Interview
mit Dr. Axel Baumgarten, Berlin
GBA-Beschluss
zu Dolutegravir Bei Switch gut dokumentieren!
Der GBA-Beschluss zu Dolutegravir sieht bei vorbehandelten Patienten, für die eine Behandlung mit einem Integrasehemmer eine „nachrangige“ Therapieoption darstellt, keinen Zusatznutzen. Was heißt das?
Dr. Baumgarten: Diese Formulierung ist schwer zu verstehen. Sie bedeutet, dass ein Zusatznutzen nur belegt ist bei vorrangiger Therapie mit Dolutegravir. Dieser Einschätzung wurden die SAILING Studiendaten zugrunde gelegt. Dabei handelte es sich um ART vorbehandelte Patienten, die bereits Resistenzen gegenüber anderen Substanzklassen aufwiesen, aber nicht gegenüber Integrasehemmern und die auch noch keine INIs genommen hatten. Hier wird ein Zusatznutzen gesehen. Wenn diese Kriterien nicht vorliegen und andere Substanzklassen uneingeschränkt zur Verfügung stehen, sieht der GBA einen Zusatznutzen als nicht belegt an.
Kein
Zusatznutzen bedeutet immer auch „unwirtschaftlich“. Besteht hier
Regress-Gefahr?
Patientengruppe | Dolutegravir-haltige therapie vs. Zweckmäßige Vergleichstherapie | Bewertung |
---|---|---|
Nicht antiretroviral vorbehandelte Erwachsene | Efavirenz plus Tenofovir/Emtricitamin oder Abacavir/Lamivudin | Beträchtlicher ZN |
Nicht antiretroviral | Efavirenz plus | ZN nicht belegt |
behandelte Jugendliche ab 12 Jahren | ||
Antiretroviral vorbehandelte Erwachsene, für die eine Behandlung mit einem Integrase-Inhibitor die erste Therapieoption darstellt | Raltegravir in Kombination mit einer individuellen Backbone-Therapie | Hinweis auf geringen ZN |
Antiretrovirale vorbehandelte Erwachsene, für die eine Behandlung mit einem Integrase-Inhibitor eine nachrangige Therapieoption darstellt | Individuelle antiretrovirale Therapie | ZN nicht belegt |
Antiretroviral vorbehandelte Jugendliche ab 12 Jahren | Individuelle antiretrovirale Therapie | ZN nicht belegt |
Nutzenbewertung des GBA für Dolutegravir (Tivicay®) vom 7. August 2014
Dr. Baumgarten: Man sollte bei vorbehandelten Patienten, die umgestellt werden, genau dokumentieren, warum bei einem Wechsel andere Optionen nicht in Frage kommen. Angesichts der deutlich höheren Kosten ist anzunehmen, dass die Krankenkassen prüfen. Ohne Dokumentation ist ein Regresses möglich.
Was ist bei einem Wechsel von Raltegravir auf Dolutegravir?
Dr. Baumgarten: Wie immer ist alles möglich, wenn man es gut begründet, der wesentliche Aspekt liegt immer in der individuellen zweckmäßigen Vergleichstherapie für den einzelnen Patienten. Wenn man gute Gründe hat, im Einzelfall bestimmte Medikamente nicht einzusetzen, dann sollte man das gut dokumentieren und den Patienten optimal behandeln.
Bei therapienaiven Patienten gibt es einen „beträchtlichen“ Zusatznutzen für alle Patienten...
Dr. Baumgarten: Dieses Ergebnis ist tatsächlich ein seltenes Ereignis in der AMNOG Historie. Hier haben die Studien den GBA überzeugt, dass bei Dolutegravir-basierter Therapie gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie Efavirenz plus Truvada® oder Kivexa® ein beträchtlicher Zusatznutzen vorliegt und damit ist die Wirtschaftlichkeit gegeben
In absehbarer Zeit kommt auch die Fixkombination Dolutegravir plus Abacavir/Lamivudin auf den Markt. Was sagt der GBA-Beschluss zu dieser Kombination?
Dr. Baumgarten: Dazu sagt dieser Beschluss gar nichts. Dazu ist ein neues Verfahren notwendig und bis dahin kann das Medikament entsprechend der Indikation im Zulassungstext eingesetzt werden.
Bislang war im HIV-Bereich das Thema „Wirtschaftlichkeit“ im Hintergrund. Jede neue Substanz war und ist wichtig, um das therapeutische Arsenal zu erweitern. Das AMNOG allerdings hat aufgrund der nicht ganz unerheblichen Preisbildungspolitik der Industrie den Kosten/Nutzenaspekt in die Versorgung eingefügt. Dem sollten wir als Behandler verantwortungsvoll Rechnung tragen.