20th International AIDS Conference, 20.-25. Juli 2014 in Melbourne/Australien
Einen Gang höher schalten gegen Ausgrenzung

Deutsche AIDS-HILFE e.V. LogoBei der 20. Welt-Aids-Konferenz in Melbourne gab es keine medizinischen Sensationen, aber eine starke politische Botschaft: Schluss mit der Diskriminierung! Nach dem Abschuss von MH17 rückte die internationale Community enger zusammen. Ein Fazit von Holger Wicht.

Die Chancen, dass die Strahlkraft der 20. Welt-Aids-Konferenz wirklich etwas verändert, stehen gut. Die Konferenz hatte eine starke politische Botschaft: HIV-Prävention und Behandlung gelingen nur, wenn die Menschenrechte geachtet werden, Diskriminierung ist Gift für unser gemeinsames Ziel, die Epidemie in den Griff zu bekommen. Diese Auffassung war in den Plenarveranstaltungen Konsens und wurde immer wieder betont. Und die Medien griffen sie auf: „No one left behind!“ („Niemanden zurücklassen!“), die Überschrift der Melbourne Declaration, war der meistzitierte Satz dieser Konferenz.

Holger Wicht, Deutsche AIDS-Hilfe © Deutsche AIDS-HilfeHolger Wicht, Deutsche AIDS-Hilfe © Deutsche AIDS-Hilfe

Das ist bemerkenswert, haben wir doch noch vor zwei Jahren in Washington eine Überbetonung des Medizinischen beklagt, den Glauben, die Welt könnte sich aus dieser Epidemie heraustherapieren. Dabei ist schon lange klar: Wer „HIV beenden“ will, wie es nun immer so schön heißt, muss Menschen den gleichermaßen Zugang zu Informationen, zum HIV-Test und gegebenenfalls zu Therapien ermöglichen. Diskriminierung – als größtes Hindernis auf diesem Weg – gilt es aus dem Weg zu räumen.

Dass diese Botschaften im Vordergrund standen, haben die Verantwortlichen klug eingefädelt. Schon lange vor der Konferenz wurde für die Melbourne Declaration getrommelt. Einige Tage vor Konferenzbeginn kritisierte die WHO in einer Pressemitteilung, ausgerechnet die am stärksten von HIV betroffenen Gruppen wie schwule Männer und Drogenkonsumenten erhielten in vielen Ländern keine angemessene Prävention.

„Wir können die HIV-Epidemie bis 2030 beenden!“

In Melbourne selbst forderte dann UNAIDS-Präsident Michel Sidibé, die HIV-Epidemie bis 2030 zu beenden. Solche politischen Zielformulierungen sind zwar aller Voraussicht nach nicht realistisch, lenken aber den Blick auf die Maßnahmen, die immer noch nicht ergriffen werden, obwohl sie längst möglich sind. „Stepping up the pace“ („Einen Gang höher schalten“) hieß schließlich das Konferenzmotto.

HIV-Tests für alle, Viruslasttests für fünf Dollar

Sidibé fasste seine ehrgeizigen Ziele in eine griffige Formel: „Bis 2020 sollen 90 Prozent aller HIV-Infizierten ihren Status kennen, 90 Prozent sollen Zugang zu Medikamenten haben und bei 90 Prozent soll das Virus nicht mehr nachweisbar sein.“

Dafür sind vor allem Fortschritte beim Zugang zu HIV-Tests erforderlich. „19 Millionen der 35 Millionen Menschen, die mit HIV leben, wissen nicht, dass sie das Virus haben“, sagte Sidibé. „Wenn sie es nicht erfahren, werden sie sterben. Deswegen müssen wir den Menschen erleichtern, sich auf HIV testen zu lassen und mit einer lebensrettenden Therapie zu beginnen.“

UNAIDS stellte in Melbourne die konzertierte „Diagnostic Access Initiative“ vor. Mit dabei sind die Weltgesundheitsorganisation WHO, UNICEF, das staatliche US-Programm PEPFAR, die Clinton Health Access Initiative und die African Society for Laboratory Medicine (ASLM).

Von größter Bedeutung sind nach Auffassung der beteiligten Organisationen auch Viruslasttests, um den Therapieerfolg überhaupt überprüfen zu können. Sidibés Vision: Die Tests sollen weltweit ohne Probleme erhältlich sein – für fünf Dollar.

