Deutscher
STI-Kongress 2014 vom 19. - 21. Juni 2014
Sexuelle
Gesundheit gemeinsam gestalten
Unter dem Motto „Sexuelle Gesundheit gemeinsam gestalten“ hatte die Deutsche STI-Gesellschaft (DSTIG) fast 400 Gäste versammelt, unter ihnen vor allem Ärztinnen und Ärzte. Aber auch viele weitere Disziplinen, die sich der Förderung sexueller Gesundheit widmen, wie Epidemiologie und Psychologie, waren vertreten. „STI sind in vielen Fachrichtungen ein wichtiges Thema und deshalb auch eine echte Querschnittsaufgabe“, erläuterte Kongress-Präsident Norbert H. Brockmeyer, Bochum, der als Präsident der DSTIG zum Kongress eingeladen hatte.
Mit der Schirmherrschaft von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe für den Deutschen STI-Kongress war auch der Appell verbunden, „neue Wege zu beschreiten und kooperative Vorgehensweisen abzustimmen“. Denn wie die Fachwelt wies auch das Ministerium darauf hin, dass die Bevölkerung nicht gut genug über STI informiert sei.
Kongresspräsidenten Norbert H. Brockmeyer und Heiko Jessen (Foto: DSTIG)
Wie ernst es der Veranstalterin mit den interdisziplinären und intersektoriellen Herausforderungen war, konnten Kongressteilnehmende in fünfzehn Sessions, bei den moderierten Posterwalks, in zahlreichen Workshops und nicht zuletzt beim informellen, kollegialen Austausch erleben.
Verschiedene Blickwinkel
Kooperationspartnerin beim Kongress war die Arbeitsgemeinschaft für Dermatologische Infektiologie und Tropendermatologie in der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (ADI-TD). Daneben fand sich im Programm auch Ungewohntes wie die Zusammenarbeit mit dem Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD). „Gerade in der Kombination von unterschiedlichen Blickwinkeln entsteht lebendiger und fruchtbarer Austausch“, beschreibt Heiko Jessen, Infektiologe aus Berlin und ebenfalls Kongresspräsident, das Konzept der Konferenz.
Die noch immer prominenteste STI, nämlich die HIV-Infektion, nahm entsprechenden Raum beim Kongress ein. So wurden aktuelle Entwicklungen in der HIV-Prävention analysiert, z.B. die Bedeutung der Prä-Expositionsprohylaxe (PrEP) als Alternative oder Ergänzung zum Kondom, die inzwischen in den USA und von der WHO empfohlen wird. Gewürdigt wurden zudem Projektvorstellungen wie das mit einem Preis ausgezeichnete partizipative Präventionsprogramm des Robert Koch-Instituts von und für Menschen aus Subsahara-Afrika, die in Hamburg leben.
Symposien,
Vorträge, Diskussionen und Workshops widmeten sich auch den anderen
STI. So waren Chlamydien-
Screening, HPV-Impfung, Anstieg der
Syphilis-Fallzahlen und die Resistenzen bei der Gonokokken-Therapie
neben vielen anderen Themen Gegenstand von zahlreichen Präsentationen
und Diskussionen. Auch die neuen, sehr erfolgreichen, aber sehr
teuren Hepatitis-C-Therapien wurden beleuchtet.
Doch für die DSTIG beschränkt sich sexuelle Gesundheit nicht allein auf den Umgang mit STI. „Um sexuelle Gesundheit fördern zu können, müssen wir Sexualität insgesamt verstehen und viele, viele Wissenslücken füllen“, sind sich die Kongresspräsidenten Brockmeyer und Jessen einig.
Mikrobiom-Forschung
Solche Wissenslücken zeigen sich auch dank verbesserter Mess- und Darstellungsverfahren. Mit moderner Technik gewinnt die Forschung völlig neue Erkenntnisse über die Vielzahl und Funktion von Bakterien, Viren und sonstigen Organismen, die den Menschen auch am Genitale besiedeln. „Was unser Wissen über das so genannte Mikrobiom angeht, stehen wir erst am Anfang, möglicherweise wartet hier eine Revolution auf die Infektiologie. Keime sind vermutlich häufiger Freunde als Feinde des Menschen“, hieß es in den Präsentationen des Leopoldina-Symposiums. Das hatte sich im Vorfeld des DSTIG-Kongresses den molekulargenetischen Tools zur Analyse der Mikrobiome gewidmet. Die Ergebnisse wurden beim Kongress vorgestellt.
