Sunshine Act Casts Shadow!
oder

Licht und Schatten des VFA-Transparenzkodex

Gott sei Dank leben wir in einem Rechtsstaat. Alles ist gesetzlich oder zumindest vertraglich geregelt. So auch die Beziehung von Vertragsarzt und Pharmaindustrie. Insbesondere der Generalverdacht der Bestechlichkeit macht hier Probleme. Damit ist jetzt endlich Schluss. 2015 tritt die totale Transparenz durch freiwillige Selbstkontrolle in Kraft. Jeder Bürger kann dann nachlesen, welcher Arzt wie viel Geld bekommt. Für dieses hohe Ziel verzichtet man da doch gerne auf seinen persönlichen Datenschutz, oder?

Der Tier-Verhaltensforscher Konrad Lorenz beschrieb eine interessante Variante im gut ritualisierten Revierverhalten von zwei durch einen Zaun getrennten Hunden1: Diese laufen ausdauernd zähnefletschend, Auge in Auge und mit lautem Gebell am Zaun entlang, bis bei einer Wiederholung des Experiments der Zaun am Ende – für die Hunde völlig unerwartet – zu Ende war und sie sich plötzlich frei gegenüberstanden. Überraschenderweise fand trotzdem kein offener Kampf zwischen den beiden Kombattanten statt: Beide Hunde standen sich kurz verstummend und wie erstarrt gegenüber, um dann in einer synchronen Kehrtwende zur bisherigen Laufrichtung – jeder auf seiner Seite – wieder hinter den Zaun zurückzulaufen und erneut mit den bekannten Drohgebärden nebeneinander her zu laufen.

vorsicht bissiger hund
© camihesse-Fotolia.com

Geschenke erlaubt

Ein ähnliches Experiment in der humanen Verhaltensforschung muss der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) Ende 2012 im Sinn gehabt haben, als er höchstrichterlich feststellte, dass der deutsche Vertragsarzt kein Mandatsträger ist und deswegen nach geltendem Recht es nicht strafbar ist, wenn er von einem Pharma-Unternehmen Geschenke für die Verordnung von Arzneimitteln entgegennimmt.2 Bewundernswert, dass die Verlesung des Urteils im hohen Gericht ohne auch nur den Anflug eines maliziösen Lächelns gelang, obwohl es den Richtern sicher sehr bewusst gewesen sein dürfte, was ihr im Namen des Volkes verkündetes Urteil bewirken würde. Wie zu erwarten, rief die Politik danach parteiübergreifend dazu auf, den gesetzlichen Zaun bei den Niedergelassenen wieder so aufzustellen, wie man vor dem Urteil dachte, dass er eigentlich dort schon gestanden haben müsste. Die Industrie verwies genauso reflexartig auf die Vorteile einer freiwilligen Selbstverpflichtung zu einer Art Zaunanalogon. Motto: Dort, wo kein Zaun ist, soll weiterhin freie Sicht – vulgo „Transparenz“ – herrschen.

Regelungen und Inhalte des VFA-Transparenzkodex

  • Offenlegung von Zuwendungen durch die Pharmaindustrie ab 2015 an …
    • „Angehörige der (heilberuflichen) Fachkreise und Organisationen“ (§1)
      · Nichterfasst werden sollen hingegen (§2, Absatz 4) Zuwendungen an Großhändler,
      Vertreiber oder Händler von Arzneimitteln.
  • Als Zuwendungen gelten (§2; §6):
    • „Geldwerte Leistungen“ (u.a.: Beratungshonorare, Serviceleistungen)
    • „Fortbildungsveranstaltungen“
    • „Spenden (Geld- oder Sachspenden) sowie andere einseitige Geld- oder Sachleistungen“
    • „Sponsoring“ (u.a. für unternehmensbezogene Ziele der Imagewerbung oder Öffentlich- keitsarbeit des Pharmaunternehmens, Miete von Standflächen und Räumen im Rahmen
      von externen Fortbildungsveranstaltungen).
    • „Marktforschungsaktivitäten“
  • Die Veröffentlichung der Zuwendungen soll vorzugsweise nicht allein die Institution sondern
    den individuellen Zuwendungsempfänger als Person deklarieren (§7), dazu müssen folgende Angaben erhoben werden (§8):
    • Vollständiger Name
    • Genaue Praxis- oder Geschäftsadresse
    • Lebenslange Arztnummer
    • Höhe der Zuwendung(en)
      • Nicht vorgesehen ist die Schaffung von Transparenz über Art und Umfang von Gegenleistungen, die der Leistungsempfänger für die genannten Zuwendungen erbracht hat.
  • Die Offenlegung erfolgt jährlich und pro Kalenderjahr, mindestens in deutscher, möglichst
    auch zusätzlich in englischer Sprache (§9 ff.)
      • Nichtgeregelt ist, dass die Offenlegung aller Zuwendungen in einer Metadatenbank
        aller im VFA bzw. EFPIA zusammengeschlossenen Unternehmen gemeinsam erfolgt.

