Interview mit Prof. Jürgen Rockstroh, Bonn
Neue EACS-Leitlinien

7 Guidelines Version 7.0 Oktober 2013

Auch dieses Jahr wurden die europäischen Leitlinien wieder aktualisiert und die neuen Empfehlungen auf dem europäischen AIDS-Kongress in Brüssel vorgestellt. Anders als erwartet blieb die European AIDS Clinical Society bei ihrer Empfehlung, eine Therapie bei asymptomatischen Patienten ohne Begleiterkrankungen erst bei weniger als 350 CD4-Zellen/μl zu beginnen. Allerdings lassen die neuen Leitlinien auch die Möglichkeit eines früheren Therapiebeginns zu.

Warum empfehlen die Europäer anders als die Amerikaner, die Franzosen und die WHO nach wie vor einen späteren Therapiebeginn?

Prof. Jürgen Rockstroh, Bonn

Prof. Rockstroh: Die EACS begründete ihre Empfehlung zum späteren Therapiebeginn mit dem individualisierten Behandlungsansatz in Europa. Es gilt der individualisierte Heilanspruch, das heißt für den Patienten muss ein wirklicher Benefit vorhanden sein, um so eine Therapie zu rechtfertigen. Und dafür fehlt nach wie vor eine große randomisierte Studie, die belegt, dass ein früherer Therapiebeginn als <350 CD4-Zellen/µl einen klinischen Vorteil bringt. Zurzeit läuft ja noch die START-Studie, mit der wir hoffentlich etwas mehr Klarheit gewinnen, ob eine frühere Therapie durch die verkürzte Dauer der Inflammation unter HIV-Replikation nicht-AIDS-assoziierte Ereignisse verhindert oder ob die jahrelange HIV-Therapie doch langfristig mit Organschäden verbunden ist und so die Vorteile eines frühen Therapiebeginns aufgehoben werden. Der WHO ging es vor allem darum, eine möglichst einfache Leitlinie zu verabschieden, die für alle Länder zutrifft und umsetzbar ist und vor allem auch die Prävention berücksichtigt, das heißt die mittlere Viruslast in der Community zu senken und so möglicherweise einen Einfluss auf die Anzahl der Neuinfektionen zu nehmen.

Aber auch die europäischen Leitlinien ermöglichen einen früheren Therapiebeginn. Bei welchen Patienten sollte früher mit der Therapie begonnen werden?

Prof. Rockstroh: Grundsätzlich kann ein Therapiestart unabhängig von der CD4-Zellzahl erwogen werden und sollte auch aktiv angesprochen werden, insbesondere wenn der Patient bereit ist, mit der Therapie zu beginnen. Die EACS empfiehlt eine Therapie bei einer CD4-Zellzahl von >500 CD4-Zellen/μl  bei symp-tomatischer HIV-Infektion, Schwangerschaft, HIV-assoziierten Erkrankungen (wie z.B. Nierenerkrankungen oder Malignome) und behandlungsbedürftiger Hepatitis B. Neu aufgenommen wurde die Empfehlung, HIV-Patienten, die in einer diskordanten Partnerschaft leben, ebenfalls unabhängig von ihrem Immunstatus eine Therapie anzubieten.

Gab es Neuerungen bei den Medikamenten für die initiale Therapie?

Prof. Rockstroh: Der NNRTI Rilpivirin kann jetzt auch bei Patienten mit einer Viruslast von <100.000 Kopien/ml eingesetzt werden. Die neue Fixkombination Elvitegravir/Cobicistat/TDF/FTC wird als Alternativregime genannt.

Was zeichnet das Kapitel „Prävention und Management der Komorbiditäten“ aus?

Prof. Rockstroh: In diesem Kapitel wurden in übersichtlichen Tabellen und Algorithmen Screening, Diagnose und Behandlung wichtiger Komorbiditäten wie Krebs, kardiovaskuläre Erkrankungen, Bluthochdruck, Diabetes mellitus,  Dyslipidämie, Störungen des Knochenstoffwechsels, Nierenerkrankungen und Leberzirrhose zusammen gefasst. Dazu gehören auch die Medikamenteninteraktionen, die bei der Behandlung der Komorbiditäten zu berücksichtigen sind. Neu ist der Abschnitt sexuelle Gesundheit und Reproduktion.

Die Leitlinien sind eine gute Hilfe im Praxisalltag, vor allem auch für die Behandlung der immer älter werdenden Patienten.

Hat sich bei der Hepatitis-Koinfektion etwas geändert?

Prof. Rockstroh: Für HIV-Patienten mit einer Hepatitis-C-Koinfektion Genotyp 1 wird die Tripletherapie mit Boceprevir und Telaprevir für alle therapienaiven Patienten und früheren Relapsern mit einem Fibrosegrad von 2 und höher empfohlen. Bei früheren Non-Respondern mit Fibrosegrad F0-F3 sollte abgewartet und bei früheren Non- Respondern mit Zirrhose von Fall zu Fall entschieden werden. Damit können wir jetzt eine ganze Reihe von Patienten behandeln, die ein echtes Risiko für die Krankheitsprogression ihrer zugrunde liegenden Lebererkrankung aufweisen.

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