Lücken zeigten sich nicht nur bei der Grundlagenforschung, sondern auch in der Epidemiologie, Verhaltensforschung und Versorgung. Vor allem in der Versorgung der Bevölkerung bestehen Unklarheiten, Unsicherheiten und Defizite. Davon berichteten Ärztinnen und Ärzte beim Kongress, unabhängig davon, ob sie als Niedergelassene, in Krankenhäusern oder im öffentlichen Gesundheitsdienst arbeiten. Die Vielfalt der Fachrichtungen erscheint für Patientinnen und Patienten oft unübersichtlich und die Schamschwelle besonders hoch. „Zentren für sexuelle Gesundheit“ böten nach Ansicht vieler Expertinnen und Experten eine gute Lösung.
Sexarbeit
Zu Gast im Roten Rathaus Berlin: der Deutsche STI-Kongress (Foto: ©Berlin Partner/FTB-Werbefotografie)
Fehlende Daten, Zahlen und andere belastbare Fakten lassen viel Raum für Spekulationen und ungesicherte Meinungen. Das zeigte sich auch bei den Debatten zur Sexarbeit. Die sexuelle Gesundheit von Menschen in der Sexarbeit war ein wichtiges Thema des Kongresses und Gegenstand einer interdisziplinär besetzten Session sowie einer Podiumsdiskussion. Diese zeigten, dass Pflichtuntersuchungen von Sexarbeiterinnen weder der individuellen Gesundheit nützen, noch einen Public-Health-Vorteil bieten – entgegen noch immer verbreiteter Ansichten. „Solche Pflichtuntersuchungen schaffen fatale Schein-sicherheit, denn sie gelten ja immer nur bis zum nächsten Risiko-Kontakt“, brachte es eine Kongress-Teilnehmerin auf den Punkt.
Gerade
der Austausch der verschiedenen medizinischen Fachrichtungen
untereinander und mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen gibt dem
alle zwei Jahre statt findenden Deutschen STI-Kongress eine besondere
Qualität.
„Gemeinsames Lernen, Partizipation und
multidisziplinärer Austausch stellen besondere Herausforderungen an
uns. Wir müssen uns zum Beispiel immer wieder um eine gemeinsame
Sprache bemühen. Das erweitert aber den Horizont aller und bringt
uns viele neue Impulse für die praktische Arbeit“, zogen die
Kongress-Präsidenten ihr Resümee. Ganz im Sinne des Kongress-Mottos
„Sexuelle Gesundheit gemeinsam gestalten“.
World Association for Sexual Health
In
einem WHO-Meeting 1975 wurde Sexuelle Gesundheit definiert als
„Integration somatischer, emotionaler, intellektueller und sozialer
Aspekte sexuellen Seins auf eine Weise, die positiv bereichert und
Persönlichkeit, Kommunikation und Liebe stärkt. Grundlegend für
dieses Konzept sind das Recht auf sexuelle Information und das Recht
auf Lust.“ Laut der europäischen WHO-Strategie sollte sexuelle
Gesundheit einen positiven
Zugang zur Sexualität einschließen.
Das Ziel der sexuellen Gesundheitsversorgung solle daher nicht nur
auf Beratung und Behandlung von sexuell übertragbaren Infektionen
beschränkt sein.
Sexuelle Gesundheit umfasst im Wesentlichen drei Unterbereiche:
- Eine Umgebung, die Menschen den uneingeschränkten Genuss ihrer Sexualität als Potenzial ihrer selbst ermöglicht;
- Freiheit von sexuellem Zwang, Missbrauch und sexueller Gewalt;
- Schutz vor Gesundheitsproblemen im Zusammenhang mit dem Sexualleben und entsprechende Behandlung derselben.
Zudem
ist der Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit von einem
sich stetig wandelnden Verständnis von Sexualität geprägt. In den
darin enthaltenen „Arbeitsdefinitionen“ wird sexuelle Gesundheit
als Teil reproduktiver
Gesundheit gesehen, die alle Möglichkeiten
eines befriedigenden, geschützten Sexuallebens und einer
selbstbestimmten Familienplanung umfasst. In ihrem letzten Newsletter
vom Juni 2014 beispielsweise verurteilt die Organisation das neue
Sharia-basierte Gesetz, das außerehelichen Sex, Abort und
gleich-geschlechtlichen Sex mit Auspeitschen und Steinigung bestraft.
4. September: Welttag der sexuellen Gesundheit
Die World Association for Sexual Health (WAS) hat diesen Tag im Jahr 2010 ins Leben gerufen. 2014 stand der Tag unter dem Motto „The Wellbeing of Sexuality“.