Transparenz à la USA

Passenderweise war auch gerade eine potenziell geeignete Vorlage in Arbeit, die eine Angleichung der Verhältnisse in Europa zu denen in den USA bewirken sollte. Denn dort war 2009 der Physician Payments Sunshine Act3 als ein Bestandteil des Patient Protection and Affordable Care Act erlassen worden. In diesem Kontext wurde vom Europäischen Pharma-Verband EFPIA ein Transparenzkodex4 beschlossen und der deutsche Verband forschender Arzneimittelhersteller e.V. (VFA) verpflichtete sich zur Umsetzung eines nationalen Kodex.5 Dieser wurde 2013 beschlossen und gilt exklusiv für die VFA-Unternehmen. Das sind nach dessen eigenen Angaben immerhin etwa 150: 45 forschende Pharma-Unternehmen und deren über 100 Tochter- und Schwesterfirmen.6 Die hohe Zahl garantiert Pluralismus, aber sie deckt bei weitem nicht alle Pharmaunternehmen ab: Die wichtigen Generikahersteller – gemessen an den verschriebenen Tagesdosen die bei weitem umsatzstärksten Unternehmen – sind nicht an den Kodex gebunden. Dieser Umstand erklärt auch die etwas irritierend anmutende Tatsache, dass dieser Ehrenkodex im Mai 2014 erst noch vom Kartellamt genehmigt werden musste. Unter anderem hatte der deutsche Gesamtverband der Werbeartikel-Wirtschaft e.V. (GWW) wegen einer Wettbewerbsbenachteiligung gegen die mit dem EFPIA-Kodex verbundenen Umsatzrückgänge erfolglos geklagt.7 Das leitet über zu den wesentlichen Inhalten des Transparenzkodex.

Freiwillig?

Leider hat sich die Ärzteschaft zu den EFPIA- und VFA-Transparenzkodices bisher nur indifferent und heterogen
positioniert. Das könnte sich noch rächen, denn die Ärzteschaft spielt ungefragt die Hauptrolle im Kodex. Devote Lippenbekenntnisse zur Unterstützung von Transparenzregeln sind natürlich bei einzelnen Repräsentanten der Ärzteschaft wohlfeil – eine partizipative Einbindung in die Erarbeitung eines gemeinsamen Kodex fehlt aber auf allen denkbaren Ebenen. Zu einer „freiwilligen“ Selbstverpflichtung gehört doch wohl mindestens der Mut, dass man alle daran Beteiligten mit ins Boot holt. Geradezu erbärmlich mutet es an, wenn die Industrie sich in dieser Frage noch nicht einmal auf einen gemeinsamen Kodex einigen kann. EFPIA und VFA sind Vertreter von Partikularinteressen innerhalb der pharmazeutischen Industrie. Mit ihrer auch nicht ganz uneigennützigen Initiative sind sie nicht repräsentativ. Schlimmer noch: Wenn man die Angelegenheit mit etwas Abstand betrachtet, hat sie selbst innerhalb der eigenen, nur vermeintlich repräsentativ vertretenen ökonomischen Interessensgruppe der Pharmazeutika-Hersteller etwas Spaltendes.

