgerät. 2050 mm x 650 mm x 650 mm, 2006 © Marc Quinn. Foto Courtesy Marc Quinn Studio
In der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts wurde das Blut selbst Material und Farbe: Der bekannteste Vertreter in dieser Richtung ist der Wiener Aktionskünstler Hermann Nitsch, der in den Aktionen seines Orgien-Mysterien-Theaters tierische Organe auf menschlichen Protagonisten verteilte, diese in quasi-rituellen Handlungen mit Blut übergoss und so die Kunstwelt neben den blutigen Requisiten seiner Aktionen auch mit zahllosen „Schüttbildern“ mit Blut bevölkerte. Der Akt des Malens erfährt hier durch das Blut eine orgiastische Überhöhung. Kein Wunder, dass bei diesen Performances auch Wein getrunken und Musik gespielt wurde.
Eine ganz andere Vorstellung und Verwendung von Blut hat der britische Künstler Marc Quinn. 1964 geboren in London, gehört er wie sein Kollege Damien Hirst, der durch eine halbierte, in einem Tank mit Formaldehyd schwebende Kuh bekannt wurde, zur Generation der „Young British Artists“.
Selbstporträts
Quinn wurde erstmal 1991 einer größeren Öffentlichkeit durch sein Selbstporträt „Self“ bekannt. Es besteht aus einem Abguss seines Kopfes aus 4,5 Liter gefrorenem Blut, das er über einen Zeitraum von 5 Monaten unter ärztlicher Aufsicht aus seinem eigenen Körper gewonnen hatte.
Hermann Nitsch, Aktionsfoto, Courtesy Foto Courtesy http://www.nitsch.org
Quinn äußerte sich in einem Interview folgendermaßen: „Ich versuchte mir ein Organ vorzustellen, das man abernten kann, ohne dabei den Wirt zu töten. Man kann dem Körper Blut entnehmen und er bildet wieder neues. Auch hier kann man wieder ein Wunder der Art beobachten, dass der Körper sich neu schaffen kann. Es ist eine Metapher für Leben und Tod.“
Seitdem plant Quinn, alle fünf Jahre ein solches Selbstporträt herzustellen: „Indem ich alle fünf Jahre eines mache, werden sie eine Art Dokumentation meines Lebens, in dem Sinn, dass für mich das eigentliche Werk die Gesamtheit aller Skulpturen ist, die zeit meines Lebens existieren.“
Eine Parallele zu Rembrandts Vorgehen scheint sich hier zu zeigen, der jedes Jahr, von der Jugend bis ins Alter, ein Selbstporträt malte. Dieser Vergleich ist allerdings mehr fomaler Natur, denn die Abgüsse von Quinns Kopf zeigen auch die typischen Deformierungen der Muskulatur, die bei der Abformung entstehen. Auch sind die Augen geschlossen, was unwillkürlich die Assoziation einer Totenmaske aufscheinen lässt. Das Porträt befindet sich in einem Schwebezustand zwischen Passivität und reduzierter Lebensfunktion, statt einem Bewusstseinszustand der Wachheit. Der Gesichtsausdruck erinnert stark an den jener Moorleichen, z.B. des dänischen Tollund-Mannes, der aus der Eisenzeit stammt. Interessant wäre zu erfahren, ob die Abgüsse entstanden, während Quinn sich das Blut abnehmen ließ.
Damit das Blut nicht schmilzt, wird der Kopf in einem transparenten Kasten vermittels einer Kühlapparatur in diesem Zustand der Starre gehalten. Das „eigentliche“ Objekt – der Kopf – existiert also nur, solange die Maschine funktioniert. Diese wird dadurch zu einem wesentlichen Bestandteil der Skulptur, ähnlich einer lebenserhaltenden Maschine. Auch hier nur eine allerdings im wörtlichen Sinne formale Analogie, da der Kopf ohne die Kälte seine Form verlieren würde.
Kopf des Tollund-Mannes, Quelle: Wikipedia
„Auf eine komische Art denke ich, dass „Self“, die Serie mit den gefrorenen Köpfen, von der Unmöglichkeit der Unsterblichkeit handelt. Es ist ein Kunstwerk über den Lebenserhalt. Wenn man den Stecker rauszieht, verwandelt es sich in eine Pfütze aus Blut. Es kann nur in einer Kultur existieren, in der die Konservierung von Kunstwerken eine Priorität einnimmt. Es ist unwahrscheinlich, dass es Revolutionen, Kriege und soziale Umwälzungen überlebt. Ich denke auch, dass die totale Selbstporträthaftigkeit, indem ich mein Blut und meinen Körper verwende, auch einen ironischen Aspekt hat, weil, obwohl die Skulptur meine Form ist und aus Material von meinem Körper gemacht ist, sie für mich nur den Unterschied betont zwischen einer wirklich lebenden Person und den Stoffen, aus denen diese Person besteht.“
Identität vs. Code
Marc Quinns Porträt von John E. Sulston, der den Nobelpreis für „Genetische Regulierung der Organentwicklung und programmiertes Zellsterben“ im Rahmen des Human Genome Project erhielt, kann man vor diesem Hintergrund als ironischen Kommentar zum Porträt-Genre sehen.
„We Share our Chemistry with the Stars” Öl auf Leinwand. 2000 mm x 2000 mm, 2009 © Todd White Art Photography. Foto Courtesy Marc Quinn Studio
Hatte Robert Rauschenberg 1961 ein Porträt der griechisch-französischen Galeristin und Sammlerin Iris Clert angefertigt, indem er ihr anlässlich einer Ausstellung ein Telegramm mit dem Wortlaut schickte: „This is a portrait of Iris Clert if I say so“, so verwendete Quinn eine Zellkultur mit Sulstons DNA in Agar-Agar: Es zeigt eine gelbliche gepunktete Fläche. Dazu Quinn: „Es interessiert mich, auf irgendeine Weise reales Leben in die Kunst zu bringen – buchstäblich. Das buchstäblichste Porträt ist ein Stück DNA.“
Zu Quinns Arbeiten, die den Fokus auf eine – analysierbare – Identität legen, gehöre auch die Serie mit menschlichen Iriden: „Man erhält ein Bild, das zugleich unglaublich farbig und auch irgendwie abstrakt ist, aber auch einer völliger Träger der Identität, so wie es die DNA ist, weil die Iris sich nicht verändert. Sie können jetzt Ihre Iris scannen lassen, wenn Sie einreisen. In der Mitte ist dieses schwarze Loch, das für mich die Leere und das Mysterium des Lebens bedeutet.“
Das Porträt als Metonymie – pars pro toto – und eine Umdefinierung der Idee des Porträthaften zu einer des reproduzierbaren Codes – im Zeitalter der Simulationstechniken keine Überraschung: Statt die charakterlichen Züge und die Lebensgeschichte eines Menschen abzubilden, das, was ihn in der Lebenszeit greifbar werden lässt, nimmt man seine Daten.
Dennoch scheint hinter all der Coolness Marc Quinns Faszination für das „Wunderwerk des Körpers“ auf. Selbst wenn das Blut erstarrt ist, die Iris starr blickt und beiden Kunstwerken auch etwas von monströsen Requisiten aus einem Science Fiction-Film wie der Alien-Serie anhaftet, so bergen sie auch einen Rest von ursprünglicher, primitiver Magie.