Cornelia Feiterna-Sperling, Berlin
Neues zur ART bei HIV-infizierten Kindern

Die ART bereits im ersten Jahr wird weltweit empfohlen und ist in Deutschland Standard. Neuere Studien deuten auch darauf hin, dass ein Vorteil der frühzeitigen Behandlung ein geringeres HIV-Reservoir sein könnte. Zur Verfügung stehen mittlerweile Medikamente aus allen Klassen, die ART bei Säuglingen stellt aber immer noch eine besondere Herausforderung dar.

Perinatal HIV-infizierte Kinder weisen vor allem im Säuglings- und frühem Kleinkindesalter im Vergleich zu Erwachsenen ein deutlich erhöhtes Risiko der Krankheitsprogression auf. Der frühe Beginn einer kombinierten antiretroviralen Therapie (cART) bereits in den ersten Lebenswochen kann die Mortalität HIV-1-infizierter Säuglinge signifikant reduzieren (CHER-Studie, Violari 2008). Aus diesem Grund wird weltweit unabhängig von klinischen Symptomatik, der Viruslast oder CD4-Zellzahl eine frühe cART im ersten Lebensjahr empfohlen.

Hoffnung auf Heilung

Hoffnungen auf eine HIV-Eradikation durch eine sehr frühe cART wurden geweckt, als Deborah Persaud vom John Hopkins Children’s Center in Baltimore über den ersten Fall einer „funktionellen Heilung“ bei einem perinatal HIV-infizierten Kleinkind, dem sogenannten „Mississippi Baby“ berichtete (Persaud 2013).

Enttäuschend war dann die Mitteilung des US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH) im Juli 2014, dass das mittlerweile fast 4 Jahre alte Mädchen nach zwei Jahren ohne cART jetzt unerwartet messbare HI-Viruslasten im Blut aufwies (16.700 cop./ml bzw. bei Kontrolle 10.564 cop./ml).

Kleineres Reservoir

Antiretrovirale Medikamente für Kinder

Obwohl der weitere Verlauf des „Mississippi Babys“ letztlich ernüchternd ist, besteht doch weiterhin die Hoffnung, dass perinatal HIV-infizierte Kinder durch einen sehr frühen Beginn einer cART durchaus profitieren könnten. Neuere Studien weisen darauf hin, dass durch eine Frühtherapie bei diesen Patienten die Chance besteht, die Größe des latenten HIV-Reservoirs erheblich zu reduzieren.

In einer US-Kohorte von 144 behandelten perinatal HIV-infizierten Kindern und Jugendlichen wurden die Patienten je nach Alter, in dem eine anhaltende virologische Kontrolle der HIV-Infektion erreicht wurde (<1 Jahr, 1-5 Jahre;
>5 Jahre) kategorisiert und hinsichtlich der proviralen HI-Viruslast, dem HIV-Serostatus und Immunaktivierungsmarkern verglichen (Persaud et al. 2014). Die Patienten waren im Median 10 Jahre
behandelt und es zeigte sich, dass das Erreichen einer langfristigen Suppression der Viruslast (<400 Kopien/ml) bereits im 1. Lebensjahr zu einem signifikant geringeren proviralem Reservoir führt. Kinder (n=14), die bereits im 1. Lebensjahr eine Suppression der Viruslast erreichten, hatten zu 86% einen unklaren oder negativen HIV-Serostatus, während dies in der Gruppe der Kinder, die erst nach dem 5. Geburtstag (n=77) eine virologische Kontrolle erreichten, nur auf 3% zutraf. Weiterhin scheint ein HIV-1-negativer oder unklarer Serostatus mit einem geringeren proviralen Reservoir assoziiert zu sein. Damit könnte ein HIV-1-negativer oder unklarer Serostatus als Biomarker für ein geringes provirales Reservoir bei perinatal Infizierten dienen.

In einer weiteren kürzlich veröffentlichten Studie aus Kanada (Bitnum 2014) wurde der Einfluss einer Frühtherapie bei Neugeborenen (Beginn innerhalb von 72 Lebensstunden) auf das Ausmaß des HIV-1 Reservoirs bei vier perinatal HIV-infizierten Kindern mit einer anhaltenden Suppression der HI-Viruslast untersucht. Es zeigte sich, dass durch einen sehr frühen Beginn der cART die Größe des latenten HIV-1 Reservoirs reduziert werden kann. Dies könnte für perinatal HIV-infizierte Kinder die Chance bieten, auch nach Absetzen der Therapie möglicherweise eine langfristige virologische Kontrolle zu erreichen.

Keine Pausen außerhalb von Studien

Derzeit ist aber vollkommen unklar, ob und wenn, dann zu welchem Zeitpunkt eine cART in dieser Patientengruppe von früh behandelten Kindern abgesetzt werden kann. Generell werden auch bei Kindern keine geplanten Therapiepausen empfohlen, aber wenn dies in Erwägung gezogen wird, sollte dies in Rahmen von Studien erfolgen.