Diskussion ohne Ärzte

Die Verfehlung eines integrativen Ansatzes betrifft erst recht den Umgang mit den unmittelbar am Konzept der „freiwilligen“ Selbstverpflichtung beteiligten Ärzte, also den Zuwendungsempfängern. Eine Absprache mit der Ärzteschaft fand entweder überhaupt nicht statt oder aber, dort wo sie ansatzweise stattfand, wurden 2012 Ziele proklamiert, die in den 2013/14 konsentierten Kodices nicht abgebildet sind. Ein Indiz für einen a priori mangelnden Willen zum Dialog in Eu-ropa ist, dass zunächst der Anstoß von einem US-amerikanischen Gesetz (Sunshine Act) ausging und dann ein EFPIA-Kodex erstellt wurde, bei dem erst nachträglich auffiel, dass die dort geforderte Datensammelei dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürger in den meisten Ländern der EU nicht gerecht wird. Erst nachträglich wurden dann die nationalen Verbände darauf hingewiesen, dass in jedem Land die nationalen datenschutzrechtlichen Bestimmungen unberührt bleiben sollten. Der VFA-Kodex führt dazu nur an einer einzigen Stelle etwas beiläufig aus: „Bei der Anwendung dieses Kodex sind … auch … die gesetzlichen Datenschutzbestimmungen zu beachten“ (§3). Der Autor dieser Kolumne hat seither Vertragsvereinbarungen von drei verschiedenen VFA-Mitgliedsunternehmen erhalten, die offensichtlich bereits auf den VFA-Kodex abheben. Dieselben Unternehmen waren zuvor bekannt für ihren sensiblen und zuweilen geradezu detailversessen subtilen Umgang mit dem Datenschutz, wenn es entweder um klinische Studien oder so triviale Angelegenheiten wie die unaufgeforderte Zusendung von Emails von eben diesen Firmen ging. Eine vergleichbare Sensibilität beim Umgang mit den Datenschutzrechten eines „zuwendungsempfangenden Arztes“ war in den Verträgen bei keiner der drei Firmen zu spüren:

Vorsicht: US-Datenschutzrecht

datenschutz

Nur eine von drei Firmen nutzte für die entsprechende Datenvereinbarung einen gesonderten – vom eigentlichen Leistungsvertrag erkennbar abgegrenzten eigenen Vertrag.

Keine von den drei Firmen hat auf ein gesondertes Widerspruchsrecht der Datenvereinbarung hingewiesen oder deutlich gemacht, dass die Datenvereinbarung unabhängig vom Leistungsvertrag bleibt.

Eine (wohlgemerkt: deutsche!) Firma machte im Vertrag darauf aufmerksam, dass die persönlichen Daten umgehend zu einem Firmenteil in die USA übermittelt würden und deshalb die in Deutschland gesetzlich garantierten Datenschutzrechte erlöschen würden. Dieser Passus war weder in einem gesonderten Datenschutzpassus enthalten noch besonders hervorgehoben noch als „Opt-In-Option“ deklariert, sondern fand sich gewissermaßen im Kleingedruckten.

Ich habe mir erlaubt – ein wenig gerührt von der formalen datenschutzrechtlichen Korrektheit – bei der Firma nachzufragen, die als einzige immerhin einen gesonderten Passus zur Weitergabe meiner personenbezogenen Daten vorgesehen hatte, was denn geschähe, wenn ich dem Passus zur Datenweitergabe nicht zustimme – oder aber die Zustimmung, wie es mein Recht in Deutschland ist, nachträglich zurückziehen würde. Antwort sinngemäß: „Die Firma, würde mit einer Person, die dies tut, künftig keine Geschäftsbeziehung mehr eingehen“. Bingo! Der beiläufige Passus in §3 im eigenen Kodex ist also nicht so ernst gemeint. Das ist eine vergleichbare Sensibilität, wie sie der Geheimdienst befreundeter Staaten beim Aushorchen des Mobiltelefons der deutschen Kanzlerin spüren lässt. Eine gute Strategie übrigens auch im Vorfeld, falls das Transparenzkonzept später scheitern sollte: Schuld daran wären dann am Ende die Vertreter der Heilberufe, weil sie bei der schönen Vorgabe der Industrie nicht ausreichend genug freiwillig mitgemacht haben.

Blendung durch diffuses Sonnenlicht

Zusammenarbeit mit der Industrie. Darf man das noch?
Und worauf sollte man achten?

Den richtigen Weg durchs zunehmend verminte Terrain wollen uns einerseits unsere Standesvertretungen
mit mahnenden Worten und umfänglichen Schriftsätzen weisen1
: „Oft ist eine Zusammenarbeit zwar
grundsätzlich gestattet, aber nur wenn bestimmte Bedingungen eingehalten werden.“ (Regina Feldmann,
KBV-Vorstand) oder „Ärzte und ihre Kooperationspartner müssen eine Vielzahl von Regeln kennen und
einhalten.“ (Andreas Köhler, KBV-Vorstand). Alle möglichen kluge Bedenken und zu einem guten Teil auch
Selbstverständlichkeiten finden sich dort. Andererseits findet sich aber eigentlich nichts Motivierendes.