Diskriminierung produziert hohe Infektionszahlen

Ob die Botschaft von den Menschenrechten, von Würde und Respekt wohl auch in Ländern wie Russland, Nigeria und Aserbaidschan ankommt? Das ist die große Hoffnung der 20. Internationalen Aids-Konferenz. Vielleicht begreifen nun zumindest einige Verantwortliche, dass sie für ihre menschenverachtende Politik die Rechnung erhalten werden: In Melbourne wurde deutlich, dass diskriminierende Länder höhere Infektionszahlen geradezu produzieren.

UNAIDS-Direktor Michel Sidibé © Deutsche AIDS-HilfeUNAIDS-Direktor Michel Sidibé © Deutsche AIDS-Hilfe

„Heroin kann Leben retten!“

Enttäuschend war derweil der Mangel an einigen Themen, die als Schwerpunkte dieser Konferenz gehandelt worden waren, wie etwa – mit Blick auf die geografische Nähe asiatischer Länder – die Schadensminimierung beim Drogenkonsum. Im offiziellen Programm tauchten sie nur sporadisch auf. Abhilfe schuf zum Glück das Internationale Netzwerk der Drogengebraucher, INPUD: Die Aktivisten banden alle abgelehnten Abstracts zu einem spannenden Programm im Community-Bereich Global Village zusammen.

Zur Präsenz des Themas trugen auch die Flugblätter der Deutschen AIDS-Hilfe bei. Für Melbourne haben wir unsere „Wussten Sie eigentlich?“-Kampagne ins Englische übersetzt. Die Claims zum Thema Drogen sorgten erwartungsgemäß für viele Diskussionen. Sie lauteten „Heroin can save lives“ und „Shooting up can be a clean deal“. (Zu Deutsch: „Heroin kann Leben retten“, „Drogen spritzen kann eine saubere Sache sein“) Wenn Sie mehr darüber erfahren möchten, schauen Sie mal unter www.wusstensie.aidshilfe.de beziehungsweise www.didyouknow.tips.

Auch in Deutschland niemanden zurücklassen!

Übrigens: Der Anspruch „Niemanden zurücklassen!“ ist auch in Deutschland noch nicht erfüllt. Denken wir nur an die Drogenkonsumenten in Haft, die keine sauberen Spritzen und oft auch keine Substitutionstherapien erhalten – in Freiheit die wirksamsten Maßnahmen zum Schutz vor HIV und Hepatitis. Denken wir an die Drogenkonsumenten in den zehn Bundesländern, die noch keine Drogenkonsumräume eingerichtet haben. Denken wir an Sexarbeiterinnen, die immer noch oft ins Abseits gedrängt werden und in letzter Zeit wieder mehr Repression zu spüren bekommen. Und nicht zuletzt: Denken wir daran, dass Diskriminierung auch für Menschen mit HIV in Deutschland immer noch zum Alltag gehört.

Das war ein weiterer Vorzug dieser Konferenz: Sexarbeiterinnen und auch Trans*_Menschen waren so präsent wie nie. Die Sexarbeiterinnen – vor allem die enorm aktive australische Organisation Scarlett Alliance – forderten die Entkriminalisierung ihrer Tätigkeit. Für die Trans*Fraktion war es spürbar ein Aufbruch. Sie erhob hier den Anspruch, als eigenständige Zielgruppe der Prävention ernst genommen zu werden. Dazu trug auch Emy Fem bei, eine Sexarbeiterin mit Trans*Hintergrund. Ihr Claim in unserer Kampagne sorgte an unserem Stand für besonders viel Aufmerksamkeit: „A blowjob doesn’t need to suck“ („Fairtrade gibt’s auch bei Blowjobs“).

„Wenn einer von uns verschwindet, betrifft uns das alle“

Bleibt die Sache mit dem lieben Geld: Die internationale Gemeinschaft wurde in Melbourne von Sir Bob Geldof eindrucksvoll ermahnt, auf den „letzten Metern“ ihrer Verpflichtung nachzukommen, die wirksamen Maßnahmen für alle Menschen zu finanzieren. Alle, die auf diese Ziele hinarbeiten, haben Kraft für diesen Weg tanken können.

Der tragische Beginn mit dem Abschuss des Fluges MH17, in dem mindestens sechs Konferenzteilnehmer saßen, stärkte am Ende das Gemeinschaftsgefühl. „Wenn einer von uns verschwindet, betrifft uns das alle. Wir sind eine Einheit“, sagt Barré-Sanoussi.

Auf ein Wiedersehen 2016 in Durban!

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