Fortschritt bei Medikamenten

Im Kindesalter vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern besteht die Schwierigkeit, dass einerseits eine frühe cART empfohlen wird, aber gleichzeitig nur eine begrenzte Auswahl von geeigneten Substanzen zur Verfügung steht. Kinder benötigen generell Medikamente, die entsprechend des Wachstums eine gewichtsadaptierte Dosierung ermöglichen, und es bedarf geeigneter Darreichungsformen wie z.B. orale Lösungen oder Granulate, die nicht nur einfach zu schlucken sind, sondern auch gut schmecken, um die Akzeptanz und damit auch die Therapietreue bzgl. der cART zu unterstützen. Generell gilt es auch für Kinder, dass einfachere Therapieregime mit einmal täglichen Einnahmen die Adhärenz positiv fördern kann, sodass eine Vereinfachung der Therapieregime angestrebt wird. Ist die Auswahl der Medikamente im Vergleich zu Erwachsenen bei Kindern weiterhin deutlich eingeschränkter, so haben sich in den letzten Jahren hier doch einige Fortschritte gezeigt. Weiterhin problematisch bleibt aber die Therapie von Neugeborenen und jungen Säuglingen.

Tenofovir

Eine Neuerung betrifft Tenofovir, das seit Mitte 2013 jetzt auch für HIV-infizierte Kinder ab 2 Jahren zur Verfügung steht. Neben Kindertabletten in verschiedenen Dosierungen ist ein Granulat als Darreichungsform erhältlich, das für Kleinkinder von 2 bis 5 Jahren oder auch für ältere Kindern, die noch keine Tabletten schlucken können, zugelassen wurde.

Nevirapin

Im Bereich der NNRTIs ist das Nevirapin weiterhin die einzige Substanz, die für Kinder jeden Alters zugelassen ist. Nachdem Nevirapin für Kinder lange nur in Darreichungsformen (orale Lösung oder Tabletten) verfügbar war, die eine zweimal tägliche Gabe erforderten, sind jetzt für Kinder ab 3 Jahren Retard-Tabletten in 50 mg, 100 mg oder 400 mg erhältlich, die entsprechend der Körperoberfläche dosiert, die einmal tägliche Gabe erlauben. In Kinder-Studien hatten Retard-Tabletten im Vergleich zur oralen Lösung oder sofort freisetzendem Nevirapin eine vergleichbare Pharmakokinetik, Wirksamkeit und Verträglichkeit (Giaquinto 2014).

Proteasehemmer

Im Bereich der Protease-Inhibitoren ist Lopinavir/r die Substanz mit der meisten Erfahrung im Kindes- und Jugendalter. Hier stehen auch Kindertabletten (100 mg Lopinavir/25 mg Ritonavir) für die zweimal tägliche Gabe zur Verfügung. Im Rahmen der vom PENTA (Paediatric European Network of AIDS)-Netzwerk initiierten KONCERT Studie wurde die einmal versus zweimal tägliche Gabe von Lopinavir/r bei pädiatrischen Patienten bzgl. der Pharmakokinetik, Wirksamkeit und Sicherheit untersucht. Nachdem die „Nicht-Unterlegenheit“ bzgl. der Viruslast-Suppression bei einmal täglicher Gabe von Lopinavir/r nicht demonstriert werden konnte, kann die einmal tägliche Gabe für die Therapie bei Kindern leider nicht routinemäßig empfohlen werden (Lyall 2014).

Atazanavir ist in Deutschland als Kapseln erhältlich und erlaubt geboostet mit Ritonavir die einmal tägliche Gabe für Kinder ab 6 Jahren. Zudem wurde ein Pulver für eine orale Lösung entwickelt, das aufgrund der Studienergebnisse der PRINCE I und II Studie von der FDA (Food and Drug Administration) in den USA kürzlich für die Behandlung von Kindern ab >3 Monaten mit einem Gewicht zwischen 10-25 kg zugelassen wurde.

Integraseinhibitoren

Aus der Gruppe der Integrase-Inhibitoren erfolgte auf dem Boden der IMPAACT P1066 Studie (Nachman 2014) im letzten Jahr die Zulassung von Raltegravir für die Therapie von Kindern ab zwei Jahren. Hier besteht die Möglichkeit, Kleinkinder mit einfach zu verabreichenden Raltegravir Kautabletten zu behandeln.

Als weitere Substanz aus der Gruppe der Integrase-Inhibitoren ist Dolutegravir auf der Grundlage der Daten der
IMPAACT P1093 Studie (Hazra 2012) bislang nur für Kinder bzw. Jugendliche ab 12 Jahren zugelassen, während Elvitegravir noch nicht für die Therapie von Kindern zur Verfügung steht.

Maraviroc

Für Maraviroc aus der Gruppe der Entry/Fusions-Inhibitoren liegen inzwischen auch erste Studiendaten für Kinder ab 2 Jahren vor (Giaquinto 2013). In den USA ist Maraviroc ab 16 Jahren zugelassen, in Europa dagegen erst ab 18 Jahren.

Ausgabe 3 - 2014Back

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