Recht auf Datenschutz

Die pharmazeutische Industrie hat jetzt mit einem eigenen „freiwilligen“ Transparenzkodex noch einmal oben draufgesattelt. Dabei hat sie nicht nur sich selbst, sondern auch den Vertragspartner („Ärzt*in“) gleich ungefragt mit zu einer sehr weitreichenden Transparenz verpflichtet – durch namentliche Offenlegung der von der Industrie erhaltenen Beträge. Ärzt*innen sollten wissen, dass der Transparenzkodex keinen Gesetzesrang hat, sondern vielmehr eine einseitige Formulierung der Interessen der Industrie darstellt. Das bedeutet:

  • Ärzt*innen haben ein vollständiges Anrecht auf ihren Datenschutz. 2
  • Ein Verzicht auf den Datenschutz kann nur individuell und freiwillig erfolgen.
  • Der spezifische und besonders bedeutsame Eingriff in die persönlichen Datenschutzrechte von Ärzt*innen sollte stets in einer gesonderten Datenschutzvereinbarung erfolgen.3
  • Auf die Freiwilligkeit4 ist hinzuweisen. Andernfalls wären gemäß §4a BDSG die Konsequenzen im Vertrag exakt zu benennen.
  • Es sollte eine Widerspruchklausel enthalten sein: Deutsches Datenschutzrecht erlaubt auch den nachträglichen Widerruf 5 , der gemäß §6 BDSG nicht eingeschränkt werden darf.
  • Es muss im Vertrag genauestens dargelegt werden, exakt welche Daten an welcher Stelle veröffentlicht werden.
  • Es muss – für Verträge in Deutschland - sichergestellt sein, dass deutsches bzw. europäisches Datenschutzrecht voll umfänglich6 greift. Alles andere wäre ein Verstoß gegen bestehendes Recht:
    Der Kodex einer einzelnen Interessensgruppe erfüllt nämlich vermutlich nicht die Kriterien für eine Ausnahme
    im Sinne des §4c, Satz 1, Ziffer 6 BDSG.

Natürlich wäre es naiv zu glauben, dass die pharmazeutische Industrie nicht auch Druck ausüben kann,
indem jede/r von künftigen „Kooperationen“ ausgeschlossen wird, die/der sich ihren Bedingungen verweigert. Diese denkbare Strategie wäre auch ohne deren Offenlegung (sprich klare Ansage) möglich. Es ist somit
eine Frage von Zivilcourage und kollegialer Solidarität über seine Posistion keine Intransparenz aufkommen
zu lassen. Sollte diese Situation tatsächlich eintreten, so sollten wir in der Patientenversorgung tätigen
Ärzt*innen uns auch einmal die Frage stellen, ob und auf welcher Basis wir denn eine derartige Zusammenarbeit mit der Industrie überhaupt wollen. Diese Frage zu stellen, bleibt immer ein unbenommenes Recht.

1 Wulfert E (2013): „Das müssen Ärzte beachten: Die Grenzen der Kooperation“http://www.aerztezeitung.
de/praxis_wirtschaft/vertragsarztrecht/article/828951/muessen-aerzte-beachten-grenzen-kooperation.html
(Zugriff am 28.7.2014)

2 Bundesdatenschutzgesetz (BDS) in der letzten aktualisierten Fassung vom 11. Juni 2010. http://www.bfdi.
bund.de/SharedDocs/Publikationen/GesetzeVerordnungen/BDSG.pdf?__blob=publicationFile(Zugriff am
28.7.2014)

3 §4a, Satz 1 BDSA: Die Einwilligung ist nur wirksam, wenn sie auf der freien Entscheidung des Betroffenen
beruht. Er ist auf den vorgesehenen Zweck der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung sowie, soweit nach
den Umständen des Einzelfalles erforderlich oder auf Verlangen, auf die Folgen der Verweigerung der Einwilligung hinzuweisen. Die Einwilligung bedarf der Schriftform, soweit nicht wegen besonderer Umstände
eine andere Form angemessen ist. Soll die Einwilligung zusammen mit anderen Erklärungen schriftlich
erteilt werden, ist sie besonders hervorzuheben.

4 Anmerkung: Bisher war von EFPIA und BFA verlautbart, dass die Ärzteschaft der Veröffentlichung ihrer
Daten im Kontext des Transparenzkodex jeweils optional und freiwillig zustimmen soll.

5  Widerspruchsrecht und nachträgliche Löschung und Sperrung der eigenen Daten: §20 BDSG

6 Ein Vertrag ist im Jahr 2014 bereits bekannt geworden, der darauf hinwies, dass mit der Unterzeichnung im
Datenschutzrecht nur noch der US-Amerikanische ´Standard` gelten würde.

Wem die Diskussion in diesem Streiflicht bisher zu kleinkariert und miesepetrig erscheint, der mag an dieser Stelle anmerken, dass angesichts des hohen Ziels der Transparenzschaffung der Arzt eben auch einfach freiwillig auf einen Teil seiner Rechte verzichten sollte. Stattdessen sollte Demut walten vor dem uneigennützigen Ansatz, mit dem die Industrie zu Transparenz verhilft über Art und individuellen Umfang des Einwerbens von „Zuwendungen“. (Es wäre eine spannende, an dieser Stelle nicht weiter diskutierte Frage für ein künftiges Streiflicht, welcher Nutzen aus dieser Art von Transparenz für unsere Patienten, Nachbarn, Kinder, Kollegen, Freunde, Friseure und Zeitungsausträger denn eigentlich erwachsen könnte).

In Deutschland besteht keine besonders ausgeprägte Kultur der Diskussion von inhaltlichen Fragen, also arbeiten wir uns weiter auf der formalen Ebene ab und stellen dort zumindest die nicht ganz unwichtige Frage: Schafft denn der Kodex Transparenz?

Ja!! Aber es ist eine sehr spezifische Transparenz. Sie erfasst exklusiv nur Daten von Zuwendungen durch die Unternehmen im VFA. Ausgenommen sind Zuwendungen durch VFA-Unternehmen an Personen und Institutionen in Handel und Zwischenhandel, denn das soll Geschäftsgeheimnis der VFA-Unternehmen bleiben. Ausgenommen auch der im Heilberuf tätige Zuwendungsempfänger, der einer Datenveröffentlichung nicht zustimmt. Hier würde das Unternehmen nur eine Sammelrubrik deklarieren –etwa „Zuwendungen an nicht genannte Empfänger“. Mit diesen Einschränkungen erhält aber jeder, der es wirklich will eine sehr hohe Transparenz.

Die Früchte hängen gleichwohl recht hoch, denn die Daten sind nicht etwa in einer einzigen Datenbank. Außerdem sind sie immer nur für je ein Kalenderjahr ausgewiesen. Der transparenzsuchende Bürger muss daher etwas mühsam für seine Erleuchtung („sunshine“) sorgen – mittels jährlicher Durchsicht aller Datenbanken der ca. 150 VFA-Unternehmen und deren Subunternehmen. Damit hat er – unter den schon genannten Vorbehalten – einen sehr vollständigen Überblick über die national gewährten Zuwendungen eines dem Heilberuf zugehörigen Individuums. Die genannte Prozedur müsste er dann auf europäischer Ebene für jedes EU-Land wiederholen und somit pro Individuum potentiell drei- bis vierstellige Zahlenkolonnen pro Arzt aufsummieren. Damit hat er Summen, die er vergleichen kann.

Spielraum für Skandale

Leider weiß er dann immer noch nichts über die Gegenleistung, denn die wird nirgends deklariert. Ein Beispiel: Wenn Dr. X. im Jahr 2015 Zuwendungen von € 2,5 Millionen erhalten hat und Dr. Y. im selben Zeitraum € 25.000, so werden der besorgte Staatsbürger und der Skandalblatt-Journalist sich vermutlich eher so ihre besorgten Gedanken darum machen, ob denn Dr. X. wohl noch unbefangen sein kann. Man kann leider bei keiner Einzelposition erkennen, dass Dr. X. diese Summe für aufwändige Analysen in mehreren wichtigen Studien erhalten hat, vielleicht sogar ohne selbst dabei finanziellen Gewinn zu erzielen. Man kann auch nicht sehen, dass Dr. Y. als Gegenleistung für seine Zuwendung von 25.000 € eine Anwendungsbeobachtung durchführte, deren Aufwand darin bestand, dass seine Sprechstundenhilfe in 20 unbezahlten Überstunden die Fälle für ihn dokumentierte. Nehmen wir an, die Anfrage soll Grundlage für eine Pressemitteilung werden, so sind die Risiken zwischen Zuwendungsgeber und Empfänger nicht etwa gleich verteilt: Der Geber hat die Spielregeln so vorgegeben, dass die Dinge unter der Sonne der Datenbanken nunmehr anders scheinen (können) als sie sind. Der Geber hat eine professionelle Pressestelle und eine eigene Rechtsabteilung, mit denen er auf die Dinge zeitnah reagieren kann. Der Empfänger hat dies alles nicht. Wenn Herr Dr. X., der ja eigentlich hauptberuflich am Patienten oder in der Forschung arbeitet, sich nicht bis Redaktionsschluss gegenüber der Presse umfassend erklärt hat, wird es sinngemäß in deren Meldung süffisant heißen, dass „der beschuldigte Arzt für eine Stellungnahme nicht erreichbar war“.

Bock oder Gärtner?

Was auch immer der VFA-Kodex beabsichtigt: Vielleicht war es gut gemeint, aber es ist schlecht gemacht. Die Risiken der qualitativ schlechten und ethisch bedenklichen Datensammlung liegen überwiegend bei den Organisationen und Ärzten, die eine finanzielle Zuwendung erfahren. Trotz – oder gerade wegen – des bereits im Vorfeld aufgebauten Drucks gegenüber den Vertretern der Heilberufe und deren Organisationen: Wer sich dieser von nur einer Interessensgruppe formulierten, „freiwilligen“ Selbstverpflichtung beugt, trägt nicht nur ein hohes persönliches Risiko aufgrund der immanenten Missverständlichkeit und Intransparenz, sondern ist auch mit verantwortlich, wenn die ersten Ergebnisse der so generierten Datenerhebungen vorliegen und sicher zu Recht öffentlich auch kritisch diskutiert werden dürften.

Vertrauen verspielt

Kommen wir zurück auf das Experiment mit den zwei Hunden und dem Zaun: Ein Motiv für die übereilte und einseitige Ausformulierung und Umsetzung des Transparenzkodex war es, Vertrauen in das System zu schaffen. Dieser Teil der Mission ist jetzt schon gescheitert, noch bevor es 2015 richtig losgehen soll. Ein weiteres Motiv war es, eine gesetzliche Regelung zu verhindern, von der angenommen wird, dass sie nachteiliger als die Selbstverpflichtung ausfallen könnte. Hier kommt es auf den Blickwinkel an. Zumindest die Sicht der wahren Kostenträger des Gesundheitswesens (also die Patienten als „Versicherte“) und der Ärzte (als potenzielle „Zuwendungsempfänger“) dürfte weniger pessimistisch sein, dass eine auf Einbindung aller Interessensgruppen ausgerichtete, also
demokratisch legitimierte Regelung im Ergebnis tatsächlich noch unbefriedigender ausfallen müsste. Bleibt noch das dritte Motiv, nämlich die Notwendigkeit zur „Vereinheitlichung internationaler Wertenormen“. Mir persönlich reicht die Begründung nicht, dass die USA seit 2009 in ähnlicher Weise verfahren. Die USA sind zumindest unter den Aspekten von Datenschutz und Persönlichkeitsrechten sicher kein völlig unumstrittenes Vorbild.

Vielleicht ist es noch nicht zu spät, auch die Sinnfrage des Konzeptes zu stellen und ausführlicher zu beantworten. Das wäre übrigens ohnehin der erste sinnvolle Schritt für ein gemeinsames Konzept aller Beteiligten (gewesen).

1 Hinweis zum Gendering: An dieser und allen folgenden Stellen dieser Kolumne wird aus Gründen der Lesbarkeit auf ein Gendering verzichtet: Auch dort wo im Text der Gender Asterix fehlt sind mit Nennung des generischen Maskulinum ausdrücklich Femininum und Transgender mit eingeschlossen.

2 Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11. Oktober 2012, Az. 5 StR 115/11

3 Physician Payments Sunshine Act of 2009: http://thomas.loc.gov/cgi-bin/query/z?c111:S.301; Zugriff am 20.7.2014

4 EFPIA HCP/HCO DISCLOSURE CODE, verabschiedet am 6.6.2014: http://transparency.efpia.eu/uploads/Modules/Documents/efpia-disclosure-code-2014.pdf; Zugriff am 20.7.2014

5 Kodex zur Transparenz bei der Zusammenarbeit mit den Angehörigen der Fachkreise und medizinischen Einrichtungen. http://pharma.fs-arzneimittelindustrie.de/fileadmin/Transparenzkodex_Web_mit_Leitlinien.pdf; Zugriff am 20.7.2014

6 http://www.vfa.de/de/verband-mitglieder; http://www.vfa.de/download/standortkarte-details.pdf; Zugriff am 20.7.2014

7 http://www.gww.de/presse/gww-pressemitteilungen/einzelansicht/Bundeskartellamt-segnet-EFPIA-Transparenzkodex-ab.html; Zugriff am 20.7.